Rund 500.000 Tote stehen am Ende der SARS-CoV‑2 Pandemie, wenn keine Maßnahmen getroffen werden, um sie einzudämmen.
Diese trostlose Vorhersage ist die zentrale Aussage eines Berichts des Imperial College in London, über den wir am 19. März berichtet haben. Der Bericht von Neil Ferguson et al. mit dem Namen “Report 9: Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand” ist ein sehr einflussreicher Bericht geworden, denn er hat die Reaktion der britischen Regierung, die zunächst versucht hat, der Pandemie ohne große Einschränkungen des öffentlichen Lebens Herr zu werden, um 180 Grad verändert. Die Folge war ein Lockdown, Schulschließung, Schließung von Hotels, Restaurants, Universitäten, Absage aller öffentlichen Veranstaltungen, selbst die Recyclinghöfe wurden geschlossen, der Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung / des eigenen Hauses auf Einkauf und sportliche Betätigung beschränkt, Arbeitsstätten wurden geschlossen, nur “essential workers” und diejenigen, die im Homeoffice arbeiten konnten, waren noch tätig. Kurz: Großbritannien hatte einen sehr strickten Lockdown, ähnlich wie Deutschland, und sieht nun, nach dem Ende des Lockdown wieder steigende Fallzahlen:
Das ist wenig verwunderlich, schreiben Ken Rice, Ben Wynne, Victoria Martin und Graeme J. Ackland in einer gerade erst im British Medical Journal unter dem Titel “Effect of school closures on mortality from coronavirus disease 2019: old and new predictions” veröffentlichten Studie. Darin schreiben sie: “With only 5–10% immunity after the lockdown, the epidemiological situation at the outset of the second wave is similar to that of March. Consequently, the number of second wave infections is predicted to be similar to that of the first wave, with a somewhat lower death rate”.
Man kann dies so übersetzen, dass der erste Lockdown, der rigide Lockdown, wie er im Vereinigten Königreich oder in Deutschland in Kraft war, einerseits geeignet war, um die Überlastung von Krankenhäusern zu vermeiden, andererseits das Problem nur verlagert hat. Die Frage, die sich daher stellt: Warum ist das so?
Diese Frage untersuchen Rice, Wynne, Martin und Ackland, und sie kommen zu einem Ergebnis, das angesichts der Freude, die Politiker daraus zu gewinnen scheinen, dass sie ihre Bürger wegschließen können, explosiv ist.
Bevor wir das Ergebnis verraten, ein paar Informationen zur Art und Weise, in der es errechnet wurde.
Die Studie von Rice, Wynne, Martin und Ackland ist eine Studie, die die Ergebnisse einer Simulationsrechnung präsentiert. Sie basiert auf dem verbesserten Modell, auf dem die Studie des Imperial College basiert, die im März so großen Effekt auf die Politik im Vereinigten Königreich hatte. Verbessert wurde die Datenbasis, die auf statistischen Daten zur Bevölkerung des Vereinigten Königreich nach Alter, Haushaltsgröße, Einkommen, Gesundheit etc. auf der untersten verfügbaren Ebene lokaler Daten basiert und es damit ermöglicht, Interaktionen für Millionen Menschen zu simulieren, ohne persönliche Daten für diese Millionen Menschen zu haben, Interaktionen zwischen Schülern und Lehrern, Enkeln und Großeltern, Interaktionen zwischen Arbeitskollegen in Familien und viele mehr, die für die Vorhersage einer Enwicklung notwendig sind. Hinzu kommt, dass seit das Modell des Imperial College veröffentlicht wurde, Zeit vergangen ist und Daten angesammelt wurden, Daten über die tatsächliche Entwicklung der Verbreitung von SARS-CoV‑2, der Lethalität von COVID-19, der Anzahl von Hospitalisierungen und Toten. Diese Daten haben Rice et al. in ihrem Modell als Kalibrierungsmaße benutzt, um dann eine Reihe von Szenarien zu berechnen, die die Bedingung erfüllen müssen, die vergangene Entwicklung abzubilden.
Die Szenarien sind für Leser, die unseren ersten Text zum Modell des Imperial College kennen, alte Bekannte:
Die fünf Szenarien beschreiben letztlich die Parameter, die im Modell berücksichtigt werden. So wird bei SDOL70, dem Szenario, das Maßnahmen sozialer Distanz auf Personen beschränkt, die über 70 Jahre alt sind, davon ausgegangen, dass Kontakte am Arbeitsplatz und im Haushalt um 50% bzw. 25% reduziert werden, Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts, die nicht mit dem Arbeitsplatz verbunden sind, werden um 75% reduziert. 75% der Personen im Alter von über 70 Jahren halten sich der Annahme entsprechend, an die Auflagen. PC beschreibt das Szenario, in dem Schulen und Universitäten geschlossen werden, unter der Annahme, dass alle Schulen geschlossen werden, 25% der Universitäten geöffnet bleiben, die Haushaltskontakte in den Familien der Studenten und Schüler um 50% erhöht werden und Kontakte innerhalb der eigenen Gemeinde um 25% während der Schließung steigen.
Die Simulationsrechnung auf Basis der fünf Szenarien ergibt dann, wenn die Frage beantwortet werden soll, wie viele Menschen an COVID-19 unter den verschiedenen Szenarien wahrscheinlich sterben, das folgende Ergebnis:
Der Knaller findet sich in der zweitletzten Spalte: Die Isolation von Infizierten, die Quarantäne aller, die mit Infizierten in Kontakt waren, in der eigenen Wohnung und die Anwendung von Maßnahmen sozialer Distanz (siehe oben) nur auf Personen im Alter von mehr als 70 Jahren erbringt die mit Abstand besten Ergebnisse. Die 262.000 Toten, die hier errechnet werden, stehen 342.000 Toten gegenüber, die zu Buche schlagen, wenn die beschrieben, auf über 70 Jahre alte Personen beschränkten Maßnahmen um die Schließung von Schulen und Universitäten erweitert werden, und sie stehen 495.000 Toten gegenüber, die errechnet werden, wenn nur Schulen und Universitäten geschlossen werden. Maßnahmen, die auf über 70jährige konzentriert werden, wirken sich im Hinblick auf die Anzahl der Toten deutlich besser aus als alle anderen Maßnahmen, die undifferenziert auf alle Mitglieder der Bevölkerung ausgeweitet werden, wie dies z.B. bei einem generellen Lockdown der Fall ist.
Dieses Ergebnis schließt an die Aussage, die eingangs getroffen wurde, an, dass nämlich nach Ende des Lockdowns weiterhin ein großer Anteil der Bevölkerung für SARS-CoV‑2 anfällig ist, damit das ganze Spiel wieder von vorne beginnt, mit einer zweite Welle von Infizierten, die, wenn abermals nicht adäquat reagiert wird, in mehr Toten resultieren kann und abermals in eine Situation mündet, die nur einen geringen Anteil der Bevölkerung Immunität gegenüber SARS-CoV‑2 hat entwickeln sehen: “… the end of place closure, while other social distancing is in place prompts a second wave of cases among younger people. This then leads to a third, more deadly, peak of cases affecting elderly people when social distancing of over 70s is removed. Postponing the spread of covid-19 means that more people are still infectious and are available to infect older age groups of whom a much larger fraction then die” (4). Die folgende Abbildung zeigt das Ausmaß, in dem ältere Menschen die Leidtragenden von Schulschließungen und Schließungen von Hochschulen sind:
Was also tun?
Die Zusammenfassung der Ergebnisse, die Rice et al. selbst geben, gibt Anhaltspunkte dafür, was auf Grundlage der Ergenisse des Simulationsmodells und unter Berücksichtigung der Entwicklung, die SARS-CoV‑2 und COVID-19 in den letzten Monaten genommen haben, als bester Weg des Umgangs mit SARS-CoV‑2 angesehen werden muss:
“We confirm that adding school and university closures to case isolation, household quarantine, and social distancing of over 70s would lead to more deaths compared with the equivalent scenario without the closures of schools and universities. Similarly, general social distancing was also projected to reduce the number of cases but increase the total number of deaths compared with social distancing of over 70s only. We note that in assessing the impact of school closures, UK policy advice has concentrated on reducing total number of cases and not the number of deaths” (7)
Wenn das Ziel also nicht darin besteht, die Regierung als erfolgreich in der Bekämpfung von Fallzahlen Infizierter auszuweisen, sondern als erfolgreich in der Reduzierung von an COVID-19 Verstorbenen, was nicht dasselbe ist, dann empfiehlt sich eine Strategie, die einerseits Personen im Alter von über 70 Jahren schützt, andererseits auf eine Kombination von freiwilligen Maßnahmen sozialer Distanz setzt (Abstandhalten, Reduzierung sozialer Kontakte, Tragen von Masken usw.), Hygienemaßnahmen ergänzt (das berühmte Händewaschen) und ansonsten darauf verzichtet, Einschränkungen des öffentlichen Lebens bei denen durchzuführen, die nicht zur Risikogruppe der Menschen im Alter von mehr als 70 Jahrengehören, also keine Schließung von Restaurants, Hotels, kein Verzicht auf Großveranstaltungen, eine weitgehende Rückkehr zur Normalität vor dem Auftreten von SARS-CoV‑2, wie dies auch die Great Barrington Declaration fordert, die mittlerweile 4.438 Mediziner und Gesundheitsspezialisten (an Hochschulen), 8.113 Ärzte und 114.326 Bürger unterzeichnet haben.
Die Frage, wie mit SARS-CoV‑2 umgegangen werden soll, hat sich nunmehr zu der Frage verdichtet, was Regierungen wichtiger ist, sich als aktivistische Regierung zu inszenieren, die mit aller Gewalt versucht, die Fallzahl zu reduzieren oder sich als verantwortliche Regierung zu zeigen, die steigende Fallzahlen bei vor allem jüngeren Menschen, die in der Mehrzahl asymptomatisch sind und bei Erkrankung an COVID-19 in der Regel mit milden Symptomen belastet sind, in Kauf nehmen und sich auf den Schutz der Risikogruppe der über, 70jährigen zu konzentrieren.
Damit ist nicht gesagt, dass COVID-19 für jüngere Menschen nicht gefährlich sein kann und dass das Phänomen, das derzeit als “long covid” diskutiert wird, also Spätfolgen einer Erkrankung an COVID-19 nicht besteht. Damit ist gesagt, dass dann, wenn es einer Regierung darum geht, die Anzahl derjenigen, die an COVID-19 leider sterben werden, zu reduzieren, die mit Abstand beste Strategie darin besteht, die Verbreitung von SARS-CoV‑2 in den Altersgruppen, für die sich mit einer Infektion wenig Risiko verbindet, hinzunehmen und die Risikogruppe so gut wie nur möglich, zu schützen, also zu isolieren. Auf diese Weise wird die Dauer der Pandemie verkürzt UND die Anzahl der Toten minimiert UND die wirtschaftlichen Schäden werden auf ein erträgliches Maß reduziert.
Die Ergebnisse von Rice et al. zeigen nicht, dass der Lockdown, der im März von vielen Regierungen in Europa beschlossen wurde, ein Fehler oder umsonst war, aber sie zeigen, dass es nun, nachdem sich zeigt, welche Effekte der Lockdown auf die Verbreitung von SARS-CoV‑2 hat, ein Fehler wäre, denselben Lockdown, dieselben Maßnahmen abermals einzusetzen. Das Beispiel Spanies zeigt dies in aller Dramatik. Spanien hatte einen der strengsten Lockdowns in Europa. Das Ergebnis sieht so aus:
Es ist offensichtlich keine Strategie, sich die Nase an der Entwicklung der Fallzahlen platt zu drücken und dieselbe Reaktion zu zeigen, die bereits im März gezeigt wurde. Seit März hat sich nicht zuletzt das Wissen über SARS-CoV‑2 verändert. Wir haben nun auch neue Simulationsrechnungen, wie die von Rice, Wynne, Martin und Ackland, die zeigen, dass Maßnahmen, die im Gießkannenprinzip undifferenziert über alle ausgegossen werden, mehr Schaden anrichten als sie Nutzen bringen. Insofern gibt es für eine verantwortliche, wohlgemerkt keine sich selbst inszenierende Regierung, die aus Personen besteht, die sich lieber in ihrer vermeintlichen Wichtigkeit suhlen, als dass sie der “Wissenschaft folgen”, nur eine Wahl: Follow the Science!
Quelle: sciencefiles.org
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