Bild: Flag of South Tyrol.svg, Attribution 3.0 Unported (CC BY 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/, F l a n k e r - Own work

Unters Joch zwingen

Wie Staaten usur­pierte Völker zu ent­na­tio­na­li­sieren trachten, zeigt das Bei­spiel Italien-Süd­tirol 

„Um Völker aus­zu­lö­schen, beginnt man damit, sie ihrer Erin­nerung zu berauben. Man zer­stört ihre Bücher, ihre Kultur, ihre Geschichte, ihre Symbole, ihre Fahne. Andere schreiben dann ihre Bücher, geben ihnen eine andere Kultur, erfinden für sie eine andere Geschichte und zwingen ihnen andere Symbole und eine andere Fahne auf. Danach beginnt das Volk zu ver­gessen, wer es gewesen ist, wenn nicht die geschicht­liche Erin­nerung von neuem geweckt wird.“

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Als Gabriele Mar­zocco, der ver­storbene wort­mächtige His­to­riker und publi­zis­tische Streiter für die Wahrung eth­ni­scher Iden­ti­täten zu dieser Fest­stellung gelangte, hatte er gewiss nicht allein seine nea­po­li­ta­ni­schen Mit­bürger im Blick gehabt, für deren volk­liche Eigen­arten und Eigen­stän­digkeit er sich in der von ihm gegrün­deten Zeit­schrift „Nazione Napo­letana“ vehement ein­setzte. Selbst­ver­ständlich war ihm auch das Schicksal derer ver­traut, die sich Italien ins­be­sondere nach dem Ersten Welt­krieg ein­ver­leibte und – ganz gleich, ob in Rom faschis­tische Schwarz­hemden oder demo­kra­tische Weiß­hemden bestimmten – seiner rück­sichts­losen Ent­na­tio­na­li­sie­rungs­po­litik mit dem Ziel der „ewigen Ita­lianità“ unterzog.

Mar­kan­testes Bei­spiel dafür ist der süd­liche Lan­desteil Tirols, den es 1918 besetzte, wegen seines 1915 voll­zo­genen Sei­ten­wechsels im schänd­lichen „Frie­dens­vertrag“ von Saint- Germain-en-Laye 1919 als Kriegs­beute zuge­sprochen bekam und 1920 auch förmlich annek­tierte. Das faschis­tische Italien suchte dann ab Oktober 1922 alles aus­zu­merzen, was zwi­schen Brenner und Salurn auch nur im Ent­fern­testen an die in Jahr­hun­derten ent­standene deutsch-öster­rei­chische kul­tu­relle Prägung erin­nerte. Denn wer dem eigenen fremdes Ter­ri­torium ein­ver­leibt, muss der ange­stammten Bevöl­kerung die Iden­tität rauben, soll die Annexion Bestand haben.

Der Ent­na­tio­na­li­sierung sind die zuge­fügten imma­te­ri­ellen Schäden auf Dauer besonders för­derlich, wenn zuvor­derst die Umbe­nennung von Namen, die an Orten, Plätzen, Sied­lungen, Wegen, Bächen, Flüssen und Bergen haften, ange­ordnet und — bis hin zu Vor- und Fami­li­en­namen, selbst auf Grab­stätten – uner­bittlich durch­ge­setzt wird. Seit der Macht­über­nahme Mus­so­linis war Süd­tirol Exer­zierfeld römi­scher „Umvol­kungs­po­li­tiker”. Unter seinem Getreuen Ettore Tolomei, der dies an der Spitze einer Gruppe fana­ti­scher geis­tiger Eroberer von Bozen aus ins Werk setzte, wurde bis zum zweiten Seitenwechsel

Ita­liens 1943 das gesamte Namensgut des „Alto Adige“ („Hoch-Etsch“) ita­lia­ni­siert. Mit den will­kürlich gebil­deten iden­ti­täts­ver­fäl­schenden Namen sollte der fremd­ge­prägte Kul­turraum nicht etwa nur geistig Italien unter­worfen werden, sondern nach außen hin wurde der sprach­liche Ver­ge­wal­ti­gungsakt als „Re-Ita­lia­ni­sierung“ ausgegeben.

Mit­teilung der Zeitung „Der Landsmann“ (zuvor „Der Tiroler“) vom 24. Oktober 1925 über den zwingend vor­ge­schrie­benen Gebrauch der ita­lie­ni­schen Orts­namens-Erfin­dungen.                 Foto: Archiv Golo­witsch 

Dafür musste, neben dem prin­zi­pi­ellen Verbot der deut­schen Sprache in der Öffent­lichkeit, in Ämtern, auf Behörden, in Zei­tungen, Zeit­schriften und sons­tigen Publi­ka­tionen, vor allem das Schul­wesen her­halten, wo der faschis­tisch-bra­chiale Umer­zie­hungs­furor am rigo­ro­sesten wütete. Die von einer Autoren­gruppe unter Ägide des vom Verein Süd­ti­roler Geschichte zusam­men­ge­stellte und in einem im effekt!-Verlag (Neumarkt/Etsch) unlängst als Buch erschienene Doku­men­tation, ver­an­schau­licht dies, ver­sehen mit aus­sa­ge­starken authen­ti­schen Bei­spielen, die auch für Gegenwart und Zukunft Mahnung sind, auf prä­gnante Weise. Im Buch­titel „Die Deut­schen brauchen keine Schulen“ steckt der Hauptteil einer bereits ein Jahr nach der Ein­ver­leibung Süd­tirols in den ita­lie­ni­schen Staats­verband vom damaligen

ita­lie­ni­schen Vize­prä­fekten der Provinz Bozen, Giu­seppe Bolis, getä­tigten sym­pto­ma­ti­schen Äußerung, die gleichsam als Richt­linie für das faschis­tische Erzie­hungs­wesens galt: „Die Deut­schen brauchen keine Schulen, und wir brauchen auch keine Deut­schen“. 

Als sich alle kolo­nia­lis­ti­schen Zwangs­maß­nahmen, die Bevöl­kerung des „Hoch­etsch“ („Alto Adige“, gemäß damals ver­ord­neter, allein­gül­tiger Benennung) zu assi­mi­lieren, als fruchtlos erwiesen, zwangen die „Ach­sen­partner“ Mus­solini und Hitler die Süd­ti­roler in einem per­fiden Abkommen, ent­weder für das Reich zu optieren und über den Brenner zu gehen oder bei Ver­bleib in ihrer Heimat schutzlos der gänz­lichen Ita­lianità anheim zu fallen. Obschon die meisten für Deutschland optierten, ver­hin­derte der Zweite Welt­krieg die kol­lektive Umsiedlung. 1946 lehnten die Alli­ierten die For­derung nach einer Volks­ab­stimmung in Süd­tirol ab. Wor­aufhin sich in Paris die Außen­mi­nister Öster­reichs und Ita­liens auf eine Über­ein­kunft ver­stän­digten, von welcher Bozen, Inns­bruck und Wien die ver­briefte Gewähr für die autonome Selbst­ver­waltung des Gebiets sowie den Erhalt der Tiro­lität seiner Bevöl­kerung gesi­chert wissen glaubten.

Doch Alcide DeGasperi bog die im Abkommen mit Karl Gruber vom 5. Sep­tember 1946 gege­benen Zusagen so um, dass die ver­spro­chene Auto­nomie nicht spe­ziell für die Provinz Bozen, sondern für die Region Trentino-Alto Adige galt, in die beide Pro­vinzen ver­bunden wurden. Das schiere Über­ge­wicht des ita­lie­ni­schen Bevöl­ke­rungs­ele­ments bewirkte zwangs­läufig die Majo­ri­sierung des deutsch-öster­rei­chi­schen sowie des ladi­ni­schen Tiroler Volks­teils und führte die für Bozen eigen­ständig aus­zuüben ver­spro­chene poli­tisch- admi­nis­trative und kul­tu­relle Selbst­ver­waltung ad absurdum.

Das Nie­der­halten der Süd­ti­roler — doku­men­tiert anhand bislang unver­öf­fent­lichter Zeu­gen­be­richte 

Schon als sich die Nie­derlage NS-Deutsch­lands in Umrissen abge­zeichnet hatte, setzten im Gebiet der „Ope­ra­ti­onszone Alpen­vorland“, zu der das süd­liche Tirol nach Absetzung Mus­so­linis und Sei­ten­wechsels Ita­liens 1943 gehörte, ita­lie­nische Par­ti­sanen aus dem „befreiten Italien“ alles daran, Fakten zu schaffen, welche von vorn­herein für die Zeit nach Kriegsende den Ver­bleib Süd­tirols im Stie­fel­staat gewähr­leisten sollten. Es ist das blei­bende Ver­dienst des His­to­rikers Helmut Golo­witsch, anhand einer Fülle archi­vierten Mate­rials in seinem soeben erschie­nenen Buch „Repression. Wie Süd­tirol 1945/46 wieder unter das Joch gezwungen wurde“ (Neumarkt/Etsch, Effekt! Verlag 2020, ISBN-9788897053682) ein­drücklich und mus­ter­gültig doku­men­tiert zu haben, wie diese Insur­genten ope­rierten, um die Süd­tirol-Frage auf ihre Art und Weise ein für alle Mal zugunsten des aber­ma­ligen Kriegs­ge­winnlers Italien zu beantworten.

Bislang unbe­kannte Berichte betrof­fener Terror-Opfer, welche damals von Pfarr­ämtern und SVP-Orts­gruppen pro­to­kol­liert und als Ori­ginale oder Kopien auf gefähr­lichen Wegen über die Berge nach Nord­tirol gebracht worden waren.   Foto: Archiv Golowitsch

Man fragt sich, warum diese zum einen im Bozner, zum andern im Inns­brucker Lan­des­archiv sowie nicht zuletzt im Öster­rei­chi­schen Staats­archiv zu Wien frei zugäng­lichen Samm­lungen authen­ti­scher Berichte aus dem während des fak­ti­schen „Inter­regnums“ von mas­siven Repres­salien über­zo­genen süd­lichen Lan­desteil Tirols sich unbe­sehen in dunklen Archiv­ma­ga­zinen befanden, bis sie der Publizist ans Licht hob, minutiös auf­be­reitete und 75 Jahre nach Kriegsende der (zumindest inter­es­sierten) Öffent­lichkeit jetzt prä­sen­tiert. Und kann sich eigentlich nur eine nahe­lie­genden Antwort geben, nämlich dass die her­kömm­liche (und zumindest in Teilen ideo­lo­gisch dog­ma­ti­sie­rende uni­ver­sitäre) Zeit­ge­schichts­for­schung zum Süd­tirol-Kon­flikt dieses authen­ti­schen Quel­len­ma­terial igno­rierte, weil dessen bestür­zender Inhalt der in der Zunft domi­nanten zeit­geis­tigen poli­tisch-kor­rekten „Opinio comunis“, ins­be­sondere hin­sichtlich einer quasi kano­ni­sierten Betrach­tungen über „bella Italia“, zuwiderläuft.

Wie stellt sich nun das Ergebnis der Kärr­ner­arbeit Golo­witschs für uns Nach­ge­borene dar, und welche gewinn­brin­gende Erkenntnis ver­mögen wir daraus zu ziehen? Gegen Kriegsende keimte in Süd­tirol die Hoffnung auf Wie­der­an­glie­derung an Nord- und Ost­tirol und damit auf Rückkehr zu Öster­reich. Alle Kund­ge­bungen, auf denen diesem Wunsch Aus­druck gegeben werden sollten, liefen den Inter­essen der west­lichen Sie­ger­mächte zuwider, die, den nie­der­ge­henden „Eisernen Vorhang“ und den auf Stalins rigider Macht­po­litik zur Absi­cherung des Mos­ko­witer Vorhofs dräu­enden Ost-West-Kon­flikt vor Augen, Italien, wo zudem die KPI zuse­hends an Anhän­ger­schaft gewann, in ein Bündnis ein­bauen wollten, weshalb ins­be­sondere Washington die römische Politik tat­kräftig unter­stützte. Mithin unter­lagen in Süd­tirol alle Bemü­hungen, dem Wie­der­ver­ei­ni­gungs­ver­langen öffentlich Stimme und Gewicht zu ver­leihen, den vom ame­ri­ka­ni­schen Militär ange­ord­neten Kund­ge­bungs­ver­boten. Überdies wurden alle Ver­suche, die zum Ziel hatten, weithin ver­nehmlich ein­zu­treten für die Selbst­be­stimmung und für das Recht, sie zu ermög­lichen, durch behördlich geduldete Ter­ror­ak­tionen gegen die Bevöl­kerung unterbunden.

Terror durch „Nach­kriegs­par­ti­sanen“ und uni­for­mierte Plünderer

An mas­siven Über­griffen auf Pro­po­nenten von Selbst­be­stimmung und Rück­glie­derung sowie gegen die prin­zi­piell zu Nazis gestem­pelten deutsch- öster­rei­chi­schen und ladi­ni­schen Bevöl­ke­rungs­teile Süd­tirols waren neben maro­die­renden und gleichsam in Banden umher­zie­henden Trägern ita­lie­ni­scher Uni­formen vor allem auch Ange­hörige des sich „anti­fa­schis­tisch“ gebenden ita­lie­ni­schen Befrei­ungs­aus­schusses CLN (Comitato di Libe­ra­zione Nazionale) beteiligt. In dessen „Resistenza“-Formation reihten sich vor­malige Faschisten ein, die rasch die Montur, aber nicht die Stoß­richtung gewechselt hatten, nämlich die beschleu­nigte Fort­führung der Unter­wan­derung mit dem Ziel der unaus­lösch­lichen Ver­wandlung Süd­tirols in einen in jeder Hin­sicht rein ita­lie­ni­schen Landstrich.

       

Cara­bi­nieri und Alpini in Süd­tirol schritten nicht gegen den Terror ein — Uni­for­mierte betei­ligten sich zum Teil sogar daran. Fotos: Archiv Golowitsch

                                  

Ita­lie­nische Bewaffnete zu Kriegsende — unter ihnen zahl­reiche „Nach­kriegs­par­ti­sanen“

Im Mit­tel­punkt der Publi­kation Golo­witschs stehen daher die gegen Personen(gruppen) und Sachen ver­übten Gewalt­taten sowie die im süd­lichen Tirol zwi­schen (den Wirren und der eher unüber­sicht­lichen Lage bis zum) Kriegsende 1945 und der Ent­scheidung der alli­ierten Außen­mi­nister vom 1. Mai 1946, die For­derung Öster­reichs nach Rück­glie­derung Süd­tirols abzu­weisen, ins­gesamt obwal­tende Repression. „Nach­kriegs­par­ti­sanen“ sowie Gewalt­täter aus den Reihen des die ame­ri­ka­ni­schen Besat­zungs­truppen ablö­senden ita­lie­ni­schen Militärs, wie etwa der „Kampf­gruppe Folgore“ und der „Kampf­gruppe Friuli“, bedrohten die deutsche und ladi­nische Bevöl­kerung, plün­derten, raubten, mor­deten unge­sühnt und hielten damit die aus per­sön­lichem Erleben wie kol­lek­tiver Erfahrung seit 1918 eher ver­ängs­tigte Süd­ti­roler Bevöl­kerung nieder.

Sol­daten der Kampf­gruppe „Folgore“ ( „Blitz“)   

Mit sozu­sagen von oben begüns­tigtem, weil staatlich gebil­ligtem Terror konnte daher im „demo­kra­ti­schen Italien“ die nahezu bruchlose Fort­führung der faschis­ti­schen Politik einhergehen.

Es gab eine Reihe Süd­ti­roler Mord­opfer. Die an ihnen began­genen Untaten wurden nie gesühnt. Foto: Archiv Golowitsch

Die Refa­schi­sierung des Landes 

Frühere Faschisten wurden weithin in ihre vormals beklei­deten Ämter und Funk­tionen wie­der­ein­ge­setzt, sodass sich im öffent­lichen Leben all­mählich eine fak­tische Refa­schi­sierung ein­stellte. Golo­witschs Doku­men­tation fördert klar zutage, wie eben just ab 1945 die römische Zwi­schen­kriegs­po­litik des Eth­nozids im neuen, aber kaum anders gestrickten Gewande fort­ge­setzt wurde. Deren Bestimmung war es, durch staatlich geför­derte Zuwan­derung aus dem Süden Ita­liens die zuvor von Mus­solini und seinen Getreuen bis an die „Grenze des Vater­landes“, wie es das geschichtsfäl-schende faschis­tische „Sie­ges­denkmal“ in Bozen pro­pa­giert, ins Werk gesetzte Aus­lö­schung der deut­schen und ladi­ni­schen Teile des Tiroler Volks­körpers zu voll­enden und das Land an Eisack und Etsch gänzlich der Ita­lianità anzuverwandeln.

Um nur eines von vielen mar­kanten Bei­spielen aus der Fülle der in der Doku­men­tation aus­ge­brei­teten zeit­ge­nös­si­schen Zeug­nisse zu nennen, sei hier jener auf­schluss­reiche Vermerk vom Sep­tember 1945 erwähnt, worin es heißt, die am 8. Mai 1945 gegründete (und bis heute im Lande domi­nante) Süd­ti­roler Volks­partei (SVP) habe wöchentlich mehrere Über­fälle, Dieb­stähle, Raub, Plün­derung und Mord bezeu­gende Tat­be­richte erhalten. Der „Volksbote“, das SVP-Par­tei­organ, meldete am 21. März 1946, in einer ein­zigen Eingabe an die zustän­digen Behörden seien 60 teils blutige, teils unblutige Über­fälle auf­ge­zählt gewesen. 

Sich duckende poli­tische Führung  —  der Klerus auf Seiten des Volkes 

Zu denen, die der­artige Gescheh­nisse ereignis- und ablauf­getreu wie­der­gaben sowie nicht selten selbst schriftlich fest­hielten, in Berichtsform abfassten und an sichere Gewährs­leute über­gaben, die sie nach Inns­bruck brachten, gehörten in vielen Fällen katho­lische Geistliche.

Nahezu alle Orts­pfarrer Süd­tirols sam­melten und unter­schrieben Peti­tionen, in denen die Wie­der­ver­ei­nigung Tirols und die Rückkehr zu Öster­reich gefordert wurde.  Fotos: Archiv Golowtisch

 Indes fördert Golo­witschs Publi­kation auch von Ängst­lichkeit, Unter­werfung und Arran­gement her­vor­ge­rufene Lei­se­tre­terei zutage, die sich nicht anders denn als poli­ti­sches Fehl­ver­halten cha­rak­te­ri­sieren lässt. So fürch­teten Par­tei­gründer und erster SVP-Obmann Erich Amonn und sein Par­tei­se­kretär Josef Raf­feiner eigener Aussage zufolge für den Fall, dass sie die ihnen aus Orts­gruppen ihrer Partei zuge­gan­genen Tat­be­richte öffentlich gemacht hätten, Anklage und Ver­ur­teilung wegen  des straf­be­wehrten Delikts „Schmähung der ita­lie­ni­schen Nation und der bewaff­neten  Streit­kräfte“ aus dem trotz Regime­wechsels nach wie vor in Kraft befind­lichen faschis­ti­schen „Codice Penale“. Weshalb Sie die Berichte zwar ver­wahrten, aber ver­schwiegen. Selbst Ver­treter der alli­ierten Sie­ger­mächte, die ja der Form nach die eigent­liche Gewalt im Lande hätten inne­haben und ausüben müssen, wozu gehört  hätte, die offen­kun­digen ita­lie­ni­schen Umtriebe zu unter­binden, setzten sie nur mündlich davon in Kenntnis und konnten allen­falls ein Ach­sel­zucken erwarten.

Das­selbe gilt, wie Golo­witsch darlegt, auch für Poli­tiker der unter Vier­mächte-Statut der alli­ierten Besatzer ste­henden und zwi­schen 27. April und 20. Dezember 1945 gebil­deten Pro­vi­so­ri­schen Regierung zu Wien, der, unter Leitung des sozia­lis­ti­schen Staats­kanzlers Karl Renner zu gleichen Teilen Ver­treter von ÖVP, SPÖ und KPÖ ange­hörten. Und ganz besonders gilt es für die aus der ersten Natio­nal­ratswahl (25.11.1945) her­vor­ge­gangene und vom 20. 12. 1945 bis 8.11. 1949 amtie­rende Regierung unter ÖVP-Kanzler Leopold Figl mit sieben Ministern der ÖVP, fünf Ministern (ab 24.11.1947 deren sechs) der SPÖ und (bis 24.11.1947) einem von der KPÖ gestellten Minister.

Viele der Berichte über die Vor­gänge in Süd­tirol gelangten im Ori­ginal oder in Abschrift nach Nord­tirol und von dort auch zur Kenntnis der in Wien Regie­renden, zumal da der auf das Engste mit der Causa „Zukunft Süd­tirols“ ver­traute Außen­mi­nister Karl Gruber (ÖVP) Tiroler (mit Wohnsitz in Inns­bruck) war. In Wien machte man, auf die Wünsche vor allem der ame­ri­ka­ni­schen und bri­ti­schen Besat­zungs­mächte Rück­sicht nehmend, die ja mit den Kom­man­dantura-Sowjets — als den miss­trau­ischsten und sich stets als geg­ne­rische Macht gebär­denden Besatzern — aus­kommen mussten, den Inhalt der Süd­ti­roler Berichte nicht zugänglich, um öffent­liche Sym­pa­thie­be­kun­dungen für die Süd­ti­roler und even­tuell damit ver­bundene Auf­wal­lungen gar nicht erst auf­kommen zu lassen. Am 5. Sep­tember 1946, wenige Monate nach Amts­an­tritt Figls, traf Gruber in Paris jene Ver­ein­barung mit DeGasperi, die für den von den Sie­ger­mächten bestimmten Ver­bleib Süd­tirols bei Italien und die damit ein­ge­läutete Nach­kriegs­ent­wicklung maß­geblich sein sollte.

Fazit: Wer die dadurch und in den Fol­ge­jahren her­vor­ge­ru­fenen Ent­täu­schungen der Süd­ti­roler ob ihrer neo­ko­lo­nia­lis­ti­schen Unter­jo­chung durch Rom und ihre zunächst hilflose Wut bis hin zur auch gewalt­be­reiten und gewalt­tä­tigen Auf­lehnung idea­lis­ti­scher Akti­visten des Befrei­ungs­aus­schusses Süd­tirol (BAS) vom Ende der 1950er bis hin in die 1970er Jahre sozu­sagen von der Wurzel her begreifen will, kommt an Golo­witschs höchst ansehn­licher und zutiefst beein­dru­ckender Doku­men­tation nicht vorbei.