Bitcoin und ein Topf voll Gold

Man kann nichts über Kryp­to­wäh­rungen schreiben, ohne sofort maximal zu pola­ri­sieren. Denn es gibt im Grunde nur zwei Betrach­tungs­weisen. Ent­weder hat und liebt man Bitcoin oder man hat keine und ver­achtet diese Kryptowährung.

Auf jeden Fall hält man die jeweilig andere Seite für Spinner und Idioten. Da ich weder zu den Inves­toren noch zu den Spöttern gehöre, können wir uns wohl darauf ver­stän­digen, dass ich zu einer dritten Gruppe, den Ahnungs­losen, den Naiven gehöre. Ich bin natürlich nicht blind für das, was mit dem Kurs des Bitcoin gerade abgeht. Für das Wäh­rungs­äqui­valent eines Bit­coins bekam man am 22. Februar 2021 fast ein Kilo­gramm Feingold. Doch schon die Art der Berechnung macht stutzig, muss man sich doch zur Ver­an­schau­li­chung von Reichtum oder ent­gan­genen Chancen immer noch des Dollars bedienen, bekanntlich wie Euro, Yen, Pfund und Ren­minbi eine Fiat-Währung, wie sie im Buche über staat­liche Monopole stehen.

Vor einiger Zeit wollte ich sogar ernsthaft unter die Inves­toren gehen und Bitcoin kaufen. Also zumindest klit­ze­kleine Teile davon. Die Anmeldung auf einer großen Han­dels­plattform war schnell erledigt und erst als ich für das schnelle Bitcoin-Ver­gnügen ein Konto bei einer win­digen fran­zö­si­schen Bank eröffnen sollte, stoppte ich den Prozess. Das und die Löschung meines Accounts hielt die Trader der Plattform aber nicht davon ab, mich mona­telang auf pene­trante Rosen­ver­käu­ferart tele­fo­nisch zu beläs­tigen. Meiner Blacklist* musste ich mitt­ler­weile eine drei­stellige Anzahl Tele­fon­nummern hinzufügen.

Natürlich kann das auch ein Indiz für eine ambi­tio­nierte Ver­kaufs­stra­tegie sein, für mich sieht es aber eher nach Über­hitzung und dem ver­zwei­felten Versuch aus, die Kurse durch immer neues, fri­sches Fiatgeld am Steigen zu halten und die unver­meid­baren Gewinn­mit­nahmen aus­zu­gleichen. Auf was für einem „Topf voll Gold“ ich heute wohl säße, wenn ich meinen Ekel gegen dieses Geschäfts­ge­baren hätte über­winden können? Ein Töpfchen viel­leicht, sofern ich heute wieder aus­ge­stiegen und die erlösten Fiat-Euro in echtes Gold umge­tauscht hätte, was die Bit­co­in­händler zu noch grö­ßeren Anstren­gungen beim Ein­sammeln von Fiatgeld ermutigt hätte, um den Kurs­verfall zu verhindern.

Liebe Leser, ich über­treibe hier natürlich maßlos! Man muss schon mehr als ein paar lausige Euro als Hebel haben, um einen Markt zu bewegen, in dem mitt­ler­weile über eine Billion Dollar stecken. Es geht nur ums Prinzip. Man muss den freien Krypto-Wäh­rungen – sofern sie nicht von Staaten orga­ni­siert werden – zugu­te­halten, dass sie zumindest für so etwas wie Wett­bewerb sorgen. Und dennoch habe ich meine Zweifel, ob die Sache am Ende gut aus­gehen wird.

Dabei will ich hier gar nicht die bekannten Argu­mente vieler Skep­tiker von der feh­lenden mate­ri­ellen Bindung anbringen. Die sind auch nur stich­haltig, wenn man an Gold, Silber oder weiße Trüffel als alter­native Währung denkt. Bei der Letz­teren hätte man zumindest das Problem der Hort­bildung durch die olfak­to­rische Ver­su­chung elegant gelöst. Auch die Frage, ob die letztlich absolute Trans­parenz und die daraus fol­gende feh­lende Anony­mität zugunsten der Fäl­schungs­si­cherheit frei­willig in Kauf genommen würde, sollten Kryp­to­wäh­rungen sich erst mal durch­setzen, will ich hier nicht stellen. Ich habe vielmehr den Ver­dacht, dass den heu­tigen Kryptos und dem Bitcoin ganz besonders einige wichtige Eigen­schaften fehlen, sie eine sehr unselige Allianz mit unserem kip­pe­ligen Fiat-Geld­system ein­ge­gangen und in eine Falle geraten sind, aus der ich keinen guten Ausweg sehe.

Doch ich muss Sie ent­täu­schen, liebe Leser, falls Sie hier so etwas wie einen Glas­ku­gel­blick erwarten. Weder rate ich Ihnen zum Kauf noch zum Verkauf von Kryptos! Es ist durchaus möglich und sogar sehr wahr­scheinlich, dass mir einige grund­le­gende Fakten unbe­kannt sind oder ich irgendwas über­sehen habe. Ich liefere hier weder eine Kritik noch eine Apo­logie. Ich ver­traue darauf, dass Sie wie immer im Kom­men­tar­be­reich des Artikels regen Gebrauch von Ihren Kennt­nissen machen, meine Zweifel zer­streuen und mein Wissen ver­tiefen können.

Eine Pizza bitte

Während der Bitcoin die Funktion der Wertauf­be­wahrung scheinbar recht gut erfüllen kann, taugt er aus zwei Gründen nicht für die andere Aufgabe: all­ge­meines Tausch- und Zah­lungs­mittel zu sein. Denn selbst wenn jemand heute auf die Idee käme, eine Pizza für 0,00034 BTC zu bestellen, die man morgen viel­leicht schon für nur noch 0,00033 BTC bekommen kann, stellt sich die Frage, ob sich die Trans­ak­tionen aller Piz­zerien so abwi­ckeln ließen – und sei es nur in Deutschland. Das Bitcoin-System kann etwa 5 Trans­ak­tionen pro Sekunde abwi­ckeln und weil die Block­chain wächst, wird das eher weniger als mehr. Zum Ver­gleich: Visa wickelt etwa 1.700 Zah­lungen pro Sekunde ab. Mir scheint, das Bitcoin-System ist schon deshalb vor allem mit sich selbst beschäftigt. Es werden Dollar und Euro in Bitcoin trans­fe­riert und schon deutlich weniger in die andere Richtung – deshalb steigt ja auch der Kurs.

Könnten eines Tages Quan­ten­kom­puter Abhilfe schaffen? Viel­leicht, aber das ist wie die Kern­fusion Zukunfts­musik, die uns heute kein Stück weiter bringt. Als all­ge­meines Zah­lungs­mittel wäre das System heute schon in einer mitt­leren Stadt völlig über­fordert. Die Idee, dass wir nach dem Zusam­men­bruch des Fiat-Geld­systems von ganz allein beginnen würden, mit Bitcoin zu bezahlen funk­tio­niert also schon rein prak­tisch nicht. Zudem gibt es kein Preis­gefüge, das sich stabil in Bitcoin abbilden ließe. Das Gefühl, was „zu teuer“ und was „zu billig“ ist, stellt sich in Bezug auf Waren und Dienst­leis­tungen nicht ein. Gewöhnung durch täg­lichen Umgang ist ein mäch­tiger Ver­bün­deter des Fiat­geldes und ich fürchte, wenn nach dem Zusam­men­bruch des Euro der „Neuro” aus­ge­geben würde, ver­traute man diesem wieder blind – und sei es nur, um den Wert des Topfes voller Bitcoin in Worte fassen zu können.

Fiatgeld zer­stört den Bitcoin, Bitcoin stützt das Fiatgeld

Der Höhenflug des Bit­coins sagt meiner Meinung nach nichts über Kryptos aus, sondern über den Zustand von Dollar und Euro. Dank der besin­nungs­losen Geld­dru­ckerei der Zen­tral­banken werden ja nicht nur Sach­werte wie Aktien und Immo­bilien, sondern auch Kryptos mit „Geld“ geflutet. Das schlechte Geld ist da und will irgendwo hin, wo es besser und sicherer ist. Bitcoin ist also in gewisser Weise ein Überlauf für Fiatgeld geworden und sta­bi­li­siert auf diese Weise ein insta­biles Geld­system, dessen Inflation sonst Schneisen der Ver­wüstung in die Konsum-Land­schaft schlagen würde. Und während das Fiatgeld von unserem Ver­trauen lebt, morgen noch etwa genauso viel wert zu sein, lebt der Bitcoin von der Hoffnung, morgen mehr wert zu sein als heute. Der Bitcoin will also nicht aus unserer Tasche und sollten wir uns eines Tages kom­plett auf ihn ver­lassen müssen, könnte er wegen tech­ni­scher Gege­ben­heiten nicht schnell genug aus unserer Tasche.

Ein Topf voller Katzengold?

Die Idee, es gäbe ein Geld­system, das unab­hängig von Banken, Zen­tral­banken und Regie­rungen funk­tio­niert, ist natürlich sehr reizvoll. Die staat­liche Garantie von Euro und Dollar ist schließlich sehr faden­scheinig, weil die Aus­weitung der Geld­menge will­kürlich erfolgen kann. Von Sta­bi­lität kann hier also keine Rede sein. Der Flirt vieler Staaten mit Krypto-Sys­temen und Bar­geld­ab­schaffung macht mir aber einige Sorgen und die sollten Bitcoin-Besitzer auch haben. Dezen­tra­li­sierung und staat­liche Unab­hän­gigkeit sind nämlich keine Exis­tenz­ga­rantie für eine unab­hängige Währung. Ein Staat oder Staa­ten­verbund wie die EU kann jederzeit einfach ein Verbot ver­hängen und Bitcoin in die Ille­ga­lität treiben. Die Liste der Länder, in denen Bitcoin ver­boten sind, ist noch recht kurz, was nicht so bleiben muss.

Den Einwand, es handele sich dabei fast aus­schließlich um auto­ritäre Staaten, kann ich nicht gelten lassen. Schließlich ent­wi­ckelt sich die Welt als Ganzes in Richtung einer glo­ba­li­sierten, auto­ri­tären Tech­no­kratie und solche reagieren erfah­rungs­gemäß all­er­gisch auf die „Anma­ßungen“ indi­vi­du­eller Ent­schei­dungen. In Deutschland besteht eine Mel­de­pflicht für den Kauf von phy­si­schem Gold ab einem Trans­ak­ti­onswert von 2.000 Euro. Man begründet das gern mit dem Geld­wä­sche­gesetz aber jeder ahnt, dass es andere Gründe gibt: der Staat weiß halt gern, wo er das Gold abholen muss, wenn er es mal brauchen sollte. Auch Gold­verbote für Pri­vat­per­sonen hat es in der soge­nannten „freien Welt” bereits gegeben. Sollte der Bitcoin wirklich wert­haltig bleiben und nicht irgendwann ver­boten werden, fände der Staat sicher Mittel und Wege, auch diesen Quell der Liqui­dität anzu­zapfen. Der Angst-Faktor ginge hier nicht mal von einem funk­tio­nie­renden Staat aus, sondern von einem Rechts­staat, der nicht mehr funktioniert.

Das stärkste Argument für die Skepsis gegenüber dem Bitcoin ist meiner Meinung nach jedoch das absolute Des­in­teresse des Staates an der Sache. Mal abge­sehen davon, dass EZB und Politik mit dem Gedanken spielen, selbst Kryp­to­wäh­rungen her­aus­zu­geben, die man dann natürlich unter Kon­trolle hätte. Der deutsche Staat unter­bindet den Rück­fluss von Kurs­ge­winnen aus dem Verkauf von Krypto-Wäh­rungen durch lange Hal­te­fristen und kleine Frei­be­träge, hält sich sonst aber sehr zurück. Sähe man im Bitcoin eine Gefahr für das eigene Fiat-Geld­system, han­delte man sicher rigoroser.

Zwar könnte man darin auch einfach Dummheit sehen, aber das wäre sicher falsch. Vielmehr glaube ich, dass man die sta­bi­li­sie­rende Wirkung von Bitcoin auf die Geld­menge gern mit­nimmt. „Zumachen“ kann man diesen Sack immer noch und zu jeder Zeit – wenn er voll genug ist. Die Opti­misten unter den Bitcoin-Freunden gehen davon aus, dass der Kurs weiter steil nach oben geht, von einer Million Dollar ist gar die Rede. Doch eine Frage bleibt unbe­ant­wortet. Nämlich was der Topf voller Gold wirklich wert ist, wenn Dollar oder Euro – wie bisher noch jede Fiat-Währung – eines Tages implo­dieren sollte. Eine Million Mal Null wäre dann nur noch ein Topf voller Kat­zengold, für dessen Her­stellung Unmengen an Energie ver­wendet wurden.

* Leider hat das auf Dauer nicht funk­tio­niert, der Tele­fon­terror ließ nicht nach. Deshalb an alle genervten Lei­dens­ge­nossen ein Tipp: Stra­te­gie­wechsel! Statt die Anrufer weg­zu­drücken oder laut Kon­se­quenzen anzu­drohen, nimmt man das Gespräch einfach an und legt das Telefon mit fol­genden Worten neben sich: „Da Sie nicht auf­hören, mir meine Zeit zu stehlen, stehle ich jetzt die Ihre. Ich lege das Telefon jetzt auf den Tisch und arbeite weiter. Sagen Sie also was sie sagen wollen, nehmen Sie sich ruhig Zeit.“


Quelle: unbesorgt.de