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Erdoğans Krieg gegen die uni­ver­sitäre Freiheit

Bos­porus-Uni­ver­sität (Boğaziçi Üni­ver­sitesi auf Tür­kisch, oder BOUN in seiner Abkürzung) ist eine der drei Top “Ivy League” Hoch­schulen der Türkei. Gegründet als Robert College im Jahr 1863, war BOUN die erste ame­ri­ka­nische Uni­ver­sität, die außerhalb der USA gegründet wurde. Ihre Gründer waren der reiche Phil­an­throp Chris­topher Robert und der Mis­sionar Cyrus Hamlin. Das Robert College wurde 1971 an die tür­kische Regierung über­geben und in BOUN umbenannt.

(von Burak Bekdil)

Zu den bemer­kens­werten Absol­venten von BOUN gehören die ehe­ma­ligen Pre­mier­mi­nister Tansu Çiller und Ahmet Davu­toğlu. Die Times Higher Edu­cation hat die BOUN in ihrem Welt­uni­ver­si­täts­ranking 2021 auf Platz 601–800 gesetzt. Jedes Jahr legen etwa 2,5 Mil­lionen tür­kische Schüler eine nationale Prüfung ab, um eine Uni­ver­sität zu besuchen. Bei der letzt­jäh­rigen Prüfung schrieben sich 708 der besten 1.000 von 2,5 Mil­lionen Anwärtern an der BOUN ein. Mit anderen Worten: 70% der besten Schüler der Türkei bevor­zugen diese Universität.

Tür­kische Isla­misten standen schon immer im Wider­streit zu den libe­ralen, pro-west­lichen Tra­di­tionen der BOUN. In einem Interview sagte Binali Yıl­dırım, Prä­sident Recep Tayyip Erdoğans Wahl zum Minis­ter­prä­si­denten von 2016, dass er die BOUN in seiner Jugend nicht besucht habe, weil er “Jungen und Mädchen zusammen im Hof der Uni­ver­sität sitzen und reden sah” und die Ver­mi­schung der Geschlechter inak­zep­tabel fand. Genau diese ideo­lo­gische Unver­ein­barkeit eröffnete eine neue Front im Kampf zwi­schen dem tyran­ni­schen Isla­mismus und einer Eliteuniversität.

Am 2. Februar nahm die tür­kische Polizei mehr als 150 Men­schen fest, die friedlich gegen Erdoğans Ernennung eines Par­tei­treuen zum neuen Rektor der BOUN pro­tes­tierten. Es war das erste Mal seit 1971, dass ein Nicht-BOUN-Absolvent zum Leiter der Uni­ver­sität ernannt wurde. Stu­denten, Pro­fes­soren und Alumni pro­tes­tieren seit Anfang Januar gegen die Ernennung von Rektor Melih Bulu, einem ehe­ma­ligen Mit­glied von Erdoğans Partei für Gerech­tigkeit und Ent­wicklung. Die Polizei durch­suchte sogar die Woh­nungen einiger Demons­tranten und ver­bar­ri­ka­dierte das Uni­ver­si­täts­ge­lände der BOUN.

In gewalt­freien Demons­tra­tionen for­derten die Demons­tranten, dass Bulu als Rektor der Uni­ver­sität zurück­tritt und die Uni­ver­sität ihren eigenen Prä­si­denten wählen darf, da die Ernennung ein Affront gegen die aka­de­mi­schen Frei­heiten sei. Am 3. Februar denun­zierte Erdoğan die stu­den­ti­schen Demons­tranten als “Ter­ro­risten” und schwor, gegen die Demons­tra­tionen vor­zu­gehen. Bis dahin hatte die Polizei mehr als 250 Stu­denten fest­ge­nommen. Erdoğan gab zu, dass er befürchtete, die BOUN-Pro­teste könnten sich zu regie­rungs­feind­lichen Pro­testen aus­weiten und sagte, er würde nicht zulassen, dass sie anschwellen würden.

Zusätzlich zur Brand­markung der Demons­tranten als Ter­ro­risten schürten Erdoğan und Regie­rungs­funk­tionäre einen pola­ri­sie­renden und gif­tigen Kampf der Tra­di­tionen, indem sie die LGBTQ-Stu­denten der Uni­ver­sität als Anstifter der Unruhen denun­zierten und sie als von tür­ki­schen Werten abwei­chend dar­stellten. “So etwas wie LGBT gibt es nicht. Dieses Land ist national, spi­ri­tuell, und mar­schiert mit diesen Werten in die Zukunft”, sagte Erdoğan. Tweets von Innen­mi­nister Süleyman Soylu, die LGBTQ-College-Stu­denten ver­un­glimpften, indem sie sie Per­vers­linge nannten, wurden von Twitter als seine Richt­linien betreffend “hass­erfülltes Ver­halten” ver­letzend iden­ti­fi­ziert, mit einem Warn­hinweis ver­sehen und teil­weise vor der Öffent­lichkeit versteckt.

Nach einer Flut von Kritik aus den Ver­ei­nigten Staaten und Europa beschul­digte Erdoğan die ame­ri­ka­nische und euro­päische Nationen der Dop­pel­moral, weil sie Pro­teste in ihren Ländern “zer­schlagen” würden, jedoch “die­je­nigen als unschuldig” por­trä­tierten, “die die Straßen der Türkei ter­ro­ri­sieren”. “Wir werden keine Gnade gegenüber denen zeigen, die zum Spielzeug von Orga­ni­sa­tionen geworden sind, die in den Terror ver­wi­ckelt sind und die die Anwendung von Gewalt als ein Mittel zur Suche nach Gerech­tigkeit betrachten”, sagte er. “Wir werden ihnen an den Kragen gehen und sie vor Gericht bringen.”

In einer Rede an die tür­kische Jugend sagte Erdoğan im Mai 2015: “Beugt euch niemals vor Männern der Macht, auch nicht vor einem Prä­si­denten, einem Pre­mier­mi­nister, den Reichen und Wohl­ha­benden. Denkt daran, dass Krie­cherei niemals der Würde der Jugend dieser Nation ent­spricht.” Zwei Jahre später, im Jahr 2017, sagte Erdoğan erneut: “Wir brauchen keine Jugend, die unhin­ter­fragt gehorcht. Wir brauchen eine Jugend, die weiß, welche [Ideen] sie ver­teidigt und warum.”

Die BOUN-Demons­tranten sind genau die Art von Jugend, die Erdoğan 2015 und 2017 gewünscht hat. Doch statt sie zu loben, will Erdoğan sie als “Ter­ro­risten” bestrafen.

Hat sich Erdoğan seit 2015 geändert? Hat er nicht. Er hat diese mutigen Zeilen nur um der Rhe­torik willen gesagt. In seiner isla­mis­ti­schen Welt­an­schauung ist der Dissens der Jugend nur dann gut, wenn er gegen Ideen pro­tes­tiert, die der Isla­mismus ablehnt, nicht wenn er gegen Isla­misten protestiert.

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Burak Bekdil, einer der füh­renden Jour­na­listen der Türkei, wurde kürzlich nach 29 Jahren von der renom­mier­testen Zeitung des Landes gefeuert, weil er in Gatestone schrieb, was in der Türkei vor sich geht. Er ist ein Fellow beim Middle East Forum.


Quelle: gatestoneinstitute.org