Martina hatte schon immer ein sehr inniges und liebevolles Verhältnis zu ihrer Großmutter. Als Kind im thüringischen Steinach lebend, war die ältere Dame stets eine wichtige Bezugsperson für sie. Schließlich arbeiteten beide Elternteile tagsüber, wodurch ein Großteil des Alltags in der Wohnung der Oma stattfand. Nach der Schule wurde dort gegessen, Hausaufgaben erledigt oder einfach ein wenig die Zeit verbracht. Kein Wunder also, dass die Beziehung zwischen den beiden sicherlich ein wenig intensiver war. Dies änderte sich auch nicht, als Martina dem Ort ihrer Kindheit als junge Frau den Rücken kehrte, um des Studiums wegen zuerst nach Fürth und anschließend in das oberfränkische Coburg zu ziehen. Damit der Kontakt nicht abbrach, telefonierte sie fast täglich mit der Großmutter und besuchte sie, so oft es ging. So wurden auch weiterhin alle wichtigen Dinge des Lebens miteinander geteilt und besprochen.
Doch irgendwann forderte das hohe Alter der Oma ihren Tribut und immer mehr gesundheitliche Probleme entstanden bei ihr. Nach und nach fiel ihr selbst das Laufen zunehmend schwerer und die häuslichen Arbeiten entwickelten sich so zu einer wahren Mammut-Aufgabe. Hinzu kamen die häufiger einhergehenden Schwächeanfälle und die damit verbundenen Stürze. Leider steigerte sich das Ganze nach und nach und die Selbstversorgung sowie die Sicherheit der fast 90-jährigen Dame schienen eines Tages mehr als in Gefahr. Da Martinas Eltern nach wie vor berufstätig waren und sie selbst zu weit weg wohnte, musste am Ende eine harte, aber notwendige Entscheidung getroffen werden. Der Umzug in ein Seniorenpflegeheim schien somit unausweichlich. Schweren Herzens wagte die Familie diesen unvermeidbaren Schritt und verbrachte die Großmutter in die nahe gelegene Einrichtung. Trotz der anfänglichen Skepsis schien es der älteren Frau dort recht gut zu ergehen, teilweise blühte sie sogar noch einmal regelrecht auf. Martina besuchte sie natürlich, so oft es ging und telefonierte auch nach wie vor regelmäßig mit ihr.
Doch leider währte der Fortschritt der Oma nicht allzu lange und ihr Gesundheitszustand begann sich wieder rapide zu verschlechtern. Bettlägerigkeit, Nahrungsmittelverweigerung, eingeschränkte Sinneswahrnehmungen und ein stärker werdendes apathisches Verhalten machten wenig Mut auf Besserung. Stattdessen erreichte das Ganze irgendwann ein besorgniserregendes Stadium, was alle Familienmitglieder bereits in höchste Alarmbereitschaft versetzte. Und dann, eines Tages, trat genau das ein, wovor sich Martina schon so lange gefürchtet hatte: Die geliebte Großmutter schied friedlich schlafend dahin.
Auch wenn die Oma ein stattliches Alter erreichen durfte, war die Trauer natürlich riesengroß. Dennoch galt es sich nun um die ganzen Formalitäten und Begräbnisvorbereitungen zu kümmern, bei denen Martina ihren Eltern natürlich helfend zur Seite stand.
Es folgte der Tag der Trauerfeier. Das winterliche und kalte Wetter machte das gesamte Prozedere nicht gerade einfacher und ließ den Anlass noch wesentlich unangenehmer erscheinen. Die alte und dunkle Kapelle, die traurige Orgelmusik und die herzzerreißenden Worte des Pfarrers taten zudem ihr Restliches. Ein sprichwörtlich grauer Schleier legte sich über die Angehörigen und ließ den großen Verlust noch einmal deutlich werden. Für Martina war es besonders schwer, musste sie sich schließlich nun endgültig von einem geliebten und ganz wichtigen Menschen verabschieden. Doch als die Stimmung gerade den Siedepunkt erreicht zu haben und die Trauer kaum noch zu ertragen schien, geschah plötzlich etwas Merkwürdiges. Ein bunter Schmetterling tauchte auf einmal auf und flog unentwegt um Martina und ihre Mutter herum. Ein wenig verwirrt beobachteten die beiden Frauen das Insekt, welches sich augenscheinlich gar nicht mehr von ihnen lösen wollte. Immer wieder zog es direkt über und neben ihnen seine Bahnen, wirkte dabei fast zutraulich. Dieses Schauspiel dauerte sicherlich einige Minuten, bevor sich das Tier kurzerhand verabschiedete und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Kaum erklärbar, aber dennoch vermochte dieses Ereignis Martinas Herz zu erwärmen und ihr ein wenig Trost und Zuversicht zu schenken, denn aus welchen Gründen auch immer, verband sie das Ganze irgendwie mit ihrer verstorbenen Großmutter. Als wäre es ein kleiner, aber feiner Gruß von oben gewesen, schließlich hatte die Oma schon immer Schmetterlinge gemocht und ihnen stets gerne im Frühling und Sommer zugesehen, wie sie mit majestätischen Flügelschlägen über den Blumen und Wiesen kreisten.
Die Zeit nach dem formellen Abschied verging, aber die Erinnerungen an die geliebte Großmutter blieben. Dennoch musste das Leben trotz des herben Verlustes irgendwie weitergehen. Und das tat es dann auch, zumindest bis zu jenem erinnerungswürdigen Tag, an dem noch einmal alles hochkommen sollte.
Es war Heilig-Abend und Martina bereitete sich zu Hause bereits darauf vor, anschließend mit Partner und Kind zu den Eltern nach Steinach zu fahren. Es fühlte sich irgendwie ungewohnt und komisch an, Weihnachten ohne die Großmutter zu verbringen. An solchen besonderen Tagen kreisten Martinas Gedanken natürlich noch ein wenig mehr um dieses Thema. Doch dieser Zustand ließ sich leider nicht ändern und so musste sie sich wohl oder übel damit abfinden. Voller Tatendrang ging sie daher lieber den häuslichen Arbeiten und dem Einpacken von Geschenken nach. Und so lief sie nichtsahnend durch den Flur, als plötzlich jemand oder etwas nach ihrem rechten Unterarm griff und diesen regelrecht zu halten schien. Sie spürte es ganz deutlich. Es war nicht fest oder grob, eher sanft, dennoch eindeutig vorhanden, als ob sie eine menschliche Hand gepackt und nicht mehr loslassen wollte, wenn auch auf eine sehr liebevolle und angenehme Art und Weise. Doch da war niemand außer ihr, keine Menschenseele weit und breit. Martina erschrak natürlich. Zu überraschend kam diese Sache und wirkte zudem enorm mysteriös. Dann verschwand der unsichtbare Griff wieder. Sie blickte suchend in alle Richtungen und überprüfte anschließend ihren Arm nach irgendwelchen Spuren, doch sie konnte nichts Auffälliges entdecken. Es fand sich einfach keine Erklärung für dieses seltsame Ereignis. Dennoch, aus welchen Gründen auch immer, musste sie plötzlich an ihre verstorbene Großmutter denken. War sie es am Ende gewesen? Hatte sie nach ihrer Enkelin gegriffen? Für Martina auf jeden Fall eine echte und ernstzunehmende Option. Doch sollte dies nicht das einzige unerklärliche Ereignis des Tages bleiben.
Nachdem die dreiköpfige Familie in Steinach angekommen war, wo sie bereits sehnsüchtig von Vater und Mutter erwartet wurden, stürzten sich alle freudig in die weihnachtlichen Feierlichkeiten. Martinas Sohn beschäftigte sich mit seinen neuen Spielsachen, die beiden Männer unterhielten sich im Wohnzimmer und sie selbst bereitete mit ihrer Mutter das Abendessen in der Küche vor. Natürlich kam sie nicht umher, sich immer wieder an das merkwürdige Erlebnis des Nachmittags zu erinnern, für welches sie nach wie vor keine abschließende Erklärung fand. Doch glücklicherweise gab es genug zu tun, für Ablenkung war also ausreichend gesorgt. Irgendwann schien das Gröbste geschafft und das Essen köchelte munter vor sich hin. Zeit also, um sich ein wenig zu setzen und zu entspannen. Martina ließ sich daher am Küchentisch nieder, während ihre Mutter vorübergehend den Raum verließ. Und als sie so da saß, völlig in Gedanken versunken, geschah es plötzlich. Mit einem Mal schreckte die junge Frau hoch und sah verdutzt in Richtung Regal. Aus unerfindlichen Gründen war eine dort befindliche Spieluhr, die schon seit Jahren keiner mehr berührt, aufgezogen oder eingeschaltet hatte, auf einmal ganz von selbst angegangen. Wie von Geisterhand ertönten nun diese unverhofft einsetzenden Klänge und erzeugten dabei eine Spieluhr-typische Melodie. Was eigentlich gänzlich unmöglich war, wurde dennoch greifbar und real. Das antike Teil schien ein regelrechtes Eigenleben entwickelt zu haben und präsentierte sich dabei in all seiner Pracht.
Martina saß währenddessen einfach nur da und lauschte verwundert dieser leierig klingenden Musik. Doch dann, ganz plötzlich, verstummte das kleine Gerät auch schon wieder, und zwar genauso schnell, wie es zuvor begonnen hatte, so als ob es niemals geschehen wäre. Doch es war geschehen, Martina hatte es schließlich hautnah miterleben können. Natürlich stand sie sofort auf und untersuchte die mysteriöse Spieluhr. Doch wieder fand sie keinerlei Auffälligkeiten. Warum es also zu dieser eigenständigen Funktion gekommen war, blieb ihr ein Rätsel. Nun erinnerte sie sich natürlich erneut an das Erlebnis vom Nachmittag, denn eine seltsame Begebenheit kann ja noch locker abgetan werden, aber gleich zwei solcher Vorkommnisse an einem Tag? Da musste Martina schon mächtig grübeln. Und das auch noch direkt am Heiligen Abend, zu einem Anlass also, der ihrer verstorbenen Großmutter immer viel bedeutet hatte. Zuerst der unsichtbare Griff und dann die von selbst losgegangene Spieluhr. Nicht zu vergessen das damalige Schmetterlings-Erlebnis. Als wollte jemand ganz zart und leise auf sich aufmerksam machen und dabei sagen: „Hey, ich bin noch da. Vergiss mich nicht.“
Und genau das tat Martina auch nicht und wird es auch sicherlich niemals tun, denn ihre Oma war und bleibt – auf immer und ewig – ein wichtiger Teil von ihr.
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