"The Last Stand of the 44th Regiment at Gundamuck, 1842", Bildquelle: wikimedia commons., Bildlizenz: Public Domain

Totale Nie­derlage und Exodus: Deutschland räumt Afgha­nistan und nimmt afgha­nische Helfer mit

Was hat der Einsatz in Afgha­nistan über all die Jahre über­haupt gebracht? Über 50 tote deutsche Sol­daten und offi­ziell 12 Mil­li­arden Kosten. Umfas­sender kann ein Ein­ge­ständnis des Ver­sagens kaum sein. Nichts ist in all den Jahren aus­ge­richtet worden, außer Men­schen­leben ver­loren, Trau­ma­ti­sierte, Ver­stüm­melte, das Land zutiefst zer­stört und Mil­li­arden an Geld ver­loren. Das afgha­nische Bun­des­wehr­per­sonal muss jetzt mit nach Deutschland, weil es wahr­scheinlich mas­sa­kriert würde, sobald die Besatzer abziehen. Schlimmer geht´s nimmer, aber Haupt­sache, Deutschland wird am Hin­du­kusch ver­teidigt. 

Afgha­nistan hat sich in seiner Geschichte den Bei­namen „Friedhof der Imperien“ ver­dient. Schon Alex­ander der Große schei­terte vor etwa 2.300 Jahren an Afgha­nistan. Vor 182 Jahren, im 19. Jahr­hundert, mussten die Briten die Unter­werfung Afgha­ni­stans mit unge­heurem Blutzoll auf­geben. Diese desas­tröse Nie­derlage war einer der Haupt­gründe für den Zerfall des British Empire. Diese trau­ma­tische Erfahrung ist bis heute nicht über­wunden. Das Ölbild des Künstlers William Barnes Wollen „The Last Stand of the 44th Regiment at Gun­damuck“ aus 1842 (Titelbild) zeigt es auf ein­dring­liche Weise: Vor der Kulisse dieses rie­sigen, kargen, gebir­gigen Landes wird der ver­zwei­felte Rest eines impe­rialen Heeres in dieser Stein­wüste abgeschlachtet.

Als die Sowjet­union es im 20. Jahr­hundert ver­suchte, musste auch sie geschlagen und unter ver­hee­renden Ver­lusten an Men­schen, Material und Geld 1989 abziehen. Auch für die Sowjet­union war es der Sarg­nagel. Der Versuch der Nato endet jetzt, im 21. Jahr­hundert, genauso im Debakel. Die Folgen werden wir noch sehen.

Man muss kein mili­tä­ri­sches Genie sein, um zu ver­stehen, warum. Afgha­nistan ist weder ein Indus­trieland noch Agrarland, noch dicht besiedelt. Es gibt nur wenige Städte, und die sind nicht über­le­bens­not­wendig für das Land. Die Stämme und Familien wohnen ver­streut. Infra­struktur ist so gut wie nicht vor­handen. Die Men­schen leben nicht viel anders, als vor 1.000 Jahren. Es gibt keinen Strom, man heizt und kocht mit offenem Feuer, flie­ßendes Wasser gibt es außer in den Paar Städten nicht. Was will man da besetzen? Wie will man in dem rie­sigen, leeren, unwirt­lichen Land kleine Berg­dörfchen flä­chen­de­ckend beherr­schen? Die Men­schen da sind unglaublich zäh und wider­stands­fähig durch ihre Lebens­weise und auch ent­spre­chend hart gegen sich selbst und besonders andere. Wie will man da Par­ti­sanen finden? Die scheitern jeden­falls nicht daran, dass die tech­nische Betriebs­er­laubnis für einen HiTech-Panzer abge­laufen ist.

Die NATO muss nun also, wie es von Anfang an absehbar war, mit hän­genden Köpfen das Feld räumen. Deutschland stellt dabei als braver Vasall mit 1.100 Sol­daten das zweit­größte Trup­pen­kon­tingent nach den USA. Ins­gesamt betrug die Stärke der NATO-Truppen 10.000 Soldaten.

Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­nister, Frau Annegret Kramp-Kar­ren­bauer, ist nicht schuld an der Misere, sie hat sie nur geerbt. Sie darf jetzt den häss­lichen Tatort rei­nigen. Mein Ver­trauen in die Eignung der Dame zum Ver­tei­di­gungs­mi­nister bewegt sich zwar im Minus­be­reich, aber hier ist sie einfach der Letzte, der das Licht aus­machen muss.

Logis­tisch wird der Rückzug zwar teuer, aber dürfte kein allzu großes Problem dar­stellen. Schwie­riger wird es mit den Kol­la­te­ral­schäden werden. Poli­tisch-mili­tä­risch ist die NATO-Nie­derlage eine Blamage. Finan­ziell ein Desaster. Menschlich ein sinn­loser Opfergang. Und nun steht das Problem im Raum, dass die afgha­ni­schen Mit­ar­beiter der Bun­deswehr hoch gefährdet sind, sollten Sie zurück­ge­lassen werden. Sie waren haupt­sächlich Über­setzer, Hand­werker, Küchen­hilfen, Haus­meister und Mit­tel­s­leute für Besor­gungen, Ver­mittler zwi­schen den Truppen und der Bevöl­kerung, bewachten die Ein­gänge der deut­schen Militärlager.

Denn, ei, wer hätte das gedacht, voll­kommen über­ra­schend würden nach Abzug der NATO-Besatzer die hei­mi­schen Kol­la­bo­ra­teure des Besatzers abge­metzelt werden. Die Taliban führen Listen, wer den fremden Kuffar zu Diensten war. Sie werden die Listen jetzt aktua­li­sieren und sich an den Ver­rätern rächen. Die hei­mi­schen Ord­nungs­kräfte, wie die Polizei, helfen da nicht. Sie haben keine Lust, eben­falls ins Visier der Taliban zu geraten – und sind viel­leicht auch gar nicht willens und in der Lage, die Kol­la­bo­ra­teure zu schützen.

Nun kann man heute, in hoch­mo­ra­lisch-poli­tisch kor­rekten Zeiten, nicht einfach abziehen und die Hilfs­kräfte sich selbst über­lassen, wie es weiland die USA beim Abzug aus Vietnam größ­ten­teils gemacht hat. Dem­entspre­chend teilt Frau Annegret Kar­ren­bauer den Deut­schen mit:

»Wir reden hier von Men­schen, die zum Teil über Jahre hinweg auch unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit an unserer Seite gear­beitet, auch mit­ge­kämpft haben und ihren per­sön­lichen Beitrag geleistet haben«, sagte Kramp-Kar­ren­bauer. »Ich emp­finde es als eine tiefe Ver­pflichtung der Bun­des­re­publik Deutschland, diese Men­schen jetzt, wo wir das Land end­gültig ver­lassen, nicht schutzlos zurückzulassen.«

Das ist über­haupt nicht neu und wurde bisher eigentlich schon immer so gehandhabt. Seit 2013 gibt es schon den Beschluss der Bun­des­re­gierung, besonders gefährdete Bun­des­wehr­helfer nach Deutschland zu holen:

»Bei Vor­liegen einer ‚indi­vi­du­ellen Bedrohung‘ wird für sie eine Auf­nah­me­zusage nach Paragraf 22 Satz 2 des Auf­ent­halts­ge­setzes erteilt. Das bedeutet, die ehe­ma­ligen Helfer erhalten eine Arbeits­er­laubnis, eine Unter­kunft und sie haben Anspruch auf finan­zielle Grund­si­cherung. Das Pro­gramm soll es den Afghanen erleichtern, sich in Deutschland einzuleben.« 

Etwa fünf­hundert solcher Gefähr­deten sind bisher in Deutschland ange­kommen, ungefähr 1.000 solcher Anträge wurden abge­lehnt. Wie viele nun aus Afgha­nistan im Schlepptau des Bun­deswehr-Abzuges kommen werden wissen wir nicht. Auch nicht, ob Fami­li­en­an­ge­hörige mit­kommen dürfen. Es wird sich hinziehen:

»Das Innen­mi­nis­terium teilte der »Welt am Sonntag« mit, die Bun­des­re­gierung werde eigens ein Büro in Kabul und vor­aus­sichtlich auch in der Region um Masar-i-Scharif als Anlauf­stelle ein­richten, ‚um die Ver­fahren im Interesse der Betrof­fenen ein­facher zu orga­ni­sieren und abwi­ckeln zu können‘. Damit sollen die afgha­ni­schen Ange­stellten ‚wei­terhin die Mög­lichkeit haben, auch innerhalb von zwei Jahren nach Been­digung ihres Dienstes ihre Gefährdung anzuzeigen‘.«

Was aus Afgha­nistan wird?

Die Taliban werden ziemlich sicher in abseh­barer Zeit die Macht über­nehmen, wenn auch mög­li­cher­weise etwas weniger brutal. Die jetzige Regierung wird sich nicht lange halten können und die Streit­kräfte und Ord­nungs­kräfte werden sich kaum ent­schlossen gegen die Taliban stemmen, dazu ist der NATO-Trup­pen­abzug wohl zu demo­ra­li­sierend. Die Tali­ban­po­li­tiker werden sich bemühen, eine prä­sen­table Regierung zu bilden, um dann mit großer Sicherheit Ent­schä­di­gungs­gelder von den ehe­ma­ligen Besatzern ein­zu­fordern. Diese werden zahlen, aber mit Bedin­gungen. Die Herren Poli­tiker gewöhnen sich, wie immer, schnell an Wohl­stand und Macht, das macht sie dann umgäng­licher und erpressbarer.

Das Trau­er­spiel von Afghanistan

Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschell­alabad hält,
“Wer da!” — “Ein bri­ti­scher Reitersmann,
Bringe Bot­schaft aus Afghanistan.”

Afgha­nistan! Er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

Sie führen ins stei­nerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

“Wir waren drei­zehn­tausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Sol­daten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, ver­raten sind.

Zer­sprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.”

Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offi­ziere, Sol­daten folgten ihm all′,
Sir Robert sprach: “Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie′s hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trom­peter blast in die Nacht hinaus!”

Da huben sie an und sie wurden′s nicht müd′,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst eng­lische Lieder mit fröh­lichem Klang,
Dann Hoch­lands­lieder wie Klagegesang.

Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen — es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.

“Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Ver­nichtet ist das ganze Heer,
Mit drei­zehn­tausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.”

Theodor Fontane
(* 30.12.1819, † 20.09.1898)