Top­ak­tuell: Ein Brief von Aldous Huxley an George Orwell

Am 21. Oktober 1949 schrieb Aldous Huxley die nach­fol­genden Zeilen an Eric Blair, alias George Orwell. Aldous Huxley arbeitete, ebenso wie sein Bruder Julian, für das Lon­doner Tavi­stock Institute of Human Rela­tions, dem wohl bedeu­tendsten, dem Royal Institute for National Affairs unter­stellten Think Tank für Social Engi­neering und Mind Control. Er war, ebenso wie Blair, Mit­glied der Fabian Gesell­schaft und gründete 1949, gemeinsam mit Robert Maynhard Hut­chins, das Aspen Institute. Huxley wusste also wovon er schrieb. 

(von Aldous Huxley
Über­setzung©: Andreas Ungerer)

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Wrightwood. Cali­fornia.
21 October, 1949

Sehr geehrter Mr. Orwell,

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es war sehr nett von Ihnen, Ihren Ver­leger zu bitten, mir eine Kopie ihres Buches zu schicken. Es erreichte mich, als ich mitten in einer Arbeit war, die viel Zeit zum Lesen und dem Studium von Lite­ra­tur­quellen in Anspruch nahm; und seit mein schlechtes Seh­ver­mögen es erfordert, meine Lesezeit ein­zu­teilen, musste ich lange warten, bevor ich mit 1984 beginnen konnte. In Über­ein­stimmung mit all den Kri­tiken, die darüber ver­fasst worden sind, brauche ich Ihnen nicht noch einmal zu erklären, wie überaus wichtig das Buch ist.

Darf ich statt­dessen über die The­matik des Buches reden – die ulti­mative Revo­lution? Die ersten Hin­weise auf eine Phi­lo­sophie der ulti­ma­tiven Revo­lution – einer Revo­lution die jen­seits von Politik und Wirt­schaft liegt, und die den totalen Umsturz der indi­vi­du­ellen Psy­cho­logie und Phy­sio­logie beab­sichtigt – finden sich bei Marquis de Sade, der sich selbst als Nach­folger und Voll­ender der Pläne Robes­pierres und Babeufs betrachtet hat.

Die Phi­lo­sophie der herr­schenden Min­derheit in 1984 ist ein Sadismus, der zu seinem fol­ge­rich­tigen Ergebnis gebracht wurde, indem er sich jen­seits der Geschlechter (Gender-Ideo­logie, Anm. d. Übers.) bewegt, diesen Umstand jedoch leugnet. Ob die momentane Politik der Gewalt und Unter­drü­ckung endlos fort­ge­setzt werden kann, scheint zweifelhaft.

Meiner Meinung nach wird die herr­schende Olig­archie weniger anstren­gende und ver­schwen­de­rische Wege finden, zu regieren und ihre Lust an der Macht zu befrie­digen, und diese Wege werden denen ähneln, die ich in Schöne Neue Welt beschrieben habe.

Ich hatte kürzlich die Gele­genheit, die Geschichte des ani­ma­li­schen Magne­tismus und der Hypnose zu betrachten, und war sehr davon gefangen, in welcher Weise sich die Welt über ein­hun­dert­fünfzig Jahre geweigert hat, die Ent­de­ckungen von Mesmer, Braid, Esdail und den anderen ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen.

Die Phi­lo­sophen und Wis­sen­schaftler des 19. Jahr­hun­derts waren, teils wegen des vor­herr­schenden Mate­ria­lismus, teils aus Anstän­digkeit, nicht gewillt, die Anwendung der unge­wöhn­li­cheren Tat­sachen der Psy­cho­logie auf dem Feld der Regierung für Men­schen der Praxis, wie Poli­tiker, Sol­daten und Poli­zisten, zu erforschen.

Dank der frei­wil­ligen Ignoranz unserer Väter ver­zö­gerte sich der Anbruch der ulti­ma­tiven Revo­lution um fünf oder sechs Generationen.

Ein anderer unglück­licher Umstand war Freuds Unver­mögen zu hyp­no­ti­sieren und seine kon­se­quente Ver­un­glimpfung der Hypnose. Das ver­zö­gerte die gene­relle Anwendung der Hypnose in der Psych­iatrie um min­destens vierzig Jahre.

Aber nun ist die Psy­cho­analyse mit der Hypnose kom­bi­niert, und die Hypnose wurde durch den Gebrauch von Bar­bi­tu­raten ver­ein­facht und unbe­grenzt erwei­terbar, was selbst wider­spens­tigste Sub­jekte in einen hyp­no­ti­schen, beein­fluss­baren Zustand versetzt.

Ich glaube, dass die Herr­scher der Welt innerhalb der nächsten Gene­ration ent­decken werden, dass kind­liche Kon­di­tio­nierung und Narko-Hypnose effi­zi­entere Instru­mente des Regierens sind als Knüppel und Gefäng­nisse, und sich die Machtgier eher dadurch befrie­digen lässt Men­schen dazu zu bringen, ihre Skla­verei zu lieben als sie zum Gehorsam zu peit­schen und zu treten.

Mit anderen Worten, ich fühle, dass der Alp­traum 1984 dazu bestimmt ist den Alp­traum einer Welt, die mehr Ähn­lichkeit mit meiner Vor­stellung in Schöne Neue Welt hat, zu justieren.

Der Wandel wird als Resultat eines gefühlten Bedarfs nach wach­sender Effi­zienz (“Nach­hal­tigkeit”, Anm. d. Übers.) erreicht werden.

Gewiss können sich in der Zwi­schenzeit eine große Band­breite ato­marer und bio­lo­gi­scher Kriege ereignen – was uns andere, kaum vor­stellbare Alp­träume bereiten wird.

Mit freund­lichen Grüssen

Aldous Huxley

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Quelle: http://www.dailymail.co.uk/news/article-2111440/Aldous-Huxley-letter-George-Orwell-1984-sheds-light-different-ideas.html

Quelle der Über­setzung: https://giftamhimmel.de/brief-von-aldous-huxley-an-george-orwell/