Österreichs Finanzminister Gernot Blümel ist entsetzt darüber, dass die EU-Finanzminister offen über eine Abschaffung zentraler Stabilitätsprinzipien reden.
Während der Corona-Epidemie waren die Schuldenregeln im Euro-Raum ausgesetzt. In der Folge haben sieben Euro-Ländern eine Gesamtverschuldung, die mehr als 100 Prozent über ihrer Wirtschaftsleistung liegt; nur Luxemburg hält die Maastricht-Kriterien ein. Nun sollen die Regeln wieder eingesetzt werden – sollte man denken. Doch einigen EU-Finanzministern gefällt die Idee, alles zu lassen, wie es ist. Darüber ist Österreichs Finanzminister, Gernot Blümel, entsetzt.
In einem Gespräch mit der Welt erläutert der Minister, dass mit dem Ende des Lockdowns zwar eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt habe, dass aber zugleich die Staatsfinanzen praktisch aller EU-Länder schwer belastet sind. Diese Belastung wirkt sich nur deshalb nicht gravierend aus, weil der Staat für seine Schulden praktisch keine Zinsen mehr an die Kreditgeber zahlt. Schuldenmachen kostet also erst mal nichts.
»Ich verstehe«, sagt Blümel, »wenn einige meiner Amtskollegen fordern, dass wir bei den Schuldenregeln flexibler werden sollen.« Zugleich schränkt er mahnend ein: »Aber Europa darf nicht in eine Schuldenunion abgleiten. Schuldenmachen bleibt gefährlich, selbst bei Niedrigzinsen, und es ist gar nicht sicher, ob die Zinsen noch lange so niedrig bleiben werden.«
Das ist vorsichtig formuliert. In den USA liegt der Leitzins des Bundesbank, Fed, zwar ebenfalls bei 0 bis 0,25 Prozent – allerdings hat die Fed erklärt, bei einer Inflationsrate von 2 Prozent den Satz zu erhöhen. Ihre Erwartung für 2021 liegt schon bei 2,5 Prozent. Tatsächlich werden momentan aber 5 Prozent für realistisch gehalten.
Gefragt, was an hohen Schulden so gefährlich sein, erklärt Blümel: »Wenn ich so stark überschuldet bin, dass ich in schwierigen Zeiten keinen Spielraum habe, gegenzusteuern, dann habe ich ein Problem, egal wie niedrig die Zinssätze sind.« Und Krisen gab es in den vergangenen Jahren mehr als genug. »In den vergangenen 20 Jahren hatten wir drei große Wirtschaftskrisen«, führt Blümel als Beleg an: »Zuerst nach dem Platzen der Dotcom-Blase, dann die Finanz- und Wirtschaftskrise, und dann kam Corona.« Anders als deutsche Politiker wie Finanzminister Olaf Scholz weiß sein Kollege aus Österreich: »Nach diesen Erfahrungen zu sagen, wir müssen unsere Finanzen nicht mehr in Ordnung bringen, weil die Zinsen so niedrig sind, das ist blauäugig und kurzsichtig.«
Trotzdem, so der Minister, habe er »den Eindruck, Länder wie Frankreich und Italien würden am liebsten die Maastricht-Regeln abschaffen.« »Das ist moralisch und ökonomisch bedenklich.« Wie gesagt, es ist nur ein Eindruck, denn bisher hat niemand eine Abschaffung der Kriterien von Maastrich gefordert.
Indes, Blümel kennt seine Pappenheimer. »Aber das steckt doch hinter der Diskussion«, sagt er offen. »Mich erinnert das an die Debatte über den Wiederaufbaufonds vor einem Jahr.« Der Fond zur Unterstützung in der Corona-Krise wurde flugs zu einem Einstieg in die Schuldenunion umgemünzt. »Erst mit nachvollziehbaren Argumenten und dem Verweis auf Solidarität für ein Projekt zu werben«, erläutert Blümel, »um dann im Hintergrund die eigentliche Ideologie voranzutreiben, das ist nicht aufrichtig.«
Nun sucht Österreich nach Gleichgesinnten. Blümel hat bereits einen Brief an seine EU-Kollegen verschickt in denen er fordert, »dass die Fiskalregeln grundsätzlich nach der Krise wieder wie bisher gelten und eine budgetäre Normalisierung stattfindet, um die Stabilität und das Wachstum in Europa zu sichern.« Die Verschuldungsquoten der Staaten müssten »relativ zum Bruttoinlandsprodukt mittel- und langfristig wieder sinken«.
Aus einigen Ländern kamen positiive Reaktionen, sagt Blümel. Gefragt, welche Länder das seien, hält er sich mit Rücksicht auf die Länder, die noch nicht geantwortet haben, zurück. Allerdings deutet er an, dass skandinavische und baltische Staaten ähnlich dächten. Auch die Niederlande gelten als Kritiker einer ungehemmten Verschuldung.
»Wie hat Ihr deutscher Amtskollege Olaf Scholz auf Ihren Brief reagiert?«, will die Welt wissen. »Bisher haben wir von Deutschland noch keine konkrete Rückmeldung.« Zuletzt wird Blümel deutlich: »Wenn Merkel jetzt die Schuldenregeln aufgibt, ist das ein schwarzer Tag für Europa.«
Quelle: freiewelt.net
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