Im Namen des Pharao – Die Erst­um­se­gelung Afrikas

Aus alten ägyp­ti­schen Geschichts­quellen ist ersichtlich, daß zur Zeit der Pha­raonen nil­auf­wärts fah­rende Schiffe auf dem Was­serweg das Rote Meer erreichen konnten. Da es in diesem Gebiet jedoch niemals einen Fluß gegeben hat, der zum Roten Meer führte, muß der heutige Suez­kanal antike Vor­bilder besessen haben.

Pharao Ramses II. ließ während seiner Regie­rungszeit (1290 – 1224 v. Chr.) mit einem Aufwand, der dem Bau der Pyra­miden wohl in keiner Weise nach­ge­standen haben dürfte, vom öst­lichen Hauptarm des Nils einen Kanal zum Roten Meer bauen. Die künst­liche Was­ser­straße nahm ihren Anfang bei Bubastis, dem heu­tigen As-Sagazig im oberen Nil­delta, und führte über eine Strecke von 70 Kilo­metern zum Timsahsee.

Der Durch­stich der nur wenige Kilo­meter breiten Land­brücke zwi­schen dem Tim­sahsee und dem Bit­tersee und von da aus weiter zum Golf von Suez dürfte nach dieser groß­ar­tigen Leistung keine Schwie­rig­keiten mehr bereitet haben. Es ist leicht vor­stellbar, wie sehr die Kon­trolle dieser wich­tigen Ver­kehrsader die Macht des Pharao Ramses steigerte.

Die Reeder des Mit­tel­meeres dürften nicht gezögert haben, für die gewinn­ver­spre­chende Aus­sicht, mit den Häfen an der ost­afri­ka­ni­schen und an der ara­bi­schen Küste Über­see­handel treiben zu können, ent­spre­chende Nut­zungs­ge­bühren für die Fahrt durch den Kanal zu entrichten.

Unter den Nach­folgern Ramses II. verfiel die Macht des ägyp­ti­schen Reiches. Die pracht­vollen Grab­mäler der Könige bei Theben wurden während großer Volks­auf­stände geplündert. Fremde Eroberer über­zogen das Nilland mit Krieg und Ver­nichtung. Unge­hindert konnten nun die Sand­stürme ihr Zer­stö­rungswerk an dem Bauwerk voll­bringen, so daß der Kanal auf weiten Strecken unpas­sierbar wurde.

Erst um die Mitte des 7. Jahr­hun­derts v. Chr. gelang es den Ägyptern unter Pharao Psa­metich I., das assy­rische Joch abzu­werfen, und ihrem Land die Sou­ve­rä­nität zurück­zu­geben. Im Jahr 609 v. Chr. dann übernahm mit Psa­me­tichs Sohn Necho ein ener­gi­scher und tat­kräf­tiger Mann die Regie­rungs­ge­schäfte. Sein Ziel war es, Ägypten wieder zu Macht und Ansehen zu ver­helfen und den Mythos der Pha­raonen in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.

Was konnte eine größere Tat sein, als den alten Ram­se­s­kanal wie­der­her­zu­stellen? So ließ Necho ohne Rück­sicht auf Ver­luste das tita­nische Werk beginnen. Etwa 120.000 Men­schen, Fel­lachen und kriegs­ge­fangene Arbeits­sklaven aus ver­schie­denen Ländern, sollen bei diesem Kampf gegen Wüs­ten­hitze, Sand und sen­gende Sonne zugrunde gegangen sein. 

Doch was bedeutete dies für einen Pharao, dessen Ahnen einst die Pyra­miden geschaffen hatten! Der Kanal sollte ein dau­er­haftes Bauwerk sein. Die Ufer wurden mit Quadern ein­gefaßt, so daß Herodot noch 150 Jahre später berichten konnte: „Dieser Kanal ist so lang, daß die Durch­fahrt vier Tage erfordert und so breit, daß er zwei Tri­remen (Schiffe mit drei Ruder­decks, auch Trieren genannt) neben­ein­ander auf­zu­nehmen vermag. Das Wasser wird vom Nil hergeleitet.“

Doch voll­endet wurde dieser Kanal nie, sehr zum Leid­wesen Nechos. Seine Priester ver­kün­deten ihm den Spruch des Orakels: „Laß ab, oh Herr, von diesem Plan. Wenn Du ihn durch­führst, wirst Du nicht Ägypten, sondern hab­gie­rigen Bar­baren dienen.“

Sie hatten dabei sicher die phö­ni­zische See­macht im Auge, deren Einfluß auch zu Nechos Zeiten bedeutend war, und die zwei­fellos zu den größten Nutz­nießern des Kanal­pro­jektes gehört hätte. Dagegen kannten die Priester kaum die unbe­grün­deten Bedenken, daß ein Durch­stich zum Roten Meer das ganze Niltal über­fluten könnte.

Diese Auf­fassung hielt fast 2.500 Jahre später Napoleon, der während des Ägyp­ten­feld­zuges 1799 auf die Über­reste des Kanals stieß, davon ab, den Bau des Suez­kanals schon 60 Jahre früher zu beginnen als Lesseps. Jeden­falls fügte sich Necho dem Spruch des Orakels und dem Rat der Pries­ter­schaft. Doch er nahm sofort ein neues Projekt in Angriff, das den Bau des Kanals in seiner Kühnheit und Ein­ma­ligkeit in den Schatten stellen sollte. Pharao Necho und seine Rat­geber ver­fügten offenbar über aus­ge­zeichnete geo­gra­phische Kennt­nisse, auf jeden Fall über bessere, als die Geo­graphen der späten Antike.

Der Pharao faßte nämlich den Ent­schluß, den afri­ka­ni­schen Kon­tinent umsegeln zu lassen. Zu einem solchen Unter­nehmen gehörten gute See­leute und tüchtige Schiffe, die den Gefahren der hohen See zu trotzen imstande waren. In Ägypten fanden sich weder die einen noch die anderen. Wenn ein solcher Plan über­haupt aus­ge­führt werden sollte, dann nur mit Hilfe der Phö­nizier. Sie waren auf dem Meer zu Hause und fürch­teten keine unbe­kannten Küsten.

Ihre aus dem vor­züg­lichen Zedernholz des Libanon erbauten Schiffe trotzten selbst den stärksten Stürmen. Wieder einmal war es der grie­chische His­to­riker Herodot, der alle ver­füg­baren Nach­richten über die Erst­um­se­gelung Afrikas sammelte:

„Libyens (Afrikas) Gestalt zeigt schon, daß es, abge­sehen von dem an Asien gren­zenden Teil, auf allen Seiten vom Meer umströmt wird. Den Beweis dafür hat als erster, soviel ich weiß, der Pharao Necho von Ägypten erbracht.

Als er nämlich die Gra­bungen an dem Kanal ein­stellte, der den Nil mit dem Roten Meer ver­binden sollte, rüstete er eine Expe­dition aus und befahl ihr, um Libyen herum durch die Säulen des Her­kules zurück bis in das Mit­telmeer zu fahren und so wieder nach Ägypten zu gelangen.

Die Phö­nizier brachen also auf und segelten aus dem indi­schen Ozean in das süd­liche Meer. Als es Herbst wurde, gingen sie an Land, bestellten die Felder und war­teten die Ernte ab, wo auch immer in Libyen sie sich gerade befanden.“

Herodots his­to­ri­scher Bericht ist in mehr­facher Hin­sicht recht auf­schluß­reich. Zunächst zeigt er, daß der Ver­fasser fest davon über­zeugt war, daß Afrika, mit Aus­nahme des schmalen, an Asien gren­zenden Teils, vom Weltmeer umflossen wird. Zum anderen ist die kluge Vor­aus­sicht bewun­dernswert, mit der die Phö­nizier diese Expe­dition vor­be­rei­teten. Da sie auch im Roten Meer Handel trieben, dürfte ihnen die ost­afri­ka­nische Küste zumindest teil­weise bekannt gewesen sein, während ihre geo­gra­phi­schen Kennt­nisse ebenso die Existenz der Kana­ri­schen Inseln mit einschlossen.

Sie wußten also, daß die Umfahrung Afrikas sicher länger als ein Jahr dauern würde. Dafür wurden jedoch so große Mengen an Lebens­mitteln benötigt, daß sie das Fas­sungs­ver­mögen der Schiffe über­stiegen. Die Pro­vi­ant­vorräte mußten also unterwegs mehrfach auf­ge­füllt werden. Was sollte aber geschehen, wenn dies nicht möglich war, weil die Küste sich zu unwirtlich zeigte oder ihre Bewohner eine feind­selige Haltung annahmen? Von solchen Zufällen sollte der Erfolg des Unter­nehmens nicht abhängen. Deshalb wurden die Schiffe neben dem üblichen Pro­viant mit einer Last des besten ägyp­ti­schen Saat­ge­treides beladen.

Da die phö­ni­zi­schen See­leute mit Sicherheit nichts vom Ackerbau ver­standen, kamen auf Geheiß des Pharao einige Fel­lachen mit an Bord, die aus Erde, Wasser und Samen­körnern neues Brot her­zu­stellen ver­mochten. So aus­ge­rüstet, verließ die Flotte im Jahr 596 v. Chr. Ägypten und segelte zunächst durch das Rote Meer in den Indi­schen Ozean hinaus. Dort wurde der Kurs nach Süden gerichtet.

Nachdem die Schiffe bereits ein Drittel der Fahrt­strecke hinter sich gebracht hatten, zwangen die geleerten Korn­bunker die See­fahrer, etwa auf der Höhe von Mada­gaskar einen geschützten Anker­platz zu suchen.

Nun war es an den Fel­lachen, das Kom­mando zu über­nehmen. Jeder auf den Schiffen ent­behr­liche Mann mußte an Land mit zupacken, um das Saatgut rasch in die feuchte Erde zu bringen. Danach wurden die Schiffe für die Wei­ter­reise überholt, so daß die Besat­zungen der Schiffe auch während der unfrei­wil­ligen Pause hart arbeiten mußten. Im frucht­baren Klima Süd­afrikas reifte indessen die Saat.

Herodot berichtet weiter: „Wenn das Korn geerntet war, fuhren sie weiter, bis sie nach zwei Jahren durch die Säulen des Her­kules gelangten und so im dritten Jahr nach Ägypten zurück­kehrten. Sie erzählten, was ich aller­dings nicht glauben kann, viel­leicht glaubt es aber ein anderer, daß sie bei der Umschiffung Libyens die Sonne zu ihrer Rechten gehabt hätten.“

Nach ihrer Rückkehr, die Herodots Angaben zufolge im Jahr 594 v. Chr. erfolgte, wurden die See­fahrer in Memphis, der Haupt­stadt der Pha­raonen, als Helden gefeiert. Sie hatten eine für ihre Zeit nahezu unmög­liche Aufgabe mit Umsicht, Mut und Tat­kraft zu einem erfolg­reichen Ende geführt und das Wissen von der Gestalt unserer Erde wesentlich erweitert. Pharao Necho, dem Initiator der Expe­dition, blieb der Ruhm aller­dings versagt.

Er war schon vor der Rückkehr seiner Flotte gestorben. Die Erst­um­se­gelung Afrikas ist seit der Antike häu­figer bezweifelt als geglaubt worden. Selt­sa­mer­weise gab gerade jene Stelle in Herodots Bericht den Aus­schlag dafür, die heute nun als der sicherste Beweis für dessen Rich­tigkeit gilt. Es handelt sich um jene Aussage, daß die Rei­senden bei der Umfahrung Afrikas die Mit­tags­sonne zu ihrer Rechten gesehen hätten. Selbst Herodot, der dem Ereignis zeitlich relativ nahe­stand, hatte offenbar Hem­mungen, einen solchen, scheinbar offen­sicht­lichen Unsinn niederzuschreiben.

Dies läßt sich aus seinem Bericht unschwer erkennen. Doch er wollte als gewis­sen­hafter Chronist solch eine merk­würdige Bege­benheit auch nicht einfach unter­schlagen. Was den antiken Geo­graphen unfaßbar erscheinen mußte, ist für uns heute selbst­ver­ständlich. Gerade in der Bemerkung Herodots können wir einen sicheren Beweis dafür sehen, daß die Necho-Expe­dition ihre weit­ge­steckten Ziele auch tat­sächlich erreichte.

Sie mußte auf Südkurs über den Äquator hinaus min­destens bis zur Sam­be­si­mündung gelangen, um beob­achten zu können, daß die Sonne hier zur rechten Hand, also von Norden her, scheint. Einmal hier ange­langt, konnte es kein Zurück mehr geben. Den See­leuten, die nicht mit den Wetter- und Strö­mungs­ver­hält­nissen im Kanal von Mosam­bique ver­traut waren, hätte es unmöglich gelingen können, die dort herr­schende starke Gegen­strömung zu über­winden und zurückzukehren.

Die Kon­tro­verse um diese ein­zig­artige Fahrt der Phö­nizier zeigt aber auch, daß die Ver­hält­nisse für eine nach­haltige Wirkung der Ent­de­ckungen noch nicht reif waren. Sonst wären diesem ersten Unter­nehmen bald weitere Expe­di­tionen gefolgt. Doch so ent­schwanden die neu ent­deckten Küsten zunächst einmal wieder aus dem mensch­lichen Gesichts­kreis und wurden erst 2.000 Jahre später ihrer Ver­ges­senheit entrissen.

In der Zeit des all­mäh­lichen Ver­falls ihres Hei­mat­landes blieb die Umse­gelung Afrikas die letzte große For­scher­leistung phö­ni­zi­scher See­leute. Die ägyp­ti­schen Feldzüge unter Apries und die baby­lo­ni­schen Erobe­rungen Nebu­kad­nezars hatten auch die phö­ni­zi­schen Metro­polen Sidon und Tyros nicht verschont.


Quelle: pravda-tv.com