Corona: Die Mobilisierung der Angst – und wie wir uns daraus befreien können
Kees van der Pijl hat sein neuestes Buch beim gemeinnützigen Verlag der Politikchronist e.V. i.Gr. (www.politikchronist.org) verlegen lassen. Er versteht es als Warnung und widmet es der Jugend. Kees van der Pijl, 1947 in Dordrecht (Niederlande) geboren, war bis 2019 Professor für Internationale Beziehungen an der University of Sussex. Umfassende Studien über transnationale Klassen und globale politische Ökonomie waren sein Forschungsschwerpunkt. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt wurden, und erklärt nun die politischen Zusammenhänge und Hintergründe der Corona-Krise.
Kees van der Pijl ist ein Wissenschaftler, der aus seiner Seele nie eine Mördergrube gemacht hat, und immer aussprach, was er dachte. Das hat ihm im wissenschaftlichen Establishment viele Feinde eingebracht, aber auch viele Verehrer. Auch mit diesem Buch, wird er sich wieder Verleumdungen anhören müssen. Zum Beispiel die, ein “Verschwörungstheoretiker” zu sein. Denn einige seiner Thesen sind nicht belegt und nicht beweisbar. Nun kann man sich fragen, warum zur politischen Chronik ein solches Buch gehört.
Die Antwort darauf ist ziemlich einfach. In der Vergangenheit hat es unzählige Male “Verschwörungstheorien” gegeben, die sich später als Tatsachen herausstellten, und niemand mehr wollte dann etwas davon hören, dass es einmal Verschwörungstheorien waren. Wenn man aber aus der Geschichte lernen will, sollte man das wissen und zur Kenntnis nehmen, um die Gegenwart beurteilen zu können.
Deshalb ist es berechtigt und angemessen, die Thesen, Meinungen eines angesehenen und erfahrenen Wissenschaftlers auch dann zu veröffentlichen, wenn sie zum Zeitpunkt der Erscheinung des Buches noch Spekulation sind, aber auf erstrangigen Quellen basieren. Denn nur so können spätere Generationen lernen, wie sie zeitgenössische wissenschaftliche und politische Aussagen zu werten haben. Aus der Vergangenheit und dem Erkennen von Verhaltensmustern und Faktenmutationen ist es möglich, aktuelle “Wahrheiten”, angebliche “FakeNews” oder “Verschwörungstheorien” und wissenschaftliche Aussagen zu gewichten.
Hier zwei Unter-Kapitel aus seinem Buch:
Zylberman: Die meisten Bürger fordern den Lockdown
Ausgehend von den Erfahrungen mit der SARS-1-Epidemie in China und Kanada und insbesondere den dort auf Anraten der WHO (aber noch nicht verbindlich) verhängten Ausgangssperren erstellte Patrick Zylberman eine umfassende Studie über deren sozialpsychologische Folgen. Damit lieferte er auch das Material für die europäischen und anderen Regierungen, um die Möglichkeiten eines medizinischen Notfalls zur Wiederherstellung der Disziplin in der Bevölkerung abzuwägen. Zylbermans Arbeit erinnert in vielerlei Hinsicht an die Theorie der Risikogesellschaft von Ulrich Beck, ist intelligent und kritisch, liest sich aber letztlich wie eine Rechtfertigung des Zeitgeistes und – in Zylbermans Fall – der „Maßnahmen“, also des Lockdowns.[1]
Zylberman verbrachte sechs Monate als Gastforscher am Munk Center for International Studies und an der Munk School of Global Affairs, die beide an der Universität von Toronto angesiedelt sind, wo SARS die größten Auswirkungen außerhalb Chinas hatte. Der in Ungarn geborene Geschäftsmann Peter Munk, Eigentümer von Barrick Gold (dem größten Goldbergbauunternehmen der Welt), hat diese Zentren finanziert. Wie sehr Barrick in die transnationale herrschende Klasse eingebettet ist, zeigt z. B. die Direktorin Dambisa Moyo aus dem mineralienreichen Sambia, die auch in den Vorständen von Chevron und Barclays sitzt, Mitglied der Bilderberg-Gruppe, des WEF usw. ist.[2] Dies sind die Kanäle (die in diesem Fall bis nach Afrika reichen), über die der Konsens zustande kommt, dass Abriegelung eine wirksame Antwort auf globale Unruhen sein kann, ein Konsens, der wiederum global wird.
Von 2007 bis 2009, bevor 2013 das Buch Tempêtes microbiennes (Mikrobenstürme) erschien, zirkulierte Zylbermans Arbeit in Form von Papieren für die in Toronto ansässige Lupina Foundation (die Gesundheitsforschung unterstützt). Janice Stein war damals Direktorin sowohl der Munk School (bis 2014) als auch (bis heute) der Lupina Foundation; sie ist eine einflussreiche Persönlichkeit in nordamerikanischen akademischen Kreisen. In den Jahren 2011/12 konnte sich der Autor bei Treffen an den Universitäten von Toronto und Princeton in Anwesenheit von Professor Stein ein Bild von der Funktionsweise dieser Kreisläufe machen. In Princeton waren auch Vertreter des Council on Foreign Relations und des US-Außenministeriums anwesend, während die Ford Foundation, das Carnegie Endowment, der German Marshall Fund und andere Agenturen die jeweilige Veranstaltung sponserten.[3] Die bei solchen Treffen gewonnenen Erkenntnisse werden somit Teil der Wissensbasis dieser und anderer Institutionen, und das Gleiche gilt für Zylbermans Arbeit. Dass „Gesundheit“ im neuen Jahrtausend in die internationale Strategie der herrschenden Klasse integriert wurde, geht auch aus der Tatsache hervor, dass 2004 der erste Lehrstuhl für Gesundheit und Globalisierung am Council on Foreign Relations eingerichtet wurde, der von der Bill & Melinda Gates Foundation finanziert wird.
Zylbermans Untersuchungen zu den Abriegelungen während der SARS-Krise 2003 sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt, haben sich aber für die Bewältigung der Covid-Krise als sehr wichtig erwiesen. Die in China und Toronto ergriffenen Maßnahmen, wie die Quarantäne für Menschen ohne Symptome und die Rückverfolgung der Kontakthistorie, waren nach Ansicht eines WHO-Experten „mittelalterlich“, aber wie sich herausstellte, hat die große Mehrheit sie alle akzeptiert. Mit anderen Worten: SARS‑1 hat deutlich gemacht, dass eine Bevölkerung im Falle einer Epidemie gut kontrolliert werden kann. Das Vorbild für ein solch drastisches Regime war die Spanische Grippe von 1918, nicht die Grippeepidemien von 1958 und 1968. Denn obwohl in den beiden letztgenannten Fällen jeweils anderthalb Millionen Opfer zu beklagen waren, ließen diese Grippeepidemien das Leben der anderen unberührt. Damit eine Epidemie als Rechtfertigung für einen Ausnahmezustand „funktioniert“, muss sie das gesellschaftliche Leben vollständig zerstören, den Staat an den Rand des Zusammenbruchs bringen und die Moral der Bevölkerung erschüttern. Kurz gesagt, es muss eine Infektionskrankheit geben, die alles zerstört, die gesellschaftliche Struktur, die Institutionen und die Sitten.[4] Eine solche Krise erleben wir heute, im Namen des „Virus“,in Wirklichkeit aber als Ergebnis der Lockdowns, nachdem sich das eigentliche Virus als nicht schlimmer als eine Grippeepidemie herausgestellt hat.
Die zuvor erwähnten Übungen und Simulationen auf der Grundlage von Szenarien befassten sich mit Verhaltensfaktoren, die nicht im Voraus berechnet werden können, und zwar mit Hilfe von Modellen. Die Studien von Zylberman zielten stattdessen darauf ab, herauszufinden, wie die kollektive Psychologie und die Dynamik der sozialen Beziehungen in einer schweren Gesundheitskrise funktionieren, und dies erforderte einen anderen Ansatz. Die Komplexität der menschlichen Reaktionen und ihrer spontanen Reflexe in einer Bevölkerung, die starken Einschränkungen unterliegt, muss im Prozess selbst oder in vergleichbaren Situationen untersucht werden. Sogar ein Videospiel aus dem Jahr 2005 – World of Warcraft, in dem es um eine Epidemie ging, von der 4 Millionen Menschen betroffen waren – wurde in Betracht gezogen, um Erkenntnisse über die emotionalen Reaktionen der Spieler zu gewinnen. Es stellte sich heraus, dass der Staat viel mehr Macht ausüben kann, als man in der Ära der Privatisierung und Liberalisierung angenommen hatte. In der SARS-Krise erwies sich eine erfolgreiche Disziplinierung der Bevölkerung als möglich und vergleichsweise einfach. Denn obwohl Quarantäne und Schulschließungen nicht nötig waren (Menschen ohne Symptome konnten das Virus nicht übertragen, Kinder auch nicht), wurde die freiwillige Einschließung dennoch akzeptiert. Zylberman zufolge war eine neue Kraft am Werk, eine neue Fiktion sogar: ein extremer Bürgersinn, ja sogar Patriotismus. Gewiss, die Menschen in der Quarantäne leiden unter Einsamkeit, unter dem Abgeschnittensein von der Welt, unter Langeweile und Angst. Je länger die Quarantäne dauerte, desto mehr Depressionen und Stress gab es, dazu kam die Angst, Arbeit und Einkommen zu verlieren. Trotz alledem wurde akzeptiert, dass die Gesichtsmasken auch zu Hause getragen werden mussten. Die oft widersprüchlichen Anweisungen der Behörden verschärften Frustration und Unruhe, und dennoch befolgten die Menschen sie weitgehend.[5] Könnte dies denjenigen entgangen sein, die über mögliche Reaktionen auf die weltweiten Volksunruhen nachdenken und/oder für den derzeitigen Ausnahmezustand verantwortlich sind?
Während der SARS-Epidemie wurde das Gesundheitspersonal sehr bewundert, ähnlich wie Polizei und Feuerwehrleute am 11. September. Man vertraute diesen Streitern an vorderster Front viel mehr als Regierungen, die sich selbst widersprechen, und dieses Vertrauen machte die Menschen bereit zu gehorchen, wiederum aus einer allgegenwärtigen „Bürgerpflicht“ heraus. Zylberman rechnet vor, dass 50 bis 68 Prozent gehorchten, nur etwa 15 Prozent waren Dissidenten. Diese Prozentsätze galten auf beiden Seiten des Atlantiks in vergleichbaren Situationen, etwa in Frankreich während der Vogelgrippe und wahrscheinlich auch im aktuellen Ausnahmezustand.
Maßnahmen zur Bewältigung von Epidemien gab es schon lange vorher. Die britische Gesetzgebung sah bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Inhaftierung in Krankenhäusern vor, und 1936 war dafür nicht einmal mehr ein Gerichtsbeschluss erforderlich. Ab 1984 war es nicht mehr notwendig, zu beweisen, dass jemand infiziert war. Das verstieß selbstverständlich gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Nach 9/11 wurden auch in den USA neue Bestimmungen eingeführt. Ein Gouverneur eines Bundesstaates konnte fortan aus gesundheitlichen Gründen den Notstand ausrufen, und die Gesundheitsbehörden erhielten weitaus größere Befugnisse. Widerspruch war von nun an strafbar. Die Idee dahinter ist: Der Schutz der öffentlichen Gesundheit schafft alle Rechte der Privatsphäre und der Bürgerrechte ab. Immer wieder wurde das Gespenst eines bioterroristischen Angriffs heraufbeschworen, und die Maßnahmen, auf die die Behörden zurückgreifen konnten, beschränkten sich nicht auf Quarantäne, Zwangsbehandlung und Isolierung, hinzu kamen der Einsatz der Armee und die Zensur der Medien. Alle diese Maßnahmen wurden 2001 in einem US-Bundesgesetz verankert, auch Polizei und Nationalgarde erhielten entsprechende Befugnisse. Aber auf diese Weise, argumentiert Zylberman, wird die „öffentliche Gesundheit“ zwangsläufig zur reinen Tyrannei.[6] Man kann es auch umdrehen und zu dem Schluss kommen, dass, wenn das Ziel darin besteht, Tyrannei zu erzwingen, sich die öffentliche Gesundheit als eine äußerst wirksame Rechtfertigung erwiesen hat, um dies zu erreichen, ohne dass man es Tyrannei nennen muss.
Doch es besteht immer die Gefahr von Unruhen. Bürgerpflicht ist ein zweischneidiges Schwert: Ich gehorche, weil es in meinem eigenen Interesse ist, aber eigentlich will ich es nicht. Deshalb müssen Einschränkungen wirksam gefördert werden. Abweichende Meinungen, ja selbst Gerüchte, die das Vertrauen in die Gesundheitsbehörden untergraben könnten, müssen aktiv bekämpft werden. Es kann auch zu einem gefährlichen Missverhältnis zwischen unbeugsamen staatlichen Maßnahmen und den differenzierteren Ansichten von Experten kommen, die sich auf tatsächliche Fakten und Zahlen stützen und nicht unbedingt darauf abzielen, die Panik aufrecht zu erhalten. Je länger es dauert, desto mehr wird man auf die differenzierten Experten hören, lautet Zylbermans Schlussfolgerung.[7]
Die Ähnlichkeiten mit der aktuellen Covid-Krise sind frappierend. Die SARS-1-Epidemie, das Schlüsselbeispiel für Zylberman, hat gezeigt, was möglich ist, wenn ein nationaler Ausnahmezustand, der von einer militanten Bürgerschaft getragen wird, aufrechterhalten werden soll. Jeder Bürger muss ein Kämpfer für die Sache werden. In dieser patriotischen, fahnenstürmenden Atmosphäre sei es sehr schwierig, eine frontale Opposition zu führen. Sie ist auch nicht wasserdicht: Wenn der militante Superbürger herausfindet, dass die „Maßnahmen“ in Wirklichkeit der Gesundheit des Einzelnen schaden, dann wird etwas anderes passieren. Der Hurrikan Katrina in New Orleans war in dieser Hinsicht sehr anschaulich, denn selbst die „Helden“ (Polizei und Rettungskräfte) erschienen manchmal nicht, weil ihre eigenen Familien in Gefahr waren. Etwas Ähnliches kann passieren, wenn die Menschen, wenn auch zähneknirschend, Lockdowns, Gesichtsmasken, soziale Distanzierung, Besuchsbeschränkungen und Ausgangssperren akzeptieren, die alle gleichermaßen absurd sind, aber bei der „Impfung“, wenn der eigene Körper den Behörden anvertraut werden soll, eine Grenze ziehen. Tatsächlich hat sich sogar diese mögliche rote Linie als weitgehend imaginär erwiesen.
Das Lock-Step-Szenario der Rockefeller-Stiftung
Zylbermans Buch wurde 2013 in französischer Sprache veröffentlicht, aber wie erwähnt zirkulierten seine Schlussfolgerungen in Form von Papieren in den Jahren 2009/10 in Netzwerken, die bei den Munk-Institutionen an der Universität von Toronto zusammenlaufen. 2010 wurde seine Idee der Szenarien mit dem gemeinsamen Bericht der Rockefeller Foundation und des Global Business Network (GBN) (einer Tochtergesellschaft von Deloitte, die sich mit der Entwicklung von Szenarien befaßt) auf spektakuläre Weise umgesetzt. Spektakulär auch deshalb, weil es für uns als Zeugen der Covid-Katastrophe fast unglaublich ist, in einem Dokument, das vor zehn Jahren erstellt wurde, das Szenario für das zu lesen, was jetzt passiert, und zwar in allen Einzelheiten.
In ihrem Vorwort zu dem Bericht preist die Präsidentin der Rockefeller-Stiftung die Szenarienplanung als die beste Möglichkeit, das Denken des Status quo zu überwinden, indem sie Erzählungen der Zukunft liefert. Gruppen und Einzelpersonen müssen in diesem kreativen Prozess angeleitet werden, und mit Hilfe einer Geschichte (d. h. einer Erzählung mit einer gewissen inneren Logik) können Ereignisse in Gang gesetzt werden, die aktuellen Entwicklungen eine gewisse Wendung geben, oft auf überraschende Weise.[8] (Wir werden den Autor des Vorworts im Namen von GBN, Peter Schwartz, später als Direktor für Strategie bei Salesforce wiedertreffen, einem IT-Unternehmen, das in den Markt für Impfpässe und biometrische Identifizierung eingestiegen ist).
Wir haben bereits gesehen, dass nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Konkurrenzblocks und des Kommunismus Szenarien zum Ersatz für die Herrschaftskonzepte (Unternehmens- und korporativer Liberalismus, Neoliberalismus) wurden, mit denen zuvor Macht ausgeübt worden war. Anstelle einer mehr oder weniger stabilen Klassenkonstellation, deren (ungeschriebener) Gesellschaftsvertrag in einem quasi-staatlichen, breit akzeptierten Programm zum Ausdruck kommt, evozieren Worst-Case-Szenarien Visionen der Angst, denen sich die Bürger unterwerfen, weil es keine andere Möglichkeit gibt, dem drohenden Unheil zu entgehen, als den Anweisungen der Regierung zu folgen. Während ein Herrschaftskonzept seine Logik aus den tatsächlichen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen ableitet und somit an Wirksamkeit verliert, sobald sich diese grundlegend ändern, verlässt sich ein Szenario auf die Logik seiner eigenen Handlung. Seine Autoren können nur hoffen, dass es auch als „logisch“ daherkommt, wobei sie sich um die Medien keine Sorgen machen müssen, die schließlich einen zentralen Teil der Fraktion im Herzen des neuen Machtblocks bilden. Aber wie Zylberman eloquent dargelegt hat, befinden wir uns jetzt im Reich der Fantasie, die Geschichte ist im Wesentlichen erfunden. Wie wir in Kapitel 6 sehen werden, ist es daher wichtig, dass Edelman, die PR-Firma, die sich mit der Entwicklung solcher Narrative als Werbeinstrument einen Namen gemacht hat, eine so wichtige Rolle bei der Vorbereitung der aktuellen Covid-Krise spielte. Anfang 2021 kam dieselbe Agentur auf der Grundlage von Umfragen in 28 Ländern zu dem Schluss, dass das Corona-Szenario letztlich ein Fehlschlag war. Wir werden später darauf zurückkommen.
Im Rockefeller/GBN-Bericht werden vier Szenarien erörtert, von denen drei eigentlich keine Rolle spielen. Szenario 1 handelt von einer Welt, in der alles reibungslos läuft und alle glücklich zusammenarbeiten, während 3 und 4 jeweils einen völligen Zusammenbruch beschreiben, das eine wirtschaftlich, das andere politisch, so dass keine Storyline hier viel weiterhelfen wird. Das Szenario, das uns interessieren sollte, ist Nr. 2, Lock Step. Es beschreibt eine „Welt mit strengerer staatlicher Kontrolle von oben nach unten und autoritärer Führung, mit begrenzter Innovation und wachsendem Widerstand der Bürger“.
Es geht um eine extrem virulente Grippepandemie, die 2012 in China beginnt. Fast 20 Prozent der Weltbevölkerung werden infiziert, 8 Millionen sterben – kurz gesagt: eine echte Katastrophe. Die USA kommen mit dem Notfall sehr schlecht zurecht, die chinesische Regierung hingegen reagiert schnell: Sie setzt „eine obligatorische Quarantäne für alle Zivilisten sowie die sofortige und nahezu hermetische Abriegelung aller Grenzen“ durch. Dies „rettet Millionen von Menschenleben, stoppt die Ausbreitung des Virus viel früher als in anderen Ländern und ermöglicht eine schnellere postpandemische Erholung“.
In der Zwischenzeit haben laut dem Rockefeller/GBN-Bericht immer mehr Regierungen Maßnahmen wie Gesichtsmasken in Geschäften und öffentlichen Bereichen ergriffen, die auch nach dem Abklingen der Pandemie in Kraft bleiben. Die autoritäre Überwachung der Bürger und ihrer Aktivitäten wird sogar noch intensiviert. Das alles ist genau das, was wir heute erleben. Die Staats- und Regierungschefs auf der ganzen Welt ziehen die Zügel an, „um sich vor der Ausbreitung zunehmend globaler Probleme zu schützen – von Pandemien und grenzüberschreitendem Terrorismus bis hin zu Umweltkrisen und wachsender Armut“.
Es ist nicht schwer, in den „zunehmend globalen Problemen“, vor denen sich die Staats- und Regierungschefs in aller Welt schützen mussten, die wachsende Unruhe in der Weltbevölkerung, die wir als Hauptgrund für die Errichtung des Covid-Ausnahmezustands identifiziert haben, und die Gefahr von Aufständen zu erkennen. Was sind „transnationaler Terrorismus“ und „zunehmende Armut“ anderes als Schlagworte, die sich auf die Ursache dieser Unruhen und ihren möglichen Ausbruch beziehen? Lock Step ist das Mittel dagegen. „Zunächst“, heißt es in dem Bericht über die fiktiven Abriegelungen, „fand die Vorstellung einer stärker kontrollierten Welt breite Akzeptanz und Zustimmung.“ Die Bürger geben bereitwillig einen Teil ihrer Souveränität – und ihrer Privatsphäre – an paternalistischere Staaten ab, im Gegenzug für mehr Sicherheit und Stabilität.
Dies spiegelt Zylbermans Schlussfolgerungen wider: Die Mehrheit will die Abriegelung. Die Bürger sind tolerant, ja sogar erpicht darauf, von oben gelenkt und beaufsichtigt zu werden, und die Staatsoberhäupter haben oft einen unerwarteten Spielraum, die Ordnung so durchzusetzen, wie sie es für richtig halten. In den Industrieländern nahm diese verstärkte Kontrolle viele Formen an: Biometrische Ausweise für alle Bürger gehörten dazu.[9] Der Bericht gab zu bedenken, dass die Bevölkerung diese Einschränkungen nicht unbegrenzt akzeptieren würde. Er prognostizierte jedoch, dass die Menschen die autoritäre Wende erst 2025 (13 Jahre nach dem fiktiven Katastrophenjahr 2012) wirklich ablehnen würden, so dass die Veränderungen in der Zwischenzeit unumkehrbar geworden und das neue Regime so fest verankert wäre, dass es keine Rückkehr mehr geben könne.
Das Lock-Step-Szenario identifiziert die IT-Revolution auch als Grundlage, auf der intensive Überwachung möglich wird und die bestehende Ordnung gesichert werden kann. Um die Krise zu überwinden, schlägt der Bericht daher vor, die Wirtschaft umzugestalten und ganz auf die Errungenschaften der IT-Revolution zu stützen. Denn in diesem Bereich hat der Westen dank der Internetmonopole mit ihren großen Forschungsbudgets noch alle Trümpfe in der Hand. Heute kennen wir dieses Projekt als The Great Reset, propagiert vom Weltwirtschaftsforum seit den 1990er Jahren unter verschiedenen Namen, aber mit demselben Inhalt (eine digitale Weltwirtschaft). Weil der IT-Sektor hauptsächlich im Westen angesiedelt ist, können hier große Schritte nach vorne gemacht werden. Länder wie Russland und Indien hingegen werden sich nur durch protektionistische Maßnahmen gegen diese westliche Übermacht schützen können, so der Rockefeller/GBN-Bericht. Man beachte, dass China hier nicht ebenfalls als Antagonist aufgeführt wird, weil zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts die Beziehungen zu Peking noch relativ gut waren (was sich auch in den Komplimenten für China aufgrund seines entschiedenen Vorgehens gegen die fiktive Pandemie zeigt).
Dieser Rockefeller/GBN-Bericht allein reicht aus, um zu zeigen, dass die Sanktionen, die 2020 verhängt wurden, schon lange vor Covid-19 in Druck waren – als Antwort auf Herausforderungen, vor denen der Westen stand, als der Finanzkollaps von 2008 die globalen Unruhen auslöste, die ich als Hauptproblem des kapitalistischen Regimes betrachte, und nicht so sehr als Antwort auf einen angeblichen medizinischen Notfall.
Die EU war von Anfang an ein wichtiger Akteur in dieser Entwicklung. Denn dort waren die sozialen Unruhen am größten, vor allem in Frankreich, während die Reserven, um eine produktive Antwort darauf zu entwickeln, vor allem in Südeuropa weitgehend erschöpft waren. 2012 veröffentlichte die EU einen bemerkenswerten Comic, Infected, über die Ausbreitung eines gefährlichen Virus aus China, hier als Abenteuergeschichte dargestellt. Im Nachwort zu diesem Comic, einer gelinde gesagt sehr ungewöhnlichen EU-Publikation, wird auch deutlich, dass es sich nicht um Zeitvertreib, sondern um Propaganda handelt. Darin wird die Internationale Ministerkonferenz zur Vogelgrippe in Peking im Januar 2006 erwähnt, auf der mehr als 100 Länder eine Erklärung unterzeichneten, in der sie sich verpflichteten, Informationen über nationale Pläne zur Bekämpfung der Epidemie zu entwickeln und auszutauschen. Dies stand im Einklang mit den WHO-Gesundheitsvorschriften von 2005. Unter der Überschrift „Kommunikation“ dort steht im Postskriptum, es wäre vielleicht besser, wenn die Experten auf diesem Gebiet zugäben, dass sie nicht alles so genau wissen. Dies sei nach Ansicht der EU die beste Strategie, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen. Das macht es für die Regierungen natürlich nicht einfacher, aber die Alternative ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit durch widersprüchliche Aussagen zu verlieren.[10] Wir wissen jetzt: Regierung und Experten können erklären, Gesichtsmasken seien unnötig und sogar schädlich, und zwei Wochen später das Gegenteil behaupten – es wird kaum Beschwerden geben.
Das Rockefeller-GBN-Lockstep-Szenario im Jahr 2010, die Berichte von Zylberman zuvor und die Entwicklung experimenteller Gentherapien, die uns später als „Impfstoffe“ verkauft werden sollten, ja sogar der EU-Comic über die aus China stammende Virusinfektion – all das deutete darauf hin, dass für die westliche herrschende Klasse ein biopolitischer Ausnahmezustand zu einer ernsthaften Option geworden war. Ob China bei diesem Unterfangen Verbündeter oder Gegner sein würde, blieb jedoch abzuwarten.
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Kees van der Pijl: Die belagerte Welt, verfügbar in 5 verschiedenen Buchformaten. Hardcover 223 Seiten, 24,90 Euro, verlegt durch den gemeinnützigen Verein Der Politikchronist e.V. i.Gr. https://www.politikchronist.org/index.php/shop/product/68-die-belagerte-welt-hardcover.html
Jochen Mitschka
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(Transparenzinformation: Jochen Mitschka ist 1. Vorsitzender des Vereins www.politikchronist.org)
[1] Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt: Suhrkamp 1986.
[2] Peter Phillips, Giants. The Global Power Elite [Vorwort, W.I. Robinson]. New York: Seven Stories Press. 2018, p. 124.
[3] Siehe The Discipline of Western Supremacy. Bd. III von Modes of Foreign Relations and Political Economy. London: Pluto Press, 2014, pp, 229–30.
[4] Zylberman, Tempêtes microbiennes, S. 152.
[5] Ebd., S. 425f.
[6] Ebd., S. 415, 402–3.
[7] Ebd., S. 430–31.
[8] Rockefeller Foundation und Global Business Network, Scenarios for the Future of Technology and International Development [Judith Rodin, Peter Schwartz, Vorworte]. New York: Rockefeller Foundation und San Francisco: Global Business Network, 2010, S. 9
[9] Ebd., S. 18–9,
[10] EU Publications Office. Infected. (31. Januar 2012) pdf (Online).
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