Die Covid-Krise und insbesondere die Lockdowns haben Großbritannien schwer zugesetzt. Aber offenbar ist es nicht so leicht für die Briten, einen neuen Job zu finden. Obwohl die Politik langsam gelernt haben sollte, dass ihre Handhabung der Krise durchaus nicht segensreich war und sinnloser Zwang eigentlich immer das Gegenteil dessen erzeugt, was man eigentlich braucht, geht es munter weiter: Ab jetzt haben Arbeitslose im Vereinten Königreich nur noch vier Wochen Zeit, einen Job zu finden, der ihnen zusagt. Das waren bisher drei Monate. Schaffen sie das nicht binnen vier Wochen, droht ihnen die Kürzung der Sozialhilfe „Universal Credit“.
Arbeitsminister Thérèse Coffey verbreitet Aufbruchsstimmung: „Nun, da wir Covid hinter uns lassen, gehen wir die Herausforderungen bei den offenen Stellen an. Wir unterstützen die Erholung der Wirtschaft und holen die Menschen zurück ins Berufsleben.“ Und sie sieht eine rosige Zukunft: “Way to Work ändert grundlegende unser Angebot für Antragsteller und Arbeitgeber und stellt sicher, dass unser Jobcenter-Netzwerk und unsere exzellenten Arbeitscoaches Chancen, Arbeitsplätze und Wohlstand in allen Teilen des Landes bieten können.“
Wie hübsch man doch ausdrücken kann, dass man selbst mit den eigenen Lockdown-Zwangsmaßnahmen die Wirtschaft in die Krise getrieben hat. Und nun wird erneut die Knute ausgepackt. Hat man vorher die Unternehmen auf die Knie gebracht, sind es jetzt die dadurch arbeitslos Gewordenen. Briten, die auf die Arbeitslosenunterstützung angewiesen sind, müssen seit Beginn Februar mit 20 Pfund (rund 23,5 Euro, also etwa 100 Euro monatlich) weniger pro Woche zurechtkommen. Das entspricht einem Rückgang von 15 Prozent. Und je länger sie keine Arbeit finden, desto mehr werden die Daumenschrauben angezogen.
Typisch für Politiker geht Madame Coffey davon aus, dass, wenn die Politik gebietet, dann auch alles ganz simpel so läuft, wie man sich das ohne Ahnung von den komplexen Strukturen vorstellt. Ein bisschen wie in der Armee: Das kann befohlen werden. Punkt. Die BBC berichtet, dass von der Kürzung ungefähr 5,8 Millionen Arbeitslose oder Aufstocker in England, Schottland und Wales betroffen sind.
Wie immer, haben solche Knechtungsprogramme freundliche Namen. „Way to work“ heißt dieses (Weg in die Arbeit). Mit drakonische strikten Regeln glaubt die britische Regierung damit eine halbe Million Sozialhilfeempfänger der Kategorie „intensiv Arbeitssuchende“ wieder in Lohn und Brot zu bringen. Auch die, die zwar einen Job haben, aber das britische Äquivalent zu „Aufstockern“ sind, fallen darunter. Die Arbeitsuchenden sollen von Beratern der Arbeitsvermittlungsagenturen dabei unterstützt werden. „Unsere neue Initiative wird helfen, die Sozialhilfeempfänger schnell zurück in Arbeit zu bringen. Gleichzeitig unterstützen wir die Arbeitgeber dabei, diejenigen zu finden, die es für sie und damit die Wirtschaft braucht.“
In der Tat stehen zurzeit die Chancen für diejenigen, die einfach nur irgendein Einkommen suchen, nicht schlecht. Viele Stellen in Großbritannien können zurzeit nicht besetzt werden. Im letzten Quartal 2021 gab es laut Statistik 1,25 Millionen offene Stellen. Das bedeutet, dass vier Prozent der offenen Stellen nicht besetzt werden können.
Für die Unternehmen ist es ein Selbstbedienungsladen – mit ziemlichen Risiken. Einerseits können sie nun auswählen, denn die britischen Bürger, die nun um jeden Preis einen Job brauchen, werden im Zweifelsfall eben auch Jobs annehmen, die schlecht bezahlt sind oder die sie äußerst ungern machen. Genau das ist auch die Crux bei der Sache. Viele Arbeitgeber werden ernüchtert feststellen, dass sie demotivierte Mitarbeiter beschäftigen, dass völlig ungeeignete Leute ins Haus kommen, die schlechte Stimmung verbreiten und unzufrieden sind oder so schnell wie möglich wieder abspringen.
Aus der Sicht von Arbeitgebern ist es absehbar, dass die Unternehmen sich genau deswegen die Kandidaten genau ansehen. Einen arbeitslosen Bäckereiverkäufer an eine Drehbank zu stellen ist sinnlos. Eine Juristin als Verkäuferin oder eine Kindergärtnerin als Buchhalter einzustellen wird eher dem Unternehmen schaden, selbst dann, wenn sie gutwillig sind. Überdies zeigt die Erfahrung, dass unwillige Arbeitnehmer, die den Job gar nicht wollen oder grundsätzlich arbeitsunwillig sind, dem Unternehmen nichts bringen. Sie blockieren nur die Arbeitsstelle und sorgen schnellstmöglich dafür, dass sie gekündigt werden, sobald sie wieder für die Unterstützungen bezugsberechtigt sind.
Dieser Plan stößt in Großbritannien auf ziemliches Unverständnis. Die Labour-Party, (etwa das, was die alte SPD einmal war, die Partei der Arbeiter und kleinen Leute) als „an den Rändern herumbasteln“ und habe eigentlich mehr mit dem Versuch zu tun, „Boris Johnsons Stellung als Premierminister zu retten“.
Boris Johnson steht wegen seiner Politik und seiner illegalen „Lockdown-Partys“ im Amtssitz Downing Street sowieso schon ordentlich unter Druck. Dort sollen die Corona-Regeln, unter denen die britische Bevölkerung ziemlich gelitten hat, massiv missachtet worden sein. Auf insgesamt zwölf Veranstaltungen amüsierte man sich recht ungezwungen. Auch in seiner eigenen Wohnung soll der britische Regierungschef Johnson im November 2020 in großer Runde ungezwungen gefeiert haben. Neben der Opposition fordern sogar seine eigenen Parteigenossen immer lauter seinen Rücktritt.
Nun kommt auch noch die Peitsche für die Arbeitslosen, die auf herbe Kritik stößt. Der Guardian zitiert Experten, die vorrechnen, dass durch die Sanktionen Familien mit einer Sozialhilfe, die jetzt bereits in Höhe des Existenzminimums liegt, in echte Not geraten könnten. Selbst diejenigen, die vielleicht noch Kredite bei den Banken bekommen könnten, treibe man mit dieser Politik in eine aussichtslose Schuldenfalle.
“Menschen dazu zu zwingen, sich für jeden Job zu bewerben, ohne Rücksicht auf ihre Eignung, getrieben durch die sehr reale Androhung von Leistungssanktionen, ist zersetzend für die Beziehungen zwischen den (arbeitslosen) Antragstellern und Beratern. Man riskiert, Menschen in unsichere und ungeeignete Beschäftigung zu drängen. Das ist kein „Weg in die Arbeit“, es ist ein Weg in das Scheitern der Politik. Die Regierung hat Recht, dass die Menschen gute Arbeitsplätze brauchen und verdienen, aber das wird nicht dadurch erreicht, dass die Menschen gezwungen werden, (irgeneine)Arbeit zu suchen, und das vor dem Hintergrund anhaltender Armut trotz Erwerbstätigkeit”, gab Ruth Patrick, Dozentin für Sozialpolitik an der Universität von York zu bedenken.
David Webster von der Universität Glasgow ist der führende akademische Experte des United Kingdom, was Leistungssanktionen (aka Kürzungen) angeht. Seiner Meinung nach sind Regierungen immer schnell dabei, Arbeitslose mit Strafen dazu zu zwingen, schnell einen Job zu finden – besonders nach einer Wirtschaftsrezession. Untersuchungen zeigen aber, sagt er, dass der gewünschte Effekt der Sanktionen noch nie belegt worden sei. Es sei sinnlos, Menschen schnell in Anstellungen zu zwingen, in die sie nicht passen. Das führe nur allzuoft zu dauerhaften, negativen Auswirkungen und Karriereknicks. „Sie können keine quadratischen Stifte in runde Löcher zwingen“, bringt er es auf den Punkt.
Mr. Webster verwies dabei auf die letzte große „Sanktionskampagne“ zwischen 2010 und 2016. An deren Höhepunkt wurden 1 Million Menschen pro Jahr die Unterstützungsleistungen gekürzt, was zu weit verbreiteter Armut und Not führte (und die Kaufkraft und damit die Wirtschaft auf breiter Basis schwächte).
Der Sprecher für Arbeit und Renten der Liberaldemokraten, Frau Wendy Chamberlain, sieht ebenfalls wenig Vorteile in den Strafen für Arbeitslose: Anstatt Menschen dabei zu unterstützen, eine sichere, langfristige Beschäftigung zu finden, versuche die Regierung Johnson “jetzt, die Menschen dazu zu zwingen, jeden x‑beliebigen Job anzunehmen”. Sie fügte hinzu: „Dieses unsensible Vorgehen könnte qualifizierte Arbeitnehmer zwingen, unsichere, kurzfristige Beschäftigungen anzunehmen — aus lauter Angst, dass ihnen der Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Und dadurch andauernden Zyklus der Arbeitslosigkeit erzeugen. Schlimmer noch, diese harten Sanktionen könnten innerhalb weniger Wochen nach der Beantragung eines Universalkredits verhängt werden — bevor die erste Zahlung der Leute überhaupt eintrifft. ”
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