Abtrün­nigkeit von der Ukraine – was, wenn die Bayern …?

Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen sind Teil der Geschichte Europas — Meist hatten sie öko­no­mische Gründe und keine eth­ni­schen — Die Aner­kennung zweier Repu­bliken könnte den Krieg abkürzen

(von Albrecht Künstle)

Warum wollen die Bayern keine Auto­nomie wie andere „Völker“ in Europa? Diese Frage stellt sich eigentlich jedes Jahr, wenn die Zahlen des Län­der­fi­nanz­aus­gleichs vor­liegen. „Nur Bayern zahlt noch mehr“ als Baden-Würt­temberg, titelte meine Regio­nal­zeitung. Über 17 Mrd. Euro werden zwi­schen den Bun­des­ländern umver­teilt, von West nach Ost, ins­be­sondere aber vom Süden in den Norden. Am meisten pro­fi­tieren vom Geld­segen die Schön­geister im Land Berlin, das im letzten Jahr mit 3,6 Mrd. Euro ali­men­tiert wurde. Immerhin gilt die Haupt­stadt als „sexy“, auch wenn dort nichts mehr funktioniert.

Baden-Würt­temberg löhnte rund 4,0 Mrd. für die Deutsch­land­me­tropole zusätzlich zu den direkten und indi­rekten Abgaben der Steu­er­zahler der Länder. Bayern ent­richtet sogar 9,0 Mrd. EUR für den Finanz­aus­gleich – mehr als die Hälfte des ver­teilten Kuchens, den die Baju­waren gebacken haben. Und beide mucken immer noch nicht auf, zumindest für hoch­deutsch Spre­chende nicht erkennbar.

Die Elsässer tun sich schwerer mit ihrer Zen­tral­re­gierung in Paris. Unsere Nachbarn jen­seits des Rheins sind ebenso fleißig wie wir und wollen sich von der Zen­tral­re­gierung nicht so viel Geld abknöpfen und überdies auch nicht bevor­munden lassen. Ganz ähnlich wollen die Kata­lanen in Spanien nicht mehr so viel nach Madrid über­weisen. Die spa­nische Regierung jedoch will ihre spru­delnden Geld­quellen erhalten. Auch bei den ernst­haften Kon­flikten in Nord­irland und Süd­tirol spielte das liebe Geld eine Rolle, das von den einen erar­beitet und von anderen „auf den Kopf gehauen“ wird.

Auch die Kroaten waren die Zahl­meister Jugo­sla­wiens und wollten nicht mehr den Großteil ihrer Ein­nahmen aus dem Tou­rismus nach Belgrad abführen müssen. Titos Tod folgten Unab­hän­gig­keits­be­stre­bungen, die nach Gen­schers bzw. Deutsch­lands Aner­kennung von Kroatien zum 15. Januar 1992 – als erstem Land über­haupt – in die Jugo­sla­wi­en­kriege mün­deten. Dabei hatte er es ja nur gut gemeint nach dem Motto Kann denn Aner­kennung Sünde sein. Auch Slo­wenien wurde von Deutschland in einem Auf­wasch aner­kannt. Zwei­fellos schöne und tüchtige Länder, die gut zu Europa passen.

„Natio­nal­staaten waren gestern, Europa solle ein Kon­tinent der Regionen werden“, wurde zur Devise. Der Euro­pa­po­li­tiker Elmar Brok:Ich glaube, dass in vielen Bereichen die Natio­nal­staaten doch Träger von Kultur, Iden­tität, Inter­essen sind, dass man, glaube ich, Europa nicht auf alle Natio­nal­staaten auf­bauen kann. Da werden viele Staaten, die anders struk­tu­riert sind als Spanien, nicht mit­machen. Des­wegen muss man sagen, dass ein Europa der Regionen auch gefördert werden muss. Man muss die Regionen fördern und den Natio­nal­staat in seiner Rolle aner­kennen. Die Heimat, die Region, der Natio­nal­staat und Europa, alles drei zusammen in ein ver­nünf­tiges Ver­hältnis zu bringen und nicht eines der Dinge dabei aus­zu­schließen,“ so Brok.

Jetzt geht es um die Regionen Donezk und Luhansk. Auch diese wollen unab­hängig sein von der Ukraine. Aber die Regierung in Kiew will sie nicht ziehen lassen und bekämpft die 2014 selbst­er­klärten Volks­re­pu­bliken, also seit acht Jahren mit tau­senden Todes­opfern. Einer­seits sieht Kiew diese Repu­bliken immer noch als Oblaste der Ukraine an, ande­rer­seits stellte sie dor­tigen Ein­wohnern keine Pässe aus, zahlte keine Renten u.v.m. Auch diese indus­triell ent­wi­ckelten Regionen im Süd­osten der Ukraine, an Russland angrenzend, zählten zu den Geber­ländern. Sie waren nicht mehr bereit, die Schön­geister im 700 km ent­fernten Kiew zu unter­halten. Und jetzt ist richtig Krieg, ein Bür­ger­krieg, in dem sich fast gleich viele ukrai­nische und rus­sische Bewohner bekämpfen, jeweils unter­stützt von Kiew auf der einen und Moskau auf der anderen Seite.

Jetzt die Gret­chen­frage: Was wird sein, wenn es den Bayern wegen Berlin zu bunt wird? Und auch zu „inter­kul­turell“ und „mul­ti­la­teral“? 1919 erklärte sich Bayern als unab­hängig vom Deut­schen Reich. Und behielt seinen Status auch nach 1945 zumindest dem Namen nach bei. Nehmen wir an, Bayern ist wie im fernen Donezk und Luhansk nicht mehr bereit, die Extra­touren in Berlin und anderen Hoch­burgen des bunten Deutsch­lands zu finan­zieren, was dann? Die Rüs­tungs­in­dustrie ist auch in Bayern daheim! Und Bayern kann nicht nur Tore schießen. Würde Deutschland den Bayern den Krieg erklären wie es die Ukraine den Abtrün­nigen gegenüber tat? An welche Seite würden die NATO-Länder Waffen liefern?

Ein Europa der wirk­lichen Regionen wäre wohl fried­licher als das gegen­wärtige zen­tra­lis­tische Europa mit dem Moloch Brüssel, ein­ge­bettet in die von den USA beherrschte NATO. Und auch Ost­europa wäre jetzt fried­licher, würde die Ukraine auf die ebenso wenig wie Russland „fried­fertige“ NATO ver­zichten. Beide Blöcke, ver­führt von den USA und Russland, stehen nach 1990 für jeweils 21 bewaffnete Konflikte/Kriege in der Welt. In Ost­europa könnten jetzt weniger Men­schen sterben, wenn Deutschland es Russland gleichtun und die beiden Volks­re­pu­bliken sowie die Autonome Republik Krim aner­kennen würde, wie es damals durch Gen­scher für den Balkan geschah. Mit einem Unter­schied: Jene Aner­kennung war der Auftakt eines Krieges; die jetzige Aner­kennung könnte zur Been­digung eines Krieges beitragen.

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