US-Army Ausbilder in der Ukraine. Qielle: nara.getarchive, public domain

Ukraine-Krieg: Die Ver­hand­lungen laufen – was bedeutet „Neu­tra­lität“?

In Istanbul sitzen die Par­teien gegenüber. Man will ver­handeln. Die rus­si­schen und ukrai­ni­schen Dele­ga­tionen jeweils auf beiden Seiten des Tisches. Es gibt Hoffnung, aber die genauen Inhalte dieser Begriffe in Bezug auf die Ukraine müssen noch zäh aus­ge­handelt werden. Dabei brachte Russland selbst die Bei­spiele Schwedens und Öster­reichs. Beide Länder gehören der EU an, jedoch nicht der NATO. Aber was sagt uns die Ver­hand­lungs­be­reit­schaft beider Seiten?

Schenkt man den west­lichen Medien Glauben, was schon etwas naiv wäre, denn im Krieg lügen alle Seiten, dann hat der rus­sische Prä­sident Wla­dimir Putin sich in seiner irren Wut ver­ga­lop­piert, die rus­sische Armee steht kurz vor dem Zusam­men­bruch, die rus­si­schen Panzer sind nur Schrott, die Ukrainer stehen wie ein Mann hinter dem ukrai­ni­schen Prä­si­denten Wolo­dymyr Selenskij, der ein wahrer Volksheld und furcht­loser Kämpfer ist und nur eine Arm­länge ent­fernt vom Sieg. Alle Ukrainer kämpfen heroisch gegen die Über­macht des bösen Russen und in Russland kratzen die Men­schen den Kitt aus den Fens­ter­rahmen, weil das Land kurz vor dem Ver­hungern ist und ein Volks­auf­stand der Russen gegen Prä­sident Putin nur eine Frage der Zeit.

Nun ja, Kriegs­pro­pa­ganda. Natürlich geht die Sache nicht spurlos an der bedau­erns­werten, rus­si­schen Bevöl­kerung vorbei, wie immer im Krieg. Bisher ist es aber nur eine dras­tische Abwertung des Rubels, der das Leben ver­teuert. Hier in der EU hat eine ähn­liche Ent­wicklung ein­ge­setzt: Mehl und Speiseöl ist jetzt schon nicht mehr zu bekommen, nicht nur teuer zu kaufen – gar nicht mehr. Wenn das Gas nicht mehr aus Russland kommt, beginnt hier das Zäh­ne­klappern, falls der Kli­ma­wandel uns nicht mit sehr milden Tem­pe­ra­turen rettet. Das werden die rus­si­schen Medien dann ausschlachten.

Die ukrai­nische Bevöl­kerung ist es, die am aller­meisten leidet. Die Ukrainer werden schlicht ver­heizt im Spiel der Super­mächte. Geo­po­litik ist tödlich. Die Ukraine hat das furchtbare Pech, genau zwi­schen den beiden Welt­macht­blöcken zu sitzen und dazu noch eine saftige Beute zu sein.

Es ist gut, dass über ein Ende des Krieges  —  oder im rus­si­schen Wording der „mili­tä­ri­schen Spe­zi­al­ope­ration“  —  ver­handelt wird. Betrachtet man jedoch die Ver­hand­lungs­punkte, zeigt sich, dass es genau die sind, die der rus­sische Prä­sident Putin schon vor dem Ein­marsch in die Ukraine als For­derung for­mu­lierte. Und auf die der „Westen“ und der dem WEF sehr nahe­ste­hende ukrai­nische Prä­sident Selenskij kei­nes­falls ein­gehen wollten.

- Neu­tra­lität der Ukraine

- Ent­na­zi­fi­zierung und Demi­li­ta­ri­sierung der Ukraine

- Die Aner­kennung der Donbass-Repu­bliken als unab­hängige, sou­veräne Staaten

- Die Aner­kennung der rus­si­schen Sou­ve­rä­nität der Krim

Jetzt, so ganz plötzlich vor dem ver­nich­tenden Sieg gegen Russland, kann über diese Punkte eben doch ver­handelt werden? Was sagt uns das?

Sub­tra­hieren wir den ganzen Thea­ter­donner, sagt es uns, dass die Mär vom zusam­men­bre­chenden rus­si­schen Ein­marsch, vom wahn­sinnig gewor­denen „bösen Putin“, von einer demo­ra­li­sierten, massiv dezi­mierten rus­sische Truppe und daher eines kom­pletten, mili­tä­ri­schen Fehl­schlages nicht stimmt. Wie die Lage wirklich und exakt ist, wissen wahr­scheinlich nur der rus­sische Gene­ralstab sowie der ukrai­nische Gene­ralstab, das weiße Haus und die füh­renden Köpfe der NATO. Nur eins ist sicher: Würde die Pro­pa­ganda stimmen, säße man nicht in Istanbul am Ver­hand­lungs­tisch und ließe sich jetzt auf Ver­hand­lungen zu den For­de­rungen des „wahn­sin­nigen Putins“ ein, die er schon vor dem Ein­marsch mehrfach gestellt hatte und arrogant abge­bürstet wurde.

Der „Tages­spiegel“ berichtet:

„Der ukrai­nische Prä­sident Wolo­dymyr Selenskyj ist bei Sicher­heits­ga­rantien durch dritte Par­teien bereit, im Rahmen von Frie­dens­ver­hand­lungen mit Russland über einen neu­tralen Status seines Landes zu sprechen. Dieser müsse aber später zur Abstimmung gestellt werden, sagt Selenskyj in einer Video­bot­schaft. ‚Sicher­heits­ga­rantien und Neu­tra­lität, nicht-nuklearer Status unseres Landes. Wir sind dazu bereit. Das ist der wich­tigste Punkt‘, ergänzt Selenskyj.“ 

Jetzt, auf einmal, da geht es. Wie viele Leben hätte man gerettet, wie viel Leid der Menschheit und in erster Linie der Ukraine erspart, wenn die USA die ver­nünftige For­derung nach Neu­tra­lität der Ukraine akzep­tiert hätten? Aber nein, da wurde getrickst und ver­schleppt und sogar das Ulti­matum aus Moskau igno­riert. Es sah ganz so aus, als wollte man Prä­sident Putin zum Handeln zwingen. Was er dann auch tat. Es schaut also eher so aus, als habe die NATO sich massiv ver­rechnet, ins­be­sondere, was die Kol­la­te­ral­schäden betrifft.

Die Ukraine bietet also jetzt die Neu­tra­lität an. Die Ukraine „sei bereit, ihren neu­tralen Status zu akzep­tieren“. Im Gegenzug fordert die Ukraine Sicher­heits­ga­rantien der wich­tigsten NATO-Länder. Sogar in der Frage des alten Zank­apfels „Krim“ gibt es Bewegung, schreibt das Redak­ti­ons­netzwerk Deutschland (rnd):

„Bei den Gesprächen in Istanbul soll die Ukraine ange­boten haben, über die Zukunft der Krim Ver­hand­lungen über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren zu akzep­tieren. (…) Zudem sei die Ukraine angeblich bereit, einen neu­tralen Status zu akzep­tieren, wenn es Sicher­heits­ga­rantien ver­schie­dener Staaten für den Fall eines erneuten rus­si­schen Angriffs geben sollte. Das berichtete auch die Nach­rich­ten­agentur Reuters.“

Der rus­sische Unter­händler Wla­dimir Medinski sprach am Dienstag von kon­struk­tiven Gesprächen.

Was die Krim betrifft, sollen Ver­hand­lungen darüber statt­finden —  in den nächsten 15 Jahren. Während dieser Zeit sollen beide Seiten auf mili­tä­rische Gewalt ver­zichten. Ob Moskau darauf ein­gehen wird, scheint fraglich. Wenn es diesen Ver­hand­lungen zustimmt, würde das bedeuten, dass Moskau mög­li­cher­weise seine Position aufgibt, dass die Krim unver­han­delbar und voll­kommen zu Recht rus­sisch ist. Ande­rer­seits könnte Russland in diesen Ver­hand­lungen auch erreichen wollen, dass die Ukraine zumindest für die nächsten fünfzehn Jahre auf eine mili­tä­rische Rück­eroberung ver­zichtet. Was ein hohes Ver­trauen Moskaus in die Wort­treue der Ukraine bedeutet.

Weiter steht in den Ver­ein­ba­rungen im Raum, dass die Ukraine der EU bei­treten kann. Da Russland von sich aus als Bei­spiel für ein Neu­tra­li­täts­modell Schweden und Öster­reich nannte, die beide in der EU, jedoch nicht in der NATO sind, könnte dieser Punkt schnell abge­handelt sein.

Es kommt Bewegung in die Ver­hand­lungen, was hoffen lässt.
Einen Dritten Welt­krieg kann niemand wollen.