Seit kurzem wird in Deutschland über die Verfassungsmäßigkeit einer zusätzlichen staatlichen Kreditaufnahme in Höhe von 60 Milliarden Euro diskutiert. Die Kreditaufnahme ist umstritten, weil Deutschland eine verfassungsmäßige Schuldenbremse hat. Die Schuldenbremse begrenzt die Möglichkeit des Staates, sich zu verschulden und zwingt ihn in normalen Zeiten zu einem ausgeglichenen Haushalt. In Notzeiten jedoch erlaubt die Schuldenbremse Ausnahmen und höhere Defizite, um die Notlage zu bekämpfen. So ist es nicht verwunderlich, dass zur Bewältigung der Coronakrise enorme Summen an Schulden aufgenommen wurden.
(von Philipp Bagus)
Die Bundesregierung will einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine nicht genutzte Kreditaufnahmeermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro aus dem letzten Haushaltsjahr in einen Sonderfonds “Energie- und Klimafonds” überführt, obwohl die Klimaausgaben an sich nicht von der Schuldenbremse ausgenommen wären. Die Argumentation zur Begründung der Verfassungsmäßigkeit des Plans ist rein keynesianisch. Die Befürworter argumentieren, dass der Staat investieren oder entsprechende Subventionen bereitstellen muss, um im Zuge der Coronakrise private Investitionen zu aktivieren. Die Ausgaben sollen die Wirtschaft ankurbeln. Auf diese Weise sollen Einkommen und Arbeitsplätze gerettet oder gesichert werden. Und wenn es schon ein keynesianisches Konjunkturprogramm zur Überwindung der Coronakrise geben muss, warum dann nicht die Steuergelder für “grüne Projekte” ausgeben? Dann wären es auch sinnvolle Projekte, so die Befürworter. Grüne Ausgaben zur Bewältigung einer Notlage – wer sollte da dagegen sein?
Staatliche Investitionen zur Bewältigung der Coronakrise
Lassen Sie uns die keynesianische Begründung zur Umgehung der deutschen Schuldenbremse diskutieren. Im Falle des vorliegenden Gesetzentwurfs werden die zusätzlichen Staatsausgaben durch eine höhere Verschuldung von 60 Milliarden Euro finanziert. Die Europäische Zentralbank und das europäische Bankensystem werden diese Schulden aller Voraussicht nach monetarisieren (d.h. die Geldmenge wird steigen). Die neue Kaufkraft wird es der deutschen Regierung ermöglichen, von Produktionsfaktoren zu profitieren und sie für Klimaprojekte einzusetzen. Diese von der Regierung absorbierten Produktionsfaktoren stehen somit nicht mehr für alternative Projekte zur Verfügung. Mit anderen Worten: Eine Kaufkraft von 60 Milliarden Euro wird der Zivilgesellschaft entzogen und steht nicht mehr für privatwirtschaftliche Projekte zur Verfügung.
Die zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 60 Milliarden Euro treiben die Preise der Produktionsfaktoren in die Höhe. Die Produktionsfaktoren werden teurer, als sie es ohne die zusätzlichen Staatsausgaben wären. Dadurch steigen die Kosten für private Unternehmen, die höhere Löhne, Energiepreise und andere Kosten zahlen müssen. Projekte, die bei niedrigeren Kosten für Energie, Löhne und andere Inputfaktoren rentabel gewesen wären, werden dank der zusätzlichen Staatsausgaben in Höhe von 60 Milliarden Euro nicht mehr rentabel sein.
Folglich gibt es mehr staatlich gewollte Projekte und weniger privatwirtschaftliche Projekte. Die direkten Nutznießer sind die Unternehmen, die durch die staatliche Förderung begünstigt werden. Die Verlierer sind die Unternehmer, die ihre Projekte aufgrund der höheren Kosten nicht mehr realisieren können, und ihre potenziellen Kunden. Den sichtbaren Projekten, die durch die Subvention gefördert werden, stehen verhinderte, nicht sichtbare Projekte gegenüber. Die geförderten Klimaprojekte werden sichtbar sein, die verhinderten Projekte werden unbekannt bleiben.
Am wichtigsten ist, dass die zusätzlichen Staatsausgaben den Unternehmen, die mit der Coronakrise zu kämpfen haben, nicht helfen werden. Stellen Sie sich einen Restaurantbesitzer vor, der wegen 2G+ und anderer Einschränkungen Umsatzeinbußen hinnehmen muss. Es nützt ihm überhaupt nichts, dass irgendein Klimaprojekt subventioniert wird. Was er braucht, ist die Abschaffung der Corona-Beschränkungen. Oder stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das Probleme mit der Lieferkette hat. Mikrochips kommen nicht an, weil sie in chinesischen Häfen nicht in Container verladen werden. Dieses angeschlagene Unternehmen profitiert auch nicht von der Subventionierung grüner Projekte. Die Klimaprojekte bringen die benötigten Mikrochips ja nicht. Im Gegenteil, wenn diese neuen grünen Projekte in Gang kommen, werden sie wahrscheinlich genau die gleichen Produktionsfaktoren nachfragen, die das angeschlagene Unternehmen benötigt, u.a. Mikrochips. Der Engpass wird größer, ebenso wie der Preis der Produktionsfaktoren, die das angeschlagene Unternehmen benötigt.
Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es keinen Zusammenhang zwischen zusätzlichen Staatsausgaben und der Überwindung der wirtschaftlichen Folgen des Corona-Notstands. Öffentliche Investitionen und Subventionen sind weit davon entfernt, nachhaltige private Investitionen auszulösen, sondern schrecken diese ab, indem sie die Kosten für die Unternehmen erhöhen. Statt in private, von den Verbrauchern gewünschte Projekte fließen die Mittel zunehmend in staatlich gewünschte und geschützte Projekte. Um das selbstgesteckte Ziel des Gesetzentwurfs zu erreichen und Deutschland schnell auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen, wäre es sinnvoller, die Staatsausgaben und Steuern zu senken. Dadurch würden der Privatwirtschaft Ressourcen zur Verfügung gestellt, die derzeit vom Staat abgegriffen werden.
Darüber hinaus wäre eine umfassende Liberalisierung hilfreich. Eine weitreichende Deregulierung würde Projekte ermöglichen, die derzeit durch Restriktionen verhindert werden, und würde für einen kräftigen Aufschwung sorgen. Allein die Aufhebung der Corona-Beschränkungen würde helfen, das Wachstum ganz ohne Notverschuldung anzukurbeln.
Staatliches Ressourcenmanagement und Verbraucherpräferenzen
Nun könnte man argumentieren, dass es wichtig ist, dass der Staat entscheidet, welche Projekte mit den verfügbaren Produktionsfaktoren durchgeführt werden und welche Branchen florieren und welche nicht. Dies bedeutet, dass die Verbraucher nicht mehr über die Verwendung der Ressourcen (in Höhe von 60 Milliarden Euro) entscheiden können, wie es in einer Marktwirtschaft der Fall wäre. In einer Marktwirtschaft versuchen die Unternehmer, die dringendsten Bedürfnisse der Verbraucher zu antizipieren und ihre Ressourcen entsprechend zu verteilen. Die Unternehmer konkurrieren mit ihren Konkurrenten um den besten Einsatz der Ressourcen zur Befriedigung der Verbraucherbedürfnisse, um immer bessere Produkte zu immer niedrigeren Preisen herzustellen. Wenn sie erfolgreich sind, werden sie mit Gewinnen belohnt. Wenn sie scheitern, erleiden sie Verluste.
In einer Planwirtschaft hingegen entscheiden Politiker und Bürokraten, wie die Ressourcen eingesetzt werden und welche Projekte sich lohnen. Dies führt zu Anreiz- und Informationsproblemen. Politikern und Bürokraten fehlt der Anreiz, effizient im Interesse der Verbraucher zu handeln. Bürokraten setzen nicht ihr eigenes Kapital ein, um Gewinne zu erzielen und Verluste zu vermeiden, sondern verwenden das Geld der Steuerzahler. Politiker haben nur die nächste Wahl im Kopf. Sie sind vom Marktwettbewerb abgeschottet, der die Marktteilnehmer zu Innovation und Sparsamkeit zwingt.
Neben dem Anreizproblem wiegt das Wissens- oder Kalkulationsproblem noch schwerer. Aus der unendlichen Zahl der denkbaren Projekte, die mit den verfügbaren Mitteln durchgeführt werden könnten, sollten diejenigen ausgewählt werden, die für die Bürger am dringendsten oder wichtigsten sind. Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsprozess, der dieses Wissen darüber, was am dringendsten ist, dynamisch über Marktpreise erzeugt. Im Gegensatz dazu entscheiden Politiker die Frage der wichtigsten Projekte (in diesem Fall “grüne Projekte”) nach ihren Präferenzen, also willkürlich. Nach Friedrich A. von Hayek kann der Glaube, der Staat wisse am besten, wo zu investieren sei, als fatale Einbildung bezeichnet werden.
Implikationen für die Staatsschuldenkrise und den Euro
Alle EU-Mitgliedsstaaten – viele in größerem Umfang als Deutschland – emittieren neue Schulden, die von der Europäischen Zentralbank aufgekauft und monetarisiert werden. Da im innereuropäischen monetären Umverteilungsprozess derjenige Staat im Nachteil ist, der sich weniger verschuldet als die anderen Mitgliedsstaaten, könnte man meinen, dass nun Deutschland an der Reihe sei, sich zu verschulden.
Es liegt jedoch in der Verantwortung Deutschlands, mit gutem Beispiel voranzugehen. In der Eurozone hat Deutschland mit seiner Abneigung gegen Inflation und Defizite die Finanzpolitik der anderen Staaten gebremst. Zugegeben, die deutsche Bremse war mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber sie war immer da. Wenn die deutsche Bremse für die Staatsdefizite in der Eurozone wegfällt, wenn Deutschland selbst zu Tricks greift, um fiskalpolitische Regeln zu umgehen, sich aktiv auf einen Schuldenwettlauf einlässt und seine Autorität verliert, besteht die Gefahr, dass Staatsausgaben, Staatsdefizite und Inflation in der Eurozone (noch mehr) außer Kontrolle geraten.
Die deutsche Ausstiegsoption aus dem Euro – wenn nicht explizit, so doch zumindest implizit – hat die südlichen Mitgliedstaaten diszipliniert, sie in gewissen Grenzen gehalten und damit – paradoxerweise – den Zusammenhalt der Eurozone ermöglicht. Damit diese bescheidene Disziplin fortbestehen kann, muss eine Ausstiegsoption für Deutschland aus dem Euroraum glaubwürdig bleiben. Ein deutscher Austritt aus dem Euroraum kann aber nur dann realistisch bleiben und politisch verteidigt werden, wenn Deutschland nachweisen kann, dass es sich an die fiskalpolitischen Regeln gehalten und die Defizite minimiert hat, während die anderen Staaten genau das nicht getan haben. Deutschland könnte dann den Austritt aus dem Euro mit dem Wunsch nach einer stabileren Währung begründen. Eine Währung, wie sie innerhalb des Euroraums nicht möglich ist. Wenn Deutschland hingegen den Weg des Nachtragshaushalts geht, 60 Milliarden Euro neue Schulden und den Schuldenwettlauf verursacht, dann funktioniert diese Argumentation nicht mehr und die Tür des Austritts schließt sich.
Fazit
Die Erhöhung der deutschen Staatsausgaben mildert die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise nicht, wie keynesianische Ökonomen behaupten. Im Gegenteil, sie reduziert die Mittel, die für echte Privatinitiativen zur Verfügung stehen. Außerdem trägt sie zum Schuldenwettlauf in der Eurozone bei und gefährdet damit die Zukunft der gemeinsamen Währung. Statt Konjunkturprogramme und Schulden zu machen, sollte die Regierung Steuern und Ausgaben senken und Beschränkungen abschaffen, um das Wirtschaftswachstum zu fördern.
Dieser Artikel erschien erstmalig am 19. Januar 2022 unter dem Titel Germany’s New Green Stimulus Plan Won’t Save Their Economy auf der Website des Mises Institute, Auburn, Alabama (US).
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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai 2014 ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen. Zuletzt erschienen, ebenfalls gemeinsam mit Andreas Marquart: Wir schaffen das – alleine!
Quelle: misesde.org
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