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Vera Lengsfeld: Nabucco und die Ukraine

Es gibt in Deutschland kaum beein­dru­ckendere Spielorte als die Dom­stufen zu Erfurt, auf denen seit 1994 die Dom­stu­fen­fest­spiele statt­finden. Dom und Seve­ri­kirche sind eine atem­be­rau­bende Kulisse, besonders, wenn es dunkel wird und sich die herr­lichen Bau­werke ange­strahlt vor einem schwarzen Ster­nen­himmel abzeichnen. Kein Wunder, dass Jahr für Jahr mehr Besucher ange­zogen werden. In diesem Jahr waren die zwei­tausend Plätze bei der Pre­miere von „Nabucco“ aus­ver­kauft. Wer gekommen war, um zu sehen, ob die neue Insze­nierung mit der gran­diosen „Jungfrau von Orleans“ vom letzten Jahr mit­halten kann, musste das bejahen.

Schon das Büh­nenbild (Peter Sykora) überzeugte:

Blaue Stufen, die an den Seiten von Wänden begrenzt sind, die von mit David­sternen geschmückten Türen durch­brochen werden, führen hinauf zu einer gol­denen Mauer, die den Jeru­sa­lemer Tempel sym­bo­li­siert, aber gleich­zeitig an die Kla­ge­mauer erinnert. An der Mauer prangt ein großer David­stern, der bei der Zer­störung Jeru­salems abge­rissen und zer­brochen wird.

Verdis früher Oper liegt eine Geschichte aus dem Alten Tes­tament zugrunde. Der baby­lo­nische König Nebu­kad­nezar II, Nabucco, belagert und erobert Jeru­salem. „Ich werde euch alle vernichten!“

Dieser Spruch erscheint vor Beginn des Spiels auf den Moni­toren mit der Ergänzung: Nabucco/ Putin.

Während der Ouvertüre öffnen sich die Sei­ten­türen und weiß gekleidete Hebräer füllen die Bühne. Trotz der Bedrohung wird eine Hochzeit gefeiert. Die Braut schreitet auf den Hoch­zeits­bal­dachin zu und geht mehrmals um den Bräu­tigam herum, ehe die beiden vom Hohe­priester Zac­caria getraut werden. Eine Szene aus dem tiefsten Frieden, in die der Neffe des Königs Ismaele mit der Nach­richt her­ein­platzt, dass Nabucco mir seinen assy­ri­schen Söldnern die Heilige Stadt angreift.

Fenena, die Tochter Nabuccos, befindet sich unter den Hebräern und soll als Geisel dienen, was Ismaele aber ver­hindert. Die Assyrer, ganz in Schwarz, das Sykora, der auch für die Kostüme ver­ant­wortlich zeichnet, bewusst gewählt hat. Schwarz ist die Farbe der Extre­misten, aktuell des IS oder des Schwarzen Blocks. Die Baby­lonier werden als Anhänger einer extre­mis­ti­schen Ideo­logie gedeutet, die den Gott Baal ver­ehren und den Glauben an andere Götter als Häresie ver­ur­teilen. Sie unter­werfen die Hebräer, zer­brechen den David­stern, die Mauer zer­reißt, wie einst der Vorhang im Tempel von Jerusalem.

Am Ende des ersten Teils wird ein Metallzaun á la DDR – Grenze vor die Bühne geschoben. Man wird erst jetzt richtig gewahr, dass so ein Zaun auch die Seiten des Büh­nen­bildes begrenzt. Die Hebräer sind Gefangene.

Im zweiten Teil steht im Mau­erriss eine Statue von Baal, die Sykora der Pro­me­theus Skulptur nach­ge­bildet hat, die Arnold Breker 1937 für den Garten des Goeb­bels­schen Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­riums ange­fertigt hat. So wird aus dem Göt­zenbild Baal ein Sinnbild für eine ras­sis­tische und anti­se­mi­tische Ideo­logie. Sykora schien diese Figur, „die das Feuer schwingt, wie eine Hand­granate“ ideal dafür.

Neben dem Thema Macht und Unter­werfung spielt im Stück auch die Liebe eine Rolle: Ismaele wird außer von Fenena auch von deren schein­barer Schwester Abi­gaille geliebt. Eine der anrüh­rendsten Szenen ist die, in der Abi­gaille in einer Arie ihre hoff­nungslose Liebe beklagt. Sie wirkt in diesem Augen­blick nicht wie die macht­gierige, mör­de­rische Frau, die skru­pellos nach der Krone ihres Vaters greift und dafür ihre Schwester töten will, sondern ver­letzlich und schutz­be­dürftig. Verdi hat in seiner Musik die Figur der Abi­gaille kom­plexer angelegt, als viele ihrer spä­teren Inter­preten wahr­ge­nommen haben. Das die Erfurter Insze­nierung, bewusst oder unbe­wusst diese Viel­schich­tigkeit her­aus­ge­ar­beitet hat, ist eine ihrer großen Stärken.

Verdis Oper ist über­wiegend ein Chor­stück. Berühmt wurde sie für den Chor der gefan­genen Hebräer, Va pesiero“, der zum Frei­heitschor und sogar zur inof­fi­zi­ellen Natio­nal­hymne Ita­liens avan­cierte. Auf den Dom­stufen singt der Chor diese Hymne erst als Bestandteil der Handlung. Dann werden Dom und Seve­ri­kirche in Blau und Gelb ange­strahlt, der Chor zieht aus seinen Gewändern blau-gelbe Schals, legt sie sich um und beginnt die Hymne von vorn.

Das ich mich spontan erin­nerte, wie im März dieses Jahres die Sänger der Oper des bela­gerten Odessa auf dem Vor­platz, in unmit­tel­barer Nähe von Stra­ßen­sperren und Schutz­wällen „Va pen­siero“ als Zeichen ihres Wider­stands­willens sangen, war beab­sichtigt, wie ich später im Pro­grammheft nachlas.

Die Sym­bolik in Erfurt funk­tio­nierte. Viele Zuschauer summten die Melodie mit, jeden­falls so lange es beim ein­stim­migen Uni­sonso-Gesang blieb, bis das sechs­stimmige For­tis­si­mosie ver­stummen ließ.

Es war einer dieser Gän­sehaut-Momente, die lange im Gedächtnis bleiben. Man kann Bot­schaften auch subtil, ohne platten Agit-Prop unter die Leute bringen. Diese seltene Gabe besitzt Regisseur Guy Mon­tavon, der gleich­zeitig Intendant des Theaters Erfurt und Leiter der Fest­spiele ist.

Zum Schluss noch ein Wort zum Orchester. Coro­nabe­dingt war bei der „Jungfrau von Orleans“ ent­schieden worden, dass das Orchester im Großen Haus Platz nahm, wo es sich frei ent­falten konnte. Mit modernster Glas­fa­ser­technik wurde der Ton auf den Dom­platz über­tragen. Das Zusam­men­spiel zwi­schen Orchester und Sängern klappte her­vor­ragend, so auch bei dieser Insze­nierung. Als der Dirigent Myron Michailidis am Ende der Vor­stellung mit einer weißen Elek­tro­li­mousine vorfuhr, löste das einen zusätz­lichen Begeis­te­rungs­sturm aus. Auch Skep­tiker aus meiner Sitz­nach­bar­schaft waren am Ende über­zeugt, ja begeistert.

Auf nach Erfurt! Auch in diesem Jahr sind die Dom­fest­spiele etwas, das man nicht ver­passen sollte.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de