Eindrücke einer Wochen-Stippvisite nach drei Jahren Auszeit — Die Missstände häufen sich, Störungsbeseitigung ist Routine — Überall ein „teures Pflaster“, weil oder trotz Schuldenorgie?
(von Albrecht Künstle)
Der Autor verbrachte 25 Jahre lang seinen Tauchurlaub in Südfrankreich. Doch scheint auf der Halbinsel Giens vor Hyères die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Straßen werden zwar noch immer von Palmen gesäumt, aber sie, als auch die Straßen selbst, sehen sehr „mitgenommenen“ aus. Die einst prächtigen Kronen der Palmen sind in der unteren Hälfte braun. Vielleicht liegt es daran, dass um die Stämme herum teilweise die wasserdurchlässigen Pflastersteine durch Flüssigbeton ersetzt wurden.
An den Straßen sind Geh- und Radwege entlang der Gräben immer noch unbefestigt – sofern überhaupt vorhanden. In diesen Gräben landete schon mancher Radfahrer, weil sich alle den Platz auf dem nicht befestigten Randstreifen teilen müssen, obwohl die Gräben problemlos verdolt und darüber Fuß- und Radwege angelegt werden könnten – wenn auch die Kurtaxen dem eigentlichen Zweck zugeführt würden.
Die Barrikaden in Frankreich werden immer mehr und höher. Nicht etwa wie die „Barrikaden von Paris“ vor 55 Jahren. Gemein(t) sind die Barrikaden auf französischen Straßen – außer auf Autobahnen. Dabei handelt es sich um asphaltierte Querschwellen von bis zu 20 cm Höhe, mit denen man Autofahrer schikaniert oder gar umbringt, je nachdem wie sie drüberfahren. Der französische Volksmund nennt sie „schlafende Polizisten“, die Autofahrer auf Schrittgeschwindigkeit herunterzwingen. Dass die Fahrzeuge danach auch wieder beschleunigen müssen, wird offensichtlich nicht bedacht. Das kostet viel Energie, wie auch der Bau dieser Barrikaden Energie benötigte. Ob dieser Energiebedarf durch weniger Hirnenergie der Verkehrsstrategen kompensiert wird?
In unserer Viersterne-Ferienanlage angekommen, wunderten wir uns, dass wir nur einen einzigen Schlüssel erhielten. Die Gründe sind rätselhaft. Jedenfalls bereitete dieses Reglement für drei Personen aus zwei Familien erhebliche Probleme. Für das Internet knöpfte man uns 20 Euro für sieben Tage ab, obwohl es laut Google-Earth kostenfrei sein soll. Obendrein war das WLAN so schwach, dass es nur im Freien richtig funktionierte, innerhalb der Wohnung bei geschlossener Tür leistete es nur hin und wieder, was es soll.
Abends wollten wir uns dann TV-Nachrichten anschauen, welche weiteren Katastrophen die Bundesregierung unserer Heimat schon wieder losgetreten hat. Doch es gab leider keinen einzigen deutschen Sender. Und das in einer Anlage mit dem Beinamen „International“! Als ich so etwas vor Jahren in Andalusien erleben musste, nahm mir vor, das Land nicht mehr zu besuchen – und hielt mich bis heute dran. Das kann auch Frankreich blühen.
Ausstattung: Der für ein Erdgeschoss wichtige Rollladen tat alles, nur nicht schließen. Die Launen der Waschmaschine waren der Rezeption wohl bekannt, der Techniker wusste jedenfalls, wo das Problem liegt. Und dann fiel auch noch die Klimaanlage aus. Ob der französische Wirtschafts- und Energieminister Habeckque heißt? Und dann das Inventar: So ziemlich alles vorhanden, nur keine Weingläser, nur dickwandige Wassergläser. Frankreich, wo bleibt deine Kultur?
Ein ganz mit Holz ausgekleidetes Schlafgemach ohne Fenster unter dem flachen Dach war nur über eine 60 Grad steile hölzerne Leitertreppe zu erreichen. Man hätte sich dort zwar schlafen legen können, aber nicht mehr aufstehen, ohne sich den Kopf anzustoßen. Deshalb gab es dort auch keinen Kleiderschrank. Die Dachluke maß ca. 40 x 50 cm, weshalb es bei einem Brand kein Entrinnen gäbe. Meine Mitreisenden zogen es deshalb vor, auf die Schlafcouch im Erdgeschoss auszuweichen.
Lobenswert: Die Mängelbeseitigungen erfolgten immer prompt. Was darauf schließen lässt, dass häufig Mängel auftreten und deren Behebung Routinesache wurde. So setzte ein einziger Tag Regen, den extern im Freien angebrachte Schaltkasten für das Appartement außer Gefecht.
Einkaufen ein Abendteuer. Weil wir erst am Samstagabend ankamen, wollten wir am Sonntag einkaufen, denn die Öffnungszeiten waren so angegeben: 7/7 von 6 Uhr bis Mitternacht (Minuit). Wir kamen kurz vor 12 Uhr mittags in einen großen Supermarché und wunderten uns, dass das Personal mit Absperrbändern unterwegs war. Dann eine unverständliche Durchsage in Französisch. Wenig später wurden wir vom Personal unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht, dass der Laden gleich geschlossen würde.
An der Kasse angekommen wurde alles an Wein und Bier beschlagnahmt. Den Rest durften wir behalten bzw. bezahlen. Des Rätsels Lösung: Die französische Regierung hat den Alkoholverkauf sonntags ab 12 Uhr gesetzlich untersagt. Der Einzelhandel muss mit der aufwändigen Organisation dieser neuartigen Prohibition klarkommen. Also am Montag noch einmal hinfahren, immerhin ist der Sprit hier billig. Sollten wir dieses Land noch einmal buchen, werden wir den Wein mitbringen.
Die Preise für Lebensmittel sind jenseits von Gut und Böse. Wer hat noch nicht davon gehört, dass die Franzosen für ihre Ernährung mehr Geld ausgeben würden als wir? Aber vor Ort ist festzustellen, dass sie gar keine andere Wahl haben. Denn im Durschnitt dürften die Lebenshaltungskosten gefühlt um die Hälfte höher sein als bei uns. Für Gaststättenbesuche galt das schon lange. Doch statista weist für Frankreich nur geringfügig höhere Lebenshaltungskosten aus. Vielleicht langen die Franzosen nur in Touristenregionen so gnadenlos zu? Dann könnten wir uns mit Autobahngebühren revanchieren. Wir zahlten für 770 km französische Autobahn 62 Euro Gebühren, also acht Euro auf 100 km, zusätzlich zum wenn auch günstigen Sprit.
Welches Fazit ist zu ziehen? Fortschritte sind in den letzten zehn Jahren nicht festzustellen, eher das Gegenteil. Der Abstieg ist unverkennbar, was auch für die Staatsverschuldung gilt. Frankreich führt die Schulden-Hitliste an mit 2,9 Billionen Euro, gefolgt von Italien und unserem Deutschland mit 2,5 Billionen Euro. Auch in der Prokopf-Verschuldung rangierten die Franzosen mit über 32 000 Euro (schon 2016) auf dem fünften Platz. Und die Zukunft Frankreichs sieht noch schwindelerregender aus. Griechenland wird das europäische Haus nicht zum Einsturz bringen.
Leider muss man konstatieren, Frankreich geht, was den Abstieg in Europa betrifft, unserem Deutschland voran. Wer in unsere Zukunft blicken will, schaue sich die Gegenwart in Frankreich an. Beim Abschied fiel mir dazu ein Chanson von Charles Aznavour ein: „… du lässt dich geh‘n, du lässt dich geh’n“. In welchem er seine ehemals Geliebte besang, die nichts mehr auf sich hielt. Ein ähnlicher Abgesang würde auch auf jenes Frankreich passen, wie ich es noch kannte.
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