Hypo­the­ken­zinsen schießen hoch: Bauen ist nicht mehr bezahlbar – Bau­branche, Immo-Fonds und Banken rut­schen in die Katastrophe

Die Zins­er­hö­hungen zur Ein­dämmung der Inflation ziehen eine Spur der Ver­wüstung durch die Wirt­schaft. Ein Sektor ist die Bau­branche – und da am schlimmsten im Woh­nungsbau. Während ein wieder einmal unge­re­gelter Zustrom von Migranten in Europa kaum noch unter­zu­bringen ist, stürzt die Nach­frage nach Immo­bi­li­en­kre­diten ab. Das bringt die Bau­branche und die Banken in Pro­bleme. Und für viele junge Familien zer­platzt der Traum vom Eigenheim.

Sowohl der Traum vom Kauf als auch der Bau eines eigenen Hauses ist für viele aus­ge­träumt. Es ist einfach nicht mehr zu stemmen: Das Minenfeld von deutlich gestie­genen Lebens­hal­tungs­kosten, gestie­genen Bau­preisen wegen Lie­fer­pro­blemen und fast ver­vier­fachten Kre­dit­zinsen zu betreten ist wirt­schaft­licher Selbstmord. Das bedeutet nicht nur, dass der Traum vom Eigenheim für viele platzt, es bedeutet auch den Verlust eines großen Teils des Kre­dit­ge­schäftes für die Banken und einen schmerz­haften Ein­bruch in der Baubranche.

Der Ein­bruch bei den Bau­fi­nan­zie­rungen durch die Banken ist kata­strophal: Das Neu­ge­schäft mit Immo­bi­li­en­fi­nan­zierung für Pri­vat­haus­halte und Selb­ständige ist bereits im Sep­tember sofort nach Zins­er­höhung um 28 Prozent im Ver­gleich zum Vor­monat ein­ge­brochen. Der Spiegel zitiert hierzu die Bera­tungs­firma Barkow Con­sulting: „Mit einem Volumen von16,1 Mil­li­arden Euro liege das Neu­ge­schäft auf dem nied­rigsten Stand seit 2014.“ Das ist aber nur die halbe Misere: Auch dieses Neu­ge­schäft ist kein echtes.

Zu berück­sich­tigen ist hierbei, dass das von der EZB bzw. Deut­schen Bun­desbank aus­ge­wiesene Neu­ge­schäft sowohl aus Verlängerungen/Neuverhandlungen bereits bestehender Finan­zie­rungen als auch erstmals abge­schlos­senen Kre­diten besteht. Letztere werden nicht separat als Neu­ge­schäft ausgewiesen.“

Es handelt sich also um einen echten Ein­bruch auf diesem, für eine Volks­wirt­schaft wich­tigen Gebiet. Die Leute spitzen den Blei­stift und rechnen, wie viel ihnen zum Leben bleiben würde, wenn sie ihr Bau­vor­haben unter den gegen­wär­tigen Vor­zeichen durch­führen würden. Berück­sichtigt man dabei auch noch, dass die Rezession ein Unter­nehmen nach dem anderen in die Insolvenz treibt  — oder sie „einfach auf­hören zu pro­du­zieren“ oder gezwungen werden abzu­wandern, sind auch die Jobs nicht mehr sicher. Dieses Risiko will niemand, der noch bei Ver­stand ist, ein­gehen. Der Spiegel zitiert Bran­chen­be­ob­achter: 

»Mit den stei­genden Zinsen haben viele Men­schen neu kal­ku­liert, sind bei der Immo­bilie Kom­pro­misse ein­ge­gangen oder haben vom Immo­bi­li­enkauf vorerst Abstand genommen«, hießt es etwa bei Interhyp. »Über alle Kanäle hinweg redu­ziert sich aktuell die Nach­frage am Markt«, sagte auch Michael Neumann, Vor­standschef bei Dr. Klein. Das Unter­nehmen Hüttig & Rompf beob­achtet »defi­nitiv eine deut­liche Ver­un­si­cherung bei den Ver­brau­chern und Immobilieninteressenten«

Die Zinsen haben sich in kurzer Zeit ver­vier­facht. Noch zu Beginn des Jahres lagen sie bei etwa ein Prozent, jetzt bereits bei vier Prozent und eine weitere Erhöhung ist wahr­scheinlich. Das klingt wenig, aber bei den Haus- und Bau­preisen ist ein Eigenheim kaum unter 300.000 € zu bekommen, wenn es ein „gebrauchtes“ Haus ist. Ein Neubau ist noch teurer. Die vier­fachen Zinsen machen jeden Monat Hun­derte Euro aus. Überdies ist es eine alte Erfahrung, dass die Bau­kosten regel­mäßig den Etat, den der Architekt und die Bau­firmen anbieten, sprengen. Etwa ein Drittel mehr ist keine Seltenheit.

Das ver­an­lasst die Banken, bei der Vergabe von Neu­kre­diten genau hin­zu­schauen, ob sie den bean­tragten Kredit geben wollen. Macht der Kunde keinen soliden Ein­druck, ist er beruflich in einer  kri­sen­an­fäl­ligen Branche tätig, oder Beamter mit so gut wie garan­tiertem Ein­kommen. Hat er noch „Luft“ in seinem monat­lichen Ein­kommen oder bringt ihn der Kredit an die Grenzen und es geht gerade so „Ober­kante Unterlippe“?

Die Preise ziehen aber auch hier noch einmal schmerzhaft an. Wichtige Bau­ma­te­rialien sind knapp und teuer geworden. Holz­balken zum Bei­spiel. Oder Zie­gel­steine und Dach­ziegel, die wegen der Gas­preise kaum noch zu bekommen oder irre teuer wurden. Denn Ziegel werden gebrannt. Auch die Her­stellung von Glas­scheiben ist ener­gie­in­tensiv und ein Fenster dem­entspre­chend teurer. Eine Weile waren Nägel Man­gelware, weil die zu einem sehr großen Teil aus Russland impor­tiert werden.

Kein Wunder, dass laut Ifo-Institut 16,7% der Bau­firmen jetzt auf stor­nierten Auf­trägen sitzen.

„Erreichte das Neu­ge­schäft bei Woh­nungs­bau­kre­diten deut­scher Banken an Pri­vat­haus­halte laut der Prü­fungs­ge­sell­schaft PwC im März noch ein All­zeithoch mit gut 32 Mil­li­arden Euro, ging es in den Fol­ge­mo­naten zurück und fiel im August auf 18,5 Mil­li­arden Euro.“ 

Die Banken sehen mit Besorgnis der Zukunft ent­gegen. Denn die Bau­fi­nan­zierung ist mit einem Anteil von 40 Prozent der größte Brocken im Kre­dit­ge­schäft. Nicht nur die Nach­frage ist auf­grund der Zins­er­hö­hungen „von einem Tag auf den anderen“ ein­ge­brochen. Viele geplante Haus­bau­pro­jekte wurden im Pla­nungs­stadium stor­niert. Der Vizechef der Deut­schen Bank, Karl von Rohr, sieht darin keine kurz­fristige „Delle“, die sich wieder aus­gleicht. Er ist sicher, „dass das Immo­bi­li­en­ge­schäft bran­chenweit nicht nur kurz­fristig, sondern auf mittlere Sicht schwächer aus­fallen wird“.

Noch nicht berück­sichtigt, aber erwartbar: Kre­dit­ver­träge werden in der Regel auf  zehn oder fünfzehn Jahre abge­schlossen. Die Kre­dit­nehmer, die noch alte Kre­dit­ver­träge zu sehr güns­tigen Kon­di­tionen haben, deren Anschluss­fi­nan­zierung neu aus­ge­handelt werden muss, werden jetzt deutlich höhere Abzah­lungen leisten müssen. Das ist eine große Zahl, die jetzt jedes Jahr bei den aktuell ablau­fenden Ver­trägen vor der Frage steht: Schaffen wir das oder müssen wir das Haus verkaufen?

Wenn das einen grö­ßeren Teil der Kredite treffen sollte, könnten wir eine Art Sub­prime-Crisis hier in Europa und darüber hinaus erleben. Wenn plötzlich viele Häuser auf den Markt kommen, weil die Abzah­lungen nicht mehr geleistet werden können, stürzen die Haus­preise ab und die Banken können bei den Ver­stei­ge­rungen nicht mehr die Preise erreichen, die sie brauchen. Was eine neue Ban­ken­krise los­treten könnte.

In Groß­bri­tannien ent­steht bereits Panik. Der Guardian berichtet, dass eine regel­rechte „Hor­ror­ge­schichte im Anmarsch“ sei, die in den kom­menden Monaten wüten wird: Auch hier sind die Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­rungen deutlich teurer geworden. Es hagelt dort Stor­nie­rungen von Bau­pro­jekten, weil eine durch­schnitt­liche Zwei­jahres-Hypothek satte 6,55 Prozent Zinsen kostet. Der Haus­verkauf und Neubau sind um fast 40 Prozent zurück­ge­gangen. Auch Anleger in Immo­bi­li­en­fonds bekommen kalte Füße. Sie ver­kaufen ihre Anteile im großen Stil. Allein bis Mitte Oktober wurden mehr als 100 Mil­lionen bri­tische Pfund aus ver­schie­denen Immo­bi­li­en­fonds abge­zogen. Dabei stehen auch die Fonds für Gewer­be­im­mo­bilien wegen der sprunghaft ange­stie­genen Kre­dit­kosten schon spürbar unter Druck. Eine giftige Gesamtlage. Das könnte sehr gut dazu führen, dass sich diese Fonds im grö­ßeren Stil Fonds­an­teile ver­kaufen müssen, was wie­derum die Haus­preise senken würde.

Zac Gauge, Leiter der euro­päi­schen Immo­bi­li­en­stra­tegie bei UBS, meint, es gibt eigentlich nur eine Mög­lichkeit: „Auf die eine oder andere Weise werden diese Ver­mö­gens­werte in einem Abwärts­markt ver­kauft werden müssen.“ Gauge und andere Immo­bi­li­en­ana­lysten gehen davon aus, dass die heute abge­schlos­senen Ver­käufe zu Werten erfolgen werden, die 20 Prozent bis 25 Prozent nied­riger sind als am Anfang des Jahres, bevor die Zinsen stiegen.“

Die Rating-Agentur „Moody’s“ stufte die wirt­schaft­liche Ent­wicklung Groß­bri­tan­niens von „stabil“ auf „negativ“ her­unter. 

Eine ähn­liche Ent­wicklung wird wohl auch in der EU ein­setzen. Die Aus­wir­kungen sind weit­rei­chend. Aller­dings könnten fal­lende Haus­preise aber auch wie­derum den­je­nigen zugu­te­kommen, die jetzt vor einer Kre­dit­auf­nahme zurück­ge­schreckt sind. In zwei Jahren dürfte der Traum vom Eigenheim auf­grund der gesun­kenen Haus­preise viel­leicht wesentlich leichter zu finan­zieren sein. Andere werden leider ihr Heim ver­lieren, was sie jah­relang abbe­zahlt haben, weil sie jetzt die Anschluss­fi­nan­zierung nicht mehr stemmen können.

Es besteht aber die Hoffnung, dass die Banken erfah­rungs­gemäß kein Interesse daran haben, die harte Tour zu fahren und diese Häuser auf den Markt zu werfen – und dadurch die Preise auf breiter Front in den Keller zu schicken. Damit geraten nur immer mehr Kredite unter Wasser und werden für die Banken unein­bringbar. Dass noch einmal eine Ban­ken­rettung im grö­ßeren Umfang machbar ist, darf bezweifelt werden. Wer glaubhaft zeigen kann, dass er in der Lage ist, einen Anschluss­kredit mit für beide Seiten annehm­baren Kon­di­tionen zu bedienen, dürfte die Zeit wahr­scheinlich überstehen.