Zank­apfel Bür­gergeld: Sind die paar Euro mehr wirklich ein Grund, nicht mehr zu arbeiten?

Seit es das neue Bür­gergeld gibt, streiten sich die Lager darum, ob damit nicht ein Anreiz geschaffen werde, sich in die viel­zi­tierte „soziale Hän­ge­matte zu legen“. Es kann aber nicht um die etwas über 50 Euro mehr im Monat gehen. Es ist vielmehr das Gesamt­paket an Leis­tungen worum es hier geht. Grund­sätzlich wissen Men­schen mit Hartz IV schon, wie knapp man da gehalten wird und dass das kein Zucker­schlecken ist. Letzt­endlich wissen wir aber auch aus unserem Bekannten- und Ver­wand­ten­kreis, dass es auf den­je­nigen selbst ankommt, was er draus macht.

Schon immer gab es die, die einfach auf nied­rigem Niveau „hartzen“, und deren einzige Form von Ehrgeiz es ist, alle Mög­lich­keiten aus­zu­reizen, noch irgendwie an zusätz­liche Pro­gramme mit Unter­stüt­zungs­zah­lungen zu kommen, Fort­bil­dungen mög­lichst arbeits-un-intensiv zu gestalten, unter der Hand doch noch was irgendwo an Geld zu ergattern, mög­lichst schwarz. Das haben solche Leute schon immer so gemacht und werden es nun auch mit dem neuen Bür­gergeld fort­setzen. Und es gibt die, die sich wirklich rein­hängen, machen und tun, um wieder einen Job zu bekommen, der sie ernährt und in dem sie wei­ter­kommen — und dazwi­schen so ziemlich alle Schattierungen.

Das neue Bür­gergeld bringt auch ein höheres Schon­ver­mögen. Man muss also nicht erst einmal das Gesparte fast auf­brauchen, bevor man Leis­tungen bezieht. Jetzt darf man bis zu 40.000 € an Rück­lagen haben, und bekommt dennoch Bür­gergeld. Ein Jahr lang hat man Karenzzeit, kann in der Wohnung bleiben und darf sein Sicher­heits­polster behalten. Wer sich das zusam­men­ge­spart hat, der hat in der Regel auch fleißig gear­beitet und wird sowieso zusehen, dass er eine Arbeit bekommt. Zumal jede weitere Person in der „Bedarfs­ge­mein­schaft“ (früher mal „Familie“) auch noch 15.000 € Ver­mögen besitzen kann. Die Unter­kunfts­kosten werden jetzt in tat­säch­licher Höhe aner­kannt. Die Heiz­kosten werden in ange­mes­sener Höhe übernommen.

Eigentlich gönnt man das jedem von Herzen. Das eigent­liche Problem ist das, dass Bürger, die brav in Vollzeit arbeiten, zum Teil unter schlech­teren Bedin­gungen leben.
So schreibt die Bild:

„All­tags­irrsinn im Job­center. Jeden Tag bewil­ligen Mit­ar­beiter Heiz­kosten-Zuschüsse für Hartz-IV-Emp­fänger. Doch selbst wissen sie nicht, wie sie trotz 40-Stunden-Woche ihre Gas­rechnung bezahlen sollen. (…)“

Ein Job­center-Mit­ar­beiter wird zitiert:
Wir hatten hier neulich den Fall, dass eine Nach­zahlung für Heiz­kosten von 2400 Euro allein für dieses Jahr akzep­tiert wurde, plus die erhöhten Abschläge für das kom­mende Jahr. Ich habe eine Kol­legin, bei der sich der monat­liche Abschlag von 160 auf 480 Euro ver­drei­facht hat und die völlig ver­zweifelt ist, weil sie das Geld nicht hat. Bei mir selber sieht es nicht viel besser aus. (…) Ich bin mei­lenweit davon ent­fernt, jemals meine Wäh­ler­stimme an die AfD zu ver­schwenden. Aber zur Wahrheit gehört: Die­je­nigen, die so gar keine Moti­vation zeigen, wegen der Krisen-Lage weniger zu heizen, kommen aus meist wär­meren Gefilden, z. B. aus dem Mitt­leren Osten. Die wundern sich, dass wir hier bei Tem­pe­ra­turen zwi­schen 18,5 und 19,5 Grad arbeiten, weil es in ihren Sozi­al­woh­nungen ja viel wärmer ist. Und dann kriegen wir von der Zen­trale aus Nürnberg so ein Rund­schreiben, dass bei Gas­hei­zungen das 2,8‑fache an Kosten zu über­nehmen ist und bei Öl unter bestimmten Bedin­gungen einfach alles. “

DAS ist der eigent­liche, neur­al­gische Punkt. Natürlich hat jedes Land so seine „Lebens­künstler-Bürger“, die abgreifen, was geht und mög­lichst wenig arbeiten – und auch nichts für die Gemein­schaft tun. Es gibt ja einige Leute, die sind zwar prak­tisch dau­erhaft in Hartz IV, enga­gieren sich aber in allen mög­lichen Bereichen frei­willig und unent­geltlich und tragen so wieder viel zum All­ge­meinwohl bei. Auch das ist eine absolut akzep­table Sache. Der Kamm schwillt aber dem Gut­wil­ligsten, wenn hier Massen an Men­schen unkon­trol­liert her­ein­kommen, die von Anfang an kein anderes Ziel haben, als auf Kosten des „reichen Deutsch­lands“ zu leben. Gerade die neuen Pläne, hier nach kür­zester Zeit die Staats­bür­ger­schaft nach­ge­worfen zu bekommen, ist der Zündsatz am Bürgergeld.

(Bevor es hier irgend­welche Miss­ver­ständ­nisse gibt: Ich habe einen ange­hei­ra­teten Onkel aus Syrien, ein stu­dierter Musiker, der hier Indus­trie­kaufmann gelernt hat und um die Aus­bildung und um sein Leben zu finan­zieren als Bus­fahrer Schicht gear­beitet hat. Er war sein Lebtag bis zur Rente in Lohn und Brot. Er spielte sehr lange in seiner Freizeit in einem Orchester Geige, bis die Knochen eben nicht mehr mit­spielten. Ein sehr feiner, kul­ti­vierter, warm­her­ziger Mensch, in seiner gesamten Umgebung und in der großen Familie hoch geschätzt. Ich bin weit davon ent­fernt, etwas gegen Zuwan­derer zu haben, wenn sie sich hier inte­grieren. Davon habe ich einige im Bekann­ten­kreis, die übrigens unter uns „rechten Covidioten“ absolut respek­tiert sind.)

Es kommt natürlich beim Bür­gergeld immer auf die Kom­bi­nation der bestim­menden Fak­toren an. Die CDU/CSU rechnet als Gegen­ar­gument zum Bür­gergeld ein Bei­spiel­sze­nario vor, nach dem ein Ehepaar mit zwei Kindern durch das Bür­gergeld einige Hundert Euro mehr zum Leben hat, als wenn ein Elternteil zum Min­destlohn arbeiten ginge. Das wird nun in der Presse zer­pflückt, allein schon, weil die AfD und die rechts­kon­ser­vative Zeitung „Junge Freiheit“ eben­solche Rech­nungen anstellt. Da alles, was sich „rechts“ von der SPD/Grüne/Linke posi­tio­niert mitt­ler­weile als „Nazi“ ein­ge­stuft wird, sind echte Rechen­bei­spiele auch Nazi und werden in Bausch und Bogen weggeputzt.

So meint die Armuts­for­scherin (das gibt es) Susanne Gerull, Pro­fes­sorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hoch­schule in Berlin, dass diese Rechen­bei­spiele meistens unvoll­ständig sind und dabei bestimmte staat­liche Leis­tungen ver­schweigen, die Men­schen mit geringem Ein­kommen zustehen:

„Jemand, der arbeitet, kann nicht weniger haben, als jemand, der nicht arbeitet. Das geht rein rech­ne­risch nicht. Das ging bei Sozi­al­hilfe nicht. Das geht bei Hartz IV nicht und kann beim Bür­gergeld nicht so gehen.“

Susanne Gerull, Armutsforscherin

Oh doch, Frau Gerull, das geht. Die meisten von uns kennen solche Künstler, die zwar nicht ange­stellt arbeiten, aber dennoch sehr fleißig und fach­kundig darin sind, alle Son­der­pro­gramme und Bei­hilfen aus­zu­schöpfen und eine Runde nach der anderen, eine Wei­ter­bildung nach der anderen zu drehen. Und wenn nix mehr geht, dann die Min­destzeit eines Jobs abreißen, um dann wieder von vorne ins Arbeits­lo­sengeld Eins ein­zu­steigen und eine neue Runde ein­zu­läuten. Daneben noch ein bisschen Schwarz­arbeit für 15 €/Stunde, dar­unter tun sie’s nicht. Davon lebt man ganz gut.

Auf der ZDF-Seite kann man sehr schön den Krieg der Rechen­bei­spiele ver­folgen. Das allein zeigt, dass hier mit allen mög­lichen Anstren­gungen ein Vorteil für Gering­ver­diener her­aus­ge­ar­beitet wird. Was über­haupt nicht mit ein­fließt, dass jemand nebenbei noch an meh­reren Stellen schwarz arbeitet und damit eben deutlich besser steht.