Die Gesellschaft beginnt sich immer schneller zu ändern. Es ist der große Rückzug, den auch die einst „reichen Deutschen“ in immer größerer Zahl antreten. Das geschieht eher leise und auch nicht nur in Deutschland. Alle spüren die Unsicherheit, den heraufziehenden Sturm und ziehen sich zurück, igeln sich ein. Man hält das Geld zusammen und kapselt sich ab. Es wird plötzlich eisern gespart. Meistens, weil das Geld nicht mehr reicht. Aber auch, weil man der Zukunft und der politischen Führung zutiefst misstraut.
Das Phänomen des „Quiet Quitting“, der „stillen Kündigung“ fiel den Psychologen und Soziologen zuerst bei den sozialen Beziehungen der Jüngeren auf. Dann griff dieser Rückzug aus der Gesellschaft auch auf die Sphäre des Arbeitsplatzes über. Auch berufliche Bindungen werden zunehmend durch Dienst nach Vorschrift oder gleich via Dauerkrankmeldungen und Nichterscheinen absterben. Lehrer beschweren sich, dass die Kinder durch das Homeschooling komplett verlernt haben, nun wieder zurück im Klassenzimmer, auf ihrem Platz sitzen zu bleiben und sich auf den Unterrichtsstoff zu konzentrieren. Sie stehen ständig auf, gehen im Raum herum, tun dies und das, verlassen den Raum und reagieren kaum auf Aufforderungen der Lehrer. Es ist, als sei der Lehrer nur eine Art Einrichtungsgegenstand, den man getrost ignorieren kann.
Man ist eben nicht wieder angekommen im „Leben vor Corona“ sondern irgendwie „aus der Spur gekommen“. Gleichzeitig legt ein enorm hoher Krankheitsstand viele Firmen, Einrichtungen, Produktionsstätten und Unternehmen lahm. Dadurch entsteht Personalmangel allenthalben, Lieferprobleme bei fast allem und sich unaufhaltsam ausbreitende Armut wegen der Inflation. Zu viele Baustellen in jedem Leben lassen viele resignieren. Betriebe machen deswegen dicht: Zu wenig einsatzfähige Leute, Zulieferer liefern nicht und die Kosten zwingen zur Preiserhöhung, was dann die Kunden nicht mehr zahlen können.
Viele geben auf und ziehen sich ins Schneckenhaus zurück. Gleichzeitig versuchen sie, alles, was nicht unbedingt notwendig ist, schlicht zu streichen, damit am Ende des Geldes nicht so viel Monat übrig ist. Urlaub? Dazu hat man weder Lust noch Geld. Man muss sparen. Das Gefühl der Hilflosigkeit lähmt. Wir lesen, dass die Energieriesen Milliarden an „Übergewinnen“ machen, aber die kleinen Schmocks wie wir müssen doppelt so hohe Stromkosten bezahlen.
Die Lebensmittel werden dauernd teurer, wir müssen schon seit einiger Zeit überall zu den billigen Hausmarken der Discounter greifen – genießen ist etwas anderes. Erste Biomärkte melden bereits Insolvenz an. In vielen Familien kommt der Hunger in den Alltag. Immer mehr Schüler kommen ohne Frühstück in die Schule. Zu diesem Ergebnis kommt die „Food Poverty Research“-Befragung, die im Auftrag von Kellogg‘s in sieben europäischen Ländern durchgeführt worden ist. Das sind keine Einzelfälle: Jedes vierte Kind in Deutschland kommt hungrig zur Schule und sitzt dort mit knurrendem Magen. Die Lehrkräfte beobachten, dass die Hälfte der hungrigen Schüler sich am Unterricht gar nicht mehr beteiligt, Dreiviertel sind müde und unkonzentriert.
YouGov ermittelte in einer repräsentativen Umfrage, dass den Deutschen am Monatsende durchschnittlich 177 Euro fehlen. Fast Dreiviertel der deutschen Bevölkerung muss sparen, schreibt T‑Online:
„Der Umfrage zufolge versucht rund die Hälfte der Deutschen, an möglichst vielen Stellen Geld zu sparen. 42 Prozent versuchen demnach, preiswerter einzukaufen, ein Drittel der Befragten ersetzt dazu Markenprodukte durch günstigere Handelsmarken. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) nutzen Rabattaktionen und 41 Prozent wählen den Discounter statt des Supermarktes. 29 Prozent kaufen zudem insgesamt weniger ein als zuvor.“
Wer noch Geld hat, der kauft wesentlich mehr als zuvor, um Vorräte anzulegen, um damit die weiter anziehende Verteuerung für sich abzuflachen. Das sind immerhin 16%.
Wie die „Welt“ berichtet, zeigte eine Umfrage des Handelsverbandes Deutschland (HDE) bereits Ende September 2022, dass sich zu diesem Zeitpunkt schon 60 Prozent der Bevölkerung beim Einkaufen einschränkt. Dabei gibt es eben die Verbraucher, die das müssen, weil sie sonst mit ihrem Geld nicht über die Runden kommen. Aber auch in Haushalten, die noch keinen finanziellen Druck zu spüren bekommen, hat sich das Geldausgeben deutlich eingeschränkt.
Denn man spart nicht nur bei Einkäufen, sondern versucht überall die private Pleite zu vermeiden. Auch Anschaffungen, wie ein neues Fernsehen, die kaputte Spülmaschine zu ersetzen, Bekleidung, Möbeln und Unterhaltungselektronik oder Freizeit- und Kulturveranstaltungen wie Kino, Theater und Konzerte, die Geld kosten, werden aufgeschoben oder gleich gecancelt … eine neue Cancel-Kultur.
Dann natürlich Strom sparen. LED-Leuchtmittel werden zurzeit gern gekauft. Gasheizungen und Gasöfen werden nur noch auf unterster Stufe gefahren, zwei Pullover und eine lange Unterhose halten auch warm. Der Gasherd wird nicht mehr jeden Tag für ein warmes Mahl angezündet. Ein Butterbrot tut’s auch.
Wasser wird ebenfalls gespart. Lebensfroh unter der Dusche das heiße Wasser über sich laufen lassen und aus voller Brust und Freude „O Sole Mio!“ zu schmettern – das ist lange her. Viele drehen die Heißwasserbereitung der Heizung ab und nur alle paar Tage wieder an, um Wasser und Energie zu sparen. Stattdessen nur ein paar Liter heißes Wasser ins Waschbecken und mit dem Waschlappen waschen. Das ist zumindest die Empfehlung unseres Wirtschaftsministers Robert Habeck. Und viele machen es auch so.
Herr Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des HDE (Handelsverband Deutschland) sieht es immer wieder: „Die Konsumstimmung ist seit Monaten im Keller, die Kunden sind mit Blick auf die großen Unsicherheiten bei Energie und Preisen sehr zurückhaltend.“
Auch bei Hunderten Betrieben der Getränkeindustrie geht die Angst um. Denn zu der immer noch nicht bewältigten Covid-Pandemie, der Inflation, den Lieferschwierigkeiten, den hohen Energiekosten, kommt ja auch noch die Klimakrise — und hier ist es das Gas des Teufels: Das CO2. Doch ohne Kohlendioxid bleibt das Bier schal und der Sprudel fad.
Und gleichzeitig bringt jede Unternehmensschließung das Wirtschaftssystem wieder ein Stückchen näher an den Abgrund.
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