Ende des Konsum- und Spaß­zeit­alters: 60 Prozent aller Haus­halte drücken auf die Spar-Bremse

Die Gesell­schaft beginnt sich immer schneller zu ändern. Es ist der große Rückzug, den auch die einst „reichen Deut­schen“ in immer grö­ßerer Zahl antreten. Das geschieht eher leise und auch nicht nur in Deutschland. Alle spüren die Unsi­cherheit, den her­auf­zie­henden Sturm und ziehen sich zurück, igeln sich ein. Man hält das Geld zusammen und kapselt sich ab. Es wird plötzlich eisern gespart. Meistens, weil das Geld nicht mehr reicht. Aber auch, weil man der Zukunft und der poli­ti­schen Führung zutiefst misstraut.

Das Phä­nomen des „Quiet Quitting“, der „stillen Kün­digung“ fiel den Psy­cho­logen und Sozio­logen zuerst bei den sozialen Bezie­hungen der Jün­geren auf. Dann griff dieser Rückzug aus der Gesell­schaft auch auf die Sphäre des Arbeits­platzes über. Auch beruf­liche Bin­dungen werden zunehmend durch Dienst nach Vor­schrift oder gleich via Dau­er­krank­mel­dungen und Nicht­er­scheinen absterben. Lehrer beschweren sich, dass die Kinder durch das Home­schooling kom­plett ver­lernt haben, nun wieder zurück im Klas­sen­zimmer, auf ihrem Platz sitzen zu bleiben und sich auf den Unter­richts­stoff zu kon­zen­trieren. Sie stehen ständig auf, gehen im Raum herum, tun dies und das, ver­lassen den Raum und reagieren kaum auf Auf­for­de­rungen der Lehrer. Es ist, als sei der Lehrer nur eine Art Ein­rich­tungs­ge­gen­stand, den man getrost igno­rieren kann.

Man ist eben nicht wieder ange­kommen im „Leben vor Corona“ sondern irgendwie „aus der Spur gekommen“. Gleich­zeitig legt ein enorm hoher Krank­heits­stand viele Firmen, Ein­rich­tungen, Pro­duk­ti­ons­stätten und Unter­nehmen lahm. Dadurch ent­steht Per­so­nal­mangel allent­halben, Lie­fer­pro­bleme bei fast allem und sich unauf­haltsam aus­brei­tende Armut wegen der Inflation. Zu viele Bau­stellen in jedem Leben lassen viele resi­gnieren. Betriebe machen des­wegen dicht: Zu wenig ein­satz­fähige Leute, Zulie­ferer liefern nicht und die Kosten zwingen zur Preis­er­höhung, was dann die Kunden nicht mehr zahlen können.

Viele geben auf und ziehen sich ins Schne­ckenhaus zurück. Gleich­zeitig ver­suchen sie, alles, was nicht unbe­dingt not­wendig ist, schlicht zu streichen, damit am Ende des Geldes nicht so viel Monat übrig ist. Urlaub? Dazu hat man weder Lust noch Geld. Man muss sparen. Das Gefühl der Hilf­lo­sigkeit lähmt. Wir lesen, dass die Ener­gie­riesen Mil­li­arden an „Über­ge­winnen“ machen, aber die kleinen Schmocks wie wir müssen doppelt so hohe Strom­kosten bezahlen.

Die Lebens­mittel werden dauernd teurer, wir müssen schon seit einiger Zeit überall zu den bil­ligen Haus­marken der Dis­counter greifen – genießen ist etwas anderes. Erste Bio­märkte melden bereits Insolvenz an. In vielen Familien kommt der Hunger in den Alltag. Immer mehr Schüler kommen ohne Früh­stück in die Schule. Zu diesem Ergebnis kommt die „Food Poverty Research“-Befragung, die im Auftrag von Kellogg‘s in sieben euro­päi­schen Ländern durch­ge­führt worden ist. Das sind keine Ein­zel­fälle: Jedes vierte Kind in Deutschland kommt hungrig zur Schule und sitzt dort mit knur­rendem Magen. Die Lehr­kräfte beob­achten, dass die Hälfte der hung­rigen Schüler sich am Unter­richt gar nicht mehr beteiligt, Drei­viertel sind müde und unkonzentriert.

YouGov ermit­telte in einer reprä­sen­ta­tiven Umfrage, dass den Deut­schen am Monatsende durch­schnittlich 177 Euro fehlen. Fast Drei­viertel der deut­schen Bevöl­kerung muss sparen, schreibt T‑Online:

„Der Umfrage zufolge ver­sucht rund die Hälfte der Deut­schen, an mög­lichst vielen Stellen Geld zu sparen. 42 Prozent ver­suchen demnach, preis­werter ein­zu­kaufen, ein Drittel der Befragten ersetzt dazu Mar­ken­pro­dukte durch güns­tigere Han­dels­marken. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) nutzen Rabatt­ak­tionen und 41 Prozent wählen den Dis­counter statt des Super­marktes. 29 Prozent kaufen zudem ins­gesamt weniger ein als zuvor.“

Wer noch Geld hat, der kauft wesentlich mehr als zuvor, um Vorräte anzu­legen, um damit die weiter anzie­hende Ver­teuerung für sich abzu­flachen. Das sind immerhin 16%.

Wie die „Welt“ berichtet, zeigte eine Umfrage des Han­dels­ver­bandes Deutschland (HDE) bereits Ende Sep­tember 2022, dass sich zu diesem Zeit­punkt schon 60 Prozent der Bevöl­kerung beim Ein­kaufen ein­schränkt. Dabei gibt es eben die Ver­braucher, die das müssen, weil sie sonst mit ihrem Geld nicht über die Runden kommen. Aber auch in Haus­halten, die noch keinen finan­zi­ellen Druck zu spüren bekommen, hat sich das Geld­aus­geben deutlich eingeschränkt.

Denn man spart nicht nur bei Ein­käufen, sondern ver­sucht überall die private Pleite zu ver­meiden. Auch Anschaf­fungen, wie ein neues Fern­sehen, die kaputte Spül­ma­schine zu ersetzen, Bekleidung, Möbeln und Unter­hal­tungs­elek­tronik oder Freizeit- und Kul­tur­ver­an­stal­tungen wie Kino, Theater und Kon­zerte, die Geld kosten, werden auf­ge­schoben oder gleich gecancelt … eine neue Cancel-Kultur.

Dann natürlich Strom sparen. LED-Leucht­mittel werden zurzeit gern gekauft. Gas­hei­zungen und Gasöfen werden nur noch auf unterster Stufe gefahren, zwei Pullover und eine lange Unterhose halten auch warm. Der Gasherd wird nicht mehr jeden Tag für ein warmes Mahl ange­zündet. Ein But­terbrot tut’s auch.

Wasser wird eben­falls gespart. Lebensfroh unter der Dusche das heiße Wasser über sich laufen lassen und aus voller Brust und Freude „O Sole Mio!“ zu schmettern – das ist lange her. Viele drehen die Heiß­was­ser­be­reitung der Heizung ab und nur alle paar Tage wieder an, um Wasser und Energie zu sparen. Statt­dessen nur ein paar Liter heißes Wasser ins Wasch­becken und mit dem Wasch­lappen waschen. Das ist zumindest die Emp­fehlung unseres Wirt­schafts­mi­nisters Robert Habeck. Und viele machen es auch so.

Herr Stefan Genth, Haupt­ge­schäfts­führer des HDE (Han­dels­verband Deutschland) sieht es immer wieder: „Die Kon­sum­stimmung ist seit Monaten im Keller, die Kunden sind mit Blick auf die großen Unsi­cher­heiten bei Energie und Preisen sehr zurückhaltend.“

Auch bei Hun­derten Betrieben der Geträn­ke­industrie geht die Angst um. Denn zu der immer noch nicht bewäl­tigten Covid-Pan­demie, der Inflation, den Lie­fer­schwie­rig­keiten, den hohen Ener­gie­kosten, kommt ja auch noch die Kli­ma­krise — und hier ist es das Gas des Teufels: Das CO2. Doch ohne Koh­len­dioxid bleibt das Bier schal und der Sprudel fad.

Und gleich­zeitig bringt jede Unter­neh­mens­schließung das Wirt­schafts­system wieder ein Stückchen näher an den Abgrund.