All­mäch­tiger Staat — Der Auf­stieg des totalen Staates und der totale Krieg

1944 ver­öf­fent­lichte die Yale Uni­versity Press Ludwig von Mises’ Buch “Omni­potent Government – The Rise of the Total State and Total War” in eng­li­scher Sprache und 1974 wurde es vom Liberty Fund, Inc. nach­ge­druckt. 2023 erscheint nun eine deutsche Über­setzung dieses Buches: “All­mäch­tiger Staat. Der Auf­stieg des totalen Staates und der totale Krieg”.

Im Fol­genden lesen Sie einen Auszug aus dem Geleitwort der deut­schen Ausgabe des Über­setzers Burkhard Sievert.

In Omni­potent Government[1] nimmt Ludwig von Mises den roten Faden aus Staat, Nation und Wirt­schaft wieder auf. Es beruht auf dem 1938/39 in Genf geschrie­benen Manu­skript Vom Wesen und Werden des Natio­nal­so­zia­lismus – Ein Beitrag zur Befriedung Europas, das 1978 unter dem Titel Im Namen des Staates oder Die Gefahren des Kol­lek­ti­vismus[2] ver­öf­fent­licht werden würde. Ergänzend zum Manu­skript greift Ludwig von Mises hier das Thema Anti­se­mi­tismus auf, den er als Weg­be­reiter, wenn nicht gar als Aus­löser für den Zweiten Welt­krieg aus­macht. Das Kapitel Der Kampf zwi­schen Demo­kratie und Tota­li­ta­rismus wurde aus dem Manu­skript in diese Über­setzung über­nommen. Es zeigt Ludwig von Mises als lei­den­schaft­lichen Demo­kraten. Die Fragen, „ob die deutsche Nation nicht durch Fest­halten an der fried­lichen Politik des viel geschmähten Libe­ra­lismus besser gefahren wäre“[3] und was die Aus­weitung und den Miss­brauch staat­licher Macht begrenzt, drängen sich auf. Politik ist das Problem, nicht die Lösung.

„Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“ (Sta­nislaw Jerzy Lec) [4]

Ideen fallen nicht wie Manna vom Himmel. Wer Ideen ver­stehen will, der sollte sie ideen­ge­schichtlich zurück bis zu ihren Quellen ver­folgen. Schon Aris­to­teles lehrt, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich bewertet werden soll.[5] Die Idee des Sozia­lismus ist so alt wie die mensch­liche Gesell­schaft selbst, aber nicht älter.[6] Der Sozia­lismus findet sich sowohl im Inka­reich, in der Phi­lo­sophie Platons als auch in ver­schie­denen Erschei­nungs­formen „als Todes­trieb“ im 20. Jahr­hundert.[7] Ludwig von Mises geht in diesem Buch den Quellen des Natio­nal­so­zia­lismus nach. Seine Spu­ren­suche beginnt bei den Gründen des Zusam­men­bruchs des Liberalismus.

Die Auf­klärung trieb eine Welle des Libe­ra­lismus durch Deutschland. „Die Idee des Libe­ra­lismus geht von der Freiheit des Ein­zelnen aus, sie lehnt jede Herr­schaft eines Teiles der Men­schen über die übrigen Men­schen ab, sie kennt keine Her­ren­völker und keine Knecht­völker, wie sie im Volk selbst keine Herren und keine Knechte unter­scheidet.“[8]

Der Eta­tismus steht dem Libe­ra­lismus dia­metral ent­gegen. „Der Staat ist Gott“, for­mu­lierte Lassalle.[9] Die Syn­these natio­naler und ega­li­tärer (früh­so­zia­lis­ti­scher) Ideen gebar den Eta­tismus. Der Libe­ra­lismus in Deutschland wurde der ätzenden Säure des Inter­ven­tio­nismus aus­ge­setzt. Da gab es die ost­elbi­schen Gebiete, in denen eine liberale Demo­kratie zur Unter­drü­ckung der deutsch­spra­chigen Min­derheit geführt hätte. Der Libe­ra­lismus fordert in diesem Fall das Ple­biszit[10] über den Aus­tritt aus dem Staat. Da gab es den deut­schen Pro­tek­tio­nismus für wichtige Indus­trie­zweige und es gab die Arbeits­schutz­po­litik der Regierung zur Lösung „der sozialen Frage“.[11] Und es gab die His­to­rische Schule der wirt­schaft­lichen Staats­wis­sen­schaften. Sie war metho­disch unzu­länglich und sah ihre „Berufung“ in der Ver­herr­li­chung und Recht­fer­tigung der preu­ßi­schen Politik. In ihrer pro­fes­so­ralen Arroganz gegenüber den unwis­senden Laien stellten sich poli­ti­sie­rende Wis­sen­schaftler den jewei­ligen Macht­habern zur Ver­fügung. „Die Pro­fes­soren haben […] ihren Auf­trag­gebern zu dienen gesucht: erst den Hohen­zollern, dann den Mar­xisten, schließlich Hitler. Ihrem Glauben hat Sombart die prä­gnan­teste Fassung gegeben, als er Hitler als den Träger gött­lichen Auf­trags bezeichnete, denn ‚alle Obrigkeit ist von Gott‘.“[12]

Im dritten Teil dieses Buches geht Ludwig von Mises den Quellen des Natio­nal­so­zia­lismus nach. Er dis­kre­di­tiert die mar­xis­tische These, der Natio­nal­so­zia­lismus sei der letzte ver­zwei­felte Versuch der deut­schen Groß­in­dustrie zur Rettung des Kapi­ta­lismus vor den sozia­lis­ti­schen Massen.[13] Ein großer Teil des „Pro­le­ta­riats“ hatte sich von den Sozi­al­de­mo­kraten abge­wandt und stand auf der Seite der Natio­nal­so­zia­listen. Die wich­tigsten Vor­läufer der Natio­nal­so­zia­listen waren aner­kannte Ahnen des Sozia­lismus. Mar­xismus und Natio­nal­so­zia­lismus stimmen in der Geg­ner­schaft gegen das Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln und in ihrem Anti­se­mi­tismus[14] überein. Es gibt mehr signi­fi­kante Ähn­lich­keiten als Unter­schiede. Der Motor der Tat ist die Idee. Schon Marx for­derte dazu auf, Kri­tiker nicht zu wider­legen, sondern zu ver­nichten.[15] Der Tota­li­ta­rismus bedingt die mora­lische Selbst­er­mäch­tigung zur Gewalt.

„Alle wesent­lichen Ideen des Natio­nal­so­zia­lismus sind in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahr­hun­derts von den All­deut­schen und den Sozia­listen der Lehr­kanzel der ‚wirt­schaft­lichen Staats­wirt­schaften‘ erdacht worden. Nicht ein ein­ziger Gedanke fehlte.“ (Ludwig von Mises) [16]

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[1]    Mises (1944b), deutsch: Mises (2023), vor­lie­gende Ausgabe.

[2]    Mises (1978).

[3]    Mises (2014, 1919), S. 177 f.

[4]    Sta­nislaw Jerzy Lec, aus: Neue unfri­sierte Gedanken.

[5]    Vgl. Aris­to­teles (41985), S. 107.

[6]    Vgl. Koigen (1901), S. 31, in: Scha­fa­re­witsch (2016), S. 318.

[7]    Vgl. Scha­fa­re­witsch (2016).

[8]    Mises (2014, 1919), S. 63.

[9]    Vgl. Mayer (1911), S. 196.

[10] „Nur dies allein kann Bür­ger­kriege, Revo­lu­tionen und Kriege zwi­schen den Staaten wirksam ver­hindern“, Mises (42006, 1927), S. 96.

[11] „Mein Gedanke war, die arbei­tenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Ein­richtung anzu­sehen, die ihret­wegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“, Bis­marck (1924/1925), S. 195 f., zitiert in: Habermann (2013), S. 181.

[12] Mises (22014), S. 9.

[13] Vgl. Hoppe (42006, 1927), S 30.

[14] „Der Kapi­talist weiß, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind und zudem wun­der­tätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen“, Marx (1962, 1867), S. 169. Marx wett­ei­ferte mit Engels in seinen juden­feind­lichen Aus­fällen gegen Lassalle. Marx war über­zeugt, dass ein jüdi­scher Stamm aus Far­bigen bestand und nannte Lassalle deshalb einen „jüdi­schen Nigger“, Marx (1862), S. 257. Eine aus­führ­liche Sammlung juden­feind­licher Zitate von Marx und Engels findet sich bei Kuehnelt-Leddihn (1985), S. 65.

[15] Vgl. Marx (1843), S. 380, Her­vor­hebung im Original.

[16] Mises (2023), S. 237.

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Quellen:

Aris­to­teles (41985): Niko­ma­chische Ethik, Hamburg.

Bis­marck, Otto von (1924/1925): Gesam­melte Werke, Bd. 9, Berlin.

Habermann, Gerd (2013): Der Wohl­fahrt­staat – Ende einer Illusion, München.

Koigen, David (1901): Zur Vor­ge­schichte des modernen phi­lo­so­phi­schen Sozia­lismus in Deutschland, Bern.

Kuehnelt-Leddihn, Erik von (1985): Die falsch gestellten Weichen, Wien.

Marx, Karl (1843): Kritik der Hegel­schen Rechts­phi­lo­sophie, in: MEW 1, S. 378–391.

Marx (1843): Kritik der Hegel­schen Rechts­phi­lo­sophie, in: MEW 1, S. S. 378–391.

Mayer, Gustav (1911): Lass­al­leana, in: Archiv für die Geschichte des Sozia­lismus, Bd. I., Leipzig.

Mises, Ludwig von (1944b): Omni­potent Government, New Haven.

Mises (1978): Im Namen des Staates, Stuttgart.

Mises (2014): Theorie und Geschichte, München.

Mises (2014, 1919): Nation, Staat und Wirt­schaft, Flörsheim.

Mises (42006, 1927): Libe­ra­lismus, Sankt Augustin.

Mises (22014): Erin­ne­rungen, Stuttgart.

Mises, Ludwig von (2023): All­mäch­tiger Staat, Ahrensburg.

Scha­fa­re­witsch, Igor R. (2016): Der Todes­trieb in der Geschichte, Gre­ven­broich.


Quelle: misesde.org