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Straf­rechts­än­derung: Der Bürger soll mundtot gemacht werden

Die Nach­richt, dass Tim Kellner wegen eines lus­tigen Youtube-Videos über Außen­mi­nis­terin Baerbock zu 8 Monaten Haft ver­ur­teilt wurde, hat viele scho­ckiert. Als unser Gast­autor Frank W. Haubold über die hier zur Anwendung kom­mende Neu­re­gelung des § 188 StGB und deren tota­litäre Vor­bilder berichtete, war auch mir nicht klar, welche rote Linie hier über­schritten wurde. Ich bringe den Beitrag daher hier noch einmal (DB)

Weit­gehend unbe­merkt von der Öffent­lichkeit und inhaltlich kaum the­ma­ti­siert ist am 3. April dieses Jahres das neue Gesetz zur Bekämpfung des Rechts­extre­mismus und der Hass­kri­mi­na­lität (Links­extre­mismus ist in diesem Land trotz stei­gender Gewalt­be­reit­schaft offenbar kein Problem, zumindest nicht für die eta­blierten Par­teien) in Kraft getreten.

Nun wird kaum jemand etwas dagegen ein­zu­wenden haben, wenn in der Öffent­lichkeit ste­hende Poli­tiker und Amts­träger besser gegen Mord- und andere Gewalt­an­dro­hungen geschützt werden. Auch der Schutz gegen Ver­leum­dungen und üble Nachrede durch das Straf­recht dürfte kaum Kri­tiker finden.

Majes­täts­be­lei­digung wieder strafbar

Der Teufel steckt im Detail und da wird wohl kaum jemanden auf­ge­fallen sein, dass der Gesetz­geber den ohnehin frag­wür­digen § 188 (1) StGB um den Tat­be­stand der Belei­digung erweitert hat. Wortlaut der Neu­re­gelung: „(1) 1Wird gegen eine im poli­ti­schen Leben des Volkes ste­hende Person öffentlich, in einer Ver­sammlung oder durch Ver­breiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Belei­digung (§ 185) aus Beweg­gründen begangen, die mit der Stellung des Belei­digten im öffent­lichen Leben zusam­men­hängen, und ist die Tat geeignet, sein öffent­liches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Frei­heits­strafe bis zu drei Jahren oder Geld­strafe. 2Das poli­tische Leben des Volkes reicht bis hin zur kom­mu­nalen Ebene.“

Zuvor waren „nur“ Ver­leumdung und üble Nachrede gesondert strafbar. Das sind jedoch klar defi­nierte Straf­tat­be­stände, bei denen der Ermes­sens­spielraum der Justiz ent­spre­chend gering ist. Ganz anders verhält es sich mit dem Straf­tat­be­stand der Belei­digung, der von Gerichten höchst unter­schiedlich beur­teilt wird. Hier Frei­heits­strafen bis zu drei Jahren anzu­drohen, wenn Poli­tiker oder Amts­träger (ver­meintlich) beleidigt werden, ist nicht nur juris­tisch, sondern auch im Hin­blick auf das Grund­recht auf freie Mei­nungs­äu­ßerung fragwürdig.

Poli­tiker müssen auch Kritik ein­stecken können

Es gibt zudem auch keinen sach­lichen Grund für diese Son­der­re­gelung, denn Belei­di­gungen waren und sind ohnehin über den § 185 StGB strafbar. Nun könnte man argu­men­tieren, dass Poli­tiker und Amts­träger häu­figer beleidigt werden als Otto Nor­mal­ver­braucher und deshalb gesondert geschützt werden müssen. Dem kann man jedoch ent­ge­gen­halten, dass Poli­tiker und Amts­träger erstens von Steu­er­zahler finan­ziert werden und zweitens kraft ihres Amtes auch weitaus größere Mög­lich­keiten haben, dem Gemein­wesen und dem ein­zelnen Bürger Schaden zuzu­fügen als der ein­fache Bürger. Deshalb ist es auch völlig normal, wenn sie dafür Kritik, auch in hef­ti­gerer Form ein­stecken müssen.

Natürlich sollte Kritik nach Mög­lichkeit sachlich vor­ge­tragen werden, aber nicht jedem ist es gegeben, kühl und gelassen auf von der Politik ver­ur­sachte Zumu­tungen zu reagieren. Wer zum Bei­spiel auf­grund ver­zö­gerter Corona-Hilfen seine wirt­schaft­liche Existenz ver­liert oder Opfer einer Gewalttat wird, die einem von der Justiz gerade wieder auf freien Fuß gesetzten Mehr­fach­täter verübt wurde, kann schon einmal über­re­agieren, wenn es um die Ver­ant­wort­lichen geht. Hier lang­jährige Haft­strafen anzu­drohen, ist allein schon des­wegen frag­würdig, weil die Abgrenzung zwi­schen jus­ti­ziabler Belei­digung und hef­tiger, aber zuläs­siger Kritik fließend sind. Pla­kative Straf­rechts­ver­schär­fungen dieser Art belasten erstens die Justiz zusätzlich und führen zweitens zur Ein­schüch­terung der Bevöl­kerung, was wohl auch das Ziel der Übung ist.

Anrü­chige Vor­bilder in der DDR

Die selektive Straf­an­drohung, mit deren Hilfe man fast jeg­liche Kritik an poli­ti­schen Funk­tio­nären und Amts­trägern kri­mi­na­li­sieren kann, hat zudem anrü­chige Vor­bilder. So findet sich im Straf­ge­setzbuch der DDR in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1974 ein durchaus ähnlich klin­gender Gum­mi­pa­ra­graph: „§ 106. Staats­feind­liche Hetze. (1) Wer mit dem Ziel, die sozia­lis­tische Staats- oder Gesell­schafts­ordnung der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Republik zu schä­digen oder gegen sie auf­zu­wiegeln … Reprä­sen­tanten oder andere Bürger der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Republik oder die Tätigkeit staat­licher oder gesell­schaft­licher Organe und Ein­rich­tungen dis­kri­mi­niert … wird mit Frei­heits­strafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“

40 Jahre vorher wurde am 20. Dezember 1934 vom NS-Regime das „Gesetz gegen heim­tü­ckische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Par­tei­uni­formen“ erlassen, das unter anderem diesen Para­graphen ent­hielt: „§ 2 (1) Wer öffentlich gehässige, het­ze­rische oder von nied­riger Gesinnung zeu­gende Äuße­rungen über lei­tende Per­sön­lich­keiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anord­nungen oder die von ihnen geschaf­fenen Ein­rich­tungen macht, die geeignet sind, das Ver­trauen des Volkes zur poli­ti­schen Führung zu unter­graben, wird mit Gefängnis bestraft. (2) Den öffent­lichen Äuße­rungen stehen nicht­öf­fent­liche bös­willige Äuße­rungen gleich, wenn der Täter damit rechnet oder damit rechnen muß, daß die Äußerung in die Öffent­lichkeit dringen werde.“

Juris­tische Repres­si­ons­in­stru­mente der roten und braunen Sozialisten

Die poli­tisch ein­seitige Aus­richtung des neuen Gesetzes, die sich schon aus dessen Namen ableitet, scheint aller­dings all jenen recht­zu­geben, die nicht erst seit heute die zuneh­mende ideo­lo­gisch moti­vierte Ein­schränkung der Mei­nungs­freiheit wie auch der Bür­ger­rechte ins­gesamt beklagen.


Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog von David Berger www.philosophia-perennis.com