“Burg Niedeck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt,
Die Höhe, wo vorzeiten die Burg der Riesen stand;
Sie selbst ist nun verfallen, die Stätte wüst und leer;
Du fragest nach den Riesen, du findest sie nicht mehr.”
(Adelbert von Chamisso, Das Riesenspielzeug)
Riese, das weckt nicht nur die Assoziation eines Wesens, das sehr viel größer ist als man selbst, sondern auf gewisse Weise auch unerreichbar, mit großer Kraft ausgestattet, über der Welt stehend und diese auch aus einem ganz anderen Blickwinkel wahrnehmend. Etwas, das riesenhaft ist, wirkt unüberwindlich und lässt alles andere im Vergleich dazu klein und unbedeutend erscheinen. Riesen sind auch selten freundlich (geschweige denn menschenfreundlich), sieht man einmal vom “Big Friendly Giant” (Disney, 2016) ab. Zudem werden die gigantischen Mythen- bzw. Fantasie-Zweibeiner öfter als dümmlich charakterisiert. Man denke da an den armen Grawp oder Grawpy aus Harry Potter, den Bruder des halbriesigen Rubeus Hagrid, der Hermine mit einer Fahrradklingel zu beeindrucken sucht.
Im Grimmschen Märchen Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen kegelt der Protagonist gar mit den Köpfen von Riesen um die Wette.
Da mich der Zufall in den letzten Wochen zur nordischen Mythologie führte und ich der Entstehung von Magie und Runen, dem Weltenbaum Yggdrasil, den Nornen sowie dem “Schicksal der Götter” (Ragnarök) gefolgt bin, kam ich nicht umhin, auch den Riesen einen näheren Blick zu widmen. Und obwohl ich mir nicht anmaße, ihnen eine Ehrenrettung zukommen lassen zu wollen, so mag doch die eine oder andere Ausführung erklären, warum sie im Umgang mit den “Kleinen” so ihre Probleme haben.
Geschichten über Riesen bzw. riesenhafte Wesen (man denke da beispielsweise an die Riesen- und Schöpferschlange Eingana aus der australischen Traumzeit oder den Riesenvogel Garuda aus der indischen Mythologie) sind weltweit in fast allen Kulturen zu finden. In der Urgeschichte der Israeliten etwa ist von riesenhaften Völkern in Kanaan die Rede (siehe u. a. Genesis 6, 4 sowie 4. und 5. Buch Mose). Die Aloiden (Otos und Ephialtes), ein Brüderpaar der griechischen Mythologie und Söhne des Meeresgottes Poseidon, wuchsen zu Riesen heran. Und natürlich ist da noch die Goliat(h)-Geschichte aus dem Alten Testament (1. Buch Samuel); darin kämpft ein riesenhafter Krieger vom Stamm der Philister gegen den Hirten David, der den übergroßen Gegner schließlich dank eines Hilfsmittels besiegt:
“Als der Philister [Goliat aus Gat] weiter vorrückte und immer näher an David herankam, lief auch David von der Schlachtreihe (der Israeliten) aus schnell dem Philister entgegen. Er griff in seine Hirtentasche, nahm einen Stein heraus, schleuderte ihn ab und traf den Philister an der Stirn. Der Stein drang in die Stirn ein und der Philister fiel mit dem Gesicht zu Boden. So besiegte David den Philister mit einer Schleuder und einem Stein; er traf den Philister und tötete ihn, ohne ein Schwert in der Hand zu haben. Dann lief David hin und trat neben den Philister. Er ergriff sein Schwert, zog es aus der Scheide, schlug ihm den Kopf ab und tötete ihn. Als die Philister sahen, dass ihr starker Mann tot war, flohen sie. ” (1 Sam, 17, 48–51)
Riesen repräsentieren im Mythos häufig den Typus des Urmenschen. In der nordischen Mythologie ist es Ymir, was soviel wie “Zwilling” oder “Lärmer” bedeutet. Etymologisch soll das Wort den Altnordisten Folke Ström und Britt-Mari Nässström zufolge gar mit dem altpersischen (avestischen) “Yima” und dem altindischen “Yama” verwandt sein. Yima (was ebenfalls mit “Zwilling” übersetzt werden kann), ist eine mythologische Figur, mit welchem der Gott Ahura Mazda zu allererst die göttliche Ordnung besprochen haben soll (laut Zarathustra). Er war auch der erste Herrscher, unter dem die Menschen ohne Krankheit und Armut lebten. Yama wiederum ist ursprünglich eine vedische Gottheit. Er regiert die Unterwelt und ist bekannt als der Gott des Todes und der Zeit. Im Hinduismus gilt er als der erste Sterbliche, der in den Himmel gelangte und fortan den Menschen den Weg zu den Göttern weist.
In der nordischen Mythologie ist Ymir als das erste Wesen sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts und aus Eis und Feuer geboren. Es ist überliefert, dass Ymir tierische Gesellschaft besaß, denn den Mythen nach ernährte er sich von der Milch der Urkuh Audhumbla. Ein recht nahrhaftes Getränk, denn nachdem Ymir eingeschlafen war, wuchsen aus seinem Schweiß ein namenloser Sohn sowie eine namenlose Tochter. Auch der Riese Thrudgelmir soll Ymirs Sproß sein wie es im Vafþrúðnismál der Lieder-Edda heißt:
“Unzählige Jahre bevor die Erde erschaffen wurde,
da wurde Bergelmir geborn;
Thrudgelmir war dessen Vater,
Aurgelmir [Ymir] der Großvater.”
Wie lange Ymirs Existenz im nordischen Kosmos andauerte, ist unbekannt. Besser bekannt ist aber sein Ende. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern Vili und Ve tötete Odin, der dritte im Reigen der ersten Götter, Ymir. Aus den Leichenteilen schufen sie die Welt. Aus dem Fleisch wurde die Erde. Sein Blut wurde das Meer. Bäume aus den Haaren und Gebirge und Felsen aus den Knochen.
Aus dem Gehirn wurden Wolken und der Schädel erhielt als Himmel eine neue Existenzberechtigung. Bei der Vorstellung muss ich unweigerlich an Mary Shelley denken. Demnach wäre die Welt nichts anderes als die Kreatur eines Triviums göttlich-schöpferischer Frankensteine. Dass die nordischen Riesen den Göttern in den Mythen fast ausschließlich bedrohlich, gewalttätig und feindselig gegenüberstehen, ist angesichts der “Umgestaltung” ihres Ahnherren nicht gänzlich unverständlich.
Die nordischen Riesen werden im Allgemeinen als Jötunn (Plural: Jötnar) bezeichnet und leben in Jötunheim, einem Reich, dem nordischen Kosmos zufolge, entgegengesetzt der Menschenwelt. Der Name kann vom althochdeutschen Verb “ezzan” (essen; altenglich “eotan”) abgeleitet werden. Demnach ist ein Riese auch ein “Gefräßiger”. Eine passende Geschichte dazu findet sich im Gylfaginning der Edda des Snorri Sturluson. Als der Gott des Donners, Thor, und seine Gefährten (darunter Loki, der Trickster unter den nordischen Göttern und Sohn eines Riesen) nach Utgard (Útgarðr „Außenwelt“) zogen, mussten sie sich dem Riesen Utgardloki (eine Art “Trickster-Riese”) und dessen Riesenfreunden in einer Reihe von Wettkämpfen stellen.
Eines davon war ein Wettessen, welches Loki gegen einen Riesen namens Logi durchführte, wobei er aber nicht mit dem Riesen mithalten konnte. Thor erging es derweil nicht besser. Vergeblich versuchte er sich darin, Trinkhörner zu leeren, (riesenhafte) Katzen zu stemmen oder gegen die Riesenamme Elli einen Ringkampf zu gewinnen. Einen Tag später offenbarte sich indes die Trickserei und Utgardloki suchte eilends das Weite, bevor Thor ihm mit seinem Hammer den Riesenleib spalten konnte.
Als äußerst feindselig gelten in der nordischen Mythologie die Thursen, gegen die Thor sehr häufig zu Felde zieht. Zudem existieren Frostriesen (hrímþursar), Feuerriesen (eldjötnar) und Bergriesen (bergrisar). Aber was wäre die mythologische Welt, wenn sich nicht auch freundlich gestimmte Zeitgenossen in der Riesenfamilie finden ließen.
Da wäre beispielweise der Riese Mimir. Er lebt unter dem Weltbaum Yggdrasil und hütet eine der dort entspringenden Quellen, auch als Mimirs Brunnen bezeichnet. Ausgestattet mit Wissen, Weisheit und vor allem der Gabe der Weissagung, ist es vor allem Odin, der Mimir eng verbunden ist und oft seinen Rat zu erlangen sucht. Und Ägir, der Riese der See, ist auch als Freund und Gastwirt der Götter bekannt, der ihnen Bier bereitet.
In der griechischen Mythologie sind die Riesen vor allem in Gestalt der Titanen, die zudem ein Göttergeschlecht waren, und der Giganten anzutreffen. So trägt der Titan Atlas das Himmelsgewölbe auf Schultern und Rücken und verhindert auf diese Weise, dass es auf die Erde stürzt.
Atlas, John Singer Sargent (1925).
Zu den Giganten wiederum zählt man jene von der Göttermutter Gaia geborene Mischwesen, die gegen die olympischen Götter Krieg führten. Weitere riesenhafte Kreaturen sind die einäugigen Kyklopen. Geradezu berühmt-berüchtigt ist die Episode aus der Odyssee, in der Odysseus den menschenfressenden Kyklopen Polyphem blendet und sich ihm als “Niemand” (griechisch “Οὖτις”) offenbart.
Als die Gefährten des Verstümmelten diesem zu Hilfe eilen wollen, erklärt er “Niemand habe ihn geblendet” und “Niemand habe versucht ihn zu ermorden”. Das Motiv des geblendeten Ogers findet sich übrigens in den folkloristischen Erzählungen vom Keltischen bis zum Litauischen und Deutschen bis zum Russischen und Finnischen. Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Wilhelm Grimm (1786–1859) trug viele dieser Versionen zusammen, u. a. die Erzählung Der Räuber und seine Söhne, die allerdings nur in der 5. und 6. Auflage der Kinder- und Hausmärchen sowie der Gesamtausgabe überliefert ist.
Ein alter Räuber will, dass sich seine drei Söhne bessern und nicht sein “Handwerk” nachahmen. Doch nachdem diese der Königin das Pferd stehlen wollten, werden sie gefasst. Die Königin gewährt dem Vater die Auslösung und will dafür die drei merkwürdigste Geschichte aus dessen Leben hören. Für den ersten Sohn lautet diese wie folgt:
“Frau Königin, hört meine Rede, ich will euch ein Ereignis erzählen, was mich mehr erschreckt hat als Feuer und Wasser. Ich brachte in Erfahrung daß in einer wilden Waldschlucht zwischen zwei Bergen, zwanzig Meilen von den Menschen entfernt, ein Riese lebte, der einen großen Schatz, viel tausend Mark Silber und Gold besäße. Ich wählte also aus meinen Gesellen so viele aus, daß unser hundert waren, und wir zogen hin. Es war ein langer mühsamer Weg zwischen Felsen und Abgründen. Wir fanden den Riesen nicht zu Haus, waren froh darüber, und nahmen von dem Gold und Silber so viel wir tragen konnten. Als wir damit uns auf den Heimweg machen wollten, und ganz sicher zu sein glaubten, da kam der Riese mit zehn andern Riesen unversehens daher, und nahm uns alle gefangen. Sie theilten uns unter sich aus: jeder erhielt zehen von uns, und ich fiel mit neun meiner Gesellen dem Riesen zu, dem wir seinen Schatz genommen hatten. Er band uns die Hände auf den Rücken, und trieb uns wie Schafe in seine Felsenhöhle. Wir waren bereit uns mit Geld und Gut zu lösen, er aber antwortete ‘eure Schätze brauche ich nicht, ich will euch behalten, und euer Fleisch verzehren, das ist mir lieber.’ Dann befühlte er uns alle, wählte einen aus, und sprach ‘der ist der fetteste, mit dem will ich den Anfang machen.’ Dann schlug er ihn nieder, warf das zerschnittene Fleisch in einen Kessel mit Wasser, den er über das Feuer setzte, und als es gesotten war, hielt er seine Mahlzeit. So aß er jeden Tag einen von uns, und weil ich der magerste war, so sollte ich der letzte sein. Als nun meine neun Gesellen aufgezehrt waren, und die Reihe an mich kam, so besann ich mich auf eine List. ‘Ich sehe wohl daß du böse Augen hast,’ sprach ich zu ihm, ‘und am Gesicht leidest: ich bin ein Arzt und bin in meiner Kunst wohl erfahren, ich will dir deine Augen heilen, wenn du mir mein Leben lassen willst.’ Er sicherte mir mein Leben zu, wenn ich das vermöchte. Er gab mir alles was ich dazu verlangte. Ich that Öl in einen Kessel, mengte Schwefel, Pech, Salz, Arsenik und andere verderbliche Dinge hinein, und stellte den Kessel über das Feuer, als wollte ich ein Pflaster für seine Augen bereiten. Sobald das Öl im Sieden war, mußte der Riese sich niederlegen, und ich goß ihm alles, was im Kessel war, auf die Augen, über den Hals und den Leib, so daß er das Gesicht völlig verlor, und die Haut am ganzen Leib verbrannte und zusammenschrumpfte. Er fuhr mit entsetzlichem Geheul in die Höhe, warf sich wieder zur Erde, wälzte sich hin und her, und schrie und brüllte dabei wie ein Löwe oder ein Ochse. Dann sprang er in Wuth auf, packte eine große Keule, und in dem Haus umher laufend, schlug er auf die Erde und gegen die Wand, und dachte mich zu treffen. Entfliehen konnte ich nicht, denn das Haus war überall von hohen Mauern umgeben, und die Thüren waren mit eisernen Riegeln verschlossen. Ich sprang aus einem Winkel in den andern, endlich wußte ich mir nicht anders zu helfen, ich stieg auf einer Leiter bis zu dem Dach, und hieng mich mit beiden Händen an den Hahnenbalken. Da hieng ich einen Tag und eine Nacht, als ich es aber nicht länger aushalten konnte, so stieg ich wieder herab, und mischte mich unter die Schafe. Da mußte ich behend sein, und immer mit den Thieren zwischen seinen Beinen hindurchlaufen ohne daß er mich gewahr ward. Endlich fand ich in einer Ecke unter den Schafen die Haut eines Widders liegen, ich schlüpfte hinein, und wußte es so zu machen, daß mir die Hörner des Thiers gerade auf dem Kopf standen. Der Riese hatte die Gewohnheit, wenn die Schafe hinaus auf die Weide gehen sollten, so ließ er sie vorher durch seine Beine laufen. Da zählte er sie, und welches am feißtesten war, das packte er, kochte es, und hielt damit seine Mahlzeit. Ich wäre bei dieser Gelegenheit gerne davon gelaufen, und drängte mich durch seine Beine, wie die Schafe thaten, als er mich aber packte, und merkte daß ich schwer war, so sprach er ‘du bist feißt, du sollst mir heute meinen Bauch füllen.’ Ich that einen Satz, und entsprang ihm aus den Händen, aber er ergriff mich wieder. Ich entkam nochmals, aber er packte mich aufs neue, und so gieng es siebenmal. Da ward er zornig und sprach ‘lauf hin, die Wölfe mögen dich fressen, du hast mich genug genarrt.’ Als ich draußen war, warf ich die Haut ab, rief ihm spöttisch zu daß ich ihm doch entsprungen wäre, und höhnte ihn. Er zog einen Ring vom Finger und sprach ‘nimm diesen goldenen Ring als eine Gabe von mir, du hast ihn wohl verdient. Es ziemt sich nicht daß ein so listiger und behender Mann unbeschenkt von mir gehe.’ Ich nahm den Ring, und steckte ihn an meinen Finger, aber ich wußte nicht daß ein Zauber darin lag. Von dem Augenblick an, wo er mir am Finger saß, mußte ich unaufhörlich rufen ‘hier bin ich! hier bin ich!’ ich mochte wollen oder nicht. Da der Riese daran merken konnte wo ich mich befand, so lief er mir in den Wald nach. Dabei rannte er, weil er blind war, jeden Augenblick gegen einen Ast oder einen Stamm, und fiel nieder wie ein mächtiger Baum, aber er erhob sich schnell wieder und da er lange Beine hatte, und große Schritte machen konnte, so holte er mich immer wieder ein, und war mir schon ganz nahe, denn ich rief ohne Unterlaß ‘hier bin ich! hier bin ich.’ Ich merkte wohl daß der Ring die Ursache meines Geschreies war, und wollte ihn abziehen, aber ich vermochte es nicht. Da blieb mir nichts anderes übrig, ich biß mir mit meinen Zähnen den Finger ab. In dem Augenblick hörte ich auf zu rufen, und entlief glücklich dem Riesen. Zwar hatte ich meinen Finger verloren, aber ich hatte doch mein Leben behalten.” (191, 5. Aufl. 1843, S. 468 ff. )
In der Odyssee sind es nicht nur die Kyklopen, welche eine Rückkehr der Helden erschweren. Auch von den Laistrygonen wird berichtet, einer Mischung aus Riesen und Kannibalen. Und die Argonauten treffen während ihrer legendären Suche nach dem Goldenen Vlies gar auf einen Riesen mit sechs Armen, der sich Gegeneis (“der Erdgeborene”) nennt und die Abenteurer mit Felsbrocken bewirft. Von den Hekatoncheiren, den riesehaften Söhnen von Gaia und Uranos, wird sogar berichtet, sie hätten bis zu einhundert Arme besessen. Überhaupt sind die Riesen der griechischen Mythologie von ihrem Erscheinungsbild her sehr viel märchenhafter als die nordischen Riesen. So auch Talos, ein bronzener Riese, der einer Version des Mythos zufolge vom Schmiedegott Hephaistos geschaffen worden sein soll.
Er patroullierte dreimal täglich um die Insel Kreta und vertrieb die sich nähernden Schiffen ähnlich wie Gegeneis mit Felsbrocken. Gelang es doch einem Schiff, anzulanden, soll sich der Riese aufgeheizt haben, bis er rotgolden glühte und die Gegner verbrannt haben. Allerdings besaß er, ähnlich wie der trojanische Held Achilles, eine nicht unerhebliche Schwachstelle an der Ferse. Dort war ein Propf angebracht. Zog man diesen heraus, floss alles Blut aus dem Riesen und er musste sterben.
Auch in der griechischen Mythologie sind die Riesen nicht unbedingt als die cleversten Wesen bekannt. Im kosmologischen Gefüge nehmen sie dennoch ihren berechtigten Platz ein, ihre Existenzberechtigung wird niemals infrage gestellt. Denn sie haben im Erzählkanon der Geschichten ihre ureigene Aufgabe zu erfüllen, fordern den Helden heraus, lassen diesen nach Lösungen suchen.
Sie sind niemals nur Feinde oder schlichtweg Hindernisse. Anders verhält es sich mit den Riesen, wie sie im Märchen und der Sagenwelt des Mittelalters vorkommen. Obwohl immer noch von mythischer Gestalt, sind die Riesen hier vor allem grobschlächtig oder von äußerster Dummheit.
In der Sage Der Riese Bruns von Hanstedt will ein Riese das erste Gotteshaus der Stadt mittels einer Schleuder zerstören, weil seine Tochter, die heidnischen Glaubens war, Selbstmord beging. Doch das misslang ihm und er und seine Frau wurden hernach zum Christentum bekehrt. Auch in den Märchen werden Riesen meist als plumpe Gestalten dargestellt, die der Held im Zuge seines Abenteuers entweder austrickst, tötet oder überwindet. Im Riesenspielzeug des Adelbert von Chamisso hingegen, sind die Riesen weder Unholde noch Hindernisse.
Vielmehr geht es in der Ballade darum, das Groß und Klein einander zu achten haben, da das Eine ohne das Andere nicht existieren kann. Gerade diesen Unterton (lässt man einmal die nationalistischen Interpretationsmotive beiseite, die der Ballade angesichts ihrer Entstehungszeit zweifellos anhaften) fand ich stets treffend, vor allem auch in seiner metaphorischen Bedeutung. Denn zweifllos haftet der Vorstellungen von den Riesen auch eine Ich-bezogene, psychologische Dimension an, eigene Grenzen überwinden zu müssen bzw. allzugroße Probleme zu fürchten oder vor ihnen zurückzuschrecken. Manche Dinge beginnen groß. Manche Dinge beginnen klein.
Wie immer ist es wohl die rechte Mischung, die entscheidet. Und sind wir im Grunde nicht alle wie Gulliver auf unseren Reisen zwischen Lilliput und Brobdingnag? Von daher kann es ab und an sehr lohnend sein, auch einmal seine Scheu zu überwinden und einem Riesen die Hand zu reichen.
Quelle: anti-matrix.com
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