Wenn die BILD mit der flachen Hand in den Breiteller haut, zuckt man in Berlin schon zusammen. Da mag man abfällig von „Boulevardzeitung“ und „Revolverblatt“ sprechen, aber die BILD hat immer noch vergleichsweise Spitzenauflagen. Natürlich gehört sie mit zum System, aber sie darf das Enfant terrible spielen – und das tut sie gerade bei dem Thema importierter Atomstrom. Ist der BILD-Beitrag der Einstieg in den Ausstieg vom Atomstrom-Ausstieg?
Der deutsche AKW-Ausstieg mit der Brechstange sollte doch ein Beispiel, ein Fanal für die anderen europäischen Länder – ja, für die Welt! – das inspirierende Beispiel sein, es ebenso zu machen. Am deutschen Wesen sollte wieder einmal die Welt genesen. Doch nun zeigt sich: Deutschlands Atomausstieg ist ein Fluch für Europa. Denn es importiert deutlich mehr Strom aus den anderen europäischen Ländern als vorher, um den realen Bedarf zu decken. Deshalb wird der Strom europaweit teurer, denn an der Strombörse steigen die Preise für die knapp gewordene elektrische Energie. Das belastet auch die anderen Länder Europas. Auch sie kaufen und verkaufen an der Strombörse.
Die „Top Ökonomin und Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm erklärt in BILD: „Natürlich hat die Abschaltung der Kernkraft die Notwendigkeit von Stromimporten erhöht. Unsere Studie hat letztes Jahr ergeben, dass die Abschaltung eine Preissteigerung von acht bis zwölf Prozent zur Folge haben dürfte und dass sich auch der Preis in den Nachbarländern erhöht.“
Und sie setzt hinzu, dass diese unnötige Verknappung des Strom-Angebots – und die daraus resultierende Verteuerung der Energie – „ärgerlich für die Stimmung in Europa“ sei. Mit anderen Worten: Der Rest Europas hat einen dicken Hals, weil die Stromrechnungen für Privathaushalte und Industrie deutlich höher ausfallen, seit die doofen Deutschen ihre AKWs abgeschaltet haben. Sich als Öko-Musterknabe profilieren wollen, aber den Strom für ganz Europa teuer machen. Und obendrein noch das Stromtanknetz für die Elektroautos so ausbauen wollen, dass in Europa keiner mehr Waschmaschinen anschalten, den Föhn benutzen oder den Elektroherd zum Kochen brauchen kann.
Die Menge an Strom, die Deutschland seit der Abschaltung aller Kernkraftwerke aus den europäischen Mitgliedsländern importieren muss, ist nicht nur gewaltig gestiegen, sie besteht auch noch zu 21 Prozent aus ebenjener bösen Kernkraft, 48 Prozent konventionellen Energiequellen, wie Öl, Braunkohle, Steinkohle, Gas und Wasserkraft und zu 31 Prozent aus erneuerbaren Energien, wie Windenergie, Photovoltaik und Biomasse.
Hätten wir unsere AKWs noch, wäre das alles kein Problem. Aber jetzt steigt der Stromimport massiv. 20 Prozent unseres Stroms müssen wir mittlerweile importieren. Die 33.000 Gigawattstunden Strom, die wir brauchen, mussten mit 6.505 Gigawatt Importstrom ergänzt werden, weil wir selbst das nicht mehr leisten können. Nicht nur das: Wir benutzen – laut BILD – 2,5 Prozent mehr Kernkraft-Strom als vor der Stilllegung unserer AKWs.
Und dafür bezahlen wir über eine halbe Milliarde Euro.
Der August war sogar der Monat mit der höchsten Importrate aller Zeiten. Selbst im Januar 2016, wo die Nächte lang und dunkel sind und die Temperaturen um den Gefrierpunkt, mussten wir nur 711 Gigawattstunden importieren. Im August, wo die Solaranlagen lange Tage arbeiten und die Heizungen nicht laufen (in vielen Gegenden musste man aber dieses Jahr mit 12–15 °C Außentemperatur morgens und abends sogar im August heizen, so brutal schlägt die Klimaerwärmung zu!) schoss der Import sogar auf 6.505,4 Gigawattstunden hoch, zeigt die BILD in einer eindrucksvollen Grafik.
Die Seite agrarheute stellt dazu einmal eine hübsche Rechnung auf:
„Möchte man ein Kernkraftwerk durch Windkrafträder ersetzen, würde man pro Kernkraftwerk rund 1.300 Windräder benötigen, haben die Experten der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) ausgerechnet. Und auch der zusätzliche Flächenverbrauch wäre sehr hoch. Moderne Windkraftanlagen haben eine Nennleistung von etwa 5 bis 6 Megawatt. Geht man einmal von 5 Megawatt aus, bräuchte man, um die Nennleistung eines Atomkraftwerks zu ersetzen, rund 280 Windräder. Allerdings sind weder die Atomkraftwerke noch die Windräder dauerhaft mit 100-prozentiger Auslastung im Betrieb. Atomkraftwerke werden von Zeit zu Zeit gewartet – wie das zuletzt in Frankreich zu beobachten war. Windräder stehen regelmäßig still – nämlich dann, wenn kein Wind weht. Und auch bei normalen Windverhältnissen drehen sich die Windräder nur selten in Vollleistung.“
Will man also mit der tatsächlichen Durchschnittsleistung von Windrädern ein AKW ersetzen, bräuchte man dafür zwischen 1.330 bis 3.250 Windräder. Bei einem Rotor-Durchmesser von 70 Metern und einem Mindestabstand, wie er in Windparks vorgeschrieben ist, würde das eine Fläche von 100 Quadratkilometern bedeuten. Das wäre, so das MIT, die halbe Fläche Stuttgarts.
Die Stromimporte aus dem Ausland wachsen schon seit einigen Jahren, weil der Anteil aus Kohle und Atomkraft bei der eigenen Stromversorgung schon seit Jahren beständig zurückgefahren wird, schreibt der Spiegel. Insbesondere bei Dunkelheit und Windstille, der gefürchteten „Dunkelflaute“ produzieren die „Erneuerbaren“ schlicht und einfach gar nichts. Allenfalls noch die Wasserkraft.
Das ist die Energiewende der Grünen: Deutschland ist vom Energie-Exporteur zum Energie-Importeur geworden. Das lässt nicht nur die Preise explodieren, sondern destabilisiert auch Deutschlands Energiesouveränität. Wir sind nicht mehr unabhängig.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang auch noch die Geschehnisse in Afrika, sieht die Lage noch finsterer aus. Frankreich setzt auf Kernkraft, aus der auch wir jetzt versorgt werden. Frankreich bezieht das dafür nötige Uran für billiges Geld aus seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien. Sollten die Machtverschiebungen in Niger und Gabun Erfolg haben, werden weitere ehemalige Kolonien folgen. Das bedeutet aber auch, dass diese Länder sich nicht mehr verpflichtet fühlen, ihr kostbares Uran für Schleuderpreise an die ehemalige Kolonialmacht zu geben, wie es im Vertrag als die Bedingung für die Entlassung in die Unabhängigkeit steht.
Der französische Atomkonzern Orano ist der Eigentümer von drei „riesigen Uranminen“ im Niger, wie die Wirtschaftswoche schreibt. Eine davon ist das zweitgrößte Uranvorkommen der Welt. Die neue Putschregierung wird aller Voraussicht nach die Lieferung beenden. Laut EU-Atombehörde Euratom stammte 2022 mehr als ein Viertel des in die EU importierten Urans aus dem afrikanischen Land.
„Zwar hat die EU-Atomwirtschaft offenbar noch Uran für etwa drei Jahre eingelagert. Doch für die europäische Stromversorgung ist die Lage aufgrund des Putsches mittelfristig brisant. Schließlich will und muss man sich zurzeit auch unabhängig machen von russischen Lieferungen. Russland steuerte 2021 immerhin 20 Prozent zu den Uranimporten bei, was die Kriegskasse in Moskau um eine halbe Milliarde Euro füllte. Damit steht mit dem Niger zusammen nun hinter knapp der Hälfte der Einfuhren nuklearen Brennmaterials ein Fragezeichen.“
Frankreich allein mag mit den Vorräten an Uran drei Jahre auskommen. Aber nur, wenn es Deutschland nicht dauernd massiv mit seinem Atomstrom alimentieren muss. Hier kommt der nächste „Schwarze Schwan“ für die Grünen angeschwommen. Die flächendeckenden Blackouts kommen wieder ein Stück näher. Ob das Lamento der BILD den Bürger darauf vorbereitet, dass man sich in Berlin der Brisanz der Lage bewusst geworden ist und eine Kurskorrektur einleitet? Aber nein, das wäre ja vernünftig. Und damit bei der Ampelregierung praktisch ausgeschlossen.
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