Im Zürcher Nobelhotel Dolder sprach der ungarische Premier, Viktor Orban, vor einem vollbesetzten Saal. Die Plätze waren schon weit vor dem Termin ausverkauft. Und es waren nicht irgendwelche Rechte und “Reichsbürger“, die sich dort einfanden. Die Begrüßung durch Roger Köppel dauerte bereits fast sieben Minuten und seine Grußadressen richten sich an österreichische Nationalräte, Diplomaten, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, Altbundesrat Blocher, sogar Tschechiens Ex-Ministerpräsident Václav Klaus war anwesend. Premier Viktor Orbán sprach — und alle kamen. Sein Thema: Europas Niedergang und Zukunft. Schwerpunkt-Thema war die Migration.
Ein Bericht über eine historische Rede in zwei Teilen
Teil 1
Es war ein Saal voller Hochkaräter. Der Schweizer Minister für EU-Angelegenheiten, der Wirtschaftsminister, der Außenminister. Der ungarische Botschafter Józef Czukor, der bis 2015 als Botschafter Ungarns in Berlin war, hatte diese Veranstaltung überhaupt möglich gemacht.
Natürlich wandte sich der ungarische Premierminister Orbán mit heftiger Kritik am Kurs der EU gegen die Ideale dieses Superstaats-Konstrukt, das mittlerweile tiefe Risse zeigt und seinen Wertekatalog der großen Mehrheit der Europäer überhaupt nicht mehr nahebringen kann. Denn diese, als hehre Ideale angekündigte Politik, zerstört in allen Facetten das einmal blühende Europa.
Die Trauer um das schöne, alte Europa schwingt bei allem Beifall mit
Alles, was europäische Identität ausmacht, die Vielfalt der Völker, ihre stolzen und schönen Traditionen, ihre Geschichte, ihre Kunst, Musik und typische Lebensart, ihre Lebensfreude, ihre kulturellen Eigenarten, mussten Werten aus der Retorte weichen. Die Überschwemmung mit Menschen aus fremden Kulturen, darunter auch Gewalttäter und Terroristen, bestimmen jetzt in den Städten das Stadtbild und das Leben. Die Familienfeindlichkeit hat die Spielplätze verwaisen und zu Treffpunkten für Drogenabhängige verkommen lassen.
Die einst schönen Innenstädte mit historischen Gebäuden und schönen Geschäften und Cafés in den Einkaufsmeilen sind nun vom Krebs des Leerstandes befallen. Die Menschen haben kaum noch Geld, und so orientieren sich die Ladenzeilen an dem, was noch geht. Das sind „Rubbedidubb-Läden“ mit billigem Chinakrempel, Billigklamotten, Handyläden, Spielcasinos, Fast-Food-Filialen, Shisha-Läden, hier und da eine Apotheke, manche Ladenlokale bieten Thai- oder India-Lebensmittel an und dazwischen auch mal eine Bäckerei mit Stehcafé. Die Menschen halten sich nicht mehr lange auf, und man weicht den „Gruppen junger Männer“ ganz unauffällig aus und vermeidet Sichtkontakt.
Viktor Orbán steht für ein Europa der europäischen Völker und der Vielfalt der europäischen Kulturen
Da steht er, im tosenden Beifall der Zuhörer. Gastgeber Roger Köppel, Chefredakteur der einladenden „Weltwoche“ und ehemaliger Schweizer Nationalrat, hat ihm im Namen der Anwesenden und als persönlichen Ausdruck seiner Bewunderung für die Standfestigkeit des dienstältesten Ministerpräsidenten Europas, einen gloriosen Auftritt beschert: „Ich gebe es zu, Herr Orban, Herr Ministerpräsident: Sie sind eines meiner großen Vorbilder!“
Schon als der Ungar in den Saal ankam, erhob sich das gesamte Publikum und gab eine „Standing Ovation“. Der einstündige Vortrag des ungarischen Premier Orbáns wird wohl als „die Zürcher Rede“ in die Geschichte eingehen. Er legte dezidiert dar, dass die Schweiz zwar nicht in der EU Mitglied sei, dass sie aber von allen Geschehnissen und Entwicklungen der EU direkt betroffen ist und dem Niedergang der EU nicht entrinnen können wird. Beim Thema Migration brandete immer wieder Applaus auf.
Der Schweizer Alt-Bundesrat Christoph Blocher machte auch keinen Hehl aus seiner Bewunderung für den unbeugsamen Ungarn: „Er kämpft mutig für sein Land und die Freiheit seines Landes.“ Und weil Ungarn eben nicht alles umsetze, was die EU so von oben herab vorschreibt, insbesondere dann nicht, wenn es dem Land zum Schaden gereicht, werde das standhafte Ungarn, das weder die ungeregelte Migration mitmacht, noch die Grenzzäune abreißt, auch nichts von der woken LGBTQ+-Agenda hält und auch die Beziehungen zu Russland nicht befehlsgemäß schreddert, aus Brüssel mit Strafmaßnahmen gepiesackt und drangsaliert.
Nach einigen wohlgesetzten Lobreden und Nettigkeiten über Anwesende und über die Schweiz, beginnt Premierminister Viktor Orbán, seine Sichtweise der Dinge und über den Verlauf, den die Geschichte der EU nehmen wird, darzulegen.
Ab Minute 15.55 des obenstehenden Videos legt er seine Sicht auf die Dinge dar. Gleich zu Anfang stellt er klar, dass er ein gemeinsames Problem für Ungarn und die Schweiz sieht, und das heiße „Europäische Union“. Die Schweiz habe zwar keine Stimme in der Union, sei aber von deren Politik dennoch betroffen.
Die Konservativen in Europa, so führt er weiter aus, stimmen überein, dass Europa heute nicht mehr sein eigener Herr ist. Für das Jahr 2030 werde prognostiziert, dass beim „GDP-Anteil“ also dem Bruttoinlandsprodukt der Welt, nur ein einziges europäisches Land dabei sein wird, nämlich Deutschland auf Rang 10. Alle anderen werden es nicht schaffen.
Anmerkung: Das ist eine noch viel zu rosige Darstellung. Hier einmal ein absolut sehenswertes Video, das einmal die Situation vollkommen illusionslos darstellt. Dann kann man sich vorstellen, dass auch Platz 10 für Deutschlands Bruttoinlandsprodukt noch viel zu optimistisch ist:
Doch nun weiter in der Zürcher Rede Viktor Orbáns. Er erteilt einer EU-Osterweiterung, wie die Einbeziehung der Ukraine und des Balkans, ein klare Absage, weil man die regionalen Konflikte dort nicht unter Kontrolle bekommen wird.
„Ich werde heute über die Probleme Europas sprechen – unverhüllt!“
„Ich möchte meine Schlussfolgerung dieses Vortrages gleich zu Beginn aussprechen: Europa hat seine Selbstbestimmungsfähigkeit verloren. Das heißt, Europa kann nicht definieren, welche Ziele es verfolgt und kann nicht erkennen, welche Mittel angewandt werden müssten, um diese Ziele zu erreichen. Das heißt, es ist nicht in der Lage, selbständig und souverän zu handeln. Ich sage das voller Bitterkeit. Für einen Ungarn ist das ein schmerzhaftes Gefühl, denn wir sprechen doch über die Wiege der westlichen Zivilisation. Die westliche Zivilisation hat zwar auch ein Standbein auf anderen Kontinenten, aber der Kern ist doch hier, in Europa. Was wir heute sehen, schmerzt.“
Ein kurzer Abriss der Geschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg folgt und die Conclusio, die er zieht, ist wahr: Europa wurde durch diesen Krieg entscheidend geschwächt, denn die westliche Hälfte kam unter die Vorherrschaft Amerikas und die östliche unter die Russlands.
Die intellektuelle Herausforderung habe nun darin bestanden, wie Europa sich selbst bleiben und eine eigene Qualität bewahren kann. Die damaligen Nachkriegspolitiker, so Orbán, wie Adenauer und Schuhmann, hätten das damals gut gelöst. Sie konnten eine europäische Qualität erhalten. Amerika erwartete, dass es in Westeuropa Demokratien gibt und kapitalistische Wirtschaft. Die damaligen Spitzenpolitiker seien sich darüber im Klaren gewesen, dass ein simples Kopieren der amerikanischen Muster in Europa zu einer Katastrophe führen würde. Die Lösung des Problems sei eine christliche Demokratie gewesen und in die Wettbewerbs-Demokratie das „Gemeinwohl“ hinein zu „schmuggeln“. Der Cowboy-artige Kapitalismus Amerikas sei nämlich Europa fremd.
Im Osten dagegen hat die Sowjetunion Osteuropa ihre Strukturen oktroyiert. Amerika hat dennoch in Europa seine Positionen ausgebaut, auf allen Gebieten. Herr Orbán nennt diese Vorgehensweise „Soft-Power“, während die Sowjetunion ihre Strukturen mit „Hard-Power“ den Osteuropäern übergestülpt habe.
1990 gewann der Westen den kalten Krieg gegen die Sowjetunion. Wir wurden befreit, und die sowjetischen Machtstrukturen verschwanden aus Europa, auch aus dem Osten Europas.
Das bringe uns nun zu der aufregenden Frage: Was geschah in den letzten 33 Jahren mit den Machtstrukturen? Was zu der „provokativen Frage“ führt, ob es ein Problem ist, das die Amerikaner nach 1990 hier geblieben sind.
Europas Schicksal hängt jetzt ganz von Amerika ab
Nun seien die Amerikaner der stärkste Staat der westlichen Allianz und damit logischerweise der Anführer. Heute haben sich die Konstellationen geändert, und das sei der entscheidende Unterschied zwischen 1990 und 2023. Die christlich-konservativen Kräfte wurden von den progressiven Kräften abgelöst. Die Konservativen haben das zu spät verstanden, in Europa wie in Amerika. Daher konnten die Amerikaner auch in Europa die progressiv-liberalen Prinzipien etablieren und damit die Leitung des Europäischen Kontinents übernehmen – und ihre Grundsätze mit aller Kraft durchsetzen.
Er stellt die Frage, ob es gelingen kann, in Europa wieder eine eigene, selbständige Qualität zu erschaffen und diese innerhalb eines großen, westlichen Bündnisses zu bewahren. Das nenne man heute höfliche „strategische Souveränität“ oder „strategische Autonomie“. Und das zeige sich daran, so Orbán, dass Europa die großen, alten Spitzenpolitiker verloren hat. Man habe sich quasi unter der amerikanischen Vorherrschaft „abgewöhnt“, gestandene, große Spitzenpolitiker von Format mit den nötigen Fähigkeiten hervorzubringen.
Das wiederum habe zur Folge, dass eine Schwäche Amerikas, das Schwinden seiner Kraft, auch das Problem Europas wird. Die Amerikaner seien sehr gut darin, ihre amerikanischen Werte als universelle Werte darzustellen, ein Trick, der aber ernsthafte Folgen habe. Denn wenn man Außenpolitik auf eine Wertebasis stellt, aber seine wahren Interessen dahinter verbirgt, dann gibt es keinen vernünftigen Dialog mehr. Die Gegenseite kann sich nicht dagegen stellen, weil sie sich damit gegen diese Werte wendet. Dieses Spiel werde nun dauernd gespielt:
„Wenn wir über europäische Werte sprechen, dann steckt dahinter meist das Interesse eines großen, europäischen Landes. Das Wesentliche daran ist immer das Gleiche, wir sind nicht in der Lage, wesentliche außenpolitische Fragen vernünftig zu diskutieren, weil niemand zugibt, einfach nur Interessen vertreten zu wollen. Interessen kann man abstimmen, Werte nicht.“
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Teil 2 erscheint morgen.
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