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“Hier töten sie für ein Stück Brot” – Wan­der­chaos ille­galer Migration nun auf Sizilien

Es war nicht zu erwarten, dass der Besuch von Ursula von der Leyen schnelle und kon­krete Hilfe für Lam­pedusa, für Sizilien oder für Italien all­gemein mit Bezug auf illegale Migranten bringen würde. Und tat­sächlich hat von der Leyen einen 10-Punkte-Plan im Gepäch gehabt, der irgendwo zwi­schen vagen Aus­sagen und mög­li­cher­weise lang­fristig wirk­samen Maß­nahmen anzu­siedeln ist.

So sollen Frontex und die Euro­päische Asyl­agentur tätig werden, um die hohe Zahl der illegal nach Italien ein­rei­senden Migranten zu regis­trieren (!), und legale Migra­ti­onswege und huma­nitäre Kor­ridore ein­ge­richtet werden – was immer das genau bedeuten mag, denn bereits jetzt ist es durchaus möglich, legal nach Europa bzw. in die ver­schie­denen Staaten der EU ein­zu­reisen –, um den Teu­fels­kreis des Men­schen­handels zu durch­brechen, so sagte von der Leyen, was insofern bemer­kenswert ist als damit klar erkennbar ist, dass man sich in Brüssel durchaus bewusst ist, dass mit Bezug auf die illegale Ein­wan­derung nach Europa Schlep­per­banden am Werk sind – aber es bislang anscheinend nicht für not­wendig oder wün­schenswert hielt, gegen diese Banden tätig zu werden; Frontex hätte bereits vor Jahren ein­ge­setzt werden können, um den Schlep­per­banden das Handwerk zu legen.

Und einmal mehr wurde der frei­willige Soli­da­ri­täts­me­cha­nismus in der EU beschworen, gemäß dem nach Italien illegal ein­ge­reiste Migranten von anderen euro­päi­schen Staaten über­nommen werden sollen. Nur haben Frank­reich und Deutschland diese Über­nahme bereits gestoppt, und aus Frank­reich ist zu hören, dass man dort nicht gedenkt, sie wieder auf­zu­nehmen. Immerhin führt die EU-Kom­mission Gespräche mit Italien, Deutschland, Frank­reich und Spanien, und es bleibt abzu­warten, was dabei her­aus­kommen wird. Dabei ist inter­essant, dass für den Fall, dass eine Ent­lastung Lam­pe­dusas erfolgen wird, Spanien eine ent­spre­chende Ent­lastung der spa­ni­schen Inseln fordern wird, wie die spa­nische Regierung bereits bemerkt hat, denn von Januar bis Mitte Sep­tember sind auf den spa­ni­schen Inseln um die 14.500 illegale Migranten ange­kommen, was einem Anstieg um 24,6 Prozent der dort illegal Ein­greisten gegenüber dem Vorjahr bedeutet.

Vor diesem Hin­ter­grund ist nicht über­ra­schend, was Meloni gestern über den Besuch van der Leyens auf Lam­pedusa zu sagen hatte, in deut­scher Über­setzung etwa:

„Der gestrige Besuch Anwe­senheit von von der Leyen auf Lam­pedusa ist auch aus sym­bo­li­scher Sicht sehr wichtig. Die Präsenz Europas an den Grenzen, die am stärksten von ille­galer Mas­sen­ein­wan­derung betroffen sind, wie die­jenige von Lam­pedusa, macht deutlich, dass diese Grenze nicht nur eine ita­lie­nische, sondern auch eine euro­päische Grenzen ist. Jetzt wird die Regierung mit großer Auf­merk­samkeit und Schritt für Schritt beob­achten, wie Europa die Ver­pflich­tungen, die es gegenüber Italien ein­ge­gangen ist, behandelt, ange­fangen bei der Ver­pflichtung, die im Memo­randum mit Tunesien vor­ge­se­henen Mittel rasch frei­zu­geben“ (https://tg24.sky.it/cronaca/2023/09/18/migranti-consiglio-dei-ministri#09)

Girogia Meloni weiß, dass es für die Beur­teilung ihrer Regierung durch die Wähler sehr wichtig ist, ob sie die illegale Ein­wan­derung nach Italien in den Griff bekommt oder nicht, und dem­entspre­chend muss sie selbst tätig werden. So hat sie gestern mit­ge­teilt, dass das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­terium damit beauf­tragt wird, in der der kür­zest­mög­lichen Zeit weitere Zentren zur Inge­wahrs­am­nahme rück­zu­füh­render Per­sonen (Centri di per­ma­nenza per i rim­patri) – zusätzlich zu den wenigen bereits bestehenden – in allen Regionen, besonders in den Grenz­re­gionen, ein­zu­richten, und zwar mög­lichst in leicht zu über­wa­chenden Gebieten mit geringer Bevöl­ke­rungs­dichte und unter Nutzung still­ge­legter öffent­licher Gebäude, z.B. Kasernen.

Darüber hinaus konnten zurück­zu­füh­rende Per­sonen bislang nur für maximal 90 Tage in einem Rück­füh­rungs­zentrum fest­ge­halten werden; dieser Zeitraum wird nunmehr auf 180 Tage aus­ge­weitet, wobei auch die Mög­lichkeit geprüft werden soll, sie für einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten dort festzuhalten.

Außerdem soll das System der der Per­so­nen­iden­ti­fi­zierung ver­bessert werden, ins­be­sondere mit Bezug auf Min­der­jährige, die gegenüber anderen Migranten bestimmte Vor­teile haben. Selbst­de­kla­rierte Min­der­jährige, deren phy­si­sches Erschei­nungsbild der Alters­angabe wider­spricht, sollen zukünftig durch medi­zi­nische Unter­su­chungen und Dia­gno­se­instru­mente mit Bezug auf ihr Alter unter­sucht werden.

Porto Empe­docle; Quelle: il post

Derweil hat sich die Situation auf Lam­pedusa insofern zumindest vor­über­gehend ent­spannt als damit begonnen wurde, die ille­galen Migranten von Lam­pedusa weg­zu­bringen und nach Sizilien zu über­führen; jetzt liegen Auf­räum­ar­beiten und die Ent­sorgung der Boote an, mit denen die ille­galen Migranten ankamen.

Jedoch wurde der Transport der ille­galen Migranten von Lam­pedusa nach Sizilien gestern vor­mittag aus­ge­setzt, weil das 15.435 Ein­wohner zäh­lende Porto Empe­docle, das als Tran­sit­lager für die ille­galen Migranten auf Sizilien dient, sei­ner­seits über­laufen ist. Im Lager befinden sind nunmehr mehr als tausend Men­schen auf 2000 Qua­drat­metern zusam­men­ge­pfercht, so dass es viel­leicht nicht über­ra­schend ist, dass sie ver­suchen, das Lager zu ver­lassen, viele von ihnen in Richtung Stadt­zentrum, auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Die 20 Poli­zei­be­amten, denen die Aufgabe zukommt, das gesamte Gebiet zu schützen, sind über­fordert. Beim Versuch, aus dem Lager aus­bre­chende illegale Migranten an der Flucht zu hindern, wurde in der Nacht auf den gest­rigen Tag ein Polizist ver­letzt. Die Flucht gelang min­destens ein­hundert ille­galen Migranten, von denen die meisten (noch?) nicht iden­ti­f­ziert sind. In Porto Empe­docle herrscht Chaos. Der Bür­ger­meister berichtet, dass die Men­schen sich vor den in kleinen Gruppen in der Stadt umher­lau­fenden ille­galen Migranten fürchten:

„Hier töten sie für ein Stück Brot, eine unmensch­liche Situation, die nicht länger tragbar ist. Wenn wir innerhalb von 34 oder 48 Stunden keine Ant­worten [von der Regierung] haben, werden wir Bar­ri­kaden errichten. Die Regierung muss ein­greifen“ (https://www.ilfattoquotidiano.it/2023/09/18/migranti-sindaco-di-porto-empedocle-faremo-le-barricate-se-non-avremo-risposte-dal-governo-qui-si-ammazzano-per-un-pezzo-di-pane/7295888/)

Indessen wird der Wei­ter­transport der ille­galen Migranten von Sizilien nach Festland-Italien dadurch behindert, dass nicht genug private Busse für den Transport zur Ver­fügung stehen. Nachdem in der ver­gan­genen Woche ein Bus eines pri­vaten Bus­un­ter­nehmens, der mit ein paar Dutzend Migranten als Pas­sa­gieren auf dem Weg von Porto Empe­docle in Richtung Piemont gewesen ist, ver­un­glückt ist und beide Bus­fahrer getötet und einige Pas­sa­giere ver­letzt wurden, haben private Bus­un­ter­nehmen beschlossen, so gut wie keine Migranten-Trans­porte mehr durch­zu­führen. Diese Fahrten müssen nun von Polizei- und Armee­bussen zusätzlich über­nommen werden.

Einmal auf Festland-Italien ange­kommen, stellt sich die Frage, wie viele der ille­galen Migranten ihren Weg von Italien in andere euro­päische Länder finden werden. Und wie viele ihrer Asyl­an­träge werden nach wie langer Zeit abge­lehnt werden? Nach wie langer Zeit werden sie dann in ihre Her­kunfts­länder zurück­ge­führt werden – falls sie zurück­ge­führt werden? Sowohl die Bürger in den Ländern der EU als auch die Migranten, die illegal in die EU ein­reisen, werden auf Jahre hinaus mit den finan­zi­ellen und prak­ti­schen Folgen einer ver­fehlten, weil unrea­lis­ti­schen und vor­rangig ideo­lo­gisch begrün­deten, Ein­wan­de­rungs­po­litik leben müssen.

Die einen haben große Ent­würfe für eine bessere Welt, die anderen haben vor Ort die kon­kreten prak­ti­schen Pro­bleme zu lösen, die sich in der Folge dieser großen Ent­würfe ein­stellen. Auch oder viel­leicht gerade dies ist eine wichtige Dimension sozialer Ungleichheit.


Quellen

https://www.msn.com/it-it/notizie/politica/migranti-dai-trattenimenti-ai-rimpatri-cosa-decider%C3%A0-il-cdm-di-oggi/ar-AA1gTaVy

https://www.msn.com/it-it/notizie/politica/aumento-dei-cpr-e-18-mesi-per-trattenere-i-migranti-ecco-tutte-le-novit%C3%A0-dal-cdm/ar-AA1gSWL9#image=1

https://www.unionesarda.it/news/italia/caos-a-porto-empedocle-migranti-in-fuga-dal-centro-agente-ferito-il-sindaco-fanno-paura-t9g3sx0d

https://www.ilfattoquotidiano.it/2023/09/18/migranti-sindaco-di-porto-empedocle-faremo-le-barricate-se-non-avremo-risposte-dal-governo-qui-si-ammazzano-per-un-pezzo-di-pane/7295888/

https://www.ilmessaggero.it/italia/incidente_pullman_migranti_morti_autisti_feriti_a1_roma_viabilita_traffico_lampedusa_che_cosa_sappiamo-7633331.html?refresh_ce

https://agrigento.gds.it/articoli/cronaca/2023/09/18/migranti-viaggio-nellinferno-porto-empedocle-tra-caos-e-tentativi-di-fughe-855e5b81-39b4-4ba3-8a4f-78c9e9d536fb/

Der Artikel erschien zuerst hier: sciencefiles.org