Der Wokismus ähnelt immer mehr einer puris­ti­schen, inqui­si­to­ri­schen Religion

Fort­schritt ist, wenn es so fort­schreitet, wit­zelte einmal ein Comedian. Die „fort­schritt­lichen Kräfte“ sind sich immer sicher, alles besser und schöner zu machen, als es bisher war. Sehr oft mündet das Fort­schreiten aber in einer Kata­strophe. Die Fort­schritt­lichen können viel bewirken, auch viel Gutes. Aber sie neigen eben dazu, alles nie­der­zu­trampeln, was ihrem Fort­schreiten im Wege steht. Das ist heute unter dem Mode­namen Cancel-Culture bekannt. Der Flur­schaden, den diese Haltung ver­ur­sacht, ist mitt­ler­weile beträchtlich. Und die Argu­men­tation wird immer irrationaler.

Irre Flügel- und Min­der­heiten-Grup­pen­kriege untereinander

Die fort­schrittlich-woken „Fun­da­men­ta­li­sie­renden“ wenden sich oft sogar gegen eigene Leute, die eigentlich gehypt wurden … bis sie etwas sagten oder schrieben, dass nicht hun­dert­pro­zentig die reine Lehre irgend­einer Inter­es­sens­gruppe berück­sichtigt. Nur ein Beispiel:

Das musste auch die Buch­au­torin Chi­ma­manda Ngozi Adichie erfahren. Sie stellte klar, dass in ihren Augen Trans­frauen eben TRANS-Frauen und keine echten Frauen seien. Dar­aufhin wurde die vorher Umju­belte (weil schwarz, Frau, femi­nis­tisch und links) zur Persona non grata. Die Dif­fa­mierung ging sogar so weit, dass die For­derung erhoben wurde, ihre Bücher nicht mehr zu lesen. (weckt unan­ge­nehme Asso­zia­tionen von Bücher­ver­brennung?). Frau Adichie hatte sich gar nicht gegen die Rechte von Trans­frauen aus­ge­sprochen, sondern nur von ihren eigenen Erfah­rungen berichtet. Nun hat man ihr in der Szene vor­ge­worfen, Eine TERF zu sein. Es bedeutet im Sprach­ge­brauch der Woken und LGBTQ+-Szene die „Trans­feind­lichkeit von „Radikalfeminist*innen“. (TERF = Trans Exclusive Radical Feminism) also bio­lo­gische Frauen, die Femi­nis­tinnen sind und trans­se­xuelle Männer, die zur Frau wurden, nicht als Frauen akzep­tieren. . Mitt­ler­weile wird es für Trans-Feind­lichkeit all­gemein verwendet.

In den Staaten sind die links­grün­woken Stu­denten auf die Straße gegangen und demons­trieren gegen die Israelis und rufen allen Ernstes zum Völ­kermord an Juden auf, weil diese nach ihrer Ideo­logie weiße Unter­drücker und Kolo­nia­listen in Palästina sind – und die Hamas sind die Guten, die mit vollem Fug und Recht Israelis abge­schlachtet haben.

Außerhalb per­sön­licher Schutz­räume droht die „Cancel-Culture“

Es gibt außerhalb pri­vater Schutz­räume kein ent­spanntes Mit­ein­ander mehr. Unter „Nor­malos“ konnte man früher schöne Witze reißen, Frauen lachten mit über Witze, in denen ihre weib­lichen Unarten auf’S Korn genommen werden, Männer lachten mit bei Witzen zu typisch männ­lichen Schrullen. Sie waren nie böse gemeint, es men­schelte halt. Heute darf man nach Belieben bös­artige Witze über Männer machen, aber … Achtung! Nur weiße Männer. Alles andere ist fatal.

Witze über LGBTQ+-Leute, Farbige, Behin­derte, Aus­länder etc. … alles tabu. Ansonsten wird die Hassrede-Keule geschwungen. Nur bekannte Come­dians, die selbst aus einer dieser geschützten Gruppen stammen, dürfen das noch. Aber auch die müssen vor­sichtig sein und die unsicht­baren Abgründe meiden, wenn sie nicht ihre Kar­riere mit nur einem fal­schen Sketch beenden wollen.

Ich habe ein paar homo­se­xuelle Männer im Bekannten- und Freun­des­kreis. Da erzählen sie mit großem Spaß Schwu­len­witze. Ja, prima, ist lustig und warum auch nicht? Privat ist es meistens kein Problem, weil man sich gut ver­steht und um die gegen­seitige Wert­schätzung weiß. Aber außerhalb des Schutz­raumes passt man sehr genau auf, was man sagt.

Hyper­moral als Mittel der Luft­hoheit über die mensch­liche Gesellschaft

In ihrer Selbst­be­weih­räu­cherung des von ihnen als „fort­schrittlich“ gela­belten Gesell­schafts-Expe­ri­ments bringen die Linken und Woken aber den Hass in die Gesell­schaften. Das ist überall zu sehen, quer über die Welt, auch in der Geschichte.

Die Linken extra­po­lieren jede in ihren Augen „rechte“ Sicht­weise zum Keim eines neuen Natio­nal­so­zia­lismus hoch, die unwei­gerlich in Greu­el­taten, wie denen der Nazis endet. Eine Aussage, die auch nur irgendwie in die rechte Ecke ver­ortet werden kann, macht den, der sie getan hat, nach­träglich zum post­humen Mit­täter an den Nazi­ver­brechen. Dass das einfach eine bodenlose Unter­stellung, Belei­digung und extrem ver­letzend ist, das merken sie in Ihrem Eifer gar nicht.

Wer nicht konform ist, der wird schlicht und einfach zum Unmen­schen und Feind erklärt.

Aber sagen Sie mal einem solchen Empö­rungs-Senk­recht­starter, dass seine Haltung oder Aus­sagen auch in die Ecke PolPot und seien roten Khmer, Mao Zedong oder Stalin ver­ortet werden könnte und man wisse ja, wie viele Mil­lionen unschul­diger Men­schen da umge­kommen seien. Da werden Sie aber staunen, wie beleidigt man sein kann.

Cancel Culture: Auch Humor und Gelas­senheit ange­sichts „Unbot­mä­ßiger Äuße­rungen“ sind „Sünde“

Scherze über ihre Ideo­logie, über Gendern, LGBTQ+, Behin­derte, Klima und Nicht-Weiße können sie gar nicht ab, die Hei­ligen der letzten Tage des Wokismus. Spaß und selbst darüber lachen ist Sünde.

Ein deut­scher, weißer Hetero-Mann zu sein, viel­leicht auch noch ein Leis­tungs­träger und erfolg­reich, ist die elendste und wider­lichste Kreatur auf der Erde und man kann nur Abso­lution erteilt bekommen, wenn man alles, was dieses negativ besetzte Kli­schee so bietet, an sich selbst mit Stumpf und Stiel aus­merzt und in Demuts­haltung vor allen Min­der­heiten zu Kreuze kriecht – und sich (da kann auch der geläu­terte, weiße, woke Mann nicht anders) an die Spitze der Woke-Religion setzt und deren Feinde verbal nie­der­säbelt. Irgendwie eine völlig ent­gleiste Form des Kreuzrittertums.

Erlaubt sich ein Mit­mensch, eine andere Meinung zu haben, Gendern doof zu finden oder von all den Spiel­arten von Iden­tität und sexu­eller Aus­richtung nichts wissen zu wollen, macht er Witze über die Schutz­be­dürf­tigen Min­der­heiten aller Couleur und ver­letzt damit die Tabus, wird er mög­li­cher­weise alles ver­lieren. Keiner spricht mehr mit ihm, niemand will mehr mit ihm zu tun haben, er ist ein Unsicht­barer geworden.

Wehe dem, der ins Visier der Selbst­ge­rechten gerät

Ein Kom­mentar von Hannes Roß im „Stern“ führt einen wei­teren Fall von Cancel-Culture vor Augen. Zwei Come­dians, die Herr Roß bisher sehr schätzte, auch für ihre Scharf­zün­gigkeit, – der Brite Ricky Gervais und der Ame­ri­kaner Dave Chap­pelle waren für ihn „zwei Heilige der Comedy“. Aber das ist vorbei. Die beiden Comedy-Stars reiten nun in ihrem Pro­gramm auch Attacken gegen den Wokismus. Hannes Roß schreibt:

„Aber jetzt sind Gervais und Chap­pelle abge­stürzt. Auf ein muf­figes, reak­tio­näres Humor­niveau, das ich ihnen niemals zuge­traut hätte. In kurzen Abständen haben die beiden neue Stand-up-Shows auf Netflix ver­öf­fent­licht, in denen sie sich als aus der Zeit gefallene Männer offen­baren: Auf der ver­zwei­felten Suche nach Tabus machen sie sich über Trans­se­xuelle, Obdachlose, Homo­se­xuelle und Behin­derte lustig. Erstaunen muss indes die Fülle an kul­tu­rellen Kli­schees und ras­sis­ti­schen Res­sen­ti­ments. (…) Plumpe und platte Anti-Woke-Gags, prä­sen­tiert als letzte Ver­tei­digung der Meinungsfreiheit“ 

Ähnlich erging es dem Schau­spieler Kevin Spacey. Er stand vor Gericht wegen des Vor­wurfs, vier Männer sexuell genötigt zu haben. Das Gericht sprach ihn in allen Punkten frei. Seine Freunde waren in der quälend langen Zeit der Ermitt­lungen und des anschlie­ßenden Gerichts­pro­zesses alle ver­schwunden. „Ehe die erste Frage gestellt war, verlor ich meinen Job, meinen Ruf. Ich habe innerhalb weniger Tage alles verloren.”

Noch am Sonntag nach dem Frei­spruch sagte ein Lon­doner Kino die Pre­miere seines neuen Films “Control” aus mora­li­schen Gründen kurz­fristig ab. In einem furiosen Auf­tritt an der Uni­ver­sität Oxford übte er in der Rolle des Timon von Athen (Shake­speare) bein­harte Kritik an fal­schen Freunden und der Cancel-Culture, deren Opfer er geworden war.

Statt einmal inne­zu­halten und sich zu fragen, welches Recht man denn hat, andere abzu­kanzeln, weil sie andere Über­zeu­gungen haben und wer hier wem eigentlich Schaden zufügt, sonnt man sich als „Poli­tisch Kor­rekter“ im Beifall der Gleich­ge­sinnten und dem Gefühl, ein Held für die gerechte Sache zu sein. So funk­tio­nieren alle des­po­ti­schen Ideologien.