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Begründung zum Entwurf des Ukrai­nisch-Rus­si­schen Friedensvertrags

Nach­folgend ver­öf­fent­liche ich Anlage 1 zu den zwei offenen Briefen von Gene­ral­major a.D. Gerd Schultze-Rhonhof. Seine Briefe und detail­liert aus­ge­ar­bei­teten Frie­dens­vor­schläge zur Bei­legung des sinn­losen Kriegs in der Ukraine wurden – bis auf zwei Aus­nahmen – von den ehe­ma­ligen Kriegs­dienst­ver­wei­gerern in der Politik igno­riert. Mögen seine Briefe und Vor­schläge zu Dis­kus­sionen anregen und den Weg zum Frieden ebnen. Es folgt zur Doku­men­tation zunächst Herrn Schultze-Rhonhofs Schreiben an die Redak­tionen der freien Medien vom 14.02.2024:

Meine Damen und Herren in den Redaktionen!

Seit über einem Jahr ver­suche ich ver­geblich, eine aktive deutsche Frie­dens­po­litik für den Ukraine-Kon­flikt anzu­regen, indem ich in Briefen und Schriften Vor­schläge dazu an deutsche Poli­tiker und Abge­ordnete ver­sende. Ich schicke Ihnen hiermit meine jüngsten Briefe zu Ihrer Infor­mation. Wenn Sie wollen, können Sie darüber berichten, daraus zitieren oder es kom­men­tieren. Ich habe nur die Bitte, dass Sie, bevor Sie es tun, meine Begrün­dungen in der Anlage 1 kom­plett gelesen haben.

Mit freund­lichem Gruß
Ihr
Gerd Schultze-Rhonhof

Es folgt Anlage 1 zu “Ukraine Brief an Öffent­lichkeit vom 3.2.2024” – Bilder von Maria Schneider eingefügt

Begründung zum Entwurf des Ukrai­nisch-Rus­si­schen Friedensvertrags 
                                        
Glie­derung

  • Die Dring­lichkeit des Kriegsendes
  • Kriegs­gefahr für Deutschland
  • Die ukrai­nische Vorgeschichte
  •               Ukraine und EU
  •               Der Sprachenstreit
  •               Acht Jahre Donbass-Krieg
  • Der Sach­stand heute
  • Die rus­sische Vorgeschichte
  • Russland und die USA
  • Georgien, Ame­rikas Vorwand
  • Russland und die NATO
  • Die Krim
  • Die Bedeutung von Kriegsverbrechen
  •               Die psy­cho­lo­gische und poli­tische Wirkung
  •               Das Butscha-Massaker
  •               Der Retroville-Kaufhaus-Beschuss
  •               Bei­der­seitige Kriegsverbrechen
  •               Die Gül­tigkeit des Kriegsvölkerrechts
  • Die Abwägung der Rechts­grund­lagen und Rechtsauffassungen
  • Ver­hand­lungen und Vertragspartner
  •               Beteiligungsempfehlungen
  •               Warnung vor Beteiligungen
  •               Orte der Verhandlungen
  • Die Anbahnung von Verhandlungen
  • Wesent­liche Inhalte des Vertragstextes
  • Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit

Die Dring­lichkeit des Kriegsendes

Das Leiden und Elend der ukrai­ni­schen Bevöl­kerung und die Zer­störung ihres Landes sowie die deutsche Kofi­nan­zierung des dor­tigen Krieges müssen schnellst­möglich beendet werden, auch wenn dem die EU- und NATO-Politik derzeit ent­ge­gen­stehen. Es wird Zeit, den strei­tenden Par­teien die Illusion zu nehmen, sie könnten bei Fort­dauer der Kämpfe ihre Posi­tionen bei einem Frie­dens­schluss noch wesentlich ver­bessern. Ins­be­sondere die ukrai­nische Staats­führung muss begreifen, dass die Ukraine der völ­ligen Selbst­zer­störung näher ist, als der Rück­eroberung von Gebieten, deren Bevöl­kerung mehr­heitlich nicht ukrai­nisch bleiben will. Dazu ist es nötig, dass die Deutsche Bun­des­re­gierung ihre Unter­stüt­zungen und Bei­stands­ver­sprechen an die Ukraine her­un­ter­fährt und nicht pau­senlos erneuert. Die Ver­sprechen aus Berlin und anderen Haupt­städten wirken auf die Kiewer Regierung psy­cho­lo­gisch wie ein „Blanko-Scheck zum Wei­ter­machen“. Die Zeit ist reif für ein rasches Kriegsende und eine dem­entspre­chende sofortige deutsche Initiative.

Für ein bal­diges Kriegsende sprechen auch die Ent­wick­lungen in Deutschland, in den USA und in der EU. In den USA schwinden offen­sichtlich Stimmung und Bereit­schaft in der Politik und der Bevöl­kerung, den Ukraine-Krieg mit Zuschüssen und Dar­lehen weiter zu finan­zieren. Das ist so, weil kein Ende abzu­sehen ist und die bis­he­rigen US-Waf­fen­lie­fe­rungen in Form von Dar­lehen offen­sichtlich später abge­schrieben werden müssen. In der EU wird die Kluft zwi­schen Ukraine-För­derern und Ukraine-Kri­tikern langsam größer. Ein Kriegsende würde die EU finan­ziell und von einem internen Zwist ent­lasten. In Deutschland nimmt die Bereit­schaft ab, Mil­li­arden für den Ukraine-Krieg und die Ukrai­ne­flücht­linge aus den ohnehin knappen Haus­halten des Bundes, der Länder und Kom­munen bereit­zu­stellen. Gelder aus dem 100 Mil­li­arden Son­der­ver­mögen-Bun­deswehr für die Ukraine abzu­zweigen, immer wieder Waffen aus dem Bestand der ohnehin gebeu­telten Bun­deswehr in die Ukraine abzu­geben und die Abgabe von acht Mil­li­arden Euro an die Ukraine in 2024 plus drei Mil­li­arden deut­scher Anteil in 2024 an der EU-Ukraine-Unter­stützung sind ange­sichts der Haus­halts­misere im eigenen Lande ohnehin den deut­schen Wählern kaum noch zu vermitteln.

Im Sinne eines bal­digen Kriegs­endes auf der Grundlage eines eiligen Frie­dens­schlusses ist es geboten, die Zahl der betei­ligten Ver­hand­lungs- und Signa­tar­staaten auf ein Minimum zu begrenzen und vor allem alle Staaten von den Ver­hand­lungen aus­zu­schließen, die Eigen­in­ter­essen in der Ukraine verfolgen.

Im Sinne eines bal­digen Kriegs­endes auf der Grundlage eines eiligen Frie­dens­schlusses sollte beiden Kriegs­par­teien ein voll aus­for­mu­lierter Ver­tragstext ange­boten werden, der nötige Ver­hand­lungen abkürzt und das sonst übliche monate- oder jah­re­lange Feil­schen, Pokern und Streiten weit­gehend umschifft. Dem dient der in der Anlage 2 dem Herrn Bun­des­kanzler bereits zuge­sandte Entwurf eines Frie­dens­ver­trags, der alle in Frie­dens­ver­trägen üblichen poli­ti­schen, ter­ri­to­rialen, öko­no­mi­schen, recht­lichen, mili­tä­ri­schen und sons­tigen Rege­lungen enthält.

Kriegs­gefahr für Deutschland

Die bis­he­rigen Reak­tionen der Bun­des­re­gie­rungen auf die rus­sisch-ukrai­ni­schen Aus­ein­an­der­set­zungen stei­gerten sich nach der anfänglich erfolg­reichen Ver­mittlung des Minsk II Abkommens seit Kriegs­beginn zu immer inten­si­verer, mit­tel­barer Kriegs­be­tei­ligung. Das führte trotz des immer wieder ein­set­zenden Bedenkens und Sträubens von Bun­des­kanzler Scholz zunächst zur Lie­ferung von Schutz­westen und Stahl­helmen, dann zur Lie­ferung von Rad­fahr­zeugen, dann Artil­le­rie­ge­schützen und Munition, dann Flug­abwehr-Panzern und Flug­ab­wehr­ra­keten bis hin zu Kampf­panzern. Nach sorg­fäl­tigem Abwägen und Zögern hat die deutsche Bun­des­re­gierung letzt­endlich stets den sich stei­gernden For­de­rungen der Ukraine, dem Druck der Bünd­nis­partner und vieler deut­scher Medien und deut­scher Par­la­men­tarier nach­ge­geben und geliefert. Jetzt stehen eine deutsch-ukrai­nische-Rüs­tungs­ko­ope­ration auf der Tages­ordnung, und die Lie­ferung von Kampf­flug­zeugen und Marsch­flug­körpern steht auf der ukrai­ni­schen For­de­rungs­liste. Wegen der ukrai­ni­schen mili­tä­ri­schen Erfolg­lo­sigkeit und Erschöpfung und wegen des nicht nach­las­senden Drucks auf die Bun­des­re­gierung ist nicht zu erwarten, dass sie dieser zuneh­menden Ver­stri­ckung in die mit­telbare Kriegs­be­tei­ligung wider­stehen wird. Dem können Deutschland und die Bun­des­re­gierung nur ent­kommen, wenn der Krieg ein rasches Ende findet.

Selbst eine direkte Betei­ligung von Teilen der Bun­deswehr ist bei anhal­tender Kriegs­dauer und wei­terer Abnutzung der ukrai­ni­schen Streit­kräfte nicht mehr aus­zu­schließen. Je öfter die Bun­des­re­gierung die Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen und Ver­spre­chungen der EU und der NATO an die Ukraine über­nimmt, desto schwie­riger wird es für Deutschland werden, aus dieser Sack­gasse der mit­tel­baren Kriegs­be­tei­ligung heraus und zu einer Kon­flikt­lösung zu finden.

Einer der ganz wenigen stra­te­gisch den­kenden deut­schen Kom­men­ta­toren, der ehe­malige Vor­sit­zende des NATO-Mili­tär­aus­schusses und frühere Vor­sit­zende des NATO-Russland-Rats General Kujat, bezeichnete die Lage in einem Interview bereits am 31. August und wie­derholt danach nicht mehr nur als ein Risiko, sondern als „reale Gefahr“, dass der noch lokale Rus­sisch-Ukrai­nische Krieg zu einem Dritten Welt­krieg aus­ufert. Das Wortstra­te­gisch“ bedeutet in diesem Zusam­menhang, eine Ent­wicklung bis zu ihrem Ende zu durchdenken.

Fata­ler­weise hat die Deutsche Bun­des­re­gierung ihre poli­tische und mora­lische Ent­schei­dungs­freiheit über eine spätere Kriegs­be­tei­ligung Deutsch­lands an einem gege­be­nen­falls aus­ufernden Ukraine-Krieg de facto an die Ukraine abge­treten. Sie hat der ukrai­ni­schen Regierung durch ihre immer wie­der­holten Bei­stands­ver­sprechen, ver­bunden mit den Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen innerhalb von NATO und EU einen Blanko-Scheck für die Endlos-Fort­setzung des Krieges aus­ge­stellt. Dieser Tage, am 16. Februar in Berlin, ist das nächste Ewig­keits­ver­sprechen Deutsch­lands zur Kriegs­un­ter­stützung der Ukraine in Form einer schrift­lichen, bila­te­ralen „Sicher­heits­ver­ein­barung“ vor­ge­sehen. Sie soll einem Rund­funk­kom­mentar zu Folge bis zur Auf­nahme der Ukraine in die NATO gelten. Es wird höchste Zeit, dass die Bun­des­re­gierung ihre „Ermun­te­rungen“ in Richtung Kiew und ihre Bekräf­ti­gungen in Richtung NATO ein­stellt. Mit jeder neuen, solchen Zusage wird die Tür zu Frie­dens­ver­hand­lungen ein wei­teres Mal zugeknallt.

Die ukrai­nisch-rus­sische Aus­ein­an­der­setzung wird in den deut­schen Medien und im „Poli­tik­be­trieb“ seit Jahren asym­me­trisch beschrieben. Es werden dabei sowohl die ukrai­nische Vor­ge­schichte als auch die rus­sische Vor­ge­schichte aus­ge­blendet und die ukrai­ni­schen Rechts- und Ver­trags­brüche und die mas­siven ukrai­ni­schen Kriegs­ver­brechen unter­schlagen. Ich schildere diese Bereiche nach­ein­ander, ehe ich auf die erfor­der­lichen Moda­li­täten des vor­ge­schla­genen ukrai­nisch-rus­si­schen Frie­dens­ver­trags eingehe.

Die ukrai­nische Vorgeschichte

Ukraine und EU

Die Ukraine schloss im November 2011 ein Frei­han­dels­ab­kommen mit Russland und ver­han­delte 2012 und 13 mit der EU über ein Asso­zi­ie­rungs­ab­kommen. Sie ver­suchte, sich den einen Markt zu erschließen, ohne den anderen zu ver­lieren. Die ukrai­nische Regierung unter Minis­ter­prä­sident Asarow hatte dabei die Absicht, die EU-Annä­herung mit der Mit­glied­schaft in Russ­lands Frei­han­delszone zu ver­binden, was die Russen nach anfäng­lichem Wider­stand bereit waren zu ver­handeln, was die EU-Kom­mission unter Kom­mis­si­ons­prä­sident Barroso aber rund­heraus abge­lehnt hat. Die EU ver­suchte de facto, einen „Allein­ver­tre­tungs­an­spruch“ für den zukünf­tigen Außen­handel der Ukraine durch­zu­setzen. Damit war Staats­prä­sident Janu­ko­wytschs ursprüng­liche Absicht gescheitert, die Ukraine wirt­schaftlich und poli­tisch als Brücke zwi­schen Ost und West zu etablierten.

Als die Ver­hand­lungen mit der EU in ihre „heiße Phase“ traten, befürchtete Ukraine’s Staats­prä­sident Janu­ko­wytsch rea­lis­tisch, dass die Wirt­schaft der Ukraine bei der Anpassung an die EU deren Kon­kur­renz­druck wirt­schaftlich und tech­nisch nicht gewachsen sein würde, wie zuvor die DDR der BRD. Er fordert eine 160 Mil­li­arden Euro umfas­sende Anpas­sungs-Bei­hilfe von der EU, und die EU lehnte ab, was ver­ständlich war.

Ein zweites Hin­dernis war der von der EU ange­botene Asso­zi­ie­rungs­vertrag. Die Ukraine sollte sich nach dem Vertrag den West­im­porten öffnen, ihr selbst aber wurden nur minimale Aus­fuhr­quoten zuge­standen. Die Ukraine bekam bei Verlust des Russland-Marktes für Ihre jährlich 30 Mil­lionen Tonnen Export-Weizen nur eine 200.00 Tonnen Aus­fuhr­quote in die EU zuge­standen. Das waren 0,7 % des Weizens, auf dessen Ausfuhr und die Ein­nahmen die Ukraine ange­wiesen war. Bei Fleisch­waren waren es 2% und bei Stahl­ex­porten ähnlich wenig. Dar­aufhin legte Janu­ko­wytsch den Asso­zi­ie­rungs­vertrag erst einmal für ein Jahr auf Eis, um Zeit für Neu­ver­hand­lungen zu haben. EU Kom­mis­si­ons­prä­sident Barroso drohte Janu­ko­wytsch dar­aufhin unver­hohlen „Wenn Sie nicht unter­schreiben, tut es der nächste Präsident“.

( als wüsste er, dass ein Macht­wechsel bereits in Vor­be­reitung wäre.) Bar­rosos Anmaßung war neben der unglück­lichen Staats­zu­ordnung der Krim das zweite Samenkorn, das später als Ukraine-Krieg aufging. Alt­bun­des­kanzler Helmut Schmidt hat den Versuch der EU-Kom­mission, „die Ukraine vor die Wahl zu stellen, sich zwi­schen West und Ost zu ent­scheiden“ damals scharf ver­ur­teilt und als „Grö­ßen­wahnsinn der EU“ bezeichnet. Er hat dabei 2014 schon gewarnt, dass solch´ Ver­halten zu einem Kriege führen kann.

Staats­prä­sident Janu­ko­witsch hat also die Asso­zi­ierung der Ukraine mit der EU nicht aus Russ­land­af­fi­nität „platzen lassen“, wie eine Nach­rich­ten­spre­cherin der ARD (22.11.2023 ) berichtet hat, sondern er hat sie aus Ver­ant­wortung für die ukrai­nische Wirt­schaft um ein Jahr verschoben.

Der Mei­nungs­druck in der Ukraine für einen wirt­schaft­lichen West­an­schluss und eine spätere EU-Mit­glied­schaft war aber inzwi­schen in der ukrai­ni­schen Bevöl­kerung so stark, dass Janu­ko­wytsch diese Ent­scheidung nicht über­stand. Er wurde gestürzt, und es kam zum soge­nannten Maidan-Aufstand.

Der Spra­chen­streit

Ukrai­nische Dia­lekte: Alex K deri­vative work: —Angr, CC BY 3.0, via Wiki­media Commons. Bild von Maria Schnieder eingefügt.

Der Janu­ko­wytsch-Sturz löste den inne­rukrai­ni­schen Spra­chen­streit und in dessen unmit­tel­barer Folge den inne­rukrai­ni­schen Sepa­ra­ti­ons­krieg aus. Am 22. Februar 2014 war der ukrai­nische Staats­prä­sident Janu­ko­wytsch an der geplanten EU-Asso­ziation gescheitert und gestürzt worden. Tags darauf, am 23. Februar erließ der Über­gangs­prä­sident Turtschynow ein Spra­chen­gesetz, das Ukrai­nisch zur allei­nigen Lan­des­sprache erklärte und damit Rus­sisch – die bisher zweite Lan­des­sprache – als Amts‑, Schul- und Gerichts­sprache in den rus­sisch­spra­chigen Städten und Oblasten verbot. Die Mut­ter­sprache ist jedoch – mehr noch als die formale Staats­an­ge­hö­rigkeit – ein wesent­licher Teil der per­sön­lichen Iden­tität. So kam es sofort nach Erlass des Gesetzes zu Unruhen in den mehr­heitlich rus­sisch­spra­chigen Städten von Odessa bis Mariupol, auf der Krim und in den zwei Ost­oblasten Lugansk und Donezk.

Mit dem Turtschy­now­schen Spra­chen­gesetz hatte die ukrai­nische Zen­tral­re­gierung außerdem gegen die „Euro­päische Charta der Regio­nal­sprachen“ ver­stoßen. Mit der Rati­fi­zierung dieser Charta hatte sich die Ukraine 2003 ver­pflichtet, die Regio­nal­sprachen im eigenen Land zu schützen.

Acht Jahre Donbass-Krieg

Zeit­gleich mit der Abspaltung der Krim bro­delte es auch in den ost­ukrai­ni­schen Städten und Oblasten. In Städten wie Odessa mit 65 % Rus­sisch Spre­chenden und Mariupol mit 90 % Rus­sisch Spre­chenden und im heiß umkämpften Kre­ma­torsk mit 68 % solchen Bewohnern und in den Oblasten Lugansk und Donezk herrschte Rus­sisch als Mut­ter­sprache vor. ( Zahlen aus der Volks­zählung 2001 ) Damit waren die Unruhen 2014 als Folge des anti­rus­si­schen Spra­chen­ge­setzes vorprogrammiert.

Am 7. und 28. April 2014 – zwei bis fünf Wochen nach Turtschinows Spra­chen­gesetz – erklären sich zuerst der Oblast Donezk mit 75 % rus­sisch­spra­chiger Bevöl­kerung, dann der Oblast Lugansk mit 69 % rus­sisch­spra­chiger Bevöl­kerung, zu selb­stän­digen Volks­re­pu­bliken. In einem Refe­rendum im Mai 2014 stimmen über 90 % der Befragten in beiden Oblasten für ihre Unab­hän­gigkeit von Kiew. Die ukrai­nische Zen­tral­re­gierung setzte dar­aufhin Militär dagegen ein und schlug dort und andernorts ähn­liche Bestre­bungen in wochen­langen Stra­ßen­kämpfen nieder. So wurden vom 12. April bis zum 5. Juli die „Put­schisten“ in einer „Anti-Terror-Ope­ration“ in Odessa, Mariupol und im west­lichen Donbass, z. B in Kre­ma­torst, Slo­wjansk und wei­teren Städten geschlagen und ver­trieben. Seitdem tobt im Donbass der lokale Sezessionskrieg.

Was zur Beur­teilung der Kriegs­hand­lungen der „Anti-Terror-Ope­ration“ fehlt, ist eine Bericht­erstattung in den west­lichen Medien. Nach nicht über­prüf­baren Berichten begann die Ope­ration mit einem Einsatz von etwa 100.000 Sol­daten der regu­lären ukrai­ni­schen Streit­kräfte gegen etwa 30.000 Sepa­ra­tisten. 80 % der Gefal­lenen sollen am Anfang sepa­ra­tis­tische Kämpfer gewesen sein. Berichte, die dennoch zur Ver­fügung stehen, stammen in der Regel aus der Schweiz. So ist auf diesem Umweg bekannt geworden, dass 2014 ukrai­nische Kom­panien und ganze Bataillone mit Rus­sisch spre­chenden Sol­daten mit ihren Waffen auf die Seite der Sepa­ra­tisten über­ge­laufen sind, und dass Rus­sisch spre­chende Ukrainer zu Hun­dert­tau­senden aus den umkämpften Gebieten in Auf­fang­lager ins benach­barte Russland geflohen sind. Unsere Medien berich­teten statt­dessen nur von „nach Russland ent­führten Ukrainern“.

Russland unter­stützte zwar die rus­si­schen Sepa­ra­tisten in den abtrün­nigen Oblasten, aber es griff den ter­ri­to­rialen Bestand der Ukraine bis 2022 selbst nicht an. Dennoch behauptete der damalige NATO-Gene­ral­se­kretär Ras­mussen schon im Sep­tember 2014, „Russland greife die Ukraine an“, was die im Land befind­lichen OSZE-Beob­achter nicht bestä­tigen konnten. Putin for­derte statt­dessen Anfang Mai 2014 die Anführer der zwei abtrün­nigen Oblaste auf, ihre geplanten Refe­renden zu ver­schieben, um mög­liche Ver­hand­lungen nicht zu blo­ckieren. Nach den Refe­renden erkannte er die Selbst­stän­digkeit von Lugansk und Donezk acht Jahre lang nicht an. Vielmehr ver­suchte er, auf den zwei Minsker Kon­fe­renzen im Sep­tember 2014 und im Februar 2015 zusammen mit Frank­reich und Deutschland eine gedeih­liche Regelung für Lugansk und Donezk als halb­au­tonome Oblaste innerhalb der Ukraine zu arrangieren.

Was an den deut­schen Bericht­erstat­tungen von damals auf­fällt, ist, dass von 2014 bis 2022 nichts über das Leid der betrof­fenen Bevöl­ke­rungen, über die Zer­stö­rungen im Donbass, über das Flücht­lings­elend und über ukrai­nische Kriegs­ver­brechen berichtet worden ist. Immerhin meldete die OSZE für diesen Zeitraum etwa 14.000 Todes­opfer in den zwei umkämpften Ost­oblasten. Damit gab es auch keine all­ge­meine Empörung darüber im Deut­schen Bun­destag und in der Bevöl­kerung, wie sie acht Jahre später beim rus­si­schen Angriff auf die Ukraine losbrach.

Der Anschluss der Krim an die Rus­sische Föde­ration und der inne­rukrai­nische Sepa­ra­ti­ons­krieg waren die Folge einer ver­häng­nis­vollen Kette, begonnen vom unglück­lichen Asso­zi­ie­rungs­an­gebot der EU an die Ukraine, über die Ver­trags­ver­schiebung um ein Jahr durch Janu­ko­wytsch, über den Janu­ko­wytsch-Sturz bis hin zum ver­häng­nis­vollen Ver­prellen des rus­sisch­spre­chenden großen Anteils des ukrai­ni­schen Staats­volks durch Turtschynow mit seinem Spra­chen­gesetz. Ich rate, diese unglück­liche Ver­kettung beim Versuch eines ukrai­nisch-rus­si­schen Inter­es­sen­aus­gleichs nicht außer Acht zu lassen und die Ent­wicklung zum Kriege hin nicht vor allem Russland anzulasten.

Zur recht­lichen Bewertung der Abspaltung von Staats­teilen aus der bis­he­rigen Ukraine ist ein Grund­satz­urteil zu bedenken, das der Inter­na­tionale UN-Gerichtshof in den Haag im Fall der Kosovo-Unab­hän­gigkeit am 22. Juli 2010 ent­schieden und aus­ge­führt hat. Die Ent­scheidung besagt, dass „das all­ge­meine Völ­ker­recht kein irgendwie fest­ge­legtes Verbot einer Unab­hän­gig­keits­er­klärung“ kennt, wenn die über­wie­gende Mehrheit der Bevöl­kerung eines zusam­men­hän­genden Gebiets sich in demo­kra­tisch her­bei­ge­führter Wil­lens­bildung dafür ent­scheidet, sich vom bisher zuge­hö­rigen Staats­gebiet abzu­spalten. Es muss sich auch dem juris­tisch nicht vor­ge­bil­deten Betrachter die Frage stellen, warum die Abspaltung Est­lands, Lett­lands und Litauens mit je 2 Mil­lionen Ein­wohnern plus/minus von der Sowjet­union von allen NATO- und EU-Staaten begrüßt und aner­kannt worden ist und die Abspaltung der Krim-Bevöl­kerung mit ihren 2,3 Mil­lionen Ein­wohnern ein Völ­ker­rechts­verstoß gewesen sein soll.

Der Spra­chen­streit seit 2014 und der acht­jährige Bür­ger­krieg mit seiner Härte und den Kriegs­ver­brechen an einem Teil der ost­ukrai­ni­schen Bevöl­kerung schließen ein gedeih­liches Mit­ein­ander von Ukrainern und der starken rus­si­schen Min­derheit in einem Staat in Zukunft aus. Die ukrai­nische Regierung hat ihre Chance, den Zwei­völ­ker­staat zu erhalten, ver­spielt, als sie das Minsker Abkommen mit seiner Auto­no­mie­lösung für die Ost­ukraine nicht respek­tiert und nicht umge­setzt hat. Das ist bei einem rus­sisch-ukrai­ni­schen Frie­dens­schluss zu berück­sich­tigen, wenn der Frieden auf Dauer halten soll.

Sach­stand heute

Die Ukraine ist an Men­schen­kraft durch Kriegs­ver­luste, Abwan­derung und Abspaltung „aus­ge­blutet“ ( von ehem. 42 Mil­lionen Ein­wohnern auf jetzt 23 Mio ), an Waffen und Munition weit­gehend ver­braucht und an Finanz­kraft auf Jahr­zehnte hinaus hoch ver­schuldet. Sie war auch nicht in der Lage, ihre letzten ver­suchten Groß­of­fen­siven zum Erfolg zu führen. Der Ukraine-Krieg ist damit de facto zum andau­ernden Stel­lungs­krieg a la Erster Welt­krieg geworden. Ohne weitere umfang­reiche Auf­rüstung durch die NATO-Staaten und sonstige Unter­stützung dritter Staaten wird die Ukraine auch in Zukunft nicht in der Lage sein, noch eines ihrer selbst gesteckten ter­ri­to­rialen Kriegs­ziele zu erreichen.

Auch ansonsten ist die Kriegs­un­ter­stützung der Ukraine gegen Russland nach wie vor höchst frag­würdig. Zum Ersten hat die Ukraine den ersten Kriegs­grund mit dem Spra­chen­streit und dem Einsatz der Armee gegen die eigene Bevöl­kerung im Donbass selbst geliefert. Und zum Zweiten stehen sich die Ukraine und die Rus­sische Föde­ration mit ihren auto­ri­tären Staats­füh­rungen, der Häu­figkeit poli­ti­scher Morde und Kor­rup­ti­ons­fälle und in der Anzahl der seit 1995 ver­letzten inter­na­tio­nalen Ver­träge, Reso­lu­tionen und Chartas gegen­seitig in nichts nach. Das­selbe trifft ganz offen­sichtlich auf die Häu­figkeit began­gener Kriegs­ver­brechen zu. (Dazu Details zwei Kapitel später ) In Summa bedeutet das, dass die Ukraine weder „west­liche Werte“ noch die Freiheit Europas mit ver­teidigt, wie ein Teil der west­lichen poli­ti­schen Eliten ihren Bevöl­ke­rungen suggeriert.

Staats­prä­sident Selenskyj fürchtet offen­sichtlich um sein Amt, nachdem der im Lande ange­sehene Armeechef General Salu­schnyj ein eigenes Interesse am Prä­si­den­tenamt bekundet und der Bür­ger­meister von Kiew Klit­schko Selen­skyjs Amts­führung hart kri­ti­siert hat. Salu­schnyj liegt in der Beliebt­heits­skala im Dezember 2023 mit 88 % deutlich vor Selenskyj mit 62 %. Es ist durchaus möglich, dass Selenskyj trotz seiner häufig wie­der­holten Ablehnung von Ver­hand­lungen bereit sein würde, einem schnellen Kriegsende mit ver­nünf­tigen Kon­di­tionen zuzu­stimmen, wenn er damit selbst zum Schluss als Frie­dens­bringer dastehen und wieder erfolg­reich für das Prä­si­den­tenamt kan­di­dieren könnte.

Die rus­sische Vorgeschichte

Russland und die USA

Am Anfang des rus­sisch-ukrai­ni­schen Zer­würf­nisses stand neben anderen Schwie­rig­keiten der Zerfall des gegen­sei­tigen Ver­trauens und die zuneh­menden Inter­es­sen­ge­gen­sätze zwi­schen den USA und Russland. Die ame­ri­ka­nisch-rus­sische Annä­herung ab1997 mit der NATO-Russland-Grundakte und dem NATO-Russland-Rat wich ab 2002 einer erneuten Ent­fremdung. Die USA hatten 2002 den ABM-Vertrag gekündigt, ohne ihn, wie von Russland erbeten und nach der NATO-Russland-Grundakte grund­sätzlich vor­ge­sehen, erneut mit Russland zu ver­handeln. Des Wei­teren hatten 30 Staaten 1999 einen KSE-Nach­fol­ge­vertrag aus­ge­handelt, den die NATO-Staaten, im Gegensatz zu Russland, anschließend nicht rati­fi­zierten. Zu „schlechter Letzt“ hatten die USA 2008 unter dem Vorwand einer Krise in Georgien die Auf­nahme der Ukraine in die NATO gefordert und damit das Standbein rus­si­scher Sicher­heits­po­litik in Frage gestellt. Dies Standbein war der Reak­tions- und Sicher­heits­ab­stand zum NATO-Gebiet mit der damit gege­benen gegen­sei­tigen ato­maren Ver­wund­barkeit. Die Georgien-Affäre ist aller­dings ver­dreht in das Gedächtnis der deut­schen „poli­ti­schen Welt“ eingegangen.

Georgien, Ame­rikas Vorwand

Der Sach­verhalt der Vor­ge­schichte des Geor­gi­en­kon­flikts war folgender:

Süd­os­setien, bis dato eine Nord­provinz Geor­giens, hatte sich bereits 1989 von Georgien getrennt, noch bevor sich Georgien selbst 1991 von der Sowjet­union los­löste. Danach ver­suchte das nun selb­ständige Georgien, sich das abtrünnige Süd­os­setien in zwei „Geor­gi­schen Kriegen“ wieder anzu­schließen. Bei Ver­mitt­lungs­ver­suchen der EU und Russ­lands trat Russland als Schutz­macht der Osseten und mit einer Frie­dens­truppe in Süd­os­setien auf. Im November 2006 hielt die regionale süd­os­se­tische Regierung ein Refe­rendum ab, das zu einem über 90 pro­zen­tigen Ergebnis für die Unab­hän­gigkeit von Georgien führte. Trotzdem erkannte Russland die Unab­hän­gigkeit Süd­os­se­tiens von Georgien mit Hinweis auf die damals gleich­zeitig offene Unab­hän­gig­keits­frage des Kosovo von Serbien nicht an. ( Russland stand auf der Seite Ser­biens und war gegen die Abspaltung des Kosovo )

Am 17. Februar 2008 erklärte sich das Kosovo für unab­hängig. Schon tags darauf, am 18. Feb. erkannten die USA die Unab­hän­gigkeit des Kosovo an. ( am 20. Feb. folgte die Aner­kennung durch Deutschland ) Einen Monat später, am 21. März, erkannte Russland die süd­os­se­ti­schen Unab­hän­gigkeit mit Hinweis auf den vor­he­rigen Kosovo-Fall an. Wie­derum zwei Wochen später, am 3. April, bean­tragten die USA auf dem NATO-Gipfel in Bukarest die Auf­nahme Geor­giens und ohne wei­teren Anlass auch gleich noch der Ukraine in die NATO. Drei Monate später, ab Mitte Juli 2008 hielten rus­sische Streit­kräfte im Nord­kau­kasus auf rus­si­schem Staats­gebiet das Manöver „Cau­casus Frontier“ und US-ame­ri­ka­ni­schen Streit­kräfte zusammen mit geor­gi­schen das Manöver „Imme­diate Response“ in Georgien ab.

Putin reagierte auf den US-Vor­schlag, Georgien in die NATO auf­zu­nehmen, und stärkte nun rus­si­scher­seits die Selbst­stän­dig­keits­be­mü­hungen der Süd­os­seten. Er ver­fügte am 16. April die engere Zusam­men­arbeit der rus­si­schen mit den süd­os­se­ti­schen Behörden und ließ im Mai die dor­tigen rus­si­schen Frie­dens­truppen um 500 Sol­daten ver­stärken. Die Georgier wer­teten das als Ein­mi­schung Russ­lands in ihre inneren Ange­le­gen­heiten und als rus­sische Bedrohung. Der geor­gische Prä­sident Scha­a­ka­schwili ließ dar­aufhin am 8. August 2008 in Hoffnung auf die Unter­stützung von ame­ri­ka­ni­schen Manö­ver­truppen in seinem Land Süd­os­setien angreifen und deren Haupt­stadt bom­bar­dieren. Als Russland dar­aufhin ein­griff und die Georgier in fünf Tagen aus Süd­os­setien ver­trieb, war das ame­ri­ka­nisch-geor­gische Bedro­hungs­nar­rativ für die NATO manifest. Seitdem hängt das Damo­kles­schwert einer NATO-Erwei­terung nicht nur um Georgien, sondern auch um die Ukraine über Russ­lands Sicher­heits­ar­chi­tektur. Das war ein früher Mei­len­stein auf dem Weg in den heu­tigen Ukraine Krieg.

Es mutet schon eigen­artig an, wie nahezu ver­gleichbare Vor­gänge je nach Betrach­tungs­richtung unter­schiedlich bewertet und bezeichnet werden. Das Ein­greifen der NATO in Serbien zum Schutz der bedrohten Koso­varen war ein Akt der „huma­ni­tären Schutz­pflicht“. Und das Ein­greifen der Russen in Süd­os­setien zum Schutz der bedrohten Osseten war ein ver­bre­che­ri­scher Angriff. Das Ein­greifen von NATO Truppen in Serbien ohne UN Mandat war „selbst­man­da­tiert“ und das Ein­greifen der Russen in Süd­os­setien ohne UN Mandat war völ­ker­rechts­widrig. Diese Bewer­tungs­asym­metrie wie­der­holte sich 2022 beim Ein­greifen Russ­lands in den seit acht Jahren lau­fenden inne­rukrai­ni­schen Separationskrieg.

Russland und die NATO

Bild von Maria Schneider eingefügt.

Das rus­sische Bemühen, die Ent­fremdung zwi­schen Ost und West nicht zum Äußersten kommen zu lassen, wird an den rus­si­schen Anstren­gungen deutlich, den Risiko- und Sicher­heits­ab­stand zwi­schen dem Mili­tär­gebiet der NATO und dem der Rus­si­schen Föde­ration auf­recht zu erhalten. Es ist hierbei die NATO mit der Atom­macht USA, die sich mit ihrer Interessen‑, Ein­fluss- und Mili­tärzone auf Russland zubewegt und nicht Russland, das sich nach Westen aus­dehnt. Putin hatte auf der Münchner Sicher­heits­kon­ferenz im Februar 2007 deutlich for­mu­liert, dass „eine weitere NATO-Ost­erwei­terung auf den ehe­ma­ligen Gebieten der Sowjet­union das Über­schreiten einer roten Linie bedeuten würde.“. Danach war der Buka­rester Vor­schlag der USA schon 2008, Georgien und die Ukraine in die NATO auf­zu­nehmen, eine unüber­sehbare Her­aus­for­derung Moskaus. Ab 2021 wie­der­holten sich die Wünsche der Ukraine nach NATO-Mit­glied­schaft und die Andeu­tungen und Offerten dazu aus Brüssel-NATO, aus Washington und wei­teren Haupt­städten in schneller Folge. Zeit­gleich schlug Moskau mehrmals und ver­geblich gegen­seitige Sicher­heits­ab­kommen vor und Prä­sident Putin tele­fo­nierte und kon­fe­rierte etwa zwölfmal mit west­lichen Staats- und Regie­rungs­chefs, um die NATO-Auf­nahme der Ukraine doch noch abzu­wenden. Als dann NATO-Gene­ral­se­kretär Stol­tenberg erst am 13. Dezember 2021 Putin auf­for­derte, „zur Diplo­matie zurück­zu­kehren“ und der­selbe Stol­tenberg drei Wochen später, am 12. Januar 2022, der rus­si­schen Dele­gation im NATO-Russland-Rat erklärte, dass die NATO und bei­tritts­willige Staaten allein über NATO-Bei­tritte ent­schieden und dass „da niemand rein­zu­reden hätte“ und als Staats­prä­sident Selenskyj am 19. Februar 2022 die atomare Wie­der­auf­rüstung der Ukraine ansprach, war das Maß aus Mos­kauer Sicht voll. Am 24. Februar 2022 ließ Staats­prä­sident Putin rus­sische Truppen in die Ukraine ein­mar­schieren. Ein schweizer OSZE-Beob­achter in der Ukraine teilte kurz nach Kriegs­aus­bruch zu den von pol­ni­schen Geheim­diensten gemel­deten rus­si­schen Waf­fen­lie­fe­rungen an die Sepa­ra­tisten mit: „Wir konnten vor Kriegs­aus­bruch keine Waf­fen­lie­fe­rungen feststellen.“

Die offen­sichtlich vor­ge­sehene NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine war der eine Grund des rus­si­schen Ein­marschs in die Ukraine, und der seit acht Jahren wäh­rende inne­rukrai­nische Sepa­ra­ti­ons­krieg der Kiewer Zen­tral­re­gierung gegen die rus­sische Min­derheit war der andere Grund für das Ein­greifen Moskaus in den Bür­ger­krieg im Nach­barland. Insofern war der rus­sische Angriff auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 kein „ver­bre­che­ri­scher Angriffs­krieg“, sondern das Ein­greifen in einen seit acht Jahren tobenden Bür­ger­krieg im Nach­barland. Als solches war es nach west­licher Ter­mi­no­logie ein „selbst­man­da­tiertes“ Nach­kommen einer „huma­ni­tären Schutzpflicht“.

Bei der For­mu­lierung eines Frie­dens­ver­trags sollte man bei dem unüber­sicht­lichen Geflecht von Aktionen und Reak­tionen und der inter­na­tio­nalen, nicht ein­deu­tigen Bewertung von Schutz­pflichten gegenüber natio­nalen Min­der­heiten jen­seits der eigenen Grenzen auf jede Schuld­zu­weisung ver­zichten und den Vertrag aus­schließlich auf das sofortige Schweigen der Waffen, die eilige Been­digung des Krieges und zukünftige eth­ni­en­kon­forme Grenzen ausrichten.

Die Krim

Ter­ri­to­riale Ent­wicklung der Ukraine 1922 – 1954. © Spi­ridon Ion Cep­leanu, CC BY-SA 3.0, via Wiki­media Commons. Bild von Maria Schneider eingefügt.

Die Frage, die im Raume steht, ist, warum die west­liche Welt 1990 die Abspaltung der 1,3 Mil­lionen Esten, der 2 Mil­lionen Letten und des 2,8 Mil­lionen Litauer von der Sowjet­union gut geheißen hat, genauso wie 1991 die Abspaltung der 2,1 Mil­lionen Slo­wenen und der 3,9 Mil­lionen Kroaten von Serbien und im Gegensatz dazu 2014 die Los­lösung der 2,3 Mil­lionen Krim­be­wohner von der Ukraine als Bruch des Völ­ker­rechts verurteilt ?

Im Abfall der Krim von der Ukraine 2014 und ihrem anschlie­ßenden Bei­tritt zur Rus­si­schen Föde­ration liefen zwei syn­chrone Vor­gänge zusammen, erstens die Abschaffung des Rus­sisch als zweite Amts­sprache für die gesamte Ukraine und zweitens die Befürchtung der rus­si­schen Regierung, dass sie bei fort­schrei­tender Ent­wicklung ihren Kriegs­hafen Sewas­topol an die US Navy abtreten müsste.

Auf der Krim sprachen 77 % der Bewohner Rus­sisch und nur 10,1 % Ukrai­nisch. Schon im Januar 1991 hatte sich der Oberste Sowjet der Krim für eine Auto­nomie und den Ver­bleib bei der Sowjet­union ent­schieden. Das hatte die Kiewer Zen­tral­re­gierung später, im August 1991, bei ihrer eigenen Unab­hän­gig­keits­er­klärung von der Sowjet­union – und auch zuvor – nicht aner­kannt. Danach, im Dezember 1991, stimmten 54 % der Krim-Bewohner in einem erneuten, lokalen Refe­rendum – jedoch auch erneut erfolglos – für ihren Wie­der­an­schluss an Russland. Diese alte Wunde brach am 24. Februar 2014 mit dem ukrai­nische Sprach­gesetz und der Abschaffung des Rus­si­schen als zweiter Amts­sprache wieder auf. Es kam, wie im Ost­donbass, zu Unruhen. Am 27. Februar 2014 wandte sich der Krim-Prä­sident Aks­jonow mit einem Ersuchen an die rus­sische Regierung. Er bat um „Hilfe bei der Gewähr­leistung von Frieden und Ruhe auf dem Ter­ri­torium der Auto­nomen Republik Krim.“ Dem folgte am 16. März ein wei­teres Refe­rendum, in dem 95 % der abge­ge­benen Stimmen für den Wie­der­an­schluss an Russland optierten. Zu diesem Refe­rendum waren Beob­achter von OSZE, EU und UNO ein­ge­laden. Sie erschienen aber nicht. Am 21. März folgte der Anschluss der Krim an Russland. Zum Schluss setzte Russland Fall­schirm­jäger ( die sog. grünen Männer ) zur „Absi­cherung“ der Wahl auf der Krim ein. Putin berief sich dabei auf die „rus­sische Schutz­pflicht“ wie es die USA oft in ver­gleich­baren Fällen unter Berufung auf ihre ame­ri­ka­nische „huma­nitäre Schutz­pflicht“ getan haben..

Im Fall der vor­he­rigen Unab­hän­gig­keits­er­klärung des Kosovo hatte der Inter­na­tionale Gerichtshof der UN schon vor vier Jahre auch ent­schieden, dass das Aus­scheiden eines Staats­teils aus einem Staat nicht gegen das völ­ker­recht­liche Gewohn­heits­recht ver­stößt ( Urteil vom 22. Juli 2010 ). Alle ver­nünf­tigen Vor­aus­set­zungen waren dazu auch im Fall der Krim gegeben, nämlich ein geschlos­senes Gebiet mit mehr­heitlich gemein­samer Natio­na­lität, die sich mehr­heitlich in einem Refe­rendum gegen die weitere Staats­bür­ger­schaft in ihrem bis­he­rigen Staat ent­scheidet und damit für eine Abspaltung.

Der zweite syn­chrone Vorgang war der Streit der USA und Russ­lands um die Dominanz im Schwarzen Meer. Die seit 2008 von den USA öffentlich ange­strebte NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine hätte bedeutet, dass die Krim in Zukunft für die USA geöffnet und für Russland geschlossen sein würde. Russland hätte seine see­stra­te­gische Position im Schwarzen Meer mit dem Verlust seines Kriegs­hafens auf der Krim an die US Navy abgeben müssen und damit auch die Kon­trolle über den Seeweg zum größten Han­dels­hafen Russ­lands Nowo­ros­sijsk. Auch der Han­dels­hafen der Ukraine Odessa hätte ame­ri­ka­ni­scher Kon­trolle unter­standen. Dass Russ­lands Sorge nicht unbe­gründet war, zeigte das Ver­halten der USA schon vor Moskaus Ein­greifen in den inne­rukrai­ni­schen Bür­ger­krieg 2022. Die USA hatten schon vorher ihr Mari­ne­kom­mando „73. Maritime Special Ope­ra­tions Center“ nach Otschakiw 150 Kilo­meter westlich der Krim an der Dnjeprmündung ein­ge­richtet und damit ihren see­stra­te­gi­schen Arm bis am Russ­lands Hin­ter­eingang ausgestreckt.

Die Anglie­derung der Krim ist mit der ame­ri­ka­ni­schen Abwehr der sowje­ti­schen Rake­ten­sta­tio­nierung auf Kuba 1962 ver­gleichbar. Auch die USA hatten damals keinen Gegner direkt an ihrer Hin­tertür geduldet. Und, was wäre, wenn sich China mit Kubas Ein­ver­ständnis anschickte, den US Mari­ne­stütz­punkt Guan­tanamo Bay auf Kuba zu über­nehmen? ( Die USA hatten den Stütz­punkt 1934 ver­tragslos ohne Rechts­grundlage über­nommen. ) Ver­gleiche sind meist etwas schief, aber oft dennoch nicht schief genug, um nicht damit deutlich zu machen, worum es geht.

Vier Tage nach dem Anschluss der Krim an Russland, am 26. März, bewertete Alt-Bun­des­kanzler Helmut Schmidt das rus­sische Vor­gehen auf der Krim als „durchaus ver­ständlich“, wenn auch für gefährlich. Die anschlie­ßenden West-Sank­tionen hielt er für „dummes Zeug“ und die Schuld für die Situation in der Ukraine sah er beim Westen.

Die west­liche Welt erklärte die Abspaltung der Krim und ihren Anschluss an Russland 2014 umgehend zur gewalt­samen Annexion. Die USA ver­hängten sofort ihre ersten Sank­tionen gegen Russland. Und, noch während der Ent­schei­dungs­prozess auf der Krim lief, wurde das ukrai­nische Staatsgold von 42,37 Tonnen am 11. März 2014 ver­laden und in die USA geflogen. ( nach Schweizer Quelle )

Nach Staats­prä­sident Putins Erfah­rungen mit den USA und der NATO muss man davon aus­gehen, dass er dem Westen nicht mehr über den Weg traut. Er hatte die Unwirk­samkeit münd­licher Zusagen erlebt (Baker-Zusage der Nicht-Ost­erwei­terung der NATO 1990 ), dann die Dop­pel­zün­gigkeit des NATO-Gene­ral­se­kretärs Stol­tenberg ( erst die Auf­for­derung, „zur Diplo­matie zurück­zu­kehren“ im Dez. 2021 und kurz darauf die Stol­tenberg-Belehrung, Russland habe in die Ost­erwei­terung „nicht rein­zu­reden“ im Jan. 2022 ) und über die Jahre die ame­ri­ka­ni­schen Wei­ge­rungen, neue Sicher­heits­ab­kommen mit Russland abzu­schließen ( 1999–2022 ). Putin akzep­tiert keine vor­kon­di­tio­nierten Ver­hand­lungs­auf­for­de­rungen. Er braucht offen­sichtlich ein kon­kretes Angebot, den Vor­schlag eines für Russland ver­han­del­baren Frie­dens­ver­trags mit der Ukraine. ( siehe Anlage 2 )

( Dieses Kapitel ist ohne Nutzung rus­si­scher Quellen geschrieben. )

Die Bedeutung von Kriegsverbrechen

Die psy­cho­lo­gische und poli­tische Wirkung

Begangene und erfundene Kriegs­ver­brechen spielen im Ukraine-Krieg sowohl völ­ker­rechtlich als auch kriegs­psy­cho­lo­gisch eine erheb­liche Rolle. Ihre „Ver­marktung“ hat zur Erzeugung von einer­seits Hass und die Ver­härtung von Posi­tionen und ande­rer­seits zur Erzeugung von Hilfs- und Unter­stüt­zungs­be­reit­schaft bei beiden Kriegs­par­teien und bei den kriegs­un­ter­stüt­zenden Staaten und Völkern geführt. Die fast aus­schließlich ukrai­nisch beein­flusste Medi­en­be­richt­erstattung in der west­lichen Welt – besonders auch in Deutschland – hat zu ein­sei­tigen Feind­vor­stel­lungen und genauso ein­sei­tigen Gerech­tig­keits­vor­stel­lungen geführt und damit zu einem asym­me­tri­schen Nar­rativ. Dieses mani­pu­lative Freund-Feind-Bild erschwert es heute, die deutsche Öffent­lichkeit und die deutsche „Politik“ von einem Ver­stän­di­gungs- und Ver­söh­nungs-Frieden für Russland und die Ukraine zu über­zeigen und von der Illusion abzu­bringen, dass der Krieg für die Ukraine „gewinnbar“ ist.

Den Kriegs­ver­brechen, die den Russen vor­ge­wor­fenen werden, seien deshalb ein paar Kor­rek­turen hin­zu­gefügt und ukrai­nische Kriegs­ver­brechen gegen­über­ge­stellt. Ich will das an den Bei­spielen „Butscha-Mas­saker“ und Bom­bar­dierung des Kauf­hauses in Retro­ville dar­stellen und dann auf Kriegs­ver­brechen generell ein­gehen. Zuerst sei zu bemerken, dass Des­in­for­mation, Pro­pa­ganda und Täu­schung zu den legi­timen Kriegs­mitteln zählen, die sowohl von den Russen als auch von den Ukrainern ange­wendet wurden.

Das „Butscha-Mas­saker“

Gut einen Monat nach Kriegs­beginn, am 30. März 2022, ver­ließen rus­sische Truppen nach ihrem erfolg­losen Versuch, Kiew im Hand­streich ein­zu­nehmen, Kiew und Umgebung, dabei auch die Stadt Butscha. Vier Tage später erschienen im ukrai­ni­schen Fern­sehen Berichte und Auf­nahmen über ein rus­si­sches Mas­saker in der Stadt. Ein ein­präg­samer Video-Film zeigte einen ukrai­ni­schen Militär-Pickup mit auf­ge­ses­senen Sol­daten, die zwi­schen ordentlich auf­ge­reihten Toten hin­durch­fuhren. Ein Kame­ra­wagen fuhr hin­terher. Die Kamera blendete auf­fäl­liger Weise bei naher Vor­bei­fahrt eine Leiche mit Hilfe eines Grau­schleiers aus. Mir fiel auf, dass die Toten wie ordentlich dra­piert dalagen, und dass bei ihnen die bei Erschla­genen oder Erschos­senen sonst zu sehenden Blut­lachen fehlten. Die Grau­ver­schleierung des nächst­ge­le­genen Toten machte mich miss­trauisch. Als ich bei mehr­ma­ligem Suchen auf ver­schie­denen Kanälen auch ein Video dieser Szene ohne Ver­schleierung fand, sah ich, dass dieser Tote eine breite, sehr auf­fällige weiße Rus­sen­arm­binde trug. Als ich den Film an dieser Stelle sofort zurück­stellte und ihn ein zweites Mal betrachten wollte, war er sofort gelöscht. Statt­dessen las ich „This page is not available“. Bei einem wei­teren Versuch kam „Link not found“. Wer hat ein Interesse, zu ver­tu­schen, dass hier ein toter Russe liegt? Bei mehr­ma­liger und sorg­fäl­tiger Betrachtung der­selben Szene auf anderen Sendern fand ich bei einem Teil der ent­fernter lie­genden Leichen eben­falls Stücke ihrer weißen Russenarmbinden.

Ich fand auch ein ukrai­ni­sches Video mit einem Sol­daten, der eine Leiche an einem langen Seil auf einer Straße an eine andere Stelle zog. Das und das Fehlen von Blut­lachen passen zu dem Ver­dacht, dass die Leichen von Butscha erst Tage nach ihrer Tötung in das „Bild“ von Butscha gezogen worden sind. Das Ganze war ganz offen­sichtlich eine letztlich miss­lungene ukrai­nisch Insze­nierung, eine „False Flag Operation“.

Auf­fallend ist auch, dass die rus­sische Regierung zweimal danach vor dem UN-Sicher­heitsrat die Unter­su­chung des Butscha-Vor­falls bean­tragt hat und zweimal an Vetos gescheitert ist.

Mit dem Butscha-Vorfall ist eine Schwelle zur abso­luten Unver­söhn­lichkeit der Kriegs­par­teien über­schritten worden, ein­schließlich NATO, EU, USA und Russland, die heute noch einem Frieden des Inter­es­sen­aus­gleichs und der Ver­söhnung im Wege steht.

Der Retro­ville-Kaufhaus-Beschuss

Ein wei­teres Bei­spiel für den zwei­fel­haften Wert von Infor­ma­tionen aus dem Krieg bietet die rus­sische Beschießung des Ein­kaufs­zen­trums Retro­ville am Rand von Kiew am 20. März 2022. Die Nach­richt selber stimmte. Die rus­sische Artil­lerie hatte das Kaufhaus beschossen. Als der Kiewer Bür­ger­meister Klit­schko tags darauf das „furchtbare“ Ereignis im deut­schen Fern­sehen ver­breitete und über das rus­sische Kriegs­ver­brechen lamen­tierte, waren die deut­schen Zuschauer ent­setzt über die ver­meint­liche Grau­samkeit der Russen. Nor­ma­ler­weise asso­ziiert man mit Ein­kaufs­zentren gedrängte Men­schen­mengen und in diesem Falle hohe Opfer­zahlen. Da die Nach­richt mit genauer Orts­angabe ver­sehen was, schaute ich mir die Shopping Mail bei Google-Earth genauer an und fand das beschriebene Gebäude mit großen Lie­fe­ran­ten­ein­fahrten, einem großen, aber leeren Kun­den­park­platz und einem Ring von hohen Wohn­häusern darum herum. Durch Zufall ent­deckte ich beim Stichwort Retro­ville als nächstes das Video eines ukrai­ni­schen Bloggers, der das­selbe Kaufhaus, den­selben leeren Park­platz und die großen Lie­fe­ran­ten­ein­fahrten zeigte. Der Blogger hatte mit spür­barem Stolz über eine ukrai­nische Kriegslist gefilmt, wie Artil­le­rie­ge­schütze aus den Ein­fahrten her­aus­fuhren, ein paar Schuss abfeu­erten und sich dann wieder unter den Schutz der Ein­fahrten zurück­zogen. Offen­sichtlich hatte auch rus­sische Artil­le­rie­auf­klärung das­selbe Video gesehen, und die Russen hatten dann ziel­genau das Warenhaus beschossen und zerlegt. In Summa han­delte es sich also um kein rus­si­sches Kriegs­ver­brechen, aber die psy­cho­lo­gische Wirkung auf das deutsche Fern­seh­pu­blikum war enorm und so nach­haltig, dass man hier­zu­lande momentan einen Frie­dens­vertrag ohne Schuld­zu­weisung und ohne Strafe so gut wie nicht ver­mitteln kann.

Bei­der­seitige Kriegsverbrechen

Über rus­sische Kriegs­ver­brechen ist in den west­lichen Medien aus­führlich berichtet worden. Einen gleich­scharfen Blick auf das Ver­halten ukrai­ni­scher Sol­daten hat es nicht gegeben. So helfen für den Ver­gleich beider Kriegs­par­teien nur die zu Anfang des Krieges von ukrai­ni­schen Bloggern im Internet ver­brei­teten Videos über ukrai­nische Kriegs­ver­brechen, über die in ukrai­nisch-patrio­ti­scher Euphorie wie über eigene Hel­den­taten berichtet worden ist.

Doch zunächst ein Auszug aus dem Bericht des UN Hoch­kom­missars für Men­schen­rechte vom 29. Juni 2022. Da heißt es u. a. zu Kriegs­ver­brechen: „Und das sind zahl­reiche Miss­hand­lungen und Tötungen von Kriegs­ge­fan­genen und am Kampf unbe­tei­ligten Zivil­per­sonen, die sich beide Seiten glei­cher­maßen zu Schulde kommen lassen. Nur eine Art von Kriegs­ver­brechen geht allein auf das Konto der ukrai­ni­schen Armee, der Miss­brauch mensch­licher Schutz­schilde, also der Einsatz eigener Sol­daten und Geschütze neben und hinter Gesund­heits- und Pfle­ge­ein­rich­tungen, um deren Schutz­status für sich zu nutzen.“

Zurück zu den ukrai­ni­schen Kriegs­völ­ker­recht­ver­stößen. Ukrai­nische Fern­seh­an­stalten und Blogger berich­teten zu Anfang des Krieges selbst über ukrai­nische Rechts­brüche und Bru­ta­li­täten, begangen an rus­si­schen Bürgern und kriegs­ge­fan­genen Sol­daten, als handele es dabei um Ruh­mes­taten. Da wurden z. B. von umher­ste­henden, lachenden ukrai­ni­schen Sol­daten auf in ihrer Mitte lie­gende, gefes­selte rus­sische Gefangene getreten und mit Maschi­nen­pis­tolen geballert. Kriegs­ge­fangene Russen wurden erst ver­prügelt, dann wurde ihnen in die Beine geschossen und anschließend wurden sie unver­sorgt lie­gen­ge­lassen. Gefes­selten, in großen Blut­lachen lie­genden rus­si­schen Gefan­genen wurden so lange auf den Kopf getreten, bis sie Ruhe gaben. Es war u. a. eine Szene zu sehen, wie eine rus­sische Zivil­person im Auto ( mit weißer Rus­sen­arm­binde als solcher kenntlich ) ange­halten, aus dem Auto gezogen und an Ort und Stelle mit Stie­fel­tritten auf den Kopf tot­ge­treten wurde.

Diese Zeug­nisse auch der ukrai­ni­schen Kriegs­ver­brechen recht­fer­tigen es nicht, bei einem Frie­dens­vertrag Schuld­ver­gleiche anzu­stellen und daraus Nach­teile für nur eine der Kriegs­par­teien abzuleiten.

Die Gül­tigkeit des Kriegsvölkerrechts

Wenn man die gegen­sei­tigen Ver­trags­brüche und die Ver­let­zungen des Kriegs­völ­ker­rechts der Russen und der Ukrainer gegen­seitig abwägt, sollte man beide Seiten mit der­selben Elle messen, mit dem bis dahin kodi­fi­zierten Recht. Der „Westen“ geht seit Jahren zum eigenen Vorteil zunehmend in seinen Argu­menten, Recht­fer­ti­gungen und Beschul­di­gungen davon ab und beruft sich statt auf das kodi­fi­zierte Völ­ker­recht auf eine soge­nannte „Regel­ba­sierte Ordnung“. Das sind eine haus­ge­machte Ordnung und ihre Regeln, die sich die USA und die sie umge­benden Ver­bün­deten – also ohne Russland, China, süd­ame­ri­ka­nische Staaten und andere – selbst nach eigenen Vor­stel­lungen zurecht geschneidert haben. Nach dieser Regel­ba­sierten Ordnung war die Unab­hän­gig­keits­er­klärung des Kosovo z. B. völ­ker­rechts­konform und die Unab­hän­gig­keits­er­klärung der Krim dagegen nicht. Diese Regel­ba­sierte Ordnung ist zum Teil ein eigen­nüt­ziger, west­licher Selbstbetrug.

Das kodi­fi­zierte Kriegs­völ­ker­recht soll für alle Kriegs­par­teien glei­cher­maßen gelten. Mit der Haager Land­kriegs­ordnung und den Genfer Kon­ven­tionen hat man ver­sucht, die Kriegs­gräuel ein­zu­dämmen. Zu den Schutz­ge­boten beider Regel­werke gehören der Schutz der unbe­waff­neten Zivil­be­völ­kerung und der Schutz unver­tei­digter Städte und Dörfer vor Beschießung und Bombardierung.

Wer als Staats­ober­haupt – wie Selenskyj es getan hat – seine zivile Bevöl­kerung dazu aufruft, Molotow-Cock­tails her­zu­stellen, sich Gewehre zu besorgen und zu kämpfen, nimmt bil­ligend in Kauf, dass die Schutz­regeln für die Bevöl­kerung in seinem Macht­be­reich nicht mehr gelten. Wer seinem Militär befiehlt, die Städte zu befes­tigen und zu ver­tei­digen, nimmt wohl kal­ku­liert in Kauf, dass um die Städte gekämpft wird und dass sie beschossen und bom­bar­diert werden. Wer mit offen­sicht­lichem Stolz vor Fern­seh­ka­meras zeigt, wie junge Frei­willige in einem Schul­ge­bäude mili­tä­risch aus­ge­bildet werden, darf nicht medi­en­wirksam im selben Fern­sehen über die Bru­ta­lität des Gegners klagen, wenn der auf solche Gebäude schießen lässt.

Die Schutz­be­stim­mungen der Haager Land­kriegs­ordnung und der Genfer Kon­ven­tionen für zivile Bürger und die ukrai­ni­schen Städte hat Selenskyj selber außer Kraft gesetzt.

Abwägung der Rechts­grund­lagen und Rechtsauffassungen

Die Abwägung des Rechts auf ter­ri­to­riale Inte­grität gegen das Recht auf Selbst­be­stimmung und den Volks­willen auf der Grundlage der zwei Ver­träge „UN Reso­lution über die Grund­sätze des Völ­ker­rechts ( 1970 )“ und der „Charta von Paris ( 1990 )“ wird Teil der Prä­ambel des vor­lie­genden Frie­dens­ver­trags­ent­wurfs sein.

Die Rechts­grundlage vieler bis­he­riger Frie­dens­be­mü­hungen, die Charta von Paris vom 21. November 1990, enthält zwei bis­weilen unver­träg­liche Prin­zipien, nämlich die Unver­letz­lichkeit der ter­ri­to­rialen Inte­grität von Staaten und den beson­deren Schutz von natio­nalen Min­der­heiten. Bereits die vor­herige Reso­lution der Ver­einten Nationen vom 24. Oktober 1970 über die Grund­sätze des Völ­ker­rechts hat die kol­lektive Wahr­nehmung von Min­der­hei­ten­schutz spe­zi­fi­ziert. Sie führt aus, dass sich nationale Min­der­heiten bei dau­er­hafter und grober Miss­achtung ihrer Schutz­rechte und, wenn ihnen eine ange­messene innere Auto­nomie ver­wehrt wird, in demo­kra­ti­scher Weise dazu ent­scheiden können, in geschlos­senen Teilen ihres bis­he­rigen Staats­ge­biets einen eigenen, unab­hän­gigen Staat zu gründen oder sich in einen anderen Staat zu inte­grieren. Letz­teres bezieht sich auch auf die ansäs­sigen rus­si­schen Min­der­heiten in klar umris­senen Staats­teilen der bis­he­rigen Ukraine, in denen sie eine deut­liche lokale Mehrheit bilden.

Im zu been­denden Krieg ver­tritt die Ukraine ihr Recht auf die Unver­letz­lichkeit ihrer ter­ri­to­rialen Inte­grität und die Rus­sische Föde­ration ver­tritt das Selbst­be­stim­mungs­recht der rus­si­schen Min­der­heiten in bestimmten Staats­teilen der Ukraine, dort wo sie eine deut­liche Bevöl­ke­rungs­mehrheit bilden. Der in der Anlage 2 vor­ge­schlagene Frie­dens­vertrag beruht auf der prak­ti­schen Abwägung der beiden im kon­kreten Falle unver­träg­lichen Frie­dens­prin­zipien, der Charta von Paris und der UN Reso­lution über die Grund­sätze des Völ­ker­rechts. Ihm liegt eine Ent­scheidung im Sinne eines eiligen Kriegs­endes zu Gunsten des Selbst­be­stim­mungs­rechts und Volks­willens als Aus­druck eines modernen demo­kra­ti­schen Staats­ver­ständ­nisses zu Grunde. Eine gegen­sätz­liche Ent­scheidung zu Gunsten der ter­ri­to­rialen Inte­grität der bis­he­rigen Ukraine war offen­sichtlich wegen des inzwi­schen völlig zer­rüt­teten und unver­söhn­lichen Ver­hält­nisses des ukrai­ni­schen und des rus­si­schen Volks­an­teils des vor­he­rigen Zwei­völ­ker­staats nicht mehr sinnvoll. Der Zwei­völ­ker­staat Ukraine war nach acht Jahren inne­rukrai­ni­schem Bürger- und Sepa­ra­ti­ons­krieg rea­lis­ti­scher Weise mora­lisch und poli­tisch nicht mehr wiederzubeleben.

Ver­hand­lungen und Vertragspartner

Betei­li­gungs­emp­fehlung

Im Interesse eines bal­digen und ein­ver­nehm­lichen Ver­trags­ab­schlusses liegt es, den Kreis der Ver­handler und der Ver­trags­ab­schlie­ßenden mög­lichst klein zu halten. Staaten – außer der Ukraine und der Rus­si­schen Föde­ration – und supra­na­tionale Orga­ni­sa­tionen, die selbst eigene Inter­essen im Ukraine-Krieg und in der Ukraine ver­treten, sind aus dem­selben Grunde nicht am Frie­dens­prozess zu beteiligen.

Als abschre­ckendes Bei­spiel für Ver­hand­lungen mit zu vielen Inter­es­senten mögen die Frie­dens­ver­hand­lungen zum Frieden von Münster dienen. Sie dau­erten fünf Jahre, in denen wei­ter­ge­kämpft wurde. Als posi­tives Bei­spiel mögen die zügigen 2‑plus‑4 Ver­hand­lungen zur deut­schen Wie­der­ver­ei­nigung dienen, bei denen die über 40 zusätz­lichen ehe­ma­ligen Kriegs­gegner Deutsch­lands aus­ge­schlossen blieben.

Eine deutsche Frie­dens­ver­mittlung im Alleingang wäre aus­sichtslos. Geeignet für eine Frie­dens­ver­mittlung wären die drei Staaten Frank­reich, Italien und Deutschland im Verbund.

Frank­reich hatte bereits 2008 zusammen mit Deutschland die damals unge­recht­fer­tigte Auf­nahme der Ukraine in die NATO ver­hindert und dann 2015 und 16 wieder zusammen mit Deutschland die Minsker Kon­fe­renzen und das Minsker Abkommen arran­giert. 2016 waren es wieder Frank­reich und Deutschland gemeinsam, die die Ukraine gedrängt haben, den Ost­oblasten die ihnen im Minsker Abkommen zuge­si­cherte Innere Auto­nomie ein­zu­räumen, was die Ukraine ver­wei­gerte. Eben­falls 2016 hatte das fran­zö­sische Oberhaus die suk­zessive Rück­nahme der EU-Sank­tionen gegen Russland emp­fohlen. Am 9. Dezember hatten Macron und Merkel den Weih­nachts­waf­fen­still­stand zwi­schen Russland und der Ukraine aus­ge­handelt. 2019 waren es wieder Macron und Merkel, die letzt­malig ein Gip­fel­treffen zwi­schen Putin und Selenskyj zuwege gebracht haben. Am 8. Februar 2022 hat Macron vom Westen gefordert, „im Hin­blick auf Russ­lands berech­tigte Sicher­heits­be­dürf­nisse Kom­pro­misse ein­zu­gehen“. Der fran­zö­sische Staats­prä­sident ist offen­sichtlich der geeignete Partner für eine deutsche Frie­dens­in­itiative. Frank­reich hat sich außerdem unter den alten EU- und NATO-Staaten die größte Unab­hän­gigkeit von den USA bewahrt, dem Haupt­ver­treter ukrai­ni­scher Inter­essen und eigener, dor­tiger geo­po­li­ti­scher Ambitionen.

Aus Italien kamen bisher die häu­figsten Anstöße zu Frie­dens­ver­mitt­lungen im Ukraine–Krieg. Es begann am 4.5.2022 mit den Erklä­rungen des Chefs der ita­lie­ni­schen Luftwaffe, Gene­ral­leutnant Tri­carico und des Gene­ral­leut­nants Ber­tolini ( Heer ) „Das ist nicht unser Krieg“ und „Lasst uns die USA stoppen!“. Es folgte der ita­lie­nische Außen­mi­nister Di Maio am 20.5.2022 mit einem im Euro­par­lament vor­ge­schla­genen Frie­densplan. Dann kam am 8.9.2022 das Ver­mitt­lungs­an­gebot des ehe­ma­ligen Minis­ter­prä­si­denten Ber­lusconi und schließlich am 29.6.2023 der Appell des Vor­sit­zenden der ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­ferenz Kar­dinal Zuppi. In Italien wäre die Ver­mitt­lungs­rolle zu einem rus­sisch-ukrai­ni­schen Aus­gleichs­frieden offen­sichtlich populär.

Frank­reich, Italien und Deutschland sind außerdem die großen drei Grün­dungs­mit­glieder der EWG und die augen­blicklich größten Netto-Zahler der EU und damit auch die mit­telbar größten Bei­trags­zahler für die Kriegs­hilfen der EU. Die drei Staaten hätten das poli­tische Gewicht, der ein­sei­tigen pro-Ukraine- und kriegs­ver­län­gernden Politik der EU ein fried­liches Ende zu bereiten. Italien, Frank­reich und Deutschland hätten auch Mittel und Mög­lich­keiten, beim Drohen des Schei­terns ihrer Ver­mittlung selbst mit der Been­digung ihrer wei­teren Ali­men­tation des Krieges zu drohen und im äußersten Falle auch ihr Veto für gemeinsame EU- und NATO- Akti­vi­täten bei Kriegs­fort­setzung anzu­kün­digen. Ein von Italien, Frank­reich und Deutschland arran­gierter Friede wäre eine euro­päische Lösung des euro­päi­schen Krieges in der Ukraine.

Der Herr Bun­des­kanzler sollte bald­mög­lichst Gespräche mit Frau Regie­rungs­prä­si­dentin Meloni und Herrn Staats­prä­sident Macron auf­nehmen und beide ersuchen, sich poli­tisch am deut­schen Frie­densplan und aktiv mit ita­lie­ni­schen und fran­zö­si­schen Kräften an dem im Ver­trags­entwurf vor­ge­schla­genen Frie­dens­prozess zu betei­ligen. Diese Gespräche sollten erfolg­reich abge­schlossen sein, ehe der Frie­dens­ver­trags­entwurf den beiden Kon­flikt­par­teien vor­ge­schlagen werden kann.

Warnung vor Beteiligung

Die besonders am NATO-Bei­tritt der Ukraine inter­es­sierten Staat Groß­bri­tannien und USA haben mehrmals ihre For­derung nach Fort­setzung des Krieges vor­ge­bracht. Der eng­lische Pre­mier­mi­nister Boris Johnson hat am 9. April 2022 bei den Istan­buler ukrai­nisch-rus­si­schen Ver­hand­lungen kurz vor Ver­trags­ab­schluss ein­ge­griffen und die ukrai­nische Ver­trags­un­ter­zeichnung ver­hindert. Seine Begründung war, „Der Westen ist für ein Kriegsende nicht bereit.“ Des­gleichen hat die US Regierung vor kurzem erst, am 27. November 2023, ver­lautbart, dass sie rus­sisch-ukrai­nische Frie­dens­ver­hand­lungen derzeit für sinnlos hält. Zur Begründung unter­stellte sie, dass solche Gespräche nur in rus­sische „Kapi­tu­la­ti­ons­mo­nologe“ aus­arten würden. Dabei übersah die ame­ri­ka­nische Regierung geflis­sentlich, dass der soge­nannte 10-Punkte-Frie­densplan Selen­skyjs vom 5. August 2023 in der Sache selbst de facto eine Kapi­tu­la­ti­ons­auf­for­derung an Russland war. Das erkennbare Interesse der USA und Groß­bri­tan­niens an der Kriegs­fort­setzung dis­qua­li­fi­ziert beide Staaten, als Mode­ra­toren, Ver­hand­lungs­partner oder Signa­tar­staaten für ein Mit­wirken am raschen Ende des Tötens und Zer­störens in der Ukraine. Sie dürfen deshalb am vor­ge­schla­genen Frie­dens­prozess trotz ihrer zu erwar­tenden Ein­sprüche und Hin­der­nisse weder unmit­telbar noch mit­telbar beteiligt werden. Mit dem Aus­schluss der USA ver­bindet sich auch der Aus­schluss der von ihr domi­nierten NATO.

Orte der Verhandlungen

Ich schlage vor, die Ver­mitt­lungs­ge­spräche mit den beiden Kriegs­par­teien zunächst in getrennten Vor­ver­hand­lungen an deren Regie­rungs­sitzen zu führen. Das erleichtert die Gespräche, weil ihnen noch die ver­härtete und ver­schär­fende Kon­fron­ta­ti­ons­at­mo­sphäre des Auf­ein­an­der­treffens von zwei Feinden fehlt.

Die Abschluss­kon­ferenz sollte in Genf, im Alten Rathaus, im „Alabama-Saal“ statt­finden. Genf liegt auf neu­tralem Boden und der genannte Saal beher­bergt einen „guten Geist“, der hof­fentlich auf die ukrai­nisch-rus­sische Ver­stän­digung und Ver­söhnung über­springt. In diesem Saal wurde 1864 die Erste Genfer Kon­vention geschlossen und 1872 das Zer­würfnis zwi­schen der alten Kolo­ni­al­macht England und ihrer alten Kolonie Nord­amerika durch Schieds­spruch bei­gelegt und damit der Weg für eine end­gültige und immer­wäh­rende freund­schaft­liche Part­ner­schaft geebnet.

Die Anbahnung von Verhandlungen

Derzeit gehört Deutschland zu den Staaten, die die Ukraine mit ihren Ver­spre­chungen und Geld- und Waf­fen­lie­fe­rungen in dem Wahn gefangen halten, es gäbe noch immer eine Sie­ges­chance im Jahr 2024. Ehe die deutsche Bun­des­re­gierung der ukrai­ni­schen Regierung ihre Illu­sionen vom „Sieg“ und den Rück­erobe­rungen durch Vorlage eines Frie­dens­ver­trags­ent­wurfs nimmt und sie damit psy­cho­lo­gisch von Plus-Graden auf Minus-Grade stürzt, sollte sie zuerst alle wei­teren Ver­spre­chungen unter­lassen und die ukrai­nische Regierung sowie die rus­sische Regierung auf­fordern, der Geg­ner­seite selbst ein Gesprächs­an­gebot ohne Vor­be­din­gungen zu machen. Wenn sich die strei­tenden Par­teien dazu nicht in Bälde bereit­finden sollten, kann beiden Par­teien der hier vor­ge­schlagene Frie­dens­vertrag unter­breitet werden.

Wesent­liche Inhalte des Vertragstextes

Bisher hat es meiner Zählung nach 18 wenig kon­krete Ver­mitt­lungs- und Ver­trags­vor­schläge gegeben, die Raum für unter­schied­liche Aus­le­gungs­mög­lich­keiten und viele Aus­weich­mög­lich­keiten für beide Kriegs­par­teien ließen. Bisher haben die Kriegs­par­teien auch „Unver­han­del­bares“ als Vor­be­din­gungen genannt, so dass es gar nicht erst zu Ver­hand­lungen gekommen ist. Der vor­ge­schlagene Ver­tragstext enthält deshalb alle erfor­der­lichen ter­ri­to­rialen, recht­lichen, öko­no­mi­schen, mili­tä­ri­schen und anderen Rege­lungen, die in Frie­dens­ver­trägen üblich und erfor­derlich sind, so dass jede Seite ein­schätzen kann, was sie erhalten wird und was sie geben muss.

Staats­prä­sident Putin wird sehen, dass das letzte Wort zu einer dau­er­haften Nach­kriegs­ordnung nicht durch die rus­si­schen Lan­der­obe­rungen, sondern durch das Ergebnis einer Volks­ab­stimmung der Ein­wohner der umstrit­tenen Gebiete gesprochen wird. Die zukünf­tigen Grenzen zwi­schen der Ukraine und Russland soll die betroffene Bevöl­kerung in freier Ent­scheidung selber ziehen. Russland muss aller­dings sein alter, ato­marer Reak­tions- und Sicher­heits­ab­stand zum NATO-Gebiet erhalten bleiben und der Ukraine dafür den Status der „bewaff­neten Neu­tra­lität“ zugestehen.

Staats­prä­sident Selenskyj wird sehen, dass das letzte Wort zur dau­er­haften Nach­kriegs­ordnung nicht durch einen von der Welt­ge­mein­schaft finan­zierten ukrai­ni­schen Endsieg gesprochen wird, sondern durch das Ergebnis einer Volks­ab­stimmung der Ein­wohner der umstrit­tenen Gebiete. Die ukrai­nische Zen­tral­re­gierung hat die Existenz des frü­heren Zwei­völ­ker­staats mit ihrer Miss­achtung des Minsk II Abkommens selbst ver­spielt. Der Spra­chen­streit seit 2014 und der acht­jährige Bür­ger­krieg mit seiner Härte und den Kriegs­ver­brechen an einem Teil der ost­ukrai­ni­schen Bevöl­kerung schließen ein gedeih­liches Mit­ein­ander von Ukrainern und der starken rus­si­schen Min­derheit in einem Staat in Zukunft aus.

Auf der anderen Seite muss das ukrai­nische Volk eine sichere und sou­veräne Zukunft mit der Aus­sicht auf Wie­der­aufbau und wirt­schaft­liche Gesundung zuge­si­chert bekommen. Dazu müssen die wei­teren Zer­stö­rungen und das exor­bi­tante Anwachsen der Kriegs­schulden der Ukraine für Waf­fen­leasing und rück­zahlbare Dar­lehen an die USA beendet werden. Der Ukraine muss dafür im Kern eines Ver­trags die zukünftige Bewahrung und Lebens­fä­higkeit des ukrai­ni­schen Volks ange­boten werden, nicht aber die Bewahrung ihres frü­heren gesamten Staatsgebiets.

Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit

Der Ein­sicht, dass ein rasches Kriegsende den abso­luten Vorrang vor einem Sieg der Ukraine haben muss, steht bedau­er­licher Weise das falsche Nar­rativ ent­gegen, das die deut­schen Medien seit drei Jahren mit ihrem Gut-und-Böse-Raster der deut­schen Öffent­lichkeit ver­mitteln. Dazu gehören das Unter­schlagen der Vor­ge­schichte dieses Kriegs mit dem Spra­chen­streit, mit dem acht Jahre wäh­renden Bür­ger­krieg der ukrai­nische Zen­tral­re­gierung gegen die starke rus­sische Min­derheit im eigenen Land und mit der Häu­figkeit poli­ti­scher Morde und der Kor­ruption in der Ukraine. Dazu gehören die Ver­let­zungen des inter­na­tio­nalen Rechts durch die Ukraine und nicht nur der Frie­dens­bruch der Russen. Dazu gehören auch die Legenden von einer dor­tigen Demo­kratie und der dort angeblich zu ver­tei­di­genden Freiheit Europas. Wenn die Medien den Bogen zur „Ver­tei­digung der Freiheit Europas“ schlagen, müssten sie auch the­ma­ti­sieren, dass es im Kern auch um die Aus­dehnung des geo­po­li­ti­schen Inter­essen- und Macht­be­reichs der USA geht. Wie tief das falsche Nar­rativ bereits in der „poli­ti­schen Welt“ Deutsch­lands sitzt, wird in den jüngsten Rede­bei­trägen von Abge­ord­neten im Bun­destag zum Krieg in der Ukraine deutlich. Die Appelle von meh­reren Rednern zu den Waf­fen­hilfen an die Ukraine zeigen deren erschre­ckende und beschä­mende Ahnungs­lo­sigkeit über die Rea­li­täten in der Ukraine und die Vor­ge­schichte des Ukraine-Krieges.

Die wirk­samste Mani­pu­lation ent­faltet dieses falsche Nar­rativ mit den mehrmals täglich in allen Medien wie­der­holten For­mu­lie­rungen wie „Putins ver­bre­che­ri­scher Angriff“ und die Ver­wendung von Nega­tiv­at­tri­buten, die allem vor­an­ge­stellt werden, was Russland tut und unter­lässt. Die deutsche Presse über­bietet sich mit „grausam, men­schen­ver­achtend, erbar­mungslos“ und vielen wei­teren Nega­tiv­be­schrei­bungen, statt sachlich zu berichten und die Wertung den Lesern zu über­lassen. Die Bun­des­re­gierung kann keine Medien lenken, aber sie sollte eigene Kom­mentare in der beschrie­benen Weise unter­lassen. Je länger und wir­kungs­voller Deutschland die Ukraine unter­stützt und die rus­sische Seite brüs­kiert, desto schwerer wird es werden, mit Russland zu ver­handeln und zu guter Letzt den deut­schen Kopf aus der Schlinge der direkten Kriegs­be­tei­ligung herauszuhalten.

Mein Vor­schlag zu einer Frie­dens­in­itiative des Herrn Bun­des­kanzler Scholz unter dem Leit­ge­danken „ver­söhnen und ver­geben“ mag den deut­schen Wählern nach dieser Medi­en­vor­ge­schichte wie ein inkon­se­quenter Sin­nes­wandel vor­kommen. Die Initiative wäre dennoch eine glaub­würdige Rückkehr zu Bun­des­kanzler Scholz´ ursprüng­lichen Auf­fas­sungen, dass sich Deutschland in der Gefahr der Kriegs­be­tei­ligung befindet und dass sich Deutschland mit Waf­fen­lie­fe­rungen an die Ukraine zurück­halten sollte. Heute, nach fast zwei Jahren ver­geb­lichen Krieges und erfolg­loser ukrai­ni­scher Offen­siven, wird ihm die deutsche Öffent­lichkeit die Ein­sicht hono­rieren, dass die Ukraine ihr Kriegsziel der Rück­erobe­rungen nicht erreichen kann und dass es nun vor allem gilt, das ukrai­nische Volk vor wei­teren Men­schen­ver­lusten durch Tod und Abwan­derung, vor wei­terer Zer­störung seiner Infra­struktur und vor der weiter zuneh­menden exor­bi­tanten Aus­lands­ver­schuldung zu bewahren. Das deutsche Volk sieht derzeit mit wach­senden Zweifeln die immensen eigenen Kriegs­aus­gaben beim gleich­zei­tigen unge­deckten Finanz­bedarf daheim. Es sieht die Schwä­chung der eigenen Wirt­schaft ohne spürbare Aus­wir­kungen der Embargos und Sank­tionen auf Russland. Es bemerkt mit Sorgen die weitere Aus­plün­derung der Bun­deswehr zu Gunsten der ukrai­ni­schen Armee bei gleich­zei­tiger Zunahme ihrer eigenen Ver­pflich­tungen außerhalb der eigenen Grenzen. Das deutsche Volk wird zunehmend der Lasten dieses fremden Krieges müde. Und das ukrai­nische Volk ist im Begriff, in vieler Hin­sicht „aus­zu­bluten“. Ein von einem deut­schen Bun­des­kanzler ver­mit­telter Friede zwi­schen der Ukraine und Russland könnte der Glanz­punkt seiner Kanz­ler­schaft sein.

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