In Heft 5 der Zeitschrift “Nationalsozialistisches Bildungswesen”, erschienen im Jahr 1940, findet sich auf den Seiten 172 bis 175 ein Beitrag, der mit “Wehrgeistige Erziehung in den Schulen” überschrieben ist. Der Autor dieses Beitrags hat es allerdings vorgezogen, anonym zu verbleiben, vielleicht eine Art der Vorkehrung falls in der Zukunft jemand Anstoß an seinen Vorschlägen zu Themen, die in “jedem herkömmlichen und modernen Unterricht” behandelt werden sollen, nimmt.
Um die Inhalte seiner “Wehrgeistigen Erziehung” besser an den Mann bringen zu können, schlägt der Anonyme vor, Schüler sollten sich in die Rolle eines Kriegers versetzen, denn:
“Das Wichtigste aber, was die Wehrmacht von der Schule erwartet, ist, dass sie zum klaren konzentrierten Denken erzieht. Der Soldat und namentlich der Unterführer muss sich tagtäglich schnell in neuen Situationen zurechtfinden, muss Feind, Gelände und die eigene Lage richtig beurteilen. Er muss diese Denktätigkeit unter schwierigsten Verhältnissen unter der Wirkung der feindlichen Artillerie leisten…”
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Das war übrigens Margot Honnecker [Unser Dank gilt dem Leser, der den Clip aufgetan hat.]
Der Versuch, Schüler zu Soldaten zu erziehen, ist nicht auf das Dritte Reich und nicht nur auf Deutschland beschränkt. Er ist vermutlich so alt wie die entsprechenden (Ver-)Bildungseinrichtungen. Und er ist ein sehr aktueller Versuch, der gerade eine Renaissance erlebt. Kriegspolitiker entdecken Schulen zumeist dann für die eigenen Zwecke, wenn sie die Innenpolitik dermaßen zu einem ideologischen Schlachtfeld gemacht haben, dass sie die Notwendigkeit sehen, vom innenpolitischen Fiasko mit den Mitteln einer aggressiven Außenpolitik ablenken zu müssen.
Kehren wir zurück zum anonymen Autor aus dem Jahre 1940.
Speziell der naturwissenschaftliche Unterricht soll nach Ansicht des Anonymen das Rüstzeugfür den kompetenten Krieger vermitteln:
“Die Flugbahn ist in einfacher Weise zu besprechen. Ihre hauptsächlichsten Begriffe sind zu klären und festzuhalten: Mündungswaagrechte, Zielwaagrechte, Abgangswinkel, aufsteigender Ast, Gipfelpunkt und Gipfelhöhe, absteigender Ast, Fallwinkel und Auftreffwinkel, Aufschlagpunkt.”
Auf fürdie Physik hat der Anonyme eine klare Vorstellung davon, welche Schwerpunkte den Schülern vermitteln werden sollen (und zwangsläufig welche Inhalte Schülern vorenthalten werden sollen):
“Das Wesen und die Wirkungsweise der hauptsächlichen optischen Beobachtungsmittel … sind zu behandeln. Die zum Verständnis der Fernsprech- und Funktechnik notwendigen physikalischen Grundlagen sind eingehender zu behandeln … Die Schüler müssen über die Grundschaltung eines Fernsprechers. eines Senders, eines Empfängers sowie über die Wirkungsweise eines Umformers im Bilde sein. Praktisch ist der Aufbau eines Senders und eines Empfängers zu üben. Jeder Schüler, der die Schule durchlaufen hat, muss fähig sein, einen Fernsprecher in Betrieb zu setzen und Fehler zu beseitigen, soweit sie äußerlich erkennbar sind. Auf die Hauptgesichtspunkte beim Leitungsbau ist dabei Bezug zu nehmen. Der Motorenkunde ist verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken.”
Des weiteren seien die Einflüsse der Witterung auf eine Geschossbahn, der Kompaß und die Grundsätze des Lichtbildwesens zu behandeln, auf die Munition von Artillerie und Infantrie sei in groben Zügen einzugehen, auf Treibladung und Sprengladung und Funktion eines Zünders. Und in Chemie, so die Empfehlungen des Anonymen weiter, sei die Chemie der Sprengstoffe gründlich zu behandeln.
Der Versuch, Physik im Speziellen, Naturwissenschaft im Besonderen für politische Zwecke zu instrumentalisieren ist unverkennbar. Der Versuch, auf Schulunterricht im Sinne der herrschenden Ideologie Einfluss zu nehmen, ebenso. Umso erstaunlicher, dass dieser Versuch bei den Herausgebern von Schulbüchern für naturwissenschaftliche Fächer weitgehend ohne Widerhall geblieben ist. So schreibt Flessau in seinem Buch “Schule der Diktatur”:
“Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Nationalsozialistische Schulbücher sind teilweise besser als ihr Ruf, weil sie gelegentlich frei sind von Ansätzen zu politischer Beeinflussung und wehrkundlichem Lehren, frei auch von Dank- und Ergebenheitsadressen an die herrschenden Machthaber. Aus diesem Sachverhalt lässt sich schließen: im Dritten Reich war es Schulbuchautoren durchaus möglich, auf die genannten Lehren und Adressen zu verzichten und den Schüler bloß sachlich-fachlich zu informieren.” (Flessau 1977: 142)
Dieses erstaunliche Ergebnis scheint Folge eines fehlenden Durchgriffs der Nationalsozialisten auf die Herausgeber von Schulbüchern gewesen zu sein. Indes, derartige Fehler im System sind heute undenkbar, denn dafür, dass Currucula im Sinne, um einmal Flessau zu zitieren: “der Machthaber” missbraucht werden kann, sorgt heute eine Zentralisierung des Lehrstoffes in Instituten, die sich angeblich der Qualität der Bildung verschrieben haben. Was man unter Qualität in der Bildung zu verstehen hat, haben wir gestern dargestellt.
Die Beispiele, die Bernhard Krötz veröffentlicht hat, sprechen eine deutliche Sprache:
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Weitere Beispiele finden sich
Und falls Sie es nicht bemerkt haben, es handelt sich hier um Physikaufgaben.
Es ist letztlich alles ganz einfach: Entweder man will in Schulen Stoff vermitteln, der es Schülern erlaubt, ein eigenständiges Leben in einer Gesellschaft zu führen, deren Schulen sie mit den Grundlagen, die notwendig sind, um eine erfolgreiche Erwerbsbiographie zu beginnen, ausgestattet haben, oder man will Schüler zu Marionetten einer vorgekauten Ideologie machen, die mit ideologischem Material vollgestopft werden bis sie die Indoktrination, die sie auskotzen, als normal ansehen.
Es gibt nichts dazwischen.
So wenig wie es möglich ist, Akteure, die Schüler mit Ideologie vollstopfen wollen, als etwas anderes als bösartige Akteure anzusehen, deren Bemühen darauf gerichtet ist, abhängige Nachläufer heranzuzüchten, die man für die unterschiedlichsten Zwecke instrumentalisieren kann, Zwecke, wie sie in autoritären Systemen gegeben sind, denn in Demokratien findet keine Ideologisierung von Schulunterricht statt.
Der Artikel erschien zuerst hier: ScienceFiles.org
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