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Frank­reichs Staats­fi­nanzen. Euro­krise 2.0

ZWEIFEL AN FRANK­REICHS KRE­DIT­QUA­LITÄT WACHSEN. DIE NÄCHSTE EURO­KRISE STEHT VOR DER TÜR

Ein Artikel von Thorsten Polleit.

Der Staat vermag aus dem Ein­kommen der Wirte Teile für die Bestreitung seiner Aus­gaben her­aus­zu­ziehen, er vermag für solche Ver­wendung auch Kapi­tals­teile zu ent­eignen oder zu leihen. Doch ist es unmöglich, dass er auf die Dauer für die Ver­zinsung der Schulden aufkommt.
(Ludwig von Mises, 1881 – 1973, in „Natio­nal­öko­nomie“ (1940), S. 216)

Wer kennt es nicht, das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“, 1837 vom däni­schen Schrift­steller Hans Christian Andersen ver­öf­fent­licht. Ein eitler Kaiser geht Betrügern auf den Leim. Sie ver­sprechen ihm ganz besondere Kleider — und sagen, dass die Per­sonen, die dumm oder nicht gut genug für ihr Amt seien, die Kleider nicht sehen könnten. Die Betrüger stecken das Geld des Kaisers ein, gaukeln vor, für ihn Kleider zu schneidern und anzu­passen. Doch aus Angst, als dumm oder unfähig dazu­stehen, trauen sich weder der Kaiser noch sein Hof­staat zu sagen, dass sie die Kleider nicht sehen können.

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Als der Kaiser sich jedoch öffentlich in seinen neuen Kleidern zeigt (die es gar nicht gibt), ruft ein kleines Mädchen auf einmal: „Aber er hat ja nichts an!“ Das gesamte Volk stimmt ein, und die Wahrheit kommt ans Licht — dass der Kaiser nichts anhat. So wie in „Des Kaisers neue Kleider“ geht es auch zuweilen auf den Finanz­märkten zu: Obwohl es Fehl­ent­wick­lungen gibt, die für alle seit langem erkennbar sind, bleiben die Kon­se­quenzen zunächst aus. Doch irgendwann, aus­gelöst durch irgendwas, gerät der Stein dann ins Rollen, fliegt der Schwindel auf, tritt zutage, was zutage treten muss.

Das jüngste Bei­spiel ist Frank­reich: Die Zweifel an der Kre­dit­qua­lität der zweit­größten Volks­wirt­schaft im Euroraum wachsen. Das zeigt sich unüber­sehbar in den stei­genden Ren­diten für fran­zö­sische Staats­an­leihen gegenüber der Rendite für deutsche Schuld­pa­piere: Zu Beginn 2025 lag der Zins­ab­stand im Lauf­zeit­be­reich von zehn Jahren bei etwa 50 Basis­punkten. Nachdem S&P Global Ratings im März 2025 Frank­reichs Kre­dit­qua­lität her­ab­ge­stuft hatte (auf AA-/A‑1+), stieg der Zins­ab­stand gegenüber Deutschland auf 70 bis 80 Basis­punkte. Im August stieg der Zins­ab­stand weiter auf knapp 90 Basis­punkte — ein Niveau, das letzt­malig im Zuge der Euro­krise 2012 zu beob­achten war.

Gründe für das wach­sende Miss­trauen gegenüber Frank­reichs öffent­licher Finanzlage finden sich zuhauf. Eine Art Aus­löser war die jüngste Ankün­digung von Pre­mier­mi­nister François Bayrou, eine Ver­trau­ens­ab­stimmung am 8. Sep­tember 2025 durch­zu­führen. Mitt­ler­weile ist das ein­ge­treten, was viele erwartet haben: Regie­rungs­sturz. Frank­reich bekommt den fünften Regie­rungschef in zwei Jahren. Die Chance, dass Neu­wahlen zu einer in dem Sinne wir­kungs­vollen Regierung führen, dass Frank­reich seine maroden Staats­fi­nanzen in den Griff bekommt bezie­hungs­weise bekommen will, ist sehr gering.

Man muss sich nicht in aller Tiefe mit der fran­zö­si­schen Partei- und Regie­rungs­po­litik beschäf­tigen, wenn man das ganze Ausmaß der aktu­ellen Kri­senlage ver­stehen will. Dazu reicht schon der Blick auf zwei wichtige Kennzahlen.

Die erste Kennzahl ist Frank­reichs Defizit im Ver­hältnis zum Brut­to­in­lands­produkt (BIP). So hat die Neu­ver­schuldung in den letzten 45 Jahren immer weiter zugelegt. In 2024 lag das Defizit bereits bei 5,8 Prozent des BIP, für 2025 werden (kon­ser­vativ geschätzt) etwa 6,1 Prozent erwartet. Wenn im Zeit­ablauf die Neu­ver­schuldung stärker steigt, als das BIP zulegt, dann ist die Folge: Die öffent­liche Schuldlast steigt relativ zum BIP über die Jahre hinweg an.

Damit sind wir bei der zweiten Kennzahl: 1980 betrug die Staats­ver­schuldung relativ zum BIP noch 21,2 Prozent des BIPs, nach nahezu ste­tigem Anstieg lag sie 2024 bei 114 Prozent. Man erkennt: Frank­reichs Staats­fi­nanzen führen, wenn der Trend fort­ge­führt wird, gera­dewegs und übrigens auch schneller als in anderen Euro-Volks­wirt­schaften, in die Über­schuldung — bezie­hungs­weise mit nun stei­genden Refi­nan­zie­rungs­zinsen wird eine Über­schul­dungs­si­tuation für Frank­reich immer wahrscheinlicher.

Nun mag der Leser fragen: Warum gerät gerade Frank­reich ins Faden­kreuz der Finanz­märkte? Steht Italien mit einem Schul­den­stand von 135,3 Prozent nicht viel schlechter da? Nun, Ita­liens Defizit-pro-BIP-Quote lag 2024 „nur“ bei 3,6 Prozent, und vor allem zeigt Italien keinen so dra­ma­ti­schen Trend in Richtung immer höherer Defi­zit­quoten, wie er in Frank­reich (seit Jahr und Tag) zu beob­achten ist.

Wohl­ge­merkt: Wach­sende Zweifel an Frank­reichs Staats­fi­nanzen können selbst­ver­ständlich über­schwappen auf andere Euro-Staaten, und Italien könnte durchaus der nächste Domi­no­stein sein, der „umfällt“. Damit geriete natürlich sogleich auch das Euro-Ban­ken­system ins Trudeln, weil die Euro-Banken und Euro-Staats­schulden eng mit­ein­ander ver­woben sind.

Es stellt sich die Frage: Was sind die Folgen, wenn die Finanz­märkte die fran­zö­sische Kre­dit­qua­lität immer weiter anzweifeln? Nun, die Rendite auf Frank­reichs Staats­an­leihen dann steigen weiter. Das wie­derum ver­teuert die Kre­dit­kosten und ver­schlechtert damit Frank­reichs Schul­den­trag­fä­higkeit — und die Ren­di­te­for­de­rungen der Inves­toren bei fran­zö­si­schen Staats­an­leihen steigen noch weiter.

Um hier den Weg in den Staats­bankrott noch abwehren zu können, müssten die Fran­zosen ihre Neu­ver­schuldung (dras­tisch) zurück­führen: Der Staat muss weniger aus­geben und/oder mehr ein­nehmen (durch Pri­va­ti­sie­rungen, Steuern, durch weitere Ent­eig­nungen der Bürger). Hoff­nungsvoll kann man nicht sein: In den letzten 45 Jahren haben die Fran­zosen ihren Staats­haushalt nicht einmal aus­ge­glichen, sind den Weg in immer höhere Defizit- und Schul­den­quoten im Ver­hältnis zum BIP gegangen.

In diesem Zusam­menhang ist zu bedenken, dass mitt­ler­weile die fran­zö­si­schen Staats­aus­gaben relativ zum BIP bei etwa 57 Prozent ange­kommen sind — man ist damit de facto im (Neo-)Sozialismus gelandet. Frank­reichs Staats­schulden belaufen sich dabei auf 3.350 Mrd. Euro. Der Euro­päische Sta­bi­li­täts­me­cha­nismus (ESM), 2012 ins Leben gerufen, reicht sicherlich nicht aus, Frank­reich aus der Patsche zu helfen: Er verfügt über ein Kre­dit­ver­ga­be­vo­lumen von „nur“ 700 Mrd. Euro (mehr zum ESM hier).

Eine Finanz­krise Frank­reichs wird daher wohl die Euro­päische Zen­tralbank (EZB) auf den Plan rufen — und das wissen ver­mutlich auch alle fran­zö­si­schen Poli­tiker und Par­teien, und ent­spre­chend gering ist auch ihr Reform­eifer. Denn sie können zwei Hil­fe­stel­lungen erwarten.

Zum einen läuft die Amtszeit der fran­zö­si­schen EZB-Prä­si­dentin Christine Lagarde noch bis zum 31. Oktober 2027; Lagarde und ihren Helfern ver­bleibt des­wegen noch genug Zeit, ihr Hei­matland vor dem Bankrott zu bewahren. Zum anderen hat sich der Rat der EZB längst (in „weiser Vor­aus­sicht“ möchte man sagen) ein Instrument an die Hand gegeben, um Kri­sen­lagen wie etwa den dro­henden Staats­bankrott eines Euro-Mit­glied­landes abzu­wehren. Es lautet: „Trans­mis­si­ons­schutz­in­strument“ (eng­lisch: „Trans­mission Pro­tection Instrument“, kurz: „TPI“).

Mit dem TPI hat sich der EZB-Rat im Juli 2022 quasi selbst­er­mächtigt, gezielt und unbe­grenzt Staats­an­leihen ein­zelner Euro-Länder auf­kaufen zu können, um die Kre­dit­zinsen für deren Anleihen zu senken. Mit dem TPI kann der EZB-Rat gewis­ser­maßen „still und heimlich“ Euro-Staats­an­leihen kaufen, und die Öffent­lichkeit erfährt davon nichts — oder wenn über­haupt, dann (viel) zu spät.

Das wirklich Tückische dabei ist: Da der EZB-Rat das TPI ein­setzen kann (und zwar im Grunde wann immer er es will), muss er nicht einmal Anleihen tat­sächlich kaufen, um die beab­sich­tigte Wirkung auf Anlei­he­kurse und ‑ren­diten zu erzielen. Wenn zum Bei­spiel die Han­dels­tische der Groß­banken der Auf­fassung sind, die EZB-Räte werden die Rendite für fran­zö­sische Staats­an­leihen nicht um mehr als, sagen wir, 80 Basis­punkte gegenüber deut­schen Staats­an­leihen ansteigen lassen (weil ein EZB-Rat das den Groß­bank­vor­ständen bei einem Sekt­empfang zuge­raunt hat), dann wird die Rendite für fran­zö­sische Staats­an­leihen auch nicht mehr als 80 Basis­punkte betragen. Anders gesagt: Die Mani­pu­lation der Markt­zinsen erfordert nicht not­wen­di­ger­weise effektive Anlei­he­käufe durch die EZB.

Und folglich sind auch die Zins­ab­stände zwi­schen fran­zö­si­schen und deut­schen Staats­an­leihen mit aller­größter Vor­sicht zu inter­pre­tieren: Die EZB-Räte können in Kri­sen­phasen nicht nur fran­zö­sische, sondern auch deutsche und/oder ita­lie­nische Staats­an­lei­he­ren­diten in ihrem Sinne mani­pu­lieren. Dadurch wird nicht nur die Renditehöhe, sondern es werden auch die Renditeabstände zwi­schen unter­schied­lichen Staats­schuldnern ver­zerrt, bezie­hungs­weise Ren­diten und Zins­ab­stände ver­lieren ihre Signal­funktion für den Investor.

Man fragt sich: Warum gerade jetzt? Ist eine Krise fran­zö­si­scher Staats­an­leihen etwa poli­tisch initiiert? Ganz abwegig ist das nicht: Eine Krise lässt sich bekanntlich poli­tisch nutzen. Sie erlaubt es den EU-Befür­wortern, dras­tische Maß­nahmen, Not­maß­nahmen ein­zu­führen, die ihnen bei ihrem Plan helfen, so etwas wie die „Ver­ei­nigten Staaten von Europa“ aus der Taufe zu heben. Oder will man viel­leicht die EZB end­gültig ein­setzen, um die Über­schuldung der Euro-Staaten mit einer Infla­tio­nierung aus der Welt zu schaffen?

Man kann darüber viel spe­ku­lieren. Ganz wichtig ist an dieser Stelle für die Inves­toren jedoch die Antwort auf die Frage: Erhöhen die EZB-Räte die Geld­menge oder nicht? Fol­gende Sze­narien sind zu bedenken:

(1.) Wenn es den EZB-Räten gelingt, die Rendite der (fran­zö­si­schen) Staats­an­leihen allein durch Ver­laut­ba­rungen niedrig zu halten (indem sie bei­spiels­weise bedeutsame Inves­toren in ihre Pläne ein­weihen, und die Inves­toren sich auf die infor­mellen Ver­spre­chungen der EZB-Räte ein­lassen), dann bleibt der Schein erhalten: Und die Ren­diten der Staats­an­leihen bleiben niedrig.

(2.) Wenn die EZB-Räte Staats­an­leihen kaufen müssen, weil sie sonst die Inves­toren nicht davon über­zeugen können, an ihren Staats­an­leihen fest­zu­halten, dann steigt unwei­gerlich die (Basis-)Geldmenge im Euroraum. Das wie­derum kann zwei Folgen haben:

(a) Die EZB-Räte kaufen nur relativ wenige Euro-Staats­an­leihen, doch das genügt, um die Kre­dit­märkte zu beru­higen. Die Krise wird und bleibt ein­gehegt. Der Infla­ti­ons­effekt ist nur relativ gering.

(b) Ange­sichts der EZB-Anlei­he­käufe werfen die Inves­toren ihre Anleihen zuhauf auf den Markt, weil sie stei­gende Inflation befürchten. Die EZB erhöht dar­aufhin ihre Anlei­he­käufe. Es kommt zu einer Abwärts­spirale: Fal­lende Anlei­he­kurse, stei­gende Inflation, eine Flucht aus Euro-Anleihen setzt ein. Die EZB ver­ur­sacht letztlich Hoch- bezie­hungs­weise Hyperinflation.

Mit was ist zu rechnen? Aus gegen­wär­tiger Sicht scheint es nicht sehr wahr­scheinlich zu sein, dass die fran­zö­sische Staats­schul­den­krise abebbt, sich in Wohl­ge­fallen auflöst — denn die Zweifel an der finan­zi­ellen Soli­dität Frank­reichs sind nur allzu berechtigt. Auch sind Anste­ckungs­ef­fekte auf andere Schuldner im Euroraum (zu denken ist an Italien) und anderswo (zum Bei­spiel Groß­bri­tannien, Japan) oder das Euro-Ban­ken­system nicht auszuschließen.

Ein groß­an­ge­legter Ein­griff der EZB-Räte in die Euro-Kre­dit­märkte wäre nicht ver­wun­derlich — und das wäre absehbar ver­bunden mit wei­teren Zins­sen­kungen, Anlei­he­käufen und einer neu­er­lichen und beträcht­lichen Aus­weitung der Euro-Geld­menge. Euro-Anleger haben also gute Gründe, mit einer fort­ge­setzten, sich künftig wieder beschleu­ni­genden Geld­ent­wertung zu rechnen, auch wenn sich die Güter­preis­stei­ge­rungen in den letzten Monaten etwas ver­langsamt haben.

Und so kommen wir zu „Des Kaisers neue Kleider“ zurück: Auch wenn es den EZB-Räten gelingt, die Rea­lität für gewisse Zeit zu ver­schleiern, sie scheinbar hin­fort­zu­ma­ni­pu­lieren, so wird sie doch früher oder später zutage kommen. Die Tat­sache, dass der Staats­kredit zuse­hends in Miss­kredit gerät, ange­fangen in Frank­reich, sollte wirklich nie­manden über­ra­schen — und auch nicht, dass die nächste Euro­krise vor der Tür steht.

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Dieser Artikel ist aus Dr. Pol­leits BOOM & BUST REPORT: www.boombustreport.com

Zuerst ver­öf­fent­licht bei misesde.org.

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