WORLD ECONOMIC FORUM/swiss-image.ch/Photo Jolanda Flubacher - flickr. com - CC BY-NC-SA 2.0

Will Schäuble eine “neue Form” von Demokratie?

Es soll hin­terher niemand meinen, unsere Poli­tiker hätten nicht gesagt, was sie mit unserer Gesell­schaft vor­haben. Sie tun es nur ver­steckt und ver­quast, damit es nicht so leicht bemerkt werden kann. Ganz im Sinne der Hand­lungs­an­leitung, die unser Ober­eu­ropäer Jean-Claude Juncker schon vor Jahren gegeben hat:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was pas­siert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Auf­stände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
Nun hat Wolfgang Schäuble in seiner Rede vom 31. Januar im Bun­destag ange­deutet, wohin unsere Gesell­schaft getrieben, besser gesagt, auf­gelöst werden soll.
Hass und Hetze dürften in unserer Gesell­schaft keinen Raum haben, hob er an, um fort­zu­fahren „von wem auch immer sie verübt werden“. Hat seine Mahnung auch ihn selbst und seine Poli­tiker-Kol­legen im Blick, die in der Ver­gan­genheit immer wieder mit Aus­fäl­lig­keiten gegen den Sou­verän, der nicht so pariert, wie er sollte, auf­ge­fallen sind? Pack, Schande, Mob, Dun­kel­deutschland, sind hass­erfüllte Poli­tiker-Epi­theta, die immer wieder zu hören waren.
„Wer Hass schürt, beutet die Ver­un­si­cherung, die Ängste von Men­schen aus.“ So weit, so bekannt. Dann kommt es im nächsten Satz knüppeldick:
„Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevöl­kerung meint, legt Hand an unsere Ordnung:“
Was ist „unsere Ordnung“? Die frei­heitlich demo­kra­tische Grund­ordnung beruht auf dem Grund­gesetz, das sich, wie in der Prä­ambel nach­zu­lesen ist, „das Deutsche Volk dank seiner ver­fas­sungs­ge­benden Gewalt“ gegeben hat. Es gilt „für das gesamte deutsche Volk“.
Der Ruf „Wir sind das Volk“ ist also vom Grund­gesetz gedeckt. Es ist bezeichnend, dass der Bun­des­tags­prä­sident oder seine Reden­schreiber sich dessen nicht mehr bewusst zu sein scheinen.
Offen­sichtlich meint Schäuble auch nicht mehr, was (noch) auf Wiki­pedia als „Gesell­schaft“ defi­niert wird:
„…als eine größere mensch­liche Gruppe, deren Mit­glieder durch gemeinsame Sprache, Werte, Über­zeu­gungen, Tra­di­tionen und Erfah­rungen mit­ein­ander ver­bunden sind“. Die Sozio­logie sieht den Begriff ähnlich, „…als eine durch unter­schied­liche Merkmale zusam­men­ge­fasste und abge­grenzte Anzahl von Per­sonen, die als soziale Akteure mit­ein­ander ver­knüpft leben und direkt oder indirekt inter­agieren“.
In der Demo­kratie neuen Typus von Schäuble & Co, darf es diese Gemein­sam­keiten nicht mehr geben.
Wir haben inzwi­schen eine beträcht­liche Anzahl von haupt­sächlich jungen Männern aus uns fremden Kul­tur­kreisen unter uns. Das ist jene Gruppe, die nach Aussage des Migra­ti­ons­for­schers Oli­viero Angeli laut Sta­tistik über­pro­por­tional viele Gewalt­taten begeht. Diese jungen Männer teilen auch nicht die Gemein­sam­keiten unserer eman­zi­pa­to­ri­schen Gesell­schaft, an die Schäuble & Co jetzt massiv Hand anlegen.
Welche Idee steckt hinter diesem Tun? Schäuble pas­siert in seiner Rede ein bezeich­nender Lapsus:
„Dieses freie, demo­kra­tische, rechts­staat­liche, fried­liche Deutschland, in dem wir heute das Glück haben zu leben, ist auf der his­to­ri­schen Erfahrung uner­mess­licher Gewalt gebaut.“
Müsste es nicht heißen „auf der Ablehnung der his­to­ri­schen Gewalt“?
Tatsche ist, dass in der freien deut­schen Demo­kratie neuen Typus schneidig ver­kündet werden kann: „Gegen Nazis helfen nur Nazi­me­thoden“ und dieser Spruch eines Antifa-Akti­visten wider­spruchslos in den Medien abge­druckt wird. Nazi ist inzwi­schen jeder, der es wagt, der Politik zu widersprechen.
Mit ähn­lichem Eifer, mit dem in den fins­tersten Zeiten unserer Geschichte an der „Volks­ge­mein­schaft“ gebastelt wurde, wird jetzt die Auf­lösung der Gesell­schaft, die sich auf den oben genannten Gemein­sam­keiten gründet, betrieben.
Das aber wäre das Ende der eman­zi­pa­to­ri­schen Errun­gen­schaften, die mühsam über Gene­ra­tionen erkämpft wurden und deren Reste wir derzeit noch genießen dürfen. 

 
Vera Lengsfeld — vera-lengsfeld.de