By Christallkeks - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit

Die neu-alte GroKo hat sich in Ihrem Koali­ti­ons­vertrag “mehr soziale Gerech­tigkeit” auf die Fahne geschrieben. Diese Zuge­ständ­nisse an die SPD hat es Merkel ihren roten Ver­hand­lungs­partnern wohl ein­räumen müssen, um am Ende nicht vor Neu­wahlen zu stehen, die sie poli­tisch wahr­scheinlich nicht überlebt hätte. Dies zum Anlass nehmend möchten wir hier den fol­genden Text ver­öf­fent­lichen. Er hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel und ist doch so aktuell wie bei seinem Erscheinen.

“Soziale Gerech­tigkeit” ist ein geflü­gelter Begriff. Soziale Gerech­tigkeit ist positiv belegt. Es macht sich gut, soziale Gerech­tigkeit zu fordern. Es gehört zum guten Ton, soziale Gerech­tigkeit ganz oben auf der poli­ti­schen oder eigenen Agenda zu ver­orten. So darf die Schul­den­bremse, mit der staat­liche Aus­gaben redu­ziert werden sollen, nicht zu sozialer Unge­rech­tigkeit führen, Occupy-Akti­visten bewohnen  öffent­liche Plätze, demons­trieren gegen die “Gier der Banker” und für “soziale Gerech­tigkeit”. Andere ver­künden, dass man soziale Gerech­tigkeit durch die dezen­trale Pro­duktion erneu­er­barer Energien erreichen kann. Die Evan­ge­lische Kirche Deutsch­lands will die Schul­den­krise zu mehr Einsatz für soziale Gerech­tigkeit nutzen, Stu­denten und Schüler demons­trieren für mehr soziale Gerech­tigkeit im Bil­dungs­system , die Linke glaubt, dass eine sich wei­tende Schere zwi­schen Arm und Reich bei “den Men­schen” zu einer Sehn­sucht nach sozialer Gerech­tigkeit führt, während das Forum soziale Gerech­tigkeit fordert, die Wirt­schaft zum Diener sozialer Gerech­tigkeit zu machen.
Die Bei­spiele machen zum einen deutlich, dass soziale Gerech­tigkeit ein Begriff ist, der mul­ti­funk­tional ein­setzbar ist: Soziale Sicherheit lässt sich nahezu in jedem Lebens­be­reich fordern. Zum anderen zeigen die Bei­spiele, dass soziale Gerech­tigkeit mit der Ver­teilung von Res­sourcen zu tun hat. Und da Res­sourcen und ins­be­sondere ihre Ver­teilung immer etwas mit Inter­essen zu tun haben, eignet sich soziale Gerech­tigkeit bestens, um für die eigenen Inter­essen instru­men­ta­li­siert zu werden. Mit dem Verweis auf soziale Gerech­tigkeit kann man die Sub­vention des dezen­tralen Ausbaus so genannter nach­hal­tiger Strom­erzeugung fordern, man kann eine höhere Steuer für Reiche mit “sozialer Gerech­tigkeit” begründen, die ver­meint­liche relative Armut von Allein­er­zie­henden zum Problem sozialer Gerech­tigkeit sti­li­sieren, das der Besei­tigung bedarf, und man kann mit dem Verweis auf soziale Gerech­tigkeit die Schaffung von Arbeits­plätzen für Sozi­al­ar­beiter und Sozi­al­päd­agogen fordern, die sich dann um sozial Benach­tei­ligte kümmern sollen, um auf diese Weise soziale Gerech­tigkeit herzustellen.
Diese viel­fältige Ver­wend­barkeit ein und des­selben Begriffs, die beschriebene Mög­lichkeit, soziale Gerech­tigkeit für nahezu alle Inter­essen, deren Ziel darin besteht, sich selbst einen pri­vi­le­gierten Zugang zu Res­sourcen zu ver­schaffen oder doch zumindest andere von ihrem Zugang zu Res­sourcen abzu­schneiden, hat Friedrich A. Hayek dazu geführt, den Begriff der sozialen Gerech­tigkeit und das Ziel sozialer Gerech­tigkeit als illu­so­risch zu bezeichnen und zu ver­werfen: “Mehr als zehn Jahre lang, habe ich mich intensiv damit befasst, den Sinn des Begriffs ‘soziale Gerech­tigkeit’ her­aus­zu­finden. Der Versuch ist gescheitert; oder besser gesagt, ich bin zu dem Schluss gelangt, dass für eine Gesell­schaft freier Men­schen dieses Wort über­haupt keinen Sinn hat” (Hayek, 1977 [1]). Hin­ter­grund dieser Schluss­fol­gerung ist die Kon­zeption einer Freien Gesell­schaft von Hayeks. Eine freie Gesell­schaft basiert für Hayek auf einer  freien Markt­wirt­schaft, in der die Rechts­gleichheit der Akteure garan­tiert ist, Pri­vi­le­gi­en­freiheit herrscht und das Leis­tungs­prinzip regiert. Die drei Begriffe, Rechts­gleichheit, Pri­vi­le­gi­en­freiheit und Leis­tungs­prinzip, defi­nieren die Spiel­regeln der freien Markt­wirt­schaft. Wer diesen Spiel­regeln zustimmt, erklärt sich auch mit den Ergeb­nissen, die im Rahmen dieser Spiel­regeln erreicht werden können, ein­ver­standen, egal, ob die Ergeb­nisse für ihn positiv oder negativ sind. Gerech­tigkeit so ver­standen, ist demnach Pro­zess­ge­rech­tigkeit. Ergeb­nisse sind gerecht, wenn sie unter Ein­haltung der Spiel­regeln zu Stande gekommen sind.
Diese Form der Pro­zess­ge­rech­tigkeit ist all denen ein Dorn im Auge, denen die Markt­er­geb­nisse nicht passen bzw. die eine Pri­vi­le­gierung bestimmter Spieler erreichen wollen. Ent­spre­chend wird mit Gerech­tig­keits­be­griffen wie “Bedarfs­ge­rech­tigkeit” oder “Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit” han­tiert , wobei Bedarfs­ge­rech­tigkeit, z.B. die Idee hinter dem bedin­gungs­losen Grund­ein­kommen ist, Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit, die Markt­er­geb­nisse nach­träglich durch Umver­teilung ändern will. Diesen Gerech­tig­keiten, die unter dem Über­be­griff “soziale Gerech­tigkeit” gehandelt werden, ist eines gemeinsam: Sie stellen einen inter­es­se­ge­leiteten Ein­griff in den Markt dar, bevor­zugen die einen Markt­teil­nehmer zu Lasten der anderen Markt­teil­nehmer und recht­fer­tigen dies mit “sozialer Gerechtigkeit”.
Soziale Gerech­tigkeit ist der Anlaß eine Bedarfs­ge­rech­tigkeit zu fordern, die alle Deut­schen  mit dem gleichen Grund­stock an phy­si­scher Sicherheit ver­sorgen soll. Da aber nicht alle Deut­schen arbeiten hat dies not­wendig zur Folge, dass einige pro­fi­tieren, weil ihnen gegeben wird, obwohl sie keine Leistung erbringen, während anderen genommen wird, weil sie leisten. Ähnlich verhält es sich bei der Ver­tei­lungs­ge­rech­tigkeit, die den Leis­tenden einen Teil ihrer Leistung nimmt, um ihn an weniger oder gar nicht Leis­tende zu ver­teilen. Besonders pro­ble­ma­tisch wird diese Grund­struktur dann, wenn es darum geht zu bestimmen, wem wieviel genommen wird und wem wie viel zuge­teilt bzw. zu wessen Gunsten umver­teilt wird. In dieser Frage ist Streit vor­pro­gram­miert, denn die­je­nigen, denen genommen wird, werden der Ansicht sein, es wird ihnen zu viel genommen bzw. jede Umver­teilung ablehnen, während die­je­nigen, die  erhalten, der Ansicht sein werden, zu wenig zu erhalten. Mit jeder Umver­teilung und jeder Grund­si­cherung, die eine Regierung ein­führt, wird sie zudem  bei anderen, die noch nicht in den Genuss von umver­teilten Mitteln gekommen sind, Begehr­lich­keiten wecken, und sie wird bei denen, denen gegeben wird, weitere Begehr­lich­keiten wecken. Dagegen wird den Leis­tenden ein Grund gegeben, die eigene Leistung vor der Umver­teilung zu schützen bzw. es wird ihnen der Anreiz genommen, über­haupt zu leisten. Zwi­schen all den­je­nigen, die ver­suchen, in den Genuss von Umver­teilung zu kommen bzw. ihre Markt­er­geb­nisse vor Umver­teilung zu schützen, steht die Regierung. Das Ziel einer Regierung besteht in erster Linie darin, wie­der­gewält zu werden. Um wie­der­ge­wählt zu werden, benötigt man Unter­stützung, und Unter­stützung kann man dadurch kaufen, dass man bestimmte der  beschrie­benen Inter­essen bedient, in dem man umver­teilt, im Namen der sozialen Gerechtigkeit.
Diese unver­meidbare Dege­ne­ration der umver­tei­lenden Regierung zum Hand­langer unter­schied­lichster Inter­essen und der unver­meidbare Streit darüber, was denn nun sozial gerecht ist und ab welcher Höhe eine Zuwendung sich als sozial gerecht qua­li­fi­ziert, hat Hayek dazu ver­an­lasst, den Begriff der sozialen Gerech­tigkeit rundweg zu ver­werfen, und nach dem Gesagten kann man ihm eigentlich nur zustimmen.
[1] Friedrich A. von Hayek — Soziale Gerech­tigkeit – eine Fata Morgana. Frank­furter All­ge­meine Zeitung, 16. April 1977, S.13.