Frank Hennig im Interview mit kernenergie.de über Energiewende

Frank Hennig, Diplom­in­ge­nieur für Kraft­werks­an­lagen und Ener­gie­um­wandlung, war viele Jahre in Koh­le­kraft­werken eines großen Ver­sorgers beschäftigt, zuletzt als Betriebsrat. Heute arbeitet er als Referent in der tech­ni­schen Fort­bildung und für eine Gewerk­schaft. Er ist Autor des Buches „Dun­kel­flaute – oder warum Energie sich nicht wenden lässt“ und schreibt die Serie „ABC des Ener­gie­wende- und Grün­sprech“ online auf „Tichys Ein­blick“ sowie im gleich­na­migen Magazin.
In der Antwort der Bun­des­re­gierung auf eine kleine Anfrage nach den Kosten der Ener­gie­wende vom Dezember 2017 wird aus­ge­führt, dass diese nicht berechnet werden können. Was ist Ihre Ein­schätzung hin­sichtlich der Kosten?
Die Antwort der Bun­des­re­gierung ist ein Ein­ge­ständnis der man­gelnden Über­sicht und Kon­trolle über die weltweit ein­zig­artige und natio­nal­staatlich ange­legte Ener­gie­wende. Es gibt keinen Mas­terplan, somit keine Kos­ten­kal­ku­lation und ‑kon­trolle. Pro­fessor Fratz­scher vom DIW bezeichnete die Ener­gie­wende als „Expe­riment“ und hat damit eine meines Erachtens sehr tref­fende Bezeichnung gefunden. Nach der Methode des „Trial-and-Error“ tastet sich die Bun­des­re­gierung staats­pla­ne­risch voran und hofft auf Erfolg. Expe­ri­menten ist aller­dings eigen, dass ihr Ausgang offen ist.
Bei der im Grunde nur begon­nenen Strom­wende dürfte es in der Tat äußerst schwierig sein, alle Kos­ten­be­stand­teile umfänglich zu erfassen. Neben den ver­gleichs­weise leicht ermit­tel­baren Posten wie EEG-Umlage und Redis­patchaufwand sowie Kosten für Netz­sta­bi­li­täts­an­lagen, Reser­ve­kraft­werke und Sicher­heits­be­reit­schaften gibt es weitere indi­rekte Kosten, die schwer zu erfassen sind.
Da ist zunächst die Fülle nicht über­schau­barer direkter Sub­ven­tionen und För­de­rungen auf allen Ebenen von der EU bis zu den Kom­munen, von För­der­pro­grammen aus Brüssel bis hin zu Agenda-21-Zah­lungen in Städten und Gemeinden für den Einsatz rege­ne­ra­tiver oder emis­si­ons­armer Ener­gie­an­lagen. Die Auf­listung KfW-geför­derter Maß­nahmen für den Einsatz von Öko­en­ergien ist umfang­reich. Finanz­spritzen für Öko­in­dus­trie­an­lagen gibt es fast immer.
Die indi­rekten Kosten der Ener­gie­wende sind viel­fältig und nicht in ihrer Gesamtheit dar­stellbar. Die Frage bei­spiels­weise, welcher Netz­ausbau ohnehin erfor­derlich gewesen wäre und wie weit der Zubau dezen­traler vola­tiler Erzeugung den Ausbau ins­be­sondere der Mittel- und Nie­der­span­nungs­ebene zusätzlich erfor­derlich macht, ist nicht seriös zu beant­worten. Ebenso die Bewertung der Ver­luste kom­mu­naler Stadt­werke durch den ver­fal­lenen Bör­sen­strom­preis und Inves­ti­tionen von Kom­munen und Bür­ger­en­er­gie­ge­sell­schaften in Wind­in­dus­trie­parks, die in etlichen Fällen defi­zitär sind. Unter­bliebene Inves­ti­tionen in die kon­ven­tio­nelle Ener­gie­branche wie auch in der ener­gie­in­ten­siven Industrie (siehe Abwan­derung der Kar­bon­fa­ser­pro­duktion) sind ebenso monetär nicht erfassbar.
Betroffen vom nied­rigen Groß­han­dels­preis beim Strom sind die großen Ver­sorger mit noch nicht abge­schrie­benen Wär­me­kraft­werken und ins­be­sondere Gas­kraft­werken, die auf Grund des hohen Brenn­stoff­preises am Markt nicht mehr bestehen können. Dies ist aus Sicht der Emis­sionen kon­tra­pro­duktiv, aber durch den Markt­ein­griff des EEG logische Folge. Auch die ver­min­derten Steu­er­ein­nahmen von Unter­nehmen der kon­ven­tio­nellen Ener­gie­wirt­schaft sind indi­rekte Kosten der Ener­gie­wende. Die deut­schen Industrie- und Gewer­be­strom­preise für nicht umla­ge­be­freite Kunden sind die zweit­höchsten in Europa und kosten Wachstum und Beschäftigung.
Hinzu kommen die Wert­ver­luste an Immo­bilien im länd­lichen Raum, die nur noch unter Verlust oder gar nicht mehr ver­käuflich sind, weil manche Gemeinden von Wind­kraft­an­lagen umzingelt sind.
Auch dras­tische Fehl­steue­rungen des EEG, zum Bei­spiel die nach Über­för­derung 2012 geplatzte Solar­blase, kosten Geld. Nicht zuletzt sind die Kosten des Kern­ener­gie­aus­stiegs für den Steu­er­zahler durch grobe hand­werk­liche Fehler der Bun­des­re­gierung im Rahmen des Atom­mo­ra­to­riums 2011 auf noch nicht bezif­ferbare Höhe gestiegen. Des­wei­teren könnten Kosten für den Steu­er­zahler daraus ent­stehen, dass Abschalt­termine von Kern­kraft­werken nicht mit den im Atom­kom­promiss 2002 ver­ein­barten Rest­strom­mengen übereinstimmen.
Zudem gibt es kei­nerlei Anzeichen dafür, dass sich die Bun­des­re­gierung bemüht, die End­la­ger­kosten zu begrenzen.
Absehbar ist, dass im wei­teren Verlauf der Ener­gie­wende die Kosten, direkte wie indi­rekte, weiter steigen werden. Wie schnell und wie weit, wird auch die Bun­des­re­gierung nicht vor­her­sagen können. Fakt ist: Wind und Sonne schicken keine Rechnung, sind aber nicht kos­tenlos – nach deut­scher Ener­gie­wen­de­me­thodik nicht mal kostengünstig.
Für das Jahr 2017 melden deutsche Netz­be­treiber zum Teil stark stei­gende Kosten für Not­ein­griffe ins Stromnetz. Was sind die pri­mären Ursachen für diese Kosten und wie lassen sie sich aus Ihrer Sicht reduzieren?
Die stei­genden Kosten für die Netz­ein­griffe sind ver­ur­sacht durch die feh­lende Koor­di­nierung des Zubaus vola­tiler Erzeuger mit dem Netz­ausbau. Auch hier fehlt der Mas­terplan, der die 16 Ener­gie­stra­tegien der Länder mit der Bun­des­stra­tegie und den Netz­aus­bau­plänen zusammenführt.
Die Eigen­tümer rege­ne­ra­tiver Anlagen müssten zeitnah unter­neh­me­rische Ver­ant­wortung und ent­spre­chendes Risiko über­nehmen. Bisher gilt: „Build and forget“, das heißt, nach dem Bau der Anlagen folgt das Kas­sieren. Um Ableitung, Ver­marktung, Verkauf und Abrechnung des Stroms, inklusive der nötigen Netz­dienst­leis­tungen müssen sich andere kümmern. Und selbst bei netz­tech­nisch nötigen Außer­be­trieb­nahmen von Anlagen werden Ein­spei­se­ver­gü­tungen wei­ter­ge­zahlt. Dies ist ein krasser Web­fehler im EEG, der dringend behoben werden muss.
Eine sinn­volle Lösung wäre die Abschaffung des EEG und die Ver­ab­schiedung eines Fol­ge­ge­setzes, das For­schung fördert und grund- und regel­last­fähige Ein­speisung anreizt.
Der stei­gende Anteil der rege­ne­ra­tiven Energien an der Strom­erzeugung in Deutschland scheint darauf hin­zu­deuten, dass die Ener­gie­wende in ihrer jet­zigen Form erfolg­reich sein könnte, trotz der vor­aus­sicht­lichen Ziel­ver­fehlung hin­sichtlich der Reduktion der Treib­hausgase zum Jahr 2020. Würden Sie diese Deutung teilen?
Nein. Ich halte es für einen Trug­schluss, auf der Basis zuge­bauter instal­lierter Leistung den Trend einfach hoch­zu­rechnen bis zu 100 Prozent. Es wird ver­gessen, dass dazwi­schen ein Sys­tem­wechsel liegt. Bisher wird der volatile Strom in ein vor­han­denes, durch kon­ven­tio­nelle Erzeugung sta­bi­li­siertes Netz ein­ge­bettet und mit Netz­dienst­leis­tungen ver­sehen. Künftig müssen diese Leis­tungen auch von den Erneu­er­baren kommen, wobei weder tech­nisch noch regu­lativ Ent­wick­lungen in diese Richtung zu beob­achten sind.
Der größte Teil erneu­er­barer Ein­speisung ist volatil und bringt etwa 35 Prozent an elek­tri­scher Arbeit im Jah­res­durch­schnitt, schwankend zwi­schen etwa zehn bis fast hundert Prozent. Dies macht ein dau­er­haftes Backup-System erfor­derlich. Der weitere unko­or­di­nierte Ausbau vola­tiler Ein­speiser würde zeit­weise zu erheb­lichem Über­an­gebot führen, das Backup aber nicht über­flüssig machen. Bei Wind­stille ist die Anzahl ste­hender Wind­kraft­an­lagen uninteressant.
Die Finan­zierung der Fix­kosten beider Systeme ist ein volks­wirt­schaft­licher Ballast, der auf diese Weise nicht zu ver­meiden ist und im Trend weiter steigen wird. Sollten kon­ven­tio­nelle Kraft­werke künftig durch riesige Spei­cher­ka­pa­zi­täten ersetzt werden können, fallen auch für diese erheb­liche Kosten an.
In jedem Fall besteht dringend die Aufgabe, die rege­ne­ra­tiven Erzeuger an die Regel­fä­higkeit und die Erbringung von Netz­dienst­leis­tungen her­an­zu­führen – schließlich sollen sie der­einst voll­ver­sorgen. Wann das soweit sein wird, sollte man nüchtern an Hand der wei­teren Ent­wicklung bewerten und nicht von Wunsch­denken geleitete Termine setzen.


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