Woh­nungs­knappheit und das kol­lektive Schweigen der Projektentwickler

von Rainer Zitelmann
In Berlin-Kreuzberg hat ein Pro­jekt­ent­wickler ein rie­siges Plakat auf­ge­hängt: „Hier ver­hindert Rot-Rot-Grün 623 Woh­nungen, davon 182 geför­derte Ein­heiten und 55 preis­ge­dämpfte Wohn­ein­heiten. Der Ber­liner Senat sieht zu.“ Dass sich ein Pro­jekt­ent­wickler wehrt und die Bau­ver­hin­de­rungs­po­litik öffentlich kri­ti­siert, ist eine Aus­nahme, die deshalb viel Auf­merk­samkeit gewinnt, erklärt Rainer Zitelmann.
Wenn es um die Ursachen der Woh­nungs­knappheit in den deut­schen Metro­polen geht, dann gibt es zwei Welten: Die der Wis­senden und die der Ahnungs­losen. Die Wis­senden sind die Pro­jekt­ent­wickler, die täglich die Behin­de­rungen durch Politik und Behörden erleben. Die Unwis­senden sind alle anderen: Poli­tiker, Jour­na­listen, die Bevöl­kerung – wobei die wenigen Aus­nahmen die Regel bestätigen.
Dabei ist dieses Unwissen kei­neswegs deren Schuld und hat meist nicht einmal etwas mit ideo­lo­gi­schen Scheu­klappen zu tun. Der Grund ist vielmehr, dass sich kaum ein Pro­jekt­ent­wickler traut, die täg­lichen Zumu­tungen durch Politik und Behörden zu the­ma­ti­sieren. Denn ver­ständ­li­cher­weise befürchten sie zusätz­liche büro­kra­tische Schi­kanen, wenn sie Ross und Reiter nennen und die kon­kreten Fälle öffentlich machen würden. Christoph Gröner von der CG-Gruppe hat seinem Plakat Mut bewiesen und hof­fentlich eine längst über­fällige Dis­kussion angestoßen.
Ich höre Geschichten über die Bau­ver­hin­derung durch Politik und Beamte fast täglich, weil ich beruflich mit Pro­jekt­ent­wicklern zu tun habe: Da sollen in einer großen deut­schen Stadt über 1000 preis­werte Woh­nungen ent­stehen, aber das Projekt stockt und es wird ein Bau­stopp ver­hängt, weil ein Beamter des Umwelt­amtes drei Hamster gefunden hat. In einer anderen Stadt sollen mehrere Hundert neue Woh­nungen ent­stehen, davon ein Teil mit nied­rigen Mieten, andere als Eigen­tums­woh­nungen. Das Projekt stockt, weil ein feuchter Keller unter Denk­mal­schutz gestellt wird. In einer der Städte mit dem größten Woh­nungs­mangel sollen eben­falls Hun­derte Woh­nungen ent­stehen, aber das Projekt ver­zögert sich, weil die einzige Behör­den­mit­ar­bei­terin, die die not­wendige Beschei­nigung zum Nachweis von Schul­plätzen erbringen kann, seit sieben Monaten krank ist und keine Ver­tretung hat. Nachdem sie wieder gesund ist, werden einige Zaun­ei­dechsen ent­deckt. Es gibt ein Gut­achten über deren Zahl. Das Amt zweifelt die Ergeb­nisse an. Man trifft sich zum „Zaun­ei­dech­sen­gipfel“ vor Ort: Beamte, Gut­achter, Pro­jekt­ent­wickler – ins­gesamt 15 Leute. Ergebnis: Ein wei­teres Gut­achten wird ange­fordert, das Monate dauert.
Ein­zel­fälle? Nein. Leider ist das die Regel. Jeder Pro­jekt­ent­wickler kennt diese Fälle. Es gibt sie in München, Hamburg, Frankfurt – und am schlimmsten ist es in Berlin. Da hat es die Bau­se­na­torin der LINKEN fer­tig­ge­bracht, in einem Jahr die Zahl der Bau­ge­neh­mi­gungen um 18,6 Prozent zu redu­zieren. Kein Wunder: Ihr Bera­terstab besteht fast aus­schließlich aus Ver­tretern links­extremer Gruppen, viele davon aus der Ber­liner Haus­be­set­zer­szene. Inves­toren werden als Feinde gesehen, denen man mög­lichst viele Steine in den Weg legen sollte. Für sie ist der Kapi­ta­lismus die Ursache der Woh­nungsnot, dabei würde gerade in diesem Bereich gelten: Kapi­ta­lismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung.
Das Problem ist die staat­liche Über­re­gu­lierung. Die Pro­jekt­ent­wickler haben sich leider schon an ewig lange und kom­pli­zierte Geneh­mi­gungs­ver­fahren gewöhnt. Nicht selten vergeht vom Kauf eines Grund­stückes bis zur Bau­fer­tig­stellung ein ganzes Jahr­zehnt. Zwei Jahre davon wird gebaut. Die rest­liche Zeit ist dem Pla­nungs­recht und Dis­kus­sionen mit Politik und Behörden geschuldet. Und überall ist von Digi­ta­li­sierung die Rede, nur nicht hier: Neulich wun­derte sich ein Gast aus Holland, als er 97 prall gefüllte Akten­ordner im Büro eines Düs­sel­dorfer Pro­jekt­ent­wicklers sah, die dieser bei den Behörden ein­reichen musste, alles einzeln unter­schrieben. In Holland ginge das digital. Hier nicht.
Hinzu kommen immer neue und immer schärfere unsinnige Öko-Vor­schriften, die das Bauen ver­teuert haben – ohne dass sie irgend­einen sinn­vollen Beitrag zur Rettung des Pla­neten vor dem Kli­magau gebracht hätten. Seit 2001 jagt eine EnEV (Ener­gie­ein­spar­ver­ordnung) die nächste, jede neue Fassung macht das Bauen noch teurer. Nutz­nießer ist vor allem die Dämm­stoff­in­dustrie. Im Deut­schen Ärz­te­blatt kann man nach­lesen, dass die her­me­tische Abdichtung des Wohn­be­reichs zu einer deut­lichen Zunahme des Schim­mel­pilz­be­falls in den Woh­nungen geführt hat. Asthma, Lun­gen­ent­zün­dungen und andere gefähr­liche Krank­heiten können die Folge sein. In einigen US-Bun­des­staaten ist es wegen dieser gesund­heit­lichen Risiken bereits ver­boten, sein Haus mit Dämm­platten zu bekleben.
Zudem werden immer schärfere Auf­lagen für den Bau von Woh­nungen gemacht, die zu Mieten ange­boten werden müssen, die sich ange­sichts gestie­gener Grund­s­rück­stücks­preise und Bau­kosten wirt­schaftlich nicht rechnen. In allen Groß­städten gibt es solche Zwangs­auf­lagen, unter ver­schie­denen Namen. Der Deal: Du bekommst die Geneh­migung zum Bau von Eigen­tums­woh­nungen nur dann, wenn du gleich­zeitig ein Viertel, ein Drittel oder viel­leicht auch die Hälfte Miet­woh­nungen baust, bei denen die Mieten so niedrig sind, dass sie die Bau­kosten nicht decken. Damit werden Pro­jekt­ent­wickler zur Quer­sub­ven­tio­nierung gezwungen, die jedoch nur möglich wird durch den Bau von sehr teuren Eigen­tums­woh­nungen. Das mittlere Preis­segment bleibt so auf der Strecke.
Wer aber ist in der Wahr­nehmung der Politik, weiter Teile der Medien – und daher auch der Bevöl­kerung – schuld an stei­genden Mieten und zuneh­mender Woh­nungs­knappheit? Raff­gierige Immo­bi­lenhaie und Makler mit Dol­lar­zeichen in den Augen! Dabei sind es gerade die Pro­jekt­ent­wickler, die bauen wollen. Sie leben vom Bauen, nicht von der Ver­hin­derung des Bauens.
Ich habe seit Jahren die Idee, ein „Schwarzbuch Woh­nungs­bau­ver­hin­derung“ her­aus­zu­geben, das – ähnlich wie das Schwarzbuch des Bundes der Steu­er­zahler – jedes Jahr die Fälle öffentlich macht, über die bisher kol­lektiv geschwiegen wird. Viel­leicht mache ich einen Versuch, wenn sich genügend Pro­jekt­ent­wickler bereit fänden, ihr Schweigen zu brechen.


Quelle: The European