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Abschwung oder Crash? — Das Warten auf den großen Knall

Das Han­dels­blatt hat sich mit den Kon­junk­tur­aus­sichten für Deutschland und die Welt beschäftigt und die berech­tigte Frage auf­ge­worfen: Abschwung oder Crash?
In dem Zusam­menhang kam auch ich mit ein paar Kom­men­taren zu Wort. Bevor wir zu den Inhalten kommen, eine kurze – zutref­fende – Beschreibung meiner Person:
„Als Daniel Stelter beschloss, ein haupt­be­ruf­licher Kri­sen­prophet zu werden, war die Krise eigentlich schon wieder vorbei. Den Zusam­men­bruch der Invest­mentbank Lehman Brothers vor zehn Jahren und die anschlie­ßende Rezession hatte Stelter als Partner und Mit­glied im Vor­stand der Boston Con­sulting Group (BCG) erlebt. In dieser Zeit tat Stelter, was Unter­neh­mens­be­rater in Kri­sen­zeiten eben tun: Er ana­ly­sierte für die Kunden von BCG die Risiken, die sich in der Welt­wirt­schaft auf­gebaut hatten und gab ihnen Tipps, wie sie sich wappnen können.
Ab 2010 ging es wieder auf­wärts, und Stelter merkte, dass seine düs­teren Sze­narien bei BCG nicht mehr gefragt waren. Doch für ihn war klar: Die Risiken sind immer noch da. Die gewaltige Schul­denlast der Welt. Die nied­rigen Zinsen der Noten­banken, die es leicht machen, diese Schulden zu bedienen – aber nur solange die Zinsen niedrig bleiben. 
Die Spe­ku­la­ti­ons­blasen, die sich in den ver­schie­densten Märkten auf­ge­blasen haben, von ›Groß­stadt­im­mo­bilien bis Patek-Philippe-Uhren‹. Die nied­rigen Pro­duk­ti­vi­täts­zu­wächse der Welt­wirt­schaft, die echtes nach­hal­tiges Wachstum verhindern. 
Die Unstim­mig­keiten bei seinem Arbeit­geber paarten sich mit dem Wunsch, mit knapp 50 noch mal etwas Neues zu beginnen. Ende Juli 2013 schied Stelter nach 23 Jahren bei BCG aus, ver­zichtete auf viel Geld und Prestige und begann seine Mission als Mahner. Seitdem schreibt er einen Blog (›Beyond The Obvious‹) und Bücher, deren Titel ver­raten: Hier führt kein Optimist die Feder (›Eiszeit in der Welt­wirt­schaft‹ , ›Das Märchen vom reichen Land‹ ). Doch Stelter ist kein Eiferer und kein Ver­schwö­rungs­theo­re­tiker. Ruhig und schlüssig kann der schlaksige Schnell­sprecher dar­legen, warum sich die Ungleich­ge­wichte in der Welt­wirt­schaft früher oder später in einem gewal­tigen Knall ent­laden werden.“ – bto: wie gesagt, eine zutref­fende Beschreibung meiner Motivation. 
Und nun zu den Inhalten:
  • „Während Stelter seine Kri­sen­sze­narien ver­breitete, ist die Welt­wirt­schaft zwi­schen 2013 und 2018 um zehn Prozent gewachsen. Der globale Bör­sen­index MSCI World legte um 55 Prozent zu.“
    Stelter: Was stimmt. Aller­dings wissen wir, dass es durch das billige Geld getrieben wurde und – was viel wich­tiger ist – richtige Vor­sorge bedeutet eben nicht, alles Geld in Gold zu stecken oder unter das Kopf­kissen zu legen.
  • „Kri­sen­pro­pheten, so lautet ein alter Kalauer unter Volks­wirten, seien wie stehen gebliebene Uhren: Sie gingen fast immer falsch, aber zweimal am Tag richtig. Wer nur lange genug einen Crash pro­gnos­ti­ziert, wird irgendwann recht behalten. Könnte es jetzt so weit sein? Könnte jetzt Stelters Stunde schlagen?“
    Stelter: Das ist natürlich sti­lis­tisch nett gemacht. Aller­dings ist es so, dass die richtige Zeit vor der Krise liegt, nicht in der Krise. Denn dann ist es zur Vor­be­reitung zu spät.
  • „Kon­junk­tur­zyklen gehören zur Markt­wirt­schaft dazu. Doch mehrere Risi­ko­fak­toren kommen hinzu. Erstens ist der Schul­denberg, (…) seit der Welt­fi­nanz­krise noch weiter gewachsen – und bedroht derzeit erneut den Zusam­menhalt der Euro-Zone. Zweitens sind die Arsenale der Noten­banken noch von der letzten Krise erschöpft (…) drittens können wir uns nicht darauf ver­lassen, dass (…) die poli­tische Koor­di­nation zwi­schen den großen Wirt­schafts­blöcken so rei­bungslos funk­tio­niert wie vor zehn Jahren.“
    Stelter: Ich würde sagen, das System ist immer fra­giler geworden in den letzten Jahren.
  • „Wie wahr­scheinlich ist es, dass sich der aktuelle Abschwung tat­sächlich zu einer fun­da­men­talen Krise aus­weitet? Auf welche Alarm­si­gnale gilt es in den kom­menden Wochen und Monaten zu achten? Wie lässt sich das eigene Ver­mögen so absi­chern, dass es einen Crash über­steht – ohne sich alle Ertrags­chancen zu ver­geben, falls der ganz große Kon­junk­tur­ein­bruch aus­bleibt? Oder, wie es Daniel Stelter for­mu­liert: Die richtige Schluss­fol­gerung aus Kri­sen­sze­narien besteht nicht darin, sich mit Dosen­futter und reichlich Trink­wasser in eine Alm­hütte zurück­zu­ziehen.‘
    Stelter: Da ist meine Schluss­fol­gerung bereits im Zitat enthalten.
  • „In nur sechs Monaten ist der deutsche Akti­en­leit­index Dax um zwölf Prozent ein­ge­brochen, allein seit Oktober ver­loren Deutsch­lands 30 größte Kon­zerne rund 100 Mil­li­arden Euro an Wert. An den Finanz­märkten und in den Unter­neh­mens­bi­lanzen mehren sich beinahe jeden Tag die Signale, dass der nahezu zehn­jährige Auf­schwung in der Bun­des­re­publik zu Ende geht. (…) Doch nicht nur die vielen Gewinn­war­nungen und Ertrags­ein­brüche signa­li­sieren die Krise und den Abschwung, sondern auch die hef­tigen Reak­tionen der Inves­toren.“
    Stelter: Was bekanntlich daran liegt, dass wir es mit über­zo­genen Erwar­tungen zu tun haben.
  • „Auch als Reaktion auf die schlechten Zahlen im dritten Quartal haben die Sach­ver­stän­digen ihre Wachs­tums­pro­gnose für das lau­fende Jahr in dieser Woche dras­tisch gesenkt, von bislang 2,3 auf 1,6 Prozent. Für 2019 rechnen sie nur noch mit 1,5 statt bislang 1,8 Prozent Wachstum. (…) Dazu muss man wissen: Kon­junk­tur­for­scher haben in der Ver­gan­genheit so gut wie noch nie eine Rezession vor­aus­gesagt. (…) Daniel Stelter for­mu­liert es dras­ti­scher: Kon­junk­tur­for­schungs­in­stitute werden ihnen eine Rezession niemals vor­her­sagen, denn die höchste Wahr­schein­lichkeit, richtig zu liegen, besteht darin, den bestehenden Trend fort­zu­schreiben und zu sagen: Das kom­mende Jahr wird etwa so wie dieses.‘“ Nach diesem Motto funk­tio­niere etwa die Gemein­schafts­dia­gnose der großen Kon­junk­tur­for­schungs­in­stitute, die ist kom­pletter Blödsinn‘.“
    Stelter: Naja. Ich würde es eigentlich gesit­teter for­mu­lieren, nämlich in dem Sinne, dass Trend­brüche schwer vor­her­zu­sagen sind.
  • „Der welt­weite Schul­den­stand der Staaten, Unter­nehmen und pri­vaten Haus­halte ist nach Zahlen des Inter­na­tio­nalen Wäh­rungs­fonds in den zehn Jahren seit 2007 von 179 Prozent der Wirt­schafts­leistung auf 225 Prozent empor­ge­schossen. (…) In den Indus­trie­ländern ist die öffent­liche Ver­schuldung in Prozent der Wirt­schafts­leistung (BIP) mit 105 Prozent so hoch wie seit dem Zweiten Welt­krieg nicht mehr. Und die welt­weiten Ver­bind­lich­keiten der pri­vaten Unter­nehmen sind nach Zahlen des US-Ana­ly­se­hauses Sanford Bern­stein in zehn Jahren um zwei Drittel auf 14 Bil­lionen Dollar ange­schwollen.“
    Stelter: Und damit die Anfäl­ligkeit des Systems gewachsen.
  • „Ein Großteil des Wachstums, das die Indus­trie­staaten seit der Finanz­krise erlebt haben, ist auf diese gestiegene Ver­schuldung zurück­zu­führen und nicht auf nach­haltige Fak­toren wie etwa ein Wachstum der Pro­duk­ti­vität. Schulden und noch mehr Schulden stehen auch hinter dem bemer­kens­werten Wachs­tums­schub, den die Ver­ei­nigten Staaten derzeit erleben.“
    Stelter: Was letztlich auch in meinen Über­le­gungen die ent­schei­dende Rolle spielt.
  • „Janet Yellen, ehe­malige Chefin der US-Zen­tralbank Federal Reserve (Fed), warnt ein­dringlich vor den sys­te­mi­schen Risiken im Markt für ris­kante Über­nah­me­kredite (›Leveraged Loans‹). Dieser vor allem von Betei­li­gungs­fonds intensiv genutzte Kre­dit­markt ist mit 1,3 Bil­lionen Dollar mitt­ler­weile größer als der­jenige für hoch­ris­kante Ramsch­an­leihen. Die Schul­den­stände dieser Unter­nehmen sind gefährlich hoch und die Schutz­klauseln für die Geld­geber kaum mehr existent.“
    Stelter: Diesen Markt habe ich hier wie­derholt dis­ku­tiert. Vor allem der hohe Anteil der direkt gehal­tenen Kredite (also nicht über Banken) ist zunehmend als Risi­ko­faktor zu sehen.
  • „Laut der Rating­agentur Moody’s ist das Ver­hältnis von Schulden zu ope­ra­tivem Ergebnis in Europa in der ver­gan­genen Dekade um 23 Prozent nach oben geschossen. Immer mehr Unter­nehmen wandeln als Zom­bie­firmen umher, deren Geschäft nur durch die nied­rigen Zinsen auf­recht­erhalten wird.“
    Stelter: übrigens auch in Deutschland, wobei Italien der „Spit­zen­reiter“ ist.
  • „IWF-Experten schätzen, dass in rund 40 Prozent der Schwel­len­länder (exklusive China) die Dollar-Schulden im Ver­hältnis zu den Exporten zu hoch sind. Bereits in den ver­gan­genen Monaten haben einige Länder, wie die Türkei und Argen­tinien, die Kehr­seite dieses Schul­den­rauschs zu spüren bekommen: Auf­grund stei­gender US-Zinsen floss viel Kapital in die USA zurück. Dadurch brachen die tür­kische Lira und der argen­ti­nische Peso zum Teil dras­tisch ein, wodurch wie­derum der Wert der Dollar-Schulden in diesen Ländern explo­dierte. Das Risiko von Zah­lungs­aus­fällen steigt.“
    Stelter: Immerhin auf rund zehn Bil­lionen belaufen sich die Schulden in US-Dollar in den Schwellenländern.
  • „Noten­banker sprechen nicht gern darüber, ob ihr Arsenal aus­ge­schöpft ist. (…) Geld­po­li­tisch spielt die Frage, wie die nächste Rezession zu bekämpfen sei, auf beiden Seiten des Atlantiks eine wichtige Rolle. Dabei gibt es zwei Denk­rich­tungen. Auf der einen Seite hätte zum Bei­spiel Bun­desbank-Prä­sident Jens Weidmann die Zinsen ten­den­ziell lieber etwas schneller erhöht, als es tat­sächlich geschehen ist, nach der Logik: Wenn die Zinsen höher sind, kann man sie besser senken, um einer Rezession zu begegnen. (…) andere Noten­banker (…) wollen die Zinsen nur langsam erhöhen, damit es gar nicht erst zu einer Rezession kommt. Denn schon häufig haben die Noten­banken durch einen zu schnellen Zins­an­stieg einen wirt­schaft­lichen Abschwung selbst ausgelöst.“
    Stelter: So die meisten Rezes­sionen in den USA seit dem Weltkrieg.
  • „Kri­sen­prophet Stelter rechnet damit, dass die Noten­banken im Ernstfall ver­suchen würden, die schul­den­fi­nan­zierte Wachs­tums­il­lusion mit noch radi­ka­leren Mitteln auf­recht­zu­er­halten, das Heli­ko­ptergeld wird gerade intel­lek­tuell vor­be­reitet‘.“
    Stelter: Was den Lesern dieser Seiten wohl­be­kannt ist.
  • „Das größte Risiko für die Welt­wirt­schaft ist derzeit die Politik selbst – oder besser: Die Tat­sache, dass eine Koope­ration unter den wich­tigsten Volks­wirt­schaften, wie sie während der Finanz­krise erfolgte, nicht mehr selbst­ver­ständlich vor­aus­ge­setzt werden kann.
  • „Für das Management einer even­tu­ellen Wirt­schafts­krise fällt Brüssel damit weit­gehend aus. (…) bei der EZB wird ein Nach­folger für Prä­sident Mario Draghi gesucht. Sollte der Nach­folger aus dem Lager der geld­po­li­ti­schen Falken um Jens Weidmann stammen, könnte das auf eine straffere Geld­po­litik hin­deuten – mit ent­spre­chendem Risiko für die Kon­junktur in Europa.“
    Stelter: Weil diese nur mit Geld for free noch so eini­ger­maßen über die Runde kommt.
  • „Ob ein nor­maler Abschwung droht oder ein veri­tabler Crash, wird davon abhängen, ob einer oder mehrere der beschrie­benen Risi­ko­fak­toren ein­treten und eine Ket­ten­re­aktion aus­lösen. (…) All diese Sze­narien haben etwas mit der zu hohen Schul­denlast der Welt­wirt­schaft zu tun. Solange diese Ver­schuldung von Staaten und Unter­nehmen nicht sinkt, wird jeder zyklische Abschwung zum Crashtest, weil schul­den­fi­nan­zierte Spe­ku­la­ti­ons­blasen zu platzen drohen. Ver­stärkt werden die Gefahren, die von schul­den­ge­trie­benen Krisen aus­gehen, derzeit durch die ein­ge­schränkten Reak­ti­ons­mög­lich­keiten zumindest der euro­päi­schen Notenbank und die feh­lende Koope­ration der Staaten untereinander.“
    Stelter: Es ist eine Droge mit erheb­lichen Neben­wir­kungen. Kurz­zeitig schafft sie die Illusion von Wohl­stand, doch dann kommt der Kater, der nach einer noch stär­keren Dosis verlangt.
  • „Die beiden wich­tigsten Grund­sätze sind dabei für Kri­sen­prophet Daniel Stelter, so banal es klingt, erstens Diver­si­fi­kation über Asset­klassen hinweg und zweitens Diver­si­fi­kation über Regionen hinweg‘. Eine Stra­tegie, die auch vor ent­gan­genen Ertrags­chancen schützt, falls der Crash aus­bleibt – wie in den ver­gan­genen Jahren geschehen.“
    Stelter: Wie auch immer wieder bei bto dar­gelegt.
  • „Stelter räumt im Rück­blick frei­mütig ein: Ich habe kon­ti­nu­ierlich unter­schätzt, wie lange die Noten­banken bereit sein würden, die not­wendige Berei­nigung mit ihrer lockeren Geld­po­litik auf­zu­schieben.‘ Aber inzwi­schen sei nun wirklich ein Stadium erreicht, das alle Alarm­glocken schrillen lassen sollte. Die Gefahr, dass es in den nächsten zwei Jahren rumpelt, ist extrem hoch.‘
    Stelter: Klar, damit kann ich so richtig daneben liegen. Wie es halt so ist mit dem Timing …