Eva Herman: Schwan­ger­schafts­ab­bruch – Oft ein lebens­langer Albtraum

Heute werden in Deutschland täglich über 1.000 Abtrei­bungen vor­ge­nommen. Wenige Frauen ahnen, worauf sie sich ein­lassen, wenn sie das Risiko einer Schwan­ger­schaft mit dem Bewusstsein ein­gehen, dass man »es« ja »weg­machen« lassen kann. Sie lassen sich blenden von Begriffen wie Selbst­be­stimmung und Ent­schei­dungs­freiheit, die der Femi­nismus ihnen bescherte.
Heute ist nicht die Abtreibung ein Poli­tikum, sondern die Erfor­schung der Folgen. Nur wenige Studien beschäf­tigen sich mit dem »Post-Abortion-Syndrom«, weil das einfach nicht zum Zeit­geist passt, wie Ingolf Schmid-Tannwald betont, Pro­fessor für Frau­en­heil­kunde und Geburts­hilfe und lang­jäh­riger Leiter der Fami­li­en­pla­nungs­stelle an der Frau­en­klinik der Uni­ver­sität München im Kli­nikum Groß­hadern. Studien dieser Art seien gesell­schaftlich nicht erwünscht, weil die Abtreibung heute als »unbe­denk­liches Mittel der Gebur­ten­ko­trolle gewertet wird«.
Ganz gleich ob man sich welt­an­schaulich für oder gegen Abtreibung aus­spricht, die Kon­se­quenzen für die Frauen sind weit­rei­chend. Schmid-Tannwald nennt schwere Stö­rungen der kör­per­lichen und see­li­schen Funk­tionen nach Schwan­ger­schafts­ab­brüchen, Stö­rungen, wie sie auch nach kör­per­licher Gewalt­ein­wirkung und Ver­ge­wal­tigung beob­achtet werden. Neben den medi­zi­ni­schen Risiken wie Infek­tionen und Ver­let­zungen der Gebär­mutter treten später oft eine Fülle von Beschwerden auf, Ver­wach­sungen im Unterleib, Pro­bleme bei spä­teren Schwan­ger­schaften, Fehl­ge­burten, sexuelle Stö­rungen, Depres­sionen, Angst­zu­stände, Medi­ka­menten- und Dro­gen­miss­brauch bis hin zur Gewalt gegen sich selbst. In seiner Praxis hat Schmid-Tannwald Frauen erlebt, die vom Aus­sehen des abge­trie­benen Kindes träumen, die rituell den »Geburtstag begehen«.
Übrigens sind auch Männer betroffen, wenn es um Abtrei­bungs­folgen geht. Arthur Shostak, Pro­fessor für Sozio­logie an der Drexel Uni­versity in Phil­adelphia, ver­öf­fent­lichte bereits 1984 eine Studie dazu. Er hatte 1.000 Männer befragt, deren Frauen oder Freun­dinnen abge­trieben hatten. Sein Ergebnis: 80 Prozent der Männer dachten manchmal an das unge­borene Kind, 29 Prozent träumten regel­mäßig davon, 68 Prozent sagten, dass sie eine schwere Zeit durch­ge­macht hätten. Viele begannen während der Befragung zu weinen.
Niemand bestreitet, dass es Not­lagen gibt, in denen Frauen als letzten Ausweg nur den Schwan­ger­schafts­ab­bruch sehen. Ver­gleichen wir es mit dem Recht auf Notwehr. Doch genauso wenig wie Notwehr prin­zi­piell Mord recht­fertigt, kann Abtreibung als Ver­hü­tungs­me­thode ver­nied­licht werden. Die Ver­harm­losung des Ein­griffs gehört zu den ideo­lo­gi­schen Neben­wir­kungen des Femi­nismus. Dass die Auf­klärung über die Pro­bleme nach der Abtreibung schon als »kon­ser­vativ« gilt, als ten­den­ziöse Äußerung, muss jeden nach­denklich stimmen, dem am Wohl der Frauen gelegen ist. Die Frau­en­be­wegung, die den Schwan­ger­schafts­ab­bruch als Frei­heits­beweis feierte, lässt kaum Abwei­chungen zu. Alles Abwägen stellt Kri­tiker dieses Denk­an­satzes in eine rechte Ecke, Dis­kus­sionen sind nicht erwünscht.
Ist es das, was die Frau­en­be­wegung wollte? Dass sie Themen besetzt und nicht mehr hergibt? Dass sie ein Rede­verbot über Dinge erteilt, die nicht ins femi­nis­tische Konzept passen? Es sieht ganz danach aus. Auf­schluss­reich ist es, wie ich es auch schon beim Thema Kin­der­be­treuung getan habe, einen Blick zurück in die DDR zu werfen. Dort gehörte die Abtreibung zur Nor­ma­lität, sie wurde ohne große For­ma­li­täten gewährt und auch vom Staat bezahlt. Alles kein Problem also?
Vor einiger Zeit fiel mir ein Gedicht mit dem Titel »Inter­ruptio« der Schrift­stel­lerin Eva Stritt­matter in die Hand, die einen großen Teil ihres Lebens unter dem DDR-Regime lebte. Darin heißt es: »Ich muss meine Trauer begraben / Um das unge­borene Kind. / Das werde ich niemals haben. / Dämonen pfeifen im Wind … Es hat mich ange­rufen, / Es hat mich ange­fleht, / Ich soll es kommen lassen, / Ich habe mich weg­ge­dreht.« Gegen Ende des Gedichts schreibt sie: »Das schwere Recht der Freiheit / Hab ich für mich miss­braucht. / Und hab mich neu gefesselt. / In Tiefen bin ich getaucht.«
Das ist keine Politik. Das ist auch keine Polemik. Es ist die Klage einer Frau, die über­zeugt war, das Richtige zu tun, weil ihr Umfeld es ihr so signa­li­sierte. Und die nun bereut, dass sie abge­trieben hat und dieses Kind nicht lebt. In dem Gedicht kommt eine Passage vor, die belegt, was die Autorin dazu trieb, die Mut­ter­schaft so vehement abzu­lehnen. Darin bekennt sie, dass sie ihre Arbeit für wich­tiger gehalten hat und nun begreift, dass das ein Irrtum gewesen sein könnte: »Und wahn­witz­verirrt / Hab ich mich darauf berufen,/ Ich sei zum Schreiben bestellt. / Dabei war viel­leicht diese Hoffnung / Viel wich­tiger für die Welt.«
Nicht immer kommt es zum Extremfall einer Abtreibung, dennoch ist das Gedicht sym­pto­ma­tisch für die Skepsis gegenüber der Mut­ter­schaft. Die Wert­schätzung, die die Arbeit vor der Familie genießt, der Vorrang, der einer Berufs­tä­tigkeit gegenüber Kindern gegeben wird, ist zum Kenn­zeichen unserer Kultur geworden. »Das schwere Recht der Freiheit« – uns Frauen wird es auf­ge­bürdet mit dem Hinweis, dass alles befrie­di­gender sei, als nur Ehefrau und Mutter zu sein.
Auszug aus dem Best­seller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006


Quelle: Eva Herman