Fra­ge­stunde in Moskau: Putin im O‑Ton über das Ver­hältnis zum Westen und zur Ukraine

Heute fand Putins all­jähr­liche Bürger-Fra­ge­stunde statt, was nor­ma­ler­weise für die deut­schen Medien ein großes Thema ist, heute jedoch wird kaum darüber berichtet.
Die deut­schen Medien haben kaum über die all­jähr­liche Sendung „Direkter Draht zum Prä­si­denten“ berichtet. Der Grund dürfte sein, dass es haupt­sächlich um innen­po­li­tische Themen ging, die Außen­po­litik spielte nur eine sehr kleine Rolle in der über vier­stün­digen, live über­tra­genen Fra­ge­stunde. Bisher habe ich nur auf der Seite der Tages­schau einen kurzen Artikel dazu gefunden.
Da den deut­schen Leser die Fragen von Müll­ent­sorgung in Zen­tral­russland und andere innen­po­li­tische rus­sische Themen nicht allzu sehr inter­es­sieren dürften, werde ich mich hier nur um die wenigen heu­tigen Aus­sagen Putins zur Außen­po­litik kümmern. Die aller­dings gibt es wie immer im wört­lichen Zitat.
Das Ver­hältnis zum Westen.
„Wenn wir unsere natio­nalen Inter­essen auf­geben, wird es dann Ver­än­de­rungen geben? Viel­leicht wird es einige Signale geben, aber nichts ent­schei­dendes wird sich ändern. Schauen Sie, China hat nichts mit der Krim und dem Donbass zu tun, oder? Uns wird vor­ge­worfen, dass wir den Donbass besetzen, das ist völ­liger Unsinn, das sind Lügen. Aber China hat damit nichts zu tun, aber die Zölle auf seine Waren, also auch eine Form von Sank­tionen, steigen und steigen. Jetzt der Angriff auf „Huawei“. Woher kam das? Und worum geht es dabei? Es geht nur darum, die Ent­wicklung Chinas ein­zu­dämmen, das zu einem glo­balen Kon­kur­renten einer anderen Welt­macht, den Ver­ei­nigten Staaten, geworden ist.
Schauen Sie, nach Angaben von Experten hat Russland als Folge all dieser Beschrän­kungen in den Jahren seit 2014 etwa 50 Mil­li­arden Dollar ver­loren. Und die Euro­päische Union 240 Mil­li­arden Dollar ver­loren, die USA nur 17 Mil­li­arden Dollar, wir haben nur wenig Handel mit ihnen. Japan hat 27 Mil­li­arden Dollar ver­loren. Das wirkt sich immer noch auf die Arbeits­plätze in diesen Ländern aus.
Aber wir haben auch etwas gewonnen. Was genau? Erstens mussten wir unsere Köpfe ein­schalten und Lösungen im Bereich Hightech finden. Und wir haben Pro­gramme der soge­nannten Import­sub­sti­tution für 667 Mil­li­arden Rubel (ca. 9,3 Mil­li­arden Euro) auf­gelegt. Wir wurden gezwungen, auch die Bereiche zu ent­wi­ckeln, in denen wir vorher über­haupt keine Kom­pe­tenzen hatten.
Schauen Sie, wenn man mir und allen hier im Raum vor zehn Jahren gesagt hätte, dass wir, wie letztes Jahr, land­wirt­schaft­liche Pro­dukte im Wert von 25,7 Mil­li­arden Dollar expor­tieren würden, hätten wir den aus­ge­lacht. Wir hätten ihm die Hand gegeben und gesagt: „Danke für die guten, aber uner­füll­baren Ideen.“ Aber heute ist das Rea­lität und wir streben an, die Agrar­ex­porte bis 2024 auf 45 Mil­li­arden Dollar zu erhöhen und ich denke, dass das eine erreichbare Zahl ist. Ob wir Erfolg haben werden oder nicht, ist natürlich noch die Frage, aber es ist ein rea­lis­ti­scher Plan und wir sollten uns bemühen, das zu erreichen. In vie­lerlei Hin­sicht haben die Sank­tionen uns also beflügelt.“
Zu den Bezie­hungen zur Ukraine
„Er (Selensky) ist ein talen­tierter Mann. Ich erinnere mich an seinen Auf­tritt in der Mitte der 2000er Jahre in Moskau. Das waren alles talen­tierte Leute und es war sehr lustig.
Aber was wir jetzt gesehen haben, ist nicht lustig. Das ist keine Komödie, das ist eine Tra­gödie. Und da er sich nun an dem Ort befindet, an dem er jetzt ist, nämlich Staats­ober­haupt, muss er diese Pro­bleme lösen. Zumal er das im Wahl­kampf immer wieder gesagt hat.
Aber was pas­siert jetzt? Im Ausland, ich glaube in Paris, sagte er, dass er nicht vor hat, mit den Sepa­ra­tisten, also mit den mit Ver­tretern der selbst ernannten Repu­bliken, zu sprechen. Aber wie will er dann dieses Problem lösen? Es gibt in der modernen Geschichte kein Bei­spiel dafür, dass ein solcher Kon­flikt ohne direkten Dialog zwi­schen den Kon­flikt­par­teien gelöst werden konnte. Außerdem ist das ein direkter Verstoß gegen das Minsker Abkommen, in dem ver­einbart wurde, dass die wirt­schaft­lichen Ver­bin­dungen der Rebel­len­ge­biete mit der Wirt­schaft der Ukraine wieder her­ge­stellt werden müssen. Es wird nichts getan, nun die Blo­ckade wird noch ver­stärkt, aber sonst pas­siert nichts. Dabei wäre es am ein­fachsten, ein paar Schritte auf die anderen zu zugehen. Dazu braucht es den poli­ti­schen Willen der ukrai­ni­schen Führung.“ (Die Hin­ter­gründe zum Abkommen von Minsk finden Sie hier)
Hier bestellen!

Zum Wett­rüsten
Putin wies Vor­würfe zurück, Russland gebe zu viel für den seine Streit­kräfte aus.
„Erstens ist Russland bei den Rüs­tungs­aus­gaben nicht führend. Schauen Sie, vor uns, weit vor uns, liegen die Ver­ei­nigten Staaten, die 720 Mil­li­arden für ihre Streit­kräfte aus­geben, jetzt werde schon fast 750 Mil­li­arden Dollar gefordert. An zweiter Stelle liegt China mit 117 Mil­li­arden Dollar. Dann kommt, stellen Sie sich das vor, Saudi-Arabien, das liegt in abso­luten Zahlen vor uns. Dann kommen Groß­bri­tannien, Frank­reich und Japan und erst an siebter Stelle kommt in abso­luten Zahlen Russland mit 48 Mil­li­arden Dollar. Aber das Inter­es­san­teste ist, dass wir wahr­scheinlich die einzige große Mili­tär­macht sind, die tat­sächlich die Mili­tär­aus­gaben redu­ziert.
Trotz dieser eher beschei­denen Mili­tär­aus­gaben halten wir nicht nur die mili­tä­rische und nukleare Parität auf­recht, sondern sind unseren Kon­kur­renten sogar zwei oder drei Schritte voraus.“
Putin sprach dabei die modernen Hyper­schall­waffen Russ­lands an.
Zum Dialog mit den Ver­ei­nigten Staaten
„Natürlich sind wir, wenn die ame­ri­ka­nische Seite inter­es­siert ist, zu einem Dialog bereit. Zumal wir viel zu besprechen haben. Aber wir sehen, was in der Innen­po­litik der USA vor sich geht, es gibt dort viele Ein­schrän­kungen. Und jetzt beginnt auch noch der Wahlkampf.“
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten wie diesem zu Wort kommen lasse.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“