FDP und logi­sches Denken: Die AfD ist schuld, wenn es zu Grün-Rot-Rot kommt

Laut einer umfang­reichen Studie sollen ja FDP-Wähler den zweit­höchsten IQ von allen großen Par­teien haben. Inwieweit das auf FDP-Poli­tiker über­tragbar ist, wissen wir freilich nicht. Fakt ist hin­gegen, dass der Erste Par­la­men­ta­rische Geschäfts­führer der FDP-Bun­des­tags­fraktion Dr. Marco Buschmann meint, die AfD habe „es geschafft“, dass Grün-Rot-Rot eine Mehrheit hätte, wenn es jetzt Bun­des­tags­wahlen gäbe. Dabei ist Marco Buschmann kein Ein­zelfall, vielmehr wird dies immer wieder geäußert. Was ist von solchen Behaup­tungen zu halten? Ent­behren sie jeg­licher Grundlage, ist es womöglich sogar genau umkehrt: Je stärker die AfD, desto geringer die Gefahr von Grün-Rot-Rot?

Marco Busch­manns „Dia­lektik für Fortgeschrittene“

„Poli­tische #Dia­lektik für Fort­ge­schrittene“, so leitete Dr. Marco Buschmann, der Erste Par­la­men­ta­rische Geschäfts­führer der FDP-Bun­des­tags­fraktion, sein Twitter-Posting ein und fuhr fort: „Die AfD hat es geschafft. Gäbe es morgen in Deutschland Wahlen, hätten wir eine Grün-Rot-Rote Mehrheit. Lieber #Pro­test­wähler! Denk mal drüber nach, ob Du das willst?“

Screenshot

Mal abge­sehen von den Recht­schreib­fehlern in den wenigen Zeilen – Adjektive, hier „grün-rot-rote“, schreibt man bekanntlich klein und nach Auf­for­de­rungen kommt am Satzende kein Fra­ge­zeichen, sondern ent­weder ein Aus­ru­fe­zeichen oder, wenn man besonders dezent sein möchte, ein Punkt; aber geschenkt, uns kommt es ja hier auf den Inhalt an -, betrachten wir doch die Aussage mal etwas genauer und zwar im Hin­blick auf ihre Richtigkeit.
Über­prüfen wir zunächst die Aussage, ob Grün-Rot-Rot (GRR) tat­sächlich eine Mehrheit hätte, wenn jetzt Bun­des­tags­wahlen wären. Dazu ziehen wir die aktu­ellen Wahl-O-Matrix-Mit­tel­werte aller Par­teien heran, ermittelt aus der jeweils neu­esten Umfrage aller Institute, die, bezogen auf den mitt­leren Tag der Befragung, in den letzten drei Wochen Wähler danach befragten, wem Sie ihre Stimme geben würden, wenn am kom­menden Sonntag Wahlen wären.
  1. CDU/CSU: 26,0 %
  2. GRÜNE: 24,6 %
  3. SPD: 13,6 %
  4. AfD: 13,2 %
  5. LINKE: 8,4 %
  6. FDP: 8,0 %
  7. Sonstige: 6,2 %

 
Grün-Rot-Rot käme demnach im Moment auf ca. 46,6 Prozent, CDU/CSU, AfD und FDP kämen zusammen auf ca. 47,2 Prozent. GRR hätte also wahr­scheinlich weniger als die Hälfte der Sitze im Bun­destag. Bei ca. 6,2 Prozent für sonstige Par­teien, die alle an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden, bräuchte man min­destesn 46,9 Prozent für eine Mehrheit im Par­lament. Grün-Rot-Rot wäre da derzeit sehr nah dran, würde aber wahr­scheinlich eher knapp drunter als knapp drüber liegen.
Aber gut, Marco Buschmann bezog sich offen­sichtlich aus­schließlich auf eine einzige Umfrage, nämlich die von Emnid vom letzten Samstag und Emnid berechnete GRR auf 48 Prozent und CDU/CSU, AfD und FDP zusammen auf 47 Prozent. Bei einem solchen Ergebnis hätte GRR tat­sächlich eine Mehrheit. Nun aber zur Schlüs­sel­frage: Ist die AfD schuld daran, dass wir Gefahr laufen, eine grün-rot-rote Bun­des­re­gierung zu bekommen?

Ohne die AfD würde das grün-rot-rote Lager noch mehr Stimmen erhalten

Legen wir die Wahl-O-Matrix-Werte von oben zu Grunde, runden dabei auf oder ab, dann können wir sagen: GRR würde derzeit wahr­scheinlich grob auf etwa 47 Prozent kommen, Union, AfD und FDP zusammen auch auf ca. 47 Prozent und rund 6 Prozent ent­fielen auf sonstige Par­teien, die wegen der Fünf-Prozent-Klausel im Bun­destag nicht abge­bildet wären. Marco Busch­manns Bemerkung liegt nun offen­sichtlich die Annahme zu Grunde, ohne die AfD wäre die Situation aus Sicht der FDP und des bür­ger­lichen Lagers besser und die Gefahr von Grün-Rot-Rot geringer. Stimmt das?
Stellen wir uns dazu vor, die AfD würde sich in Kürze kom­plett auf­lösen und es gäbe sie nicht mehr. Bei der nächsten Bun­des­tagswahl wäre sie also nicht mehr dabei. Was würde dann mit den ca. 13 Prozent Stimmen pas­sieren? Bei ca. 47 Mil­lionen Wählern ent­spricht dies etwa 6,11 Mil­lionen Personen.
Machen wir dazu eine Fall­un­ter­scheidung und gehen zunächst a vom schlimmsten Fall aus, nämlich dass alle oder zumindest ein Teil dieser 6,11 Mil­lionen zum grün-rot-roten Block wechseln, zum Bei­spiel SPD oder DIE LINKE wählen würde. Was würde dann mit der Stärke von GRR pas­sieren? Ohne die AfD würde der linke Block (GRR) offen­sichtlich steigen von ca. 47 auf im ungüns­tigsten Fall, wenn alle bis­he­rigen AfD-Wähler zu GRR wechseln, auf ca. 60 Prozent. CDU/CSU und FDP wären nun die ein­zigen Oppo­si­ti­ons­par­teien und kämen gerade noch auf 34 Prozent. GRR hätte eine satte Mehrheit im Bun­destag (wegen der Stimmen für Sonstige fast 64 Prozent der Sitze).
Nun würden natürlich nie alle AfD-Anhänger zu GRR wechseln, wenn es die AfD nicht mehr gäbe. Aber es würde ja schon reichen, wenn nur die Hälfte oder nur jeder Dritte, jeder Vierte, jeder Fünfte oder sogar nur jeder Zehnte von der AfD zum Bei­spiel zur SPD oder zur Links­partei über­ginge. Rea­lis­tisch dürfte sein jeder Vierte, min­destens aber jeder Fünfte. Selbst wenn es nur jeder Fünfte wäre, so wären das ca. 2,6 Prozent, die zu den ca. 47 Prozent dazu kämen, so dass GRR von 47 auf etwa 49,6 Prozent steigen würde. Das heißt der linke Block würde auf jeden Fall steigen. Selbst wenn nur 2,6 Prozent zu GRR wech­selten, auf etwa 49,6 Prozent, Union und FDP hätten aber zusammen, selbst wenn 80 Prozent der AfD-Anhänger sie dann wählen würden zusammen nur 26 Prozent (Union) + 8 Prozent (FDP) + 0,8 x 13 Prozent (bis­herige AfD-Wähler) = 44,4 Prozent. GRR hätte also mit 49,6 Prozent gegen 44,4 Prozent eine klare Mehrheit. Denn der linke Block bekäme min­destens 2,6 Prozent zu seinen 47 Prozent dazu, der bür­ger­liche Block würde min­destens 2,6 Prozent (wahr­scheinlich noch mehr) verlieren.
Stellen Sie sich einfach vor, wir haben zwei Blöcke: a) Grün-Rot-Rot und b) alle anderen, die es in den Bun­destag schaffen, derzeit also Union, AfD und FDP als Anti-GRR-Block. Auch wenn diese nicht zusam­men­ar­beiten wollen, das spielt keine Rolle, denn zusammen ver­hindern sie natürlich eine GRR-Mehrheit. Sobald die AfD nun weg­fiele und auch nur ein win­ziger Bruchteil ihrer Anhänger zu GRR wechseln würde und das würde garan­tiert pas­sieren!, dann steigt natürlich GRR.

Selbst wenn alle AfD-Anhänger gar nicht mehr zur Wahl gingen, würde GRR deutlich steigen, weil dann der Nenner kleiner würde

Und selbst wenn und damit sind wir bei Fall b – völlig unrea­lis­tisch, aber rein hypo­the­tisch ange­nommen – alle bis­he­rigen AfD-Anhänger zur Union und zur FDP wechseln würden, ohne dass diesem Anti-GRR-Lager also auch nur eine einzige Stimme ver­loren ginge, so würde sich das Ver­hältnis der beiden Blöcke hier­durch nicht ver­ändern. GRR bliebe selbst dann genauso stark wie zuvor. Wenn es aktuell 47:47 Prozent stünde, wäre das dann ohne AfD im aller­güns­tigen Fall noch immer so und wenn GRR tat­sächlich, wie Emnid meinte, eine knappe Mehrheit hätte derzeit, so würde das bei­be­halten. Also selbst im – aus Sicht von Union und FDP – güns­tigen Fall, dass sie alle AfD-Anhänger an sich binden könnten (völlig unrea­lis­tisch!), würde GRR nicht geschwächt werden. Nicht einmal um 0,01 Prozent.
Nun zu Fall c, dass einige, viele oder gar alle AfD-Anhänger ins Lager der Nicht­wähler abwandern würden, wenn es die AfD nicht mehr gäbe. Wie würde sich das aus­wirken? Betrachten wir wieder die Blöcke. GRR bliebe also an abso­luten Anhängern unver­ändert, also bei ca. 47 Prozent von 47 Mio. = 22,09 Mio. Ange­nommen die 13 Prozent = 6,11 Mio. AfD-Anhänger würden nun alle gar nicht mehr zur Wahl gehen. Dann verlöre der Anti-GRR-Block 6,11 Mio. Stimmen und fiele von bisher eben­falls ca. 22,09 Mio. auf 15,98 Mio. (22,09 Mio. – 6,11 Mio.), während GRR bei 22,09 Mio. bliebe, somit nun eben­falls eine klare Mehrheit hätte.
Denn wenn viele Per­sonen ins Lager der Nicht­wähler abwandern, ver­kleinert sich ja der Nenner, die Anzahl der abge­ge­benen gül­tigen Zweit­stimmen. 2017 waren es ca. 47 Mil­lionen Wähler. Wenn die 6,11 Mil­lionen AfD-Anhänger gar nicht mehr zur Wahl gingen, fiele die Anzahl der Wähler auf ca. 40,89 Mil­lionen. Und 22,09 Mio. von 40,89 Mio. ist natürlich viel mehr als 22,09 Mio. von 47 Mio. Grün-Rot-Rot stiege dadurch von 47 auf 54 Prozent. Union und FDP würden auch steigen wegen den klei­neren Nenners, aber nur von 34 auf 39 Prozent. GRR hätte also auch im Falle c, dass alle oder ein Teil der AfD-Anhänger gar nicht mehr zur Wahl gingen, eine klare Mehrheit.

Fazit: Je stärker die AfD, desto geringer die Gefahr von Grün-Rot-Rot

In Wahrheit ist es natürlich genau umge­kehrt wie der Erste Par­la­men­ta­rische Geschäfts­führer der FDP-Bun­des­tags­fraktion meint. Die AfD ist das sicherste und beste Mittel gegen Grün-Rot-Rot.Inwiefern?
Weil sie Wähler sowohl von der SPD als auch von der Links­partei abzieht und in kleinem Umfang sogar von den Grünen. 2017 entzog die AfD der SPD zusätzlich zu dem, was sie ihr schon 2013 weg­ge­nommen hatte, nochmals ca. 470.000 Stimmen, der Links­partei nochmals zusätzlich ca. 400.000 und den Grünen zusätzlich ca. 40.000. Ergibt zusammen ca. 910.000 Stimmen, die dem GRR-Block zu dem, was diesen Par­teien 2013 schon an die AfD ver­loren hatten, nochmals zusätzlich ent­zogen wurden. Allein dieser zusätz­liche Abzug 2017 gegenüber 2013 von GRR waren übrigens ca. 15,5 Prozent aller AfD-Stimmen. Ins­gesamt dürften fast ein Viertel aller AfD-Stimmen aus dem linken Block ent­zogen sein, die diesem natürlich fehlen.
Was Marco Buschmann, wie auch die Uni­ons­po­li­tiker in Wahrheit stört, ist, dass die AfD auch der FDP zig­tau­sende Stimmen weg­ge­nommen hat, der Union wahr­scheinlich sogar über 1,5 Mil­lionen. Deshalb wollen diese mit solchen durch­schau­baren Manövern einen Teil der Wähler gerne wieder zurück­holen. Je schwächer aber die AfD, desto größer die Gefahr von Grün-Rot-Rot. Zu Marco Buschmann muss dagegen kon­sta­tiert werden: Was Dia­lektik anbe­langt, so scheint er weniger ein Fort­ge­schrit­tener, eher wohl ein blu­tiger Anfänger.


Quelle: JFB