„Wir haben einiges zu verteidigen“
Im Folgenden gebe ich u.a. ein Interview zu speziellen Aspekten des Islam wieder, das ich Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle. Insbesondere geht es um die Interpretation des „Charakters“ des Islam und seiner Repräsentanten in verschiedenen Moslem-Organisationen, allen voran die DiTiB.
Dieser Moslemverband spielt sich immer mehr als DER Repräsentant der Moslems in Deutschland auf, vertritt aber nur einen sehr kleinen Teil von ihnen. Aber sein Hineinwirken in die weltliche Gesellschaft ist nicht zu übersehen. Es wäre gefährlich, seinen Einfluss zu unterschätzen.
Dass deutsche Politiker – auch der CDU – die Gefahr nicht erkennen, die von der DiTiB ausgeht, bestätigt zwei Erkenntnisse:
- Annäherung offensichtlich um jeden Preis
- Mangelnde Verteidigungsbereitschaft unserer tradierten Werte
Gerade deshalb ist die Beschäftigung mit den DiTiB-Aktivitäten hierzulande unverzichtbar.
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Die DITIB, der verlängerte Arm Erdogans, „sinkt immer tiefer“
Wer über den Islam redet, kommt am radikalen Islam („Islamismus“) nicht vorbei – und landet u.a. auch bei der DiTiB.
Da die meisten Muslime hierzulande eher als finanzschwach gelten, wird deshalb vermutet, dass ein Großteil des Geldes, mit dem die deutschen Moscheen unterhalten werden, aus dem Ausland kommt. Dies trifft vor allem für den größten islamischen Dachverband in Deutschland zu, die DITIB. Sie ist der deutsche Arm des türkischen Religionsministeriums.
Die Imame ihrer knapp 1.000 Moscheen sind türkische Staatsbeamte, die von Ankara entsandt und bezahlt werden.
Sie vertreten einen staatsoffiziellen türkischen Islam und kommen in der Regel für fünf Jahre nach Deutschland. Für Moscheen, die unter dem Dach der DITIB organisiert sind, ist der Entsendedienst des türkischen Religionsministeriums ein großer Vorteil. Denn ohne ihn, sagt Bekir Alboga, der Integrationsbeauftragte der DITIB, hätten sie erhebliche Finanzprobleme:
„Die größte finanzielle Hilfe für uns ist natürlich, dass die Imame, die aus der Türkei hierher entsandt werden, uns nichts kosten. Das ist eine enorme Erleichterung. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden einen Imam so brutto mit 5.000, 6.000 monatlich honorieren. 1.000 Imame, das ist eine enorme Summe, viele unserer Moscheegemeinden wären finanziell an ihren Grenzen.“
DITIB-Imane sind türkische Staatsbeamte
Ob es außer der DITIB noch andere islamische Verbände und Moscheevereine gibt, die regelmäßig Geld aus dem Ausland bekommen, ist schwer zu sagen. Denn bislang gibt es hierüber nur wenige Informationen – zumal dieses Thema bislang in der deutschen Öffentlichkeit kaum diskutiert wurde. Folglich könne sie, sagt Hamideh Mohaghighi, nur ungefähre Angaben machen:
„Ditib-Imame kommen ja aus der Türkei, sie werden von dort bezahlt. Das ist einmal das. Dann gibt es einzelne Moscheen, die dann durchaus von Saudi-Arabien scheinbar finanziert werden. Weil, das sind ja kleine muslimische Gruppierungen, die dann auf einmal eine Moschee haben, wenn sie auch Anhänger dieser Ideologie sind. Dass sie dann durchaus finanziert werden. Einzelne iranische Moscheen, die hier sind, die bekommen natürlich auch ihre Gehälter, ihr Geld aus dem Iran.“
Auch wenn etliche Details der externen Finanzhilfen für deutsche Moscheen noch unbekannt sind – ein wichtiger Aspekt dieses Themas gibt bereits jetzt Anlass zur Sorge: Das Geld dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach Abhängigkeiten vom Ausland schaffen und damit eine gute Integration von Muslimen in Deutschland untergraben. Denn zusammen mit den Spenden fließt auch eine bestimmte politische Ideologie in die hiesigen Moscheen. So ist bekannt, dass salafistische Gruppen oft aus Saudi-Arabien unterstützt werden. Das Königreich gilt auch als die geistige Heimat der Terrorgruppe Islamischer Staat. Entsprechend betont die Islam-Wissenschaftlerin Riem Spielhaus:
„Wenn regelmäßig Geld fließt und die Moscheearbeit abhängig ist von diesem Geld aus dem Ausland, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass da auch Anforderungen mit verbunden werden.“
Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigt sich bei der DITIB: Das türkische Religionsministerium als Geldgeber kann bis in die Personalstruktur hiesiger Moscheegemeinden hinein mitbestimmen und Vorgaben machen. So ist es wiederholt geschehen, dass dort Türkei-kritische Personen ohne Angaben von Gründen von ihren Aufgaben entbunden wurden – insbesondere im Nachgang zum letzten Umsturzversuch gegen Erdogan.
Die DITIB und die 6.000 Spitzel für Erdogan
Die Zusammenarbeit mit der DITIB, so schädlich sie auch sein mag, ist offensichtlich nur der eine, sichtbare Teil dieser deutsch-türkischen „Freundschaft“. Hinzu kommt die (neue?) Erkenntnis über die Existenz von 6.000 „Informanten“ der Türkei in Deutschland.
Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ liegen der Bundesregierung schon seit Jahren Hinweise auf türkische „Hilfen“ für terroristische Gruppierungen vor. Indes – die Regierung schweigt. Das meldete am 21.08.16 die „Welt am Sonntag“:
„Der türkische Geheimdienst MIT soll in Deutschland ein Informanten-Netz mit Tausenden Mitarbeitern unterhalten. Deutsche Politiker sind alarmiert angesichts der zunehmend aggressiven Praktiken der Agenten.
Der MIT verfüge über rund 800 hauptamtliche Offiziere in Westeuropa, berichtete die „Welt am Sonntag“ (WamS). Das Blatt beruft sich auf einen „einflussreichen Sicherheitspolitiker“, der namentlich nicht genannt wird. Demnach befinden sich die meisten der Agenten in Deutschland. Dazu kämen noch 6000 weitere Spitzel des MIT…“ (Quelle: http://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/id_78759440/tuerkei-hat-6000-spitzel-in-deutschland.html#xtor=EPR-5001-[t‑online-eilmeldungen-newsletter]-20160821-[T%C3%BCrkei-hat-6000-Spitzel-in-Deutschland]-)
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Ein sehr lehrreiches Gespräch zwischen dem Dlf und der Imamin Seyran Ateş: „Muslime, organisiert Euch!“
Die türkischstämmige Anwältin Seyran Ateş hat moderate Muslime aufgerufen, „gegen Islamismus zu kämpfen“. Eine historisch-kritische Koran-Interpretation sei nötig, um „gewaltbejahende Passagen im Koran“ neu zu deuten, sagte Seyran Ateş im Dlf. Sie hat vor wenigen Wochen die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnet.
Benedikt Schulz: Dass eine Frau eine Moschee gründet, das ist an sich bemerkenswert. Und das noch umso mehr, als dass Seyran Ateş bislang eher mit islamkritischen Äußerungen in Erscheinung getreten ist. Die Juristin und Frauenrechtlerin will eine, wie sie sagt, liberal-islamische Gebetsstätte gründen. Der Islam hat ein schwieriges Image. Die Zahl islamistisch motivierter Anschläge in Europa hat zugenommen. Ein Unsicherheitsgefühl hat sich breitgemacht. So sehr, dass schon eine an sich recht harmlose Gebetsformel wie „Allahu akbar“ („Gott ist am größten“) angstbesetzt ist. Und für friedlich lebende Muslime ist das eine Zumutung. Nur, wo sind die Muslime, die sich nicht nur von islamistisch motivierter Gewalt hier und da distanzieren, sondern auch offen und offensiv ihren friedlichen Glauben verteidigen? Diese Frage steht auch hinter der Gründung der „Ibn Rushd-Goethe Moschee“ in Berlin.
Über die Gründung der Moschee hat Seyran Ateş auch ein Buch geschrieben – „Selam, Frau Imamin!“, also „Hallo, Frau Imamin“ und für streng konservative Muslime ist vielleicht das schon eine Provokation.
Schulz: Jetzt habe ich gesagt gerade, hinter Ihrer Moscheegründung steht ja auch die Frage: Wo sind sie: die vielen friedliebenden Muslime?
Ateş: Genau.
„Moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen“
Schulz: Das frage ich jetzt Sie. Wo sind diejenigen Muslime, die sich aktiv wenden gegen Islamismus?
Ateş: Das ist auch meine Frage. Und deshalb fordere ich jetzt die Menschen auf. Das habe ich im letzten Jahr durch einen großen Artikel in der „Zeit“ gemacht, „Gründet mit mir eine Moschee“, habe das erklärt.
Und vor allem müssen wir liberale, moderate Muslime endlich in die Pflicht nehmen. Ich tue das mit mir selbst, dass ich sage, es reicht nicht aus, dass wir Verbände, andere Vereinigungen, Moschee-Gemeinden dafür kritisieren, dass sie in den Moscheen nicht Demokratie lehren oder verkünden, dass sie dies und jenes falsch machen. Das reicht nicht aus. Wir müssen uns auch immer fragen: Was machen wir denn gegen den islamistischen Terror?
„Das Private ist politisch“
Schulz: Der Islam in Deutschland hat jetzt nicht so einen Organisationsgrad, wie es zum Beispiel die großen christlichen Kirchen haben. Und der Staat weiß ja immer noch nicht so richtig, wie er damit umgehen soll. Die Folge ist eben, dass die konservativen Verbände im Dialog mehr oder weniger alleine das Sagen haben.
Ateş: Ja.
Schulz: Müssen sich liberale Muslime politisieren?
Ateş: … organisieren. Ja, sie müssen sich organisieren. Politisieren – das sind wir ja sowieso. Das Private ist politisch. Das ist das, woran ich glaube, sowieso auf der politischen Ebene. Und deshalb kann kein Moslem sagen, so friedlich er auch ist: ‚Mein Glaube ist nur privat, und deshalb mische ich mich jetzt nicht ein in irgendwelche Debatten.‘ Nein, das Private ist politisch – und aus dieser Verantwortung heraus hat Herr Schäuble, habe ich gesagt, am Ende des Tages recht, am Ende der Islamkonferenz 2009. Er hat Recht.
Wir müssen uns auch organisieren, damit die Politik Ansprechpartner hat. Auch da wiederhole ich: Wir können doch nicht kritisieren, dass die Verbände als einzige Ansprechpartner zurzeit in der Islamkonferenz sitzen. Die Einzelpersonen sind rausgekickt. Die Politik sagt: Ich brauche aber Organisationen. Es geht nicht mit Einzelpersonen ausschließlich. Dann ist es doch an uns, uns zu organisieren. Deshalb mein Appell: Organisiert euch!
„Die DITIB sinkt immer tiefer“
Schulz: Jetzt hat der Liberal-Islamische Bund, mit dem teilen Sie ja zumindest den Anspruch eines modernen, liberalen Islams, zu einer Demo aufgerufen – „Nicht mit uns“, jetzt für den Samstag. Und jetzt haben sich die Verbandsvertreter dazu ja schon geäußert. Zum Beispiel die DITIB, die hat gesagt, die nehmen da nicht dran teil, mit folgendem Argument: Man habe sich ja schon oft genug distanziert von islamistischer Gewalt. Was sagen Sie dazu?
Ateş: Na, das reicht vollkommen nicht aus. Und das ist tragisch und traurig für die DITIB, ja, dass sie nichts dazulernt offensichtlich und immer weiter, auch wirklich tiefer sinkt und Abstand nimmt zu, meiner Ansicht nach, auch der Demokratie und den Verpflichtungen, die innerhalb der Demokratie passieren müssen.
Der Zentralrat der Muslime macht ja, soweit ich weiß, mit bei dieser Demonstration. Und ich kann nur sagen, so was war schon längst überfällig. Das hätte schon lange stattfinden müssen und am besten hätte das eben von den Verbänden aus schon organisiert werden müssen – seit dem 11. September 2001.
Schulz: Wenn jetzt aber ein gläubiger Muslim sagt, diejenigen, die da Terroranschläge verüben, das sind keine Muslime. Das kommt ja oft vor, dieses Argument wird ja oft vorgetragen: „Ich muss mich deswegen nicht davon distanzieren.“ Dann erklären Sie mir mal, warum er damit nicht Recht hat?
Ateş: Der wird für sein tiefes Verständnis damit Recht haben. Aber das ist keine ausreichende Argumentation. Sie überzeugt deshalb nicht, weil diese Menschen „Allahu akbar“-rufend andere Menschen köpfen oder Terror verursachen. Gleichzeitig sind das Menschen, die aus dem Koran nicht nur rezitieren, sondern nach den Vorschriften dort meinen richtig zu handeln. Sie begreifen sich als Muslime. Sie sagen, dass sie es sind. Also, kann ich nicht sagen, sie sind keine, weil ich nicht Allah bin. Der entscheidet am Ende, ob jemand den Glauben richtig lebt oder nicht. Und zudem, diese Menschen beten fünfmal am Tag. Sie gehen in Moscheen. Sie haben einen Muezzinruf.
Ich möchte wissen, auf was sich diejenigen berufen, die meinen, das sind keine Muslime. Dass es keine Muslime sind, die den Glauben von der friedlichen Seite betrachten, das ist doch was anderes. Man kann sagen, liebe Leute, ihr seid irregeleitet. Es kann nicht sein, dass wir Gewaltpassagen aus dem 7. Jahrhundert nehmen und sie jetzt hier 1:1 übersetzen. Das ist was anderes. Aber denen abzusprechen, dass sie Muslime sind, das ist eine Schutzbehauptung. Und das ist so einfach. Man macht sich das so einfach damit.
„Das Hinterfragen verdrängen diese Dschihadisten“
Schulz: Also, hat die Gewalt mit dem Islam zu tun?
Ateş: Ja, selbstverständlich gibt es auch im Islam gewaltbejahende und begründende Passagen im Koran. Aus dem schöpfen doch diese Leute das. Der Dschihad wird daraus begründet. Aber dass es gleichzeitig aber auch einen Idschtihad gibt, nämlich die Auseinandersetzung, das Nachdenken, den Verstand nutzen, dass man immer wieder hinterfragt, das Hinterfragen gefordert wird im Koran, das verdrängen halt diese Dschihadisten.
Schulz: Viele liberal orientierte Muslime argumentieren ja immer wieder, man muss diese Textstellen, wo es eben um die Gewalt geht, die muss man in ihrem historischen Kontext sehen, eben im Kontext einer bedrängten Religionsgemeinschaft im 7. Jahrhundert.
Ateş: Ja.
„Den Koran historisch-kritisch auslegen“
Schulz: Aber auf der anderen Seite ist es ja doch so, dass der Koran als das geoffenbarte Wort Gottes gilt. Bei den Hadithen, da sehe ich das ein, da kann man die historische Genese ja noch eher verstehen. Aber wie wollen Sie denn Menschen davon überzeugen, dass der Koran, oder dass eben Gottes Wort nicht allgemeingültig ist?
Ateş: Allgemeingültig nicht in dem Sinne, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert genau das machen, was im 7. Jahrhundert herabgesandt wurde – historisch-kritisch auslegen. Ich denke, das ist durchaus auch möglich. Es gibt verschiedenste Lesarten sowieso des Korans, ganz unabhängig eben von Übersetzungen und Interpretationen. Muss man einfach historisch-kritisch auslegen.
Was war in der Zeit, als die einzelnen Suren offenbart wurden, innerhalb eines Zeitraums von 23 Jahren immerhin? Es war ja ein Prozess. Und in was für einer Lebenssituation befand sich der Prophet gerade mit seiner Gemeinschaft? Das muss man nämlich alles im Zusammenhang sehen und dann nach dem Sinn und Zweck fragen.
Die Sufis schauen noch viel tiefer, ja, und sehen Worte natürlich immer im übertragenen Sinne. Und man muss dann im nächsten Schritt sich überlegen: Was ist der Sinn und Zweck? Was sollte damit geregelt werden? Aus diesem gesamten Kontext heraus. Wie gesagt, Lebenssituation des Propheten, der Gesellschaft und in der Phase, in der sich die Gemeinschaft befand. Und das dann übersetzt ins 21. Jahrhundert, kann es ja durchaus sein, dass man sich erwehren muss, dass es heißt: ‚Verteidigt eure Religion!‘, aber dass das nicht bedeutet: ‚Geht los und tötet andere Leute!‘
„Aufklärer im Islam und die die Chance einer Renaissance“
Schulz: Also, dass man die Bibel eben als historisch gewordenes Konstrukt liest, das ist in westlichen Gesellschaften anerkannt. Das ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Die wurde auch von Theologen vorangetrieben. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass diese vielbesprochene Aufklärung auch im Islam verankert ist.
Ateş: Ja.
Schulz: Aber es sieht doch danach derzeit nicht so aus.
Ateş: Na ja, im 11./12. Jahrhundert haben es die Radikalen und Orthodoxen geschafft, und zwar hauptsächlich betrieben durch den Gelehrten al-Ghazālī, Gelehrte wie Ibn Rushd und Ibn Sînâ, zu unterdrücken. Das sind die großen Denker gewesen, die Aufklärer im Islam. Es hat einen Wandel genau und Bruch in dieser Phase gegeben. Und deshalb gibt es durchaus die Chance einer Renaissance. Denn, wenn man sich diese Gelehrten anschaut, die ja auch koranfest argumentieren, ja, kann man durchaus sagen, es gibt auch einen anderen Weg, den auch der Islam hätte damals gehen können. Aber es ist nicht zu spät, ihn jetzt zu gehen.
„Salafisten dürften kein Auto fahren“
Schulz: Jetzt haben Sie Ibn Rushd schon erwähnt. Das ist einer der beiden Namensgeber Ihrer Moschee …
Ateş: Ja.
Schulz: Die Ibn Rushd-Goethe Moschee, so heißt sie ja. Es gibt dennoch trotzdem Leute, die den Islam ja nicht für reformierbar halten.
Ateş: Ja.
Schulz: Eben, weil das Ganze eben … eine Reform die Substanz gefährden würde.
Ateş: Ja.
Schulz: Warum glauben Sie denn trotzdem, dass das Ganze reformierbar ist?
Ateş: Na ja, ich bin da eher eine Anhängerin der sogenannten Ankaraner Schule, dass ich sage, es liegt am Ende auch an uns, an Menschen, wie wir unsere Religion theologisch ja begreifen und in unserer Zeit auch verstehen. Und die Erlaubnis, historisch-kritisch das zu betrachten, die haben wir meiner Ansicht nach selbst auch aus den heiligen Schriften, wo es wirklich oft genug an vielen verschiedenen Stellen heißt: „Du hast deinen Verstand und du hast Vernunft und die musst du nutzen.“
Und die Begrifflichkeiten, die so eindeutig zu sein scheinen, die sehe ich, gerade auch als Juristin, die mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet oder mit Paragraphen, immer interpretiert werden müssen, gar nicht so eindeutig, wie Salafisten das immer so sehen oder darstellen.
Und die Kritiker, die sagen, der Islam ist nicht reformierbar, ich glaube, natürlich gibt es auch im Judentum, auch im Katholizismus, ja Menschen, die sagen, hier ist keinerlei Bewegung da. Aber da bin ich eher auch aus der Praxis sehr pragmatisch und denke, das ist möglich. Warum sollte das nicht möglich sein? Das würde ja bedeuten … dass eine Reform nicht möglich ist, würde als Konsequenz haben, dass wir weiterleben sollten wie im 7. Jahrhundert. Und das tun wir ja jetzt schon nicht.
Dann dürfte auch kein Salafist ein Auto fahren oder Mobiltelefone benutzen. Denn es wird ja argumentiert: ‚Wir machen keinen Sport, weil der Prophet keinen Sport gemacht hat. Es wird keine Musik gehört, weil das nicht zu unserer Religion passt.‘
Schulz: Ist nicht einfach auch ein Problem, dass der Islam eben von diesen Fundamentalisten keine Religion ist, sondern eher eine politische Ideologie?
Ateş: Es ist auf jeden Fall eine politische Ideologie, die sich aber bezieht und begründet auf die Heilige Schrift, die wir anderen nur in seiner friedlicheren Seite vordergründig sehen, ja.
„Der Islam ist reformierbar“
Schulz: Hoffen Sie noch auf den vielzitierten Euro-Islam, nachdem ja schon der Erfinder des Begriffs selber nicht mehr so recht dran glauben mag?
Ateş: Bassam Tibi ist ein bisschen frustriert, das weiß ich. Aber am Ende des Tages, glaube ich nach wie vor, dass er … er war ja immer ein optimistischer Mensch und hat immer uns großartige Ideen geliefert und Erklärungen, dass er weiter auch das unterstützen wird.
Denn der Islam hat sich in allen Ländern, in denen er angekommen ist, von der arabischen Halbinsel ausgehend, in jedem Land, von Marokko bis Indonesien, den Traditionen und den nationalen Gegebenheiten entsprechend entwickelt. Und so verhält es sich mit dem Euro-Islam. Der Islam entwickelt sich auch in Europa in eine sehr vom Europäischen vorgefundenen Verhältnissen geprägt. Und darin sehen Sie ja auch noch mal die Möglichkeit, dass da durchaus was Reformierbares da ist im Islam.
„Innermuslimisch Frieden finden“
Frau Ateş, wir haben jetzt viel über Theologie gesprochen. Sie haben diese Moschee ja auch aus einem, ich nenne es jetzt mal, gesellschaftspolitischen Impuls gegründet. Was ist das jetzt? Ist es ein religiöser Ort, oder ist es ein liberal-muslimischer Think-Tank?
Ateş: Es ist in allererster Linie ein religiöser Ort, ein spiritueller Ort, wo wir innermuslimisch vor allem Frieden finden möchten – Aleviten, Sunniten, Schiiten und Sufis zusammen. Innermuslimisch, unsere Spiritualität, die wir haben als Menschenrechtlerin, Frauenrechtlerin, als Homosexuelle, als eben Demokraten, die in den bisherigen existierenden Moscheen sich mit ihrer Spiritualität nicht zu Hause fühlen, dass wir in erster Linie Religion ausüben. Das ist wirklich das vorderste Ziel. Aber, dass wir dadurch auch gleichzeitig in das Gesellschaftspolitische hineinwirken, das ist – wie gesagt – aus dem ganz einfachen und richtigen Satz sich ergebend, dass das Private politisch ist.
Schulz: Sind dann auch diejenigen willkommen, die Ihre Ideale ablehnen oder gar bekämpfen?
Ateş: Nun, wenn sie kommen wollen, um mit uns zu diskutieren, um zu verstehen, was wir da machen, sind natürlich alle willkommen. Aber was soll es am Ende des Tages bringen, wenn sie kommen, um uns zu beschimpfen? Das wollen wir natürlich nicht.
„Befürchtungen, dass es Übergriffe geben könnte“
Schulz: Lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf Ihre Person zu sprechen kommen. Sie haben – ich habe das ganz am Anfang erwähnt – mehrfach Gewalt und Anfeindungen in Ihrem Leben erlebt. Sie wurden ja auch einmal angeschossen. Sie müssen ja eigentlich davon ausgehen, dass das jetzt wieder passiert, oder?
Ateş: Selbstverständlich gibt es Befürchtungen, dass es da Übergriffe geben könnte. Aber die bisherigen Nachrichten, die ich bekommen habe, das sind drei an der Zahl gewesen, die gehen unter die Gürtellinie mit dem „F‑Wort“, ja, was die mit mir machen wollen, damit ich zu Verstand komme.
Aber 95 Prozent der Reaktionen sind positiv. Die Leute sagen: „Es reicht endlich, ja. Wir können das nicht mehr hören, dass unsere Religion nur noch mit Terror in Verbindung gebracht wird. Das, was du da machst, ist großartig. Wir können einer wissenden Person folgen, auch, wenn sie eine Frau ist, als Männer.“
Das sagen vor allem Kurden, bei denen es tatsächlich solch eine Tradition gibt. Und ich hoffe mal, dass es auch so ruhig bleibt, wie es ist. Ansonsten habe ich „Mut, Angst zu haben“, wie Kant das sagt, und bin trotzdem ein vernünftiger Mensch und achte selbstverständlich auf die Menschen um mich herum und auf mich selbst.
Schulz: Und was glauben Sie, welche Resonanz werden Sie bekommen? Wie viele Muslime werden sich interessieren für Ihren liberalen Islam?
Ateş: Das ist eine Frage, die Journalisten sehr gerne in Zahlen beantwortet wissen würden. Ich kann das nicht machen. Das ist wie Kaffeesatzlesen. Ich bin nur glücklich, dass wir sieben Gesellschafter und Gesellschafterinnen sind. Das ist schon mal großartig. Und ich finde das gut, dass wir auch schon ungefähr 20 Mitglieder sozusagen sind. Menschen, die gemeinsam diese Idee verfolgen. Aber ich bekomme schon so viel Zuspruch und … von Muslimen, die auch zum Gebet kommen wollen. Ich lasse mich überraschen. Ich hoffe, dass das so weitergeht.
Dieser lesenswerte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com
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