Aperol und Vor­urteil oder wie die TAZ den Gast­ro­se­xismus entdeckte

Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus, sagt das Sprichwort. Die Nägel, über denen die TAZ seit jeher am liebsten ihren Hammer schwingt, sind ver­meint­liche struk­tu­relle, kapi­ta­lis­tische oder auch patri­ar­chale Schwei­ne­reien, die man nur bei der TAZ sehen kann und die deshalb auch nur von der TAZ ent­deckt werden können. Ein solches „first of“ hatte man schon 2019, als anlässlich der Hand­ball­welt­meis­ter­schaft „ent­deckt“ wurde, dass unsere Natio­nal­mann­schaft von einer geradezu kri­ti­schen Whitness durch­drungen sei und die man­gelnde Mul­ti­kul­tu­ra­lität ganz klar einen struk­tu­rellen Ras­sismus belege. Geschrieben und ver­öf­fentlich von durch und durch bio­deut­schen Weiß­kar­toffeln in einer Zeitung, bei der es von Maltes, Sabines und Annas nur so wimmelt. Nun ent­deckt Gabriel Yoran für die ham­mer­schwin­gende TAZ wieder einen solchen Nagel: den all­ge­gen­wär­tigen und bisher unbe­merkten Gast­ro­se­xismus.

Als ich das Wort las, dachte ich zunächst an das erste Büh­nen­pro­gramm der unver­gleich­lichen Monika Gruber, die als „Kell­nerin Monique“ durchaus halb­do­ku­men­ta­risch ihre Begeg­nungen mit Gästen schil­derte, die zu tief ins Weiß­bierglas geschaut hatten. Unschöne Sachen pas­sieren da und pein­liche auch. Aber darum ging es im TAZ-Artikel nur am Rande, das Problem – und das müssen Sie wissen, liebe Leser – liegt viel tiefer! Das Problem ist die Gas­tro­nomie selbst!

Ser­vice­wüste oder wüster Service?

Der Service in der Gas­tro­nomie werde heute häufig von Laien erledigt, so Yoran, dem viel­leicht noch nicht auf­ge­fallen ist, dass die gesamte Branche im letzten Jahr von der Politk zur Abwurflast sozialen Distanz­gebots erklärt wurde. Es gibt derzeit nicht viele Men­schen, die auf solch unsi­cheren Aus­sichten ihr Aus­kommen gründen wollen und sich zu Experten aus­bilden lassen, um TAZ-Autoren stan­des­gemäß zu bewirten und alle Fall­stricke zwi­schen­mensch­licher Miss­ver­ständ­nisse pro­fes­sionell zu übertanzen.

„Da die Infor­mation, wer nun eigentlich was bestellt hat, bei derart orga­ni­sierten Restau­rants fast immer ver­loren geht, werden die Gäste gefragt, wer was hatte. So weit, so unprofessionell.“

Manchen Gästen kann man es einfach nicht recht machen. Wohl auch eine der Lek­tionen, die man in der Gas­tro­nomie sehr schnell lernt. Denn wenn es Tat­sache ist, dass die Per­so­nal­decke in den Restau­rants dünn ist, hat man nur noch die Wahl zwi­schen „unpro­fes­sio­nellen“ Nach­fragen und der noch viel unpro­fes­sio­nel­leren Ver­mutung, der Aperol Spritz und der Salat gehen an die Frau, Bier und Mam­mut­steak an den Mann. Pas­siert natürlich dennoch und ist für den Ham­mer­schwinger von der TAZ ein dringend abzu­stel­lendes Ärgernis. Viele, wenn nicht sogar die meisten Ser­vice­kräfte in der Gas­tro­nomie sind übrigens Frauen. Wer hätte gedacht, was das für Sexis­tinnen sind! Aber sicher repe­tieren sie nur die ihnen vom Patri­archat ein­ge­bläuten Rol­len­bilder. *hust*

„Wenn aber, was oft genug vor­kommt, nicht gefragt wird, wird es inter­essant. Und unan­genehm. Sie können darauf wetten, dass, wenn die Bestellung eines Mannes und einer Frau Aperol Spritz und Pils lautet, der Ape­ritif an die Frau geht. Denn der Mann ist der mit dem Bier. Wird jedoch gemeinsam eine Flasche Wein bestellt, steht das Pro­bierglas schnell vor dem männ­lichen Gast, der bitte ent­scheiden möge, ob der Wein gut genug sei.“

Hier handelt es sich aber wohl um ein Miss­ver­ständnis, denn das Pro­bierglas landet bei dem, der die Bestellung auf­ge­geben hat, was wie­derum der oder die sein wird, der ein­ge­laden hat und folglich auch die Rechnung bezahlt. Wer zahlt, ent­scheidet ob’s korkt. Aus­ge­nommen Kegel­runden und Kaf­fee­kränzchen, aber die hatte der Autor wohl eher nicht im Sinn. Die als unpro­fes­sionell bezeichnete Nach­fragen erwartet der Autor aller­dings. Offenbar hört ihm aber niemand zu:

„Ich habe es mehrfach aus­pro­biert, die Ste­reotype über­schreiben die ein­fache Nach­frage: Wer bekommt was?“

Wie ereig­nislos und kon­fliktfrei muss das Leben sein, wenn man sich an so etwas wie einer unter­stellten Geträn­kewahl den Zeh stoßen kann? Oder wie kon­fliktgeil, um aus einer in neun von zehn Fällen rich­tigen Annahme eine sexis­tische Ent­gleisung zu kon­stru­ieren? Ich würde hier ja gern mit dem Autor über Sinn und Zweck solcher Annahmen (vulgo: Vor­ur­teile) reden, aber in Zeiten, in denen Restau­rants schlechte Bewer­tungen bekommen, weil Gäste Angst haben, andere Gäste könnten sich mit gefälschten Covid-Zer­ti­fi­katen Zutritt zum Nach­bar­tisch ver­schafft zu haben, gibt es wahrlich andere Nägel, die der Auf­merk­samkeit des Hammers bedürfen.

Gabriel Yoran träumt scheinbar von einer Welt, in der es weder Miss­ver­ständ­nisse noch Krän­kungen gibt, sondern alle Men­schen in per­fekten, poli­tisch berech­neten Bahnen umein­ander kreisen. Misst man seine Aus­sagen jedoch mit der Elle, mit der Krän­kungen, Ras­sismus und Sexismus heute gemessen werden sollen, müsste die erste Empörung doch lauten „How dare you to assume my gender?!“ Der Mann wählt den Wein aus? Die Frau isst nur einen Salat? Das Einzige, das beim Besuch des Restau­rants heute noch fest zu stehen scheint, ist die Rolle der Servicekraft.

Alles aus­handeln, immer!

Schon wer Mann und Frau und wann und wenn über­haupt dann wie viele ist, wird heute doch situativ aus­ge­handelt! Türen öffnen oder in den Mantel helfen wird heute bereits als sexis­ti­scher Über­griff oder Rückfall ins Patri­archat dar­ge­stellt. Einzig die Tra­dition, wer beim ersten Date die Rechnung über­nimmt, wird von einer merk­wür­digen mer­kan­tilen Unein­sich­tigkeit über­schattet. Wenn kom­plexe Rituale aus­ge­dient haben und höf­liche Selbst­ver­ständ­lich­keiten zu sexis­ti­schen Unver­schämt­heiten umge­deutet werden, wenn also zu Pro­to­kollen geronnene Kom­mu­ni­kation weg­fällt, bleibt nur noch der Rückfall in ein­fache Kom­mu­ni­kation: „Sind sie der Salat oder die Pommes?“.

Annahmen und Schluss­fol­ge­rungen, die wir aus unseren Beob­ach­tungen ziehen, kann man als Vor­ur­teile ver­stehen, deren Anwendung im Zwi­schen­mensch­lichen meist nützlich, manchmal aber auch peinlich sein können. Wer kennt nicht einen Fall, eine unbe­kannte Anru­ferin mit besonders dunkler Stimme als „Herr“ ange­sprochen zu haben? So kann man aus den Gepflo­gen­heiten in der Gas­tro­nomie wie man sie viel­leicht sub­jektiv erlebt hat, kaum den Schluss ziehen, dort wirke ein ganz besonders schlimmer Sexismus. Zu solchen pau­schalen Urteilen neigt der Mensch jedoch, auch der Mensch Gabriel Yoran.

Er hat noch genau einen wei­teren Artikel für die TAZ geschrieben, in dem er recht amüsant seinen eigenen Vor­ur­teilen nach­hängt und aus ihnen eine durchaus frag­würdige ver­all­ge­mei­nernde Schluss­fol­gerung zieht. Die Woh­nungs­bau­künste der Ame­ri­kaner mögen an vielen Orten dem ent­sprechen, was Gabriel Yoran in Boston vor­ge­funden hat. Doch nicht die gesamten Ver­ei­nigten Staaten sind aus Brettern gebaut und wo dem so ist, durchaus aus unter­schied­lichen Gründen. Dass „die mit dem Bier“ immer der Mann ist, ent­puppt sich als ebenso nütz­liche und prak­tische Grund­an­nahme wie eine gesenkte Erwartung, wenn es um Art und Qua­lität der Hei­zungs­an­lagen in ame­ri­ka­ni­schen Miets­häusern geht.

Es gibt Aus­nahmen, aber es gäbe die beklagte Regel nicht, wenn sie nicht auf Empirie beruhte. Wer solche Mecha­nismen prin­zi­piell in Frage stellt, hat nichts Gutes vor mit dem Men­schen, der sich, seiner Unzu­läng­lich­keiten gewiss, im Alltag ver­schie­denster dieser Brücken und Krücken bedient. Und eine solche ist eben, dass das Bier bei ihm und der Aperol Spritz bei ihr landet. Ist nämlich in neun von zehn Fällen genau so. Wer solchen kleinen Brücken zwi­schen­mensch­licher Gewiss­heiten den Kampf erklärt, führt einen Krieg gegen die Mensch­lichkeit und hofft viel­leicht, dass der Service in der Gas­tro­nomie von Robotern über­nommen werde. Bei der TAZ jeden­falls scheinen die schon seit langem die Artikel zu schreiben.


Quelle: unbesorgt.de