Die Deutsche Bank will bald 8.000 Arbeitsplätze streichen. Die Schadenfreude über den sukzessiven Fall der „Größenwahnsinnigen“, so Spiegel, ist groß. Der Börsenkurs steht heute dort, wo vor 30 Jahren. Das sei die Strafe für die vielen Geschäftsskandale, dreiste Bilanztricks, Globalisierungsexzesse, und die Arroganz des Managements – wird breit verkündet. Die Frage, wie es mit dem einstigen Branchenprimus weitergeht, welches Auswirkung der erneute Einstig des aggressiven US-Investors Cerberus mit sich bringt, schildert Dr. Viktor Heese in zwei Szenarien.
Das 1 x 1 der Bankenkrisen und wie diese aus ihnen herauskommen
Direkte Insolvenzen geschehen im Bankensektor, wie 2008 bei Lehman Brothers, selten. „Technisch“ liegen sie vor, wenn ein Geldhaus zahlungsunfähig wird, weil es keine Liquidität am Geldmarkt bekommt oder durch die Finanzaufsicht (BAFin) wegen Eigenkapitalmangels geschlossen wird. Dieser tritt als Folge von Verlusten durch Schieflagen im Kredit- oder Börsengeschäft und notwendiger Abschreibungen ein.
In der Realität gängig sind dagegen nur „indirekte Insolvenzen“ wie Bankkäufe, Zerschlagungen, Fusionen und friedliche oder feindliche Übernahmen, wenn eine Bank ihre juristische Selbständigkeit verliert. Oft gibt es ein Happy End: Ein Finanzinvestor, der sich in die Geschäftspolitik nicht einmischt, springt ein oder es fließt frisches Geld aus der Kapitalerhöhung und es gibt wieder Ruhe mit der Aufsicht.
Auch Liquiditätsprobleme sind selten. Kurzfristig sind sie unproblematisch, weil sich Banken finden, die gerne zu hohem Zins Geld verleihen. Letztendlich hat man dafür auch die EZB. Langfristig kann es aber Liquiditätsprobleme bei fehlender Fristenkongruenz geben – wie bei der Abwicklung der DePfa -, wenn aufgrund falscher Zinserwartungen langfristige Kredite mit kurzfristigem Geld refinanziert werden. Es kann passieren, dass der Pechvogel in der negativen Zinsmarge stecken bleibt. Auch kann, wie 2009, im Sektor großes Misstrauen herrschen und keine Bank der anderen Geld leihen will („Liquiditätsstreik“).
Wichtig ist letzendlich, ob nur eine Bank Probleme hat oder der ganze Sektor. Für die einzelne Bank ist der zweite Fall viel günstiger, weil dann mit großer Wahrscheinlichkeit systemisch relevante Großbanken wegen der Angst vor dem „Domino-Effekten“ mit Rettungsschirmen am Leben gehalten werden.
Worst-Case Szenario bei der Deutschen Bank – Übernahmegefahr, Bilanzrisiken, Ertragsdelle
Heute sind italienische Großbanken stärker gefährdet als die Deutsche Bank. Diese ist jedoch bedeutsamer. Ihr Ausfall könnte wegen weltweiter Vernetzungen Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten auslösen. 2016 war die Deutsche Bank mit 50 Bill. Euro im Derivatebereich der weltgrößte PlayerSystemrisiko. Kann ein solcher Riese „fallen gelassen“ werden? Mehrere fatale Ereignisse müssten schon auftreten, damit das eintritt. Selbst wenn die direkte Insolvenz unwahrscheinlich ist, bleibt die Frage einer indirekten Insolvenz immer noch offen.
Erstens: Wenn Großbanken, wie die Deutsche, geschäftlich angeschlagen sind, versuchen Hedgefonds und spekulative Finanzinvestoren, unterstützt durch Ratingagenturen durch aggressive, jedoch rechtlich zulässige Baisse-Strategien (Leerverkäufe, Optionen), den Aktienkurs so weit zu drücken, bis eine feindliche Übernahme lohnend wird. Sie unterbreiten dann ein Übernahmeangebot an die Aktionäre.
Zweitens: Diese Gefahr ist hausgemacht. Für die Frankfurter wäre äußerst riskant die verlustreiche Globalisierungspolitik fortzusetzen, um verlorenes Terrain als Global Player zurück zu gewinnen. Formal kann die Aufsicht selbst einer angeschlagenen Bank Risiko-Geschäfte nicht verbieten, wenn diese genügend (Risiko-)Kapital besitzt. Problematisch ist, dass Banken ihr Risikokapital mit „internen Modellen“ berechnen, die die Aufsicht einfach abnickt. Existenz bedrohend sind ferner neue Schadensersatzforderungen, Abschreibungen und Kundenmisstrauen. Schadensersatzforderungen aus US-Altgeschäften sind noch möglich und Abschreibungsrisiken in den – mit dem Fair Value bewerteten Aktiva von 654 Mrd. € oder 40% der Bilanzsumme – auch. Eine Bewertung mit Fair Value anstatt mit dem Marktpreis birgt Risiken. Bei dem großen Rad, das die Deutsche in der Vergangenheit gedreht hat, können Abschreibungen den dünnen Eigenkapitalpuffer von 10 Mrd. € schnell aufzehren. Das Nettovermögen je Aktie ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr von 38€ auf 31€ weiter gesunken. Ganz schlimm wird es, wenn operativen Verluste aufgrund des „Kundenboykotts“ hinzukommen. Die Deutsche Bank befindet sich seit Jahren in der Ertragsdelle, weil wenige mit ihr Geschäfte machen wollen. Die Erträge sind in den ersten drei Quartalen 2017 erneut um 10% auf 20 Mrd. € gesunken. Allein mit Kostensenkungen kann auf Dauer keine Gewinnwende erzielt werden, auch wenn im dritten Quartal 2017 ein Sprung auf 649 Mio. € nach 278 Mio. € (Vorjahr) gelang. Die einst berühmt-berüchtigte Renditeforderung des Ex-Chefs Josef Ackermann von 25% klingt bei aktuellen mageren 3,5% wie ein Hohn.
Realistisches Szenario gibt leichte Entwarnung, das Tal der Tränen ist noch nicht durchschritten
Wie groß sind die oben genannten Gefahren in Wirklichkeit?
Erstens: Wer möchte schon einen risikobehafteten Bankriesen übernehmen auch wenn dieser mit 32 Mrd. € billig Börsenwert billig erscheint (DAX-Primus SAP kostet 100 Mrd. €). In einer Übernahmeschlacht schießen die Kurse schnell in die Höhe. Die vier Großaktionäre C‑QUADRAT Special Situations Dedicated Fund, BlackRock, Paramount Services Holdings, Supreme Universal Holdings und Cerberus halten 25% der Aktien. Ein Übernahmeaspirant könnte sich übernehmen, wenn die Mehrheit von 50,1% zu teuer wird. Erfahrene Investoren haben mehr Zeit und Geduld als die Kleinaktionäre und lassen sich von zunächst optisch hohen Übernahmekursen – z.B. von 25 €, bei aktuellen Börsenkurs von 16 € -, nicht blenden. Dennoch sind die vier Großadressen als spekulativ und „ungeduldig“ einzustufen und könnten etwas planen.
Zweitens: Die konservative Geschäftspolitik unter dem Kostenfanatiker John Creyen hat Bestand. Obgleich eine Aufgabe des Investment Bankings – nur 10% der Risikoaktiva sollen langsam abgebaut werden – und eine Gesundschrumpfung nicht spektakulär verkündet wurde, deutet sich ein Rückzug auf alte Kernkompetenzen an. Das Haus plant wieder im Mittelstand und im inländischen Kreditgeschäft führend zu werden. Vor der Globalisierungsära, die 1989 mit dem Kauf der zweitklassigen Morgan Grenful begann, hatte der Bankenprimus im Privat- und Firmenkundengeschäft und in der Exportfinanzierung sehr gutes Geld verdienen. Die Chancen bei Geschäften mit der Realwirtschaft stehen gut, da hier – anders als in der Großfinanz – wenig oligopolistische Strukturen herrschen. Das Misstrauen der Kunden bleibt jedoch.
Drittens: Wird das Eigenkapital zu knapp, springen womöglich der Staat (siehe: Commerzbank) und der europäische Bankenabwicklungsfonds (ESF), ein. Josef Ackerman hätte sich zwar geschämt vom Staat Geld zu nehmen. Diese Zeiten sind aber vorbei. Neben der Kapitalaufstockung hilft der ESF Banken ihre „faulen“ Kredite und Anlagen in eine Badbank auszulagern, die diese sukzessive und Kurs schonend verkauft. Wie wirksam das ist, zeigt der Verlust von nur 11 Mrd. € – bei 127 Mrd. € Depotvolumen – den der deutsche Vorgänger des ESF, der SOFFIN einfuhr. Im Rahmen von Basel III darf zudem Fremdkapital, die Tier-Anleihen, in Eigenkapital umgewandelt werden Es geht auch ohne Cerberus mit der Bankenrettung im Ernstfall. Wenn eine langfristige Sanierungsaussicht realistisch ist, wird investiert.
Eine Rettung ist noch keine geschäftliche Sanierung
All diese Chancen wird die Deutschen Bank sicher nutzen, auch wenn die Ertragsgesundung durch das Tal der Tränen führt. Die vorausschauende Börse scheint ihr schon Vertrauen geben zu wollen, was am Kursanstieg der Anleihen (Beispiel 6% mit WKN DB7XHP) sichtbar wird. Die meisten Papiere konnten seit dem Tiefpunkt vor einem Jahr 40% zulegen.
Um neues Vertrauen zu erlangen, ist eine Reihe von Maßnahmen umzusetzen: Die Deutsche Bank muss wieder allgemeinverständliche Geschäftsberichte ohne unverständliche Anglizismen schreiben, sich von der Bilanzakrobatik der Internationalen Rechnungslegung (IFRS) lösen, die Umstrukturierungsabenteuer beenden (Ex-Chef Rolf Breuer „Die Deutsche Bank ist eine Dauerbaustelle“), bei der Globalisierung leiser treten, ihre Ergebnisse verstetigen und die millionenschweren Bonizahlungen der Vorstände einstellen.
Die langfristige Genesungsprozess verläuft nicht ohne schmerzliche Blessuren, wie Massenentlassungen, zeigen. Erfahrungsgemäß dauert er etwa fünf Jahre. Vor 2020 verpasst der Anleger nichts, wenn er bei der Aktie der Deutschen Bank noch nicht einsteigt.
Dr. Viktor Heese – war 17 Jahre als Wertpapieranalyst bei der Deutschen Bank beschäftigt und ist heute als Fachbuchautor und Dozent tätig börsenwissen-für-anfänger.de