Echtes Brut­to­gehalt — Wem gehört der Arbeit­ge­ber­anteil an den Sozielabgaben?

Der Arbeit­ge­ber­anteil an den Sozi­al­ver­si­che­rungen ist eine buch­hal­te­rische Fiktion.

(Von Burkhard Sievert)

Wie bereits in dem Artikel „Es gibt keinen dritten Weg!“ gezeigt wurde, ist unter einer Freiheit etwas anderes zu ver­stehen als unter einem Recht. Beides sind ver­schiedene Pro­to­typen von Per­sonen-Sachen-Bezie­hungen.[1] Unter „Frei­heiten“ fallen solche Hand­lungen, die von einer Person aus­ge­führt werden können und die nichts „Unrechtes“ dar­stellen, also nicht gegen eine Kon­vention ver­stoßen. Rechte hin­gegen kon­sti­tu­ieren einen anderen Fall. Rechte impli­zieren Ver­pflich­tungen; Ver­pflich­tungen impli­zieren Rechte. Kor­re­spon­diert zu dem Recht einer Partei keine Ver­pflichtung einer anderen Partei, so ver­liert der Begriff des Rechts seinen Sinn. Ohne Ver­pflichtung auf der Schuld­ner­seite ver­liert ein Recht seine Durch­set­zungs­mög­lichkeit. Für ein echtes Recht muss eine Gläu­bi­ger­seite (der Rech­te­halter) und eine Schuld­ner­seite (die Ver­pflichtung) existieren.

Für ein echtes Recht muss eine Gläu­bi­ger­seite (der Rech­te­halter) und eine Schuld­ner­seite (die Ver­pflichtung) existieren.

Ver­träge führen Rechte herbei, bei dem beide Par­teien durch ihre Hand­lungen den sicht­baren, objek­tiven Beweis geben, dass sie eine gemeinsame Basis gefunden haben.

Die Menge der frei­wil­ligen Tausch­hand­lungen ist, mit einem Wort, die einzige Menge, die keine Unmoral in der Ver­folgung eines mora­li­schen Ziels auf­erlegt.[2]

Eigentum ist ohne Annahme von Freiheit nicht möglich, denn die Ein­schränkung der Ver­fü­gungs­gewalt von Eigentum geht mit der Ein­schränkung von Hand­lungs­freiheit des Eigen­tümers einher. „Wenn Eigentum durch Vertrag erworben wird, so bestehen Recht und Ver­pflichtung bis die Über­tragung bestätigt und die Bezahlung erfolgt ist. Nach voll­stän­diger Erfüllung erlö­schen diese Rechte und Ver­pflich­tungen, und das Eigentum ist somit unbe­lastet und frei. Dies schließt eine Reihe von Bedin­gungen ein, die mit der Nutzung, dem Frucht­genuss und mit der Auf­lösung des Eigentums ein­her­gehen, alle Hand­lungen also, die unter die Regeln gegen Unrecht fallen. Mit einem Wort, Eigentum kommt einer Freiheit gleich.“[3]

In diesem Artikel soll es um ein prak­ti­sches Bei­spiel zur Beur­teilung von Frei­heiten und Rechten gehen. Erörtert wird, wer einen Anspruch auf den Arbeit­ge­ber­anteil an den Sozi­al­ab­gaben besitzt. Das echte Brut­to­gehalt ein Bei­spiel dafür, wie Eigentum ent­steht und wie Ver­trags­be­zie­hungen ana­ly­siert werden können. Um den Sach­verhalt zu beur­teilen, bietet es sich an, nach mög­lichen Ver­trägen Aus­schau zu halten. Relevant ist oft auch der Ort, an dem der Sach­verhalt statt­findet, und wie die Eigen­tums­ver­hält­nisse an diesem Ort sind. Das ist für unseren Fall von unter­ge­ord­neter Bedeutung. Der Erfül­lungsort der Leis­tungs­er­bringung ergibt sich bei Arbeits­ver­trägen aus dem Arbeitsvertrag.

Letzt­endlich schaut man also nach Frei­heiten und Rechten. Im Pri­vat­recht würde zuerst in einem Vertrag nach einer Anspruchs­grundlage gesucht. Der Vertrag gibt Aus­kunft über den Ver­trags­inhalt, auf den die Ver­trags­partner sich geeinigt haben. Gege­be­nen­falls gibt es aber noch Dritte, die außerhalb des Ver­trages Ansprüche stellen können. Aus dem Vor­her­ge­sagten sollte klar sein, dass der liberale Ansatz nur nach echten Ver­trägen sucht. Nur echte Ver­träge basieren auf der Ent­scheidung eines Men­schen, eine Ver­pflichtung auf sich zu nehmen und dafür ein Recht auf eine Leistung eines anderen zu erhalten. Nur echte Ver­träge sind eine Tat­sache. Sie lassen sich fal­si­fi­zieren und veri­fi­zieren. Fiktive Ver­träge sind keine Verträge.

Zur Ein­führung stellen Sie sich eine mit­tel­stän­dische Firma vor, die zehn Dreh­bänke betreibt, von der nur neun besetzt sind. Nach langem Suchen gewinnt sie einen zehnten Arbeiter. Arbeit­geber und Arbeit­nehmer schließen einen Arbeits­vertrag, so dass nun jede Drehbank von einem Arbeiter bedient wird. Sein Arbeitslohn gehört in die Kos­tenart der Per­so­nal­kosten, sie sind weder Betriebs­mit­tel­kosten (der Zeitwert der Dreh­bänke), noch Werk­stoff­kosten (die ver­ar­bei­teten Mate­rialien) oder Kapi­tal­kosten (Kre­dit­zinsen, Abschrei­bungen). Der Arbeitslohn setzt sich zusammen aus dem Brut­tolohn aus dem Arbeits­vertrag sowie den Sozi­al­ab­gaben des Arbeit­gebers. Zu den Sozi­al­ab­gaben des Arbeit­gebers zählen neben Bei­trägen zu den „Sozi­al­ver­si­che­rungen“ auch die Bei­träge zu den Umlagen für Ent­gelt­fort­zahlung (U1), Mut­ter­schaft (U2) und Insolvenz (U3). Letzt­endlich ent­spricht die Arbeit­ge­ber­be­lastung genau den Kosten, die an den Arbeiter gebunden sind. Es sind auch die Kosten, die ent­fallen, wenn der Arbeiter kündigt.

Ver­trags­par­teien sind der Arbeit­geber und der Arbeit­nehmer. Zwi­schen dem Arbeit­geber und dem Staat als Drittem gibt es kein Ver­trags­ver­hältnis und auch keinen gegen­sei­tigen Leis­tungs­aus­tausch, der ein Ver­trags­ver­hältnis impli­zieren könnte. Auch zwi­schen dem Arbeit­nehmer und dem Staat besteht kein Ver­trags­ver­hältnis. Der Arbeit­ge­ber­anteil wird „zu Gunsten des Arbeit­nehmers“ vom Arbeit­geber an den Staat abge­führt. Der Arbeit­geber zahlt den Arbeit­ge­ber­anteil, weil der Zwangs- und Unter­drü­ckungs­ap­parat des Staates ihn dazu zwingt. Öko­no­misch betrachtet ist der Arbeit­ge­ber­anteil zu den Sozi­al­ab­gaben eine Zwangs­abgabe auf Arbeit. Und wie bei jeder staat­lichen Inter­vention erzielt die Inter­vention den gegen­tei­ligen Effekt wie vor­geblich geplant und schadet den­je­nigen, denen eigentlich geholfen werden sollte: Es ent­steht Arbeits­lo­sigkeit für die poten­ti­ellen Arbeiter, die den Arbeit­ge­ber­anteil mit ihrer Arbeits­leistung nicht erwirt­schaften können. Die durch inter­ven­tio­nis­tische Maß­nahmen erhöhten Löhne führen zur dau­er­haften Arbeits­lo­sigkeit eines beträcht­lichen Teils der poten­zi­ellen Arbeits­kräfte. Bei diesen höheren Sätzen sind die Grenz­ar­beits­plätze für die Arbeit nicht mehr ren­tabel. Die Unter­nehmer sind gezwungen, die Pro­duktion ein­zu­schränken, und die Nach­frage auf dem Arbeits­markt sinkt.

In Bezug auf das echte Brut­to­gehalt bleibt dem Arbeit­nehmer netto nur ein Taschengeld.

Der Arbeit­ge­ber­anteil an den Sozi­al­ver­si­che­rungen ist eine buch­hal­te­rische Fiktion. Arbeits­leis­tungen werden nur vom Arbeit­nehmer erbracht und in Form von Lohn vom Arbeit­geber an den Arbeit­nehmer ver­gütet. Durch einen Vertrag wird Eigentum erworben. „Das Pro­gramm des Libe­ra­lismus mit einem Wort ist Eigentum“, so Ludwig von Mises. Der Arbeits­vertrag zwi­schen Arbeit­geber und Arbeit­nehmer tauscht Eigentum an den Pro­duk­ti­ons­fak­toren Arbeit und Kapital. Der Arbeit­nehmer erwirbt Eigentum in Form einer Lohn­zahlung, der Arbeit­geber die Arbeits­leistung des Arbeit­nehmers. Eigentum ent­steht durch Erst­besitz, d. h. die erste Inbe­sitz­nahme ver­leiht die Eigen­tü­mer­schaft (Finders-Keepers-Prinzip). Weil es keine (sub­jek­tiven) Rechte auf Eigentum vor dessen ursprüng­licher Ver­teilung gibt, kann nur der Erst­be­sitzer einer Sache sich auf die Regel „der Finder darf es behalten“ wider­spruchsfrei berufen. Es gilt die Unschulds­ver­mutung: „in dubio pro reo“, d. h. der­jenige, der die Freiheit ein­schränken will, trägt die Beweislast dafür, dass er ein Recht dazu hat. Ein Kläger müsste beweisen, dass er durch eigene Leistung Eigen­tümer des Arbeit­ge­ber­an­teils ist, um einen Anspruch zu begründen. Da nur der Arbeit­nehmer Arbeits­leistung erbringt, folgt, dass der Arbeit­ge­ber­anteil impli­ziter Ver­trags­be­standteil ist, denn der Arbeit­nehmer hat durch seine Arbeits­leistung einen mora­lisch begrün­deten Anspruch auf den Arbeit­ge­ber­anteil. Das echte Brut­to­gehalt beinhaltet neben dem ver­traglich fest­ge­legten Brut­to­gehalt noch den Arbeit­ge­ber­anteil an den Sozi­al­ver­si­che­rungen. Die Kosten der Arbeit auf Seiten des Arbeit­gebers und das Gehalt des Arbeit­nehmers sind somit deckungs­gleich. Das echte Brut­to­gehalt macht dem Arbeit­nehmer die Qua­si­be­steuerung seiner Arbeits­leistung durch die „Sozi­al­ver­si­che­rungen“ trans­parent. In Bezug auf das echte Brut­to­gehalt bleibt dem Arbeit­nehmer netto nur ein Taschengeld.

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[1] Vgl. Hardy Bouillon, Wirt­schaft, Ethik und Gerech­tigkeit, S. 133 f.

[2] Anthony de Jasay, „Ihr Haus gehört Ihrem Hund“ auf den Seiten des Ludwig von Mises Instituts, Deutschland

[3] Vgl. Anthony de Jasay Liberale Ver­nunft, soziale Ver­wirrung, S. 183 f.

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Von Burkhard Sievert. Er enga­giert sich in der Fach­gruppe Libe­ra­lismus der Atlas Initiative. Er hat von Anthony de Jasay die Bücher Der Gesell­schafts­vertrag und die Tritt­brett­fahrer, Gegen Politik sowie Der Indische Seil­trick über­setzt und das Buch Libe­ra­lismus neu gefasst wiederaufgelegt.


Quelle: misesde.org