Gericht gibt DITIB recht: Isla­mi­scher Reli­gi­ons­un­ter­richt durfte nicht aus­ge­setzt werden

Das Land Hessen hatte vor zwei Jahren wegen scharfer Kritik meh­rerer Ver­bände den vom tür­kisch-sun­ni­ti­schen Moschee­verband DITIB ver­an­stal­teten „Bekennt­nis­ori­en­tierten isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt“ an Schulen aus­ge­setzt. Der Grund: Es gab immer nach­drück­licher for­mu­lierte Zweifel an der „grund­sätz­lichen Eignung“. Ins­be­sondere die Tat­sache, dass der Verband unter dem direkten Ein­fluss und Zugriff des tür­ki­schen Prä­si­denten Erdoğan steht und nach Meinung vieler Experten eine eher aggressive Isla­mi­sie­rungs­kam­pagne der Schüler in Deutschland betreibe.

Nachdem das Kul­tus­mi­nis­terium des Landes Hessen die Zusam­men­arbeit mit dem DITIB beendet hatte, orga­ni­sierte es selber einen isla­mi­schen Res­li­gi­ons­un­ter­richt. „Islam­un­ter­richt“ wurde zu einem Unter­richtsfach, aber ohne Kon­fes­si­ons­ge­bun­denheit und ohne direktes Glau­bens­be­kenntnis. Dieser staat­liche Islam­un­ter­richt wurde Schülern der Jahr­gangs­stufe eins bis neun ange­boten. Für Schüler, die für einen bekennt­nis­ori­en­tierten Unter­richt votierten, gibt es Reli­gi­ons­stunden der Glau­bens­ge­mein­schaft Ahma­diyya Muslim Jamaat Deutschland, ein schnell­wach­sende Bewegung innerhalb des Islam. Sie wurde bereits 1889 gegründet und hat Zig-Mil­lionen Mit­glieder. Sie beschäftigt sich unter anderem mit dem Kommen des Messias.

Die Kritik an dem von dem DITIB aus­ge­übten Reli­gi­ons­un­ter­richt ist lager­über­greifend. In Nord­rhein-West­falen wollte die Lan­des­re­gierung vor ziemlich genau einem Jahr eben­falls mit dem DITIB in Sachen isla­mi­scher Reli­gi­ons­un­ter­richt koope­rieren, erntete aber heftige Kritik von allen Seiten.

Der Grüne Cem Özdemir sagte wörtlich:Ich könnte vor Wut explo­dieren und ver­stehe die Nai­vität nicht. Die Lan­des­re­gierung von Nord­rhein-West­falen und die CDU haben dafür gesorgt, dass Erdoğan Zugang zu deut­schen Schulen bekommt. Das ist unfassbar. Nord­rhein-West­falen verrät gerade die­je­nigen isla­mi­schen Gruppen, die sich zum Grund­gesetz und zu unserer offenen Gesell­schaft bekennen.“

Auch, wenn Muslime „jedes Recht haben, ihre reli­giösen Bedürf­nisse zu arti­ku­lieren“,so erfüllten seiner Meinung nach die isla­mi­schen Ver­bände dennoch nicht  „die Vor­aus­set­zungen für die Anerkennung“:
„Wir wollen keine Papa­geien, die die Agenda Ankaras oder Teherans nach­plappern. Was wir brauchen ist eine Ver­tretung der in Deutschland lebenden Muslime auf dem Boden des Grundgesetzes.“

Der FDP-Frak­ti­onsvize Stephan Thomae for­derte, der Islam-Unter­richt müsse „frei von jeg­lichen Ein­flüssen aus­län­di­scher Akteure ange­boten werden,und das ist bei DITIB nicht der Fall.“

Der CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ordnete Christoph de Vries sieht den direkten Ein­fluss der tür­ki­schen Regierung auf die über 800 DITIB-Gemeinden als „hoch­pro­ble­ma­tisch“ an.

Nach Aus­setzung des Unter­richts zog der Moschee­verband Ditib vor Gericht und war mit seiner Klage in erster Instanz vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt Wies­baden erfolg­reich. Der VGH bestä­tigte nun dieses Urteil.

Begründung: Das Land Hessen sei nicht befugt, zu ent­scheiden, ob der Koope­ra­ti­ons­partner DITIB unab­hängig genug vom tür­ki­schen Staat ist. Die hes­sische Lan­des­re­gierung hatte sich in ihrer Ent­scheidung aller­dings auf ein dahin­ge­hendes Gut­achten gestützt. Das war aber in den Augen des Kas­seler Ver­wal­tungs­ge­richts uner­heblich, da das Land Hessen bzw. das hes­sische Kul­tus­mi­nis­terium diese Kom­pe­tenzen nicht habe, gleich­gültig, wie gut die Begründung sei. Das Urteil ist nicht anfechtbar (Akten­zeichen 7 A 1802/21.Z.)

Das bedeutet aber ande­rer­seits nicht, dass der isla­mische Reli­gi­ons­un­ter­richt auf­grund dieses Urteils wieder auf­ge­nommen wird. Denn dem Land Hessen steht noch ein anderer Weg offen: Der isla­mische Reli­gions-Unter­richt gründet auf einem Bescheid aus 2012, der die Grundlage der Zusam­men­arbeit zwi­schen dem Kul­tus­mi­nis­terium des Landes Hessen und dem DITIB ist. Diesen Bescheid kann die Lan­des­re­gierung Hessen aber auch wieder auf­heben. Ein Aus­setzen der Zusam­men­arbeit ist aber rechtlich nicht möglich, ent­schied der Verwaltungsgerichtshof.

Das Urteil des Ver­wal­tungs­ge­richtes Wies­baden aus erster Instanz, in dem die Lan­des­re­gierung Hessen bereits unterlag, ist durch den Spruch von Kassel damit rechtskräftig.

Das hes­sische Kul­tus­mi­nis­terium beugt sich selbst­ver­ständlich dem Urteil: „Auch wenn wir uns einen anderen Ausgang des Rechts­streits gewünscht hätten, respek­tieren und akzep­tieren wir selbst­ver­ständlich, dass sich das Ver­wal­tungs­ge­richt Wies­baden und der Hes­sische Ver­wal­tungs­ge­richtshof unserer Rechts­auf­fassung nicht ange­schlossen haben.“ Das Minis­terium will aber prüfen, welche Kon­se­quenzen „nun aus der Sach- und Rechtslage zu ziehen sind und welche Hand­lungs­op­tionen bestehen“. Damit wird schon ange­deutet, dass man die Karte der Auf­hebung des Ver­trages zur Zusam­men­arbeit ziehen könnte.

Der Moscheen­verband DITIB weiß das auch und deutet an „zur Ver­wirk­li­chung dieser ver­fas­sungs­rechtlich geschützten Grund­rechte mit ihrer Koope­ra­ti­ons­part­ner­schaft beim isla­mi­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt bei­tragen“ zu wollen. Damit signa­li­siert der DITI offenbar die Bereit­schaft, auf die Kri­tik­punkte der hes­si­schen Lan­des­re­gierung in Zukunft kon­struktiv ein­gehen zu wollen. Man blicke, so heißt es, „mit Zuver­sicht auf die wie­der­auf­zu­neh­mende Part­ner­schaft mit dem Kul­tus­mi­nis­terium, um den bereits zuvor statt­ge­fun­denen “bean­stan­dungs- und stö­rungs­freien ordent­lichen Reli­gi­ons­un­ter­richt” für Schüler anzu­bieten, hieß es in einer Stellungnahme.

Im Gegensatz zu Hessen, hatte NRW schon während der Ver­hand­lungen über die Zusam­men­arbeit mit DITIB vom SNW NRW (Säku­lares NetzWerk Nord­rhein West­falen) eine Warnung erhalten. Das SNW schaltete in die Ver­hand­lungen ein und gab ein Gut­achten in Auftrag, das von Dr. Klaus Gebauer erstellt wurde. Herr Gebauer ist lang­jäh­riger Experte für den nord­rhein-west­fä­li­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt. In seinem Gut­achten zeigte er – mit Beweisen unter­mauert — auf, dass die DITIB der Ableger der tür­ki­schen Reli­gi­ons­be­hörde DIYANET ist. Diese Orga­ni­sation war als tür­kische, staat­liche Reform­be­hörde gegründet worden, die ursprünglich den Ein­fluss des poli­ti­schen Islam in Grenzen halten sollte, aber unter der Regierung des Prä­si­denten  Recep Tayyir Erdoğan einen gegen­tei­ligen Kurs ein­ge­schlagen hat. Heute ist DIYANET ein staat­liches Instrument geworden, nicht nur in der Türkei, sondern auch in allen Ländern, in denen Muslime sun­ni­ti­scher Prägung leben, Staat und Gesell­schaften zu islamisieren.

Dr. Klaus Gebauer bewertete in seinem Gut­achten die Wirk­mäch­tigkeit einer solchen Insti­tution und der ent­sandten Lehr­kräfte nicht nur rechtlich als ein Problem, sondern auch poli­tisch riskant. Überdies könnte DITIB Lehr­kräfte, die eine liberale und grund­ge­setz­kon­forme Haltung haben, von den „Hard­linern“ unter Druck gesetzt werden als „Abtrünnige“ – oder gleich von der Orga­ni­sation gar nicht erst als Lehr­kräfte zuge­lassen, weil sie nicht den wahren Islam vermitteln.

Es wird nicht einfach sein für das hes­sische Kul­tus­mi­nis­terium, hier eine Lösung zu finden. Denn es ist kaum zu bewerk­stel­ligen, die Ein­haltung einer libe­ra­leren Haltung der DITIB-Lehr­kräfte im Schul­un­ter­richt zu über­prüfen. Die Erwartung, die DITIB werde schon klug genug sein, sich ent­spre­chend zurück­haltend zu ver­halten, wie es manche erhoffen, bezeichnet Dr. Gebauer als „blau­äugig“.