Man gönnt diese Mittel den Opfern aus vollem Herzen. Was da an Leid und Zerstörung geschehen ist, das kann man kaum fassen. Daher kamen auch aus aller Welt Spenden über die Hilfsorganisationen herein, wer kann da beiseite stehen? Und doch kann es nur die materiellen Schäden lindern. Das Leid kaum. Die 5,7 Milliarden, die eine türkische Spendengala erbrachte, sind daher eine große materielle Hilfe und für die geschundene Bevölkerung in den Bebengebieten wenigstens eine Erleichterung. Doch bei den Spendern tun sich einige Bedenken auf.
Die große Spendengala beginnt mit einem Zusammenschnitt von apokalyptischen Szenen, Chaos, zusammenstürzenden Häusern, in Panik und Verzweiflung rennenden und schreienden Menschen. Das herzzerreißende Leid zu sehen, kann man kaum ertragen. Die dann folgende Mega-Gala, wie es die Presse nennt, dauert Stunden und erbringt die stolze Summe von 115,146 Milliarden türkischen Lira, umgerechnet 5,7 Milliarden Euro. Der Titel der Spendengala „Türkiye Tek Yürek“ (übersetzt: Die Türkei ist ein einziges Herz) für die Erdbebenopfer war gut gewählt. Die Gala wurde in der Türkei, Aserbaidschan und der türkischen Seite von Zypern von 213 TV-Kanälen und 562 Radio-Stationen live übertragen.
Diese Spenden kamen zum größten Teil aus staatsnahen Institutionen, aber auch von den Menschen selbst. Auch aus der EU, wo viele Türken wohnen, wurden Spendengelder eingesammelt. Sie werden an die türkische Katastrophenschutzbehörde AFAD gehen sowie an das türkische Pendant zum Roten Kreis, den Roten Halbmond „Türk Kizilay“.
Der AFAD wird in der Türkei allerdings vorgeworfen, sie sei inkompetent und habe in dieser Bewährungsprobe ziemlich versagt. Die AFAD habe zu spät reagiert und sei durch schlechte Koordination und Planung zu ineffektiv gewesen.
Besonders groß ist die Empörung über das Vorgehen des „Roten Halbmondes“. Anstatt die für die obdachlosen Erdbebenopfer dringend benötigten 2050 Zelte schnellstens an die Erdbebenopfer zu spenden, wurden sie einfach an die Hilfsorganisation „Ahbap“ für 2,3 Millionen Euro verkauft. Journalist Murat Agirel, berichtete als erster darüber in der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“. Er nannte das Vorgehen einen „Skandal“ und schrieb „Schämt Euch! Die Menschen bettelten nach dem verheerenden Erdbeben um Zelte und andere dringend benötigten Hilfsgüter“. Schon werden Forderungen nach dem Rücktritt des Leiters des Roten Halbmondes, Kerem Kinik laut. Der bestätigte auf Twitter den Verkauf, wandte aber ein, dass man die Zelte doch zum Selbstkostenpreis verkauft habe.
Das Deutsche Rote Kreuz berichtet in einer Stellungnahme zu dieser Sache, dass der „Türkische Rote Halbmond“ unmittelbar nach der Katastrophe seinen gesamten Lagerbestand an Zelten gespendet habe. Bis zum Stichtag am 28. Februar seien mehr als 54.000 Zelte aus Spenden des Türkischen Roten Halbmondes, der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRK), ähnlicher Schwestergesellschaften und anderen Partnern in das Erdbebengebiet gebracht worden. Das Unternehmen „Kızılay Tent & Textiles“, das zum „Türkischen Roten Halbmond“ gehört, erzielte zwar durch den berichteten Verkauf von Zelten Einnahmen, die aber vollständig in die humanitäre Hilfe reinvestiert werden, in diesem Fall in die Produktion neuer Zelte. Sollten dabei Überschüsse erwirtschaftet werden, so flössen diese zurück an den „Türkischen Roten Halbmond“, also den Eigentümer der „Kızılay Tent & Textiles“. Dort werde das Geld dann ebenfalls für humanitäre Hilfe eingesetzt.
Ebenfalls nimmt man in der Türkei Anstoß daran, dass zum Beispiel der türkische Bauunternehmer Mehmet Cengiz, Chef der Cengiz Holding, zwar großzügig spendete, aber davon beachtliche Vorteile genießt. Der Chef selbst wurde in die Sendung eingeschaltet und verkündete einen Beitrag von drei Milliarden türkische Lira (150 Millionen Euro). Fast direkt danach erließ die türkische Regierung dem Baulöwen für ein großes Bauprojekt in Konya im großen Stil Steuern und Sozialversicherungsabgaben.
Die Frankfurter Rundschau schreibt weiter:
“Der Konzern gehört zu der ‚Fünfer-Bande‘ — ein von fünf Konzernen, die die meisten staatlichen Aufträge bekommen und von der Opposition für ihren engen Verbindungen zur Regierung und für Schmiergeldzahlungen kritisiert werden.“
Der größte Spender war jedoch die türkische Zentralbank mit 30 Milliarden Euro (30 Milliarden türkische Lira). Hierzu schreibt die Frankfurter Rundschau:
„Die Opposition fürchtet dahinter ein verstecktes Spiel. ‚Wenn dieses Geld in den Haushalt fließt, würden die nötigen Ausgaben aus dem Staatshaushalt getätigt und durch den Rechnungshof kontrolliert werden. Das Geld wird aus dem Haushalt genommen und vom Rechnungshof versteckt‘, sagte der Abgeordnete Faik Öztirak (CHP) in einer Pressekonferenz.“
Weiter kamen von Banken und Unternehmen, auch von Unternehmen im Staatsbesitz, zusammengenommen ungefähr noch 2,3 Milliarden Euro (46 Milliarden türkische Lira) zusammen, darunter auch die Fluggesellschaft „Turkish Airlines“ sowie die Türk Telekom und das ebenso staatliche Mobilfunk-Unternehmen „Türkcell“.