Die Gerichtshöfe der Moral kennen keine Prozessordnung, so heißt es. An Angeklagten, Richtern, Bütteln und Henkern mangelt es ihnen jedoch nie. Kann es deshalb erstaunen, mit welcher Wut und Wucht sich die mediale Öffentlichkeit auf den Frontmann von Rammstein wirft? Die Vorwürfe sind in der Tat monströs und werden gern bebildert mit den diabolisch-durchgeknallten Bühnenoutfits von Lindemann. „Wer so aussieht“, lautet die Botschaft der Bilder, „muss einfach schuldig sein!“. Der „Orange Man“ Trump lässt grüßen. Die moralischen Urteile sind gefällt. Die kleine deutsche Welt (und nur diese) ist gerade an einer weiteren Bruchlinie auseinander gefallen und teilt sich nun in Rammsteinianer und Rammsteinophobe, tertium non datur. Ich will hier gar nicht spekulieren, ob sich am Ende nicht tatsächlich strafrechtlich Relevantes wird finden lassen, sofern doch noch jemand sich die Mühe macht, danach vor Gericht zu suchen. Außerdem bin ich selbst nicht ganz frei von moralischer Entrüstung. Jedoch im Unterschied zu den selbsternannten Richtern und Staatsanwälten halte ich meine überschießenden moralischen Wertungen für völlig irrelevant in dieser Sache. Ich weiß schlicht zu wenig und die Vorwürfe gegen Lindemann deckten sich zu gut mit meinen Vorurteilen, als dass ich ihnen trauen dürfte.
Mag sein, dass der Linde- wie vor ihm schon der Kachelmann im Sternbild Arschloch geboren wurden. Kann sein, dass beider Vorstellung von Beziehungen nicht die meinen sind. Sicher ist, dass ich das eine oder andere Lied vom Till und den einen oder anderen Kommentar vom Jörg treffend fand, andere Verlautbarungen eher weniger. Das macht mich weder zum unkritischen Fan noch zum Fanatiker. Und wie gesagt, in der Causa Lindemann ist juristisch noch gar nichts entschieden. In der Causa Kachelmann bekanntlich schon und wie dieses mediale Autodafé ausging, ist hinlänglich bekannt. Im Fall Till gegen den Feminismus steht noch nicht mal etwas zur Entscheidung an.
Wie dem auch sei: nichts qualifiziert mich dazu, Karrieren und Köpfe zu fordern. Ebenso wenig allerdings die lautstarken Vertreter des Kommentariats auf Twitter, Instagram, Facebook und im moralisch-politischen Komplex. Ich will mich auch nicht zu sehr an diesem Fall festbeißen, mir geht es um etwas anderes, einen allgemeineren Trend, der hier schlaglichtartig sichtbar wird: der in allen Aspekten der Gesellschaft um sich greifende säkulare Neopuritanismus, der von einer Intoleranz und Blindheit den eigenen Verfehlungen gegenüber ist, wie wir es historisch bereits aus der Schlussphase der Herrschaft von „Tugend und Terror“ während der französischen Revolution kennen.
Es ist die scheinbar widerspruchsfreie Gleichzeitigkeit von schwindender tradierter gesetzlicher Klarheit und unklarer neuer Moralität, die Stück für Stück für rechtlich bindend erklärt wird. Vor dem Gesetz mögen noch alle gleich sein, doch darauf kommt es gar nicht mehr an. Es ist die Moral, die Tugend wie sie sein sollte, wenn sie sich ihrer selbst bewusst wäre, mit der Vorurteile begründet werden. Rousseau und Robespierre sprachen hier von der „volonté générale“, dem allgemeinen Willen, der sich nicht dem Volk an sich, sondern dem gedachten Idol „Volk“ und seinen Hohepriestern in einem Willensakt zur Anschauung bringt. Und weil die Tugend Feindbilder produziert, um sich abzugrenzen und zu definieren, ist Groupie-Kult mit Zuführung für Tokio-Hotel kein Aufreger, während bei Rammstein ab sofort Gouvernanten in „Row zero“ die Länge der Röcke vermessen werden und auf Diversität, Inklusion und korrekte Pronomen achten. Es geziemt sich für den alten weißen Till nicht, mit Zwanzigjährigen rumzumachen, während Al Pachino, der mit 83 nochmal Vater wird, mit Sympathie und gereckten Daumen rechnen darf. Ist das illegal? Beides nicht. Ist es unmoralisch? Offenbar weder für Till Lindemann, Al Pachino noch für dessen 29-jährige Freundin noch für das Gesetz. „Aber aber die KO-Tropfen und schlimmere Dinge!“ höre ich da und das ist ein gutes Argument. Und zwar eines, über das man weniger mit den Medien, als dringend mit Anwälten und vor einem ordentlichen Gericht sprechen sollte. Mögen die Handschellen klicken, wenn es so war!
Die Vokabeln des Ungefähren
Der Begriff der Strafbarkeit wird heute pauschal in den Bereich der Strafwürdigkeit, also einen subjektiv moralischen Kontext ausgedehnt und in erste Instanz sprechen Aktivisten und Journalisten das Urteil, dem die „zweite“ Instanz, unsere regulären Gerichte, aufgestachelt von NGOs, Medien und Parteien leider oft folgen. Sogenannte Klimaleugner, Querdenker, Impfgegner, Ausländerfeinde und transphobe Umvolkungsverschwörer und allen, denen das das Adjektiv „umstritten“ angeheftet ist, wurden und werden ja nicht wegen strafbaren Handlungen, sondern moralisch-medial verworfenen Haltungen niedergemacht, verfolgt, gecancelt und wirtschaftlich vernichtet. Wäre es anders, würden ja nicht die Medien, sondern die Justiz diese Arbeit erledigen. Noch allgemeiner wäre natürlich die Injurie „Nazi“, hätte man diese nicht durch inflationären, geschichtsvergessenen Gebrauch entwertet.
All den moralisierenden Anwürfen gemein ist die Hilflosigkeit, mit welcher die Gescholtenen reagieren. Kein Wunder, befindet man sich doch zumeist niedergebrüllt in Unterzahl. Also in jenem Zustand, den die selbsternannten Volksrichter bei Rammstein als „Machtgefälle“ beschreiben, welches sie selbst aber nur zu gern für sich nutzen, wenn es ihren Zwecken dient. Gegen Schwefelbuben, Klimaskeptiker, Freiheits-Fanatiker und Gendermuffel tritt man medial nur an, wenn man ihnen zahlenmäßig mindestens 4:1 überlegen ist.
Womit wir zu den Parallelen zu 1793/94 und der Frage kommen, wie moralische Überwölbung von Recht und Gesetz sich vollzieht, wie das Kriminelle zu revolutionärem Recht und das gesetzlich statthafte zur moralischen – und irgendwann auch zur rechtlichen – Verfehlung wird. Einvernehmlicher Sex zwischen Erwachsenen jedwedem Geschlechts und Alters, der Verzehr von Fleisch, Autos mi Verbrennungsmotor fahren, in den Urlaub fliegen, traditionelle Landwirtschaft betreiben, entlang von klassischen Renditeerwartungen statt ESG-Regeln investieren, Wohnungen vermieten, Kinder in die Welt setzen oder Haustiere haben…, alles das befindet sich in völliger und tagheller Übereinstimmung mit Recht und Gesetz, während hingegen die sexuelle Indoktrination von Kindern, das Beschmieren von Flugzeugen mit Farbe, das Festkleben auf Straßen, die Sabotage von Strom- und Bahnanlagen, das „Tieferlegen“ von SUVs, das Einschlagen von Schreiben von Ministerwohnungen oder das illegale Eindringen in unser Staatsgebiet durch einer ganzen Reihe von Paragraphen verschiedenster Gesetze strafbewehrt ist. Eigentlich.
In der Praxis sieht das nämlich längst anders aus. Wir sehen immer häufiger milde oder ausbleibende Strafen für offensichtliche Kriminalität und politische Rückendeckung für Straftaten aller Art und Polizeischutz für Kriminelle vor und während der Tat vor aufgebrachten, geschädigten Bürgern statt umgekehrt. Rechtspflege und Verwaltung sind ratlos, weil Tradition und Revolution gleichzeitig an ihnen zerren. Logisch erklärbar ist es nämlich nicht, dass man zum Beispiel bei einer verspäteten Ummeldung nach Umzug – und zwar weil man beim Einwohnermeldeamt keinen früheren Termin bekam – zu einem Ordnungsgeld wegen eines Meldevergehens führen kann, während illegale Einwanderung (das Meldevergehen ist hier noch das kleinste Problem) regelmäßig zur amtlichen Duldung und Alimentierung durch die Sozialsysteme führt. Von Klebeaktionen, Nötigung, Freiheitsberaubung, sexueller Indoktrination und Verwirrung von Kindern durch den aktivistischen Teil der Buchstabensuppe und der Anti-Biologischen Novellierung des Selbstbestimmungsgesetzes ganz zu schweigen.
Das Gleichheitsprinzip wird verletzt, und zwar ausgerechnet von jenen, die sich „Equity“, also die Gleichheit der Ergebnisse, auf die Fahnen geschrieben haben. Die Parallelitäten sind verblüffend. Wenn Dragqueens mit lustigen Bühnen-Namen in in öffentlichen Bibliotheken Kindern queere Lesestunden geben oder öffentlich-rechtliche Formate den Kids auf Instagram erklären, wie man korrekt „Rimming“ betreibt, nennt man das das „Empowering“. Wenn erwachsene „Groupies“ sich für After-Show-Partys von Rammstein rekrutiere lassen dort aber Roland Kaiser beim Kamillentee erwarten, ist das unmoralisch und Machtmissbrauch. Wenn Grüne Politiker das allgemeine Wahlalter auf 16 senken möchten, ist das progressiv, wenn „gewisse Männer“ Frauen unter 25 abschleppen, weil deren „Gehirn noch nicht ausgebildet ist“, steht das widerspruchslos und gleichzeitig im Raum, ohne dass es Frösche regnet.
Weitere Beispiele für logische Brüche finden sich, wohin man auch schaut, und man fragt sich, wo genau im Lebenszyklus dieser Rewokelution wir uns gerade befinden. Die Revoluzzer der ersten Stunde (F4F) werden bereits von ihren noch radikaleren Erben (Letzte Generation) abgelöst, die berechtigte Forderung nach Anerkennung und Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in einen schrillen Erziehungsaktivismus abgedriftet, der sinnvolle und allgemein akzeptierte Schutz von Umwelt und Ressourcen zu einer apokalyptischen Endzeitsekte verkommen. Die alten Gesetze sind noch in Kraft, haben aber ihre Verbindlichkeit und vor allem ihre Schutzwirkung verloren.
Immer neue Bestimmungen, Zielvorgaben und revolutionäre Beschlüsse laufen durchs erschütterte Land. Die aufgestellte Guillotine vernichtet Kinderseelen, Ideen, Mut, Karrieren und Kapital. Das Fest des „höchsten Wesens“ wurde bereits gefeiert, das Parlament, die Gerichte und die gleichgeschalteten Kirchen dekretieren die unveränderliche Existenz und Unverletzlichkeit der Götter „Klima“ und „LGBTQ+-*/“. Auf der anderen Seite des großen Teichs sieht es auch nicht besser aus: die CIA, dieser üblicherweise eher zugeknöpfte Geheimdienst, feiert den Pride Month und ihre „Openess“ und wird ihre Agenten als „Village People“ verkleiden während Rüstungsgigant Lockheed Martin sicher bald Bomben mit Regenbögen bemalen wird. Doch für jede Revolution, welche über die Menschen hinweg immer nur den Menschen als Idee betrachtet und dessen Natur nicht in Rechnung stellt, kommt irgendwann der 9. Thermidor.
Quelle: unbesorgt.de
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.