„Schneewittchen soll sterben“, rief sie, „und wenn es mein eigenes Leben kostet!“ Darauf ging sie in eine ganz verborgene, einsame Kammer, wo niemand hinkam, und machte da einen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, dass jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der musste sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen. Sie klopfte an. Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach: „Ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mir’s verboten!“ „Mir auch recht«, antwortete die Bäuerin, „meine Äpfel will ich schon loswerden. Da, einen will ich dir schenken.“ „Nein“, sprach Schneewittchen, ‚ich darf nichts annehmen!“ „Fürchtest du dich vor Gift?“, sprach die Alte, „siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iss, den weißen will ich essen.“ Der Apfel war aber so künstlich gemacht, dass der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, dass die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder.“
Das Märchen vom schönen Schneewittchen, das von der bösen Stiefmutter mit einem Apfel vergiftet wird, kennt jedes Kind. Heutzutage braucht es keine böse Stiefmutter mehr, um sich mit Äpfeln zu vergiften. Der Apfel, ein wahres Superfood, das voller wohltuender sekundärer Pflanzenstoffe steckt und reichlich Quercetin enthält, das das Risiko von oxidativem Stress senkt, Entzündungen hemmt und gefährliche freie Radikale fängt, ist nicht mehr das, was er mal war. Die britische Volksweisheit „An apple a day keeps the doctor away.“ gilt nicht mehr! Wie ich schon in meinem Buch „Iss richtig oder stirb“ geschrieben habe, werden immer mehr Pestizide gespritzt, damit die „perfekten“ Äpfel der Norm entsprechen. Der Apfel, der dem europäischen Verbraucher munden und ihn gesund halten soll, ist meist nach EU-Norm standardisiert und muss lange Lagerzeiten überstehen. Er hat makellos auszusehen, ein Apfel muss dem anderen gleichen wie ein Klon, er muss eine leuchtende Farbe haben und gleichmäßig glänzen. Bloß keine Delle, ein paar Runzeln oder ein brauner Fleck! Viele importierte Äpfel sind sogar mit einer hauchdünnen essbaren, nicht abwaschbaren Wachsschicht mit dem Namen Apeel versehen, die laut Datenblatt schwere Augenschäden und allergische Hautreaktionen nach sich ziehen kann. Dennoch wurde das sogenannte Coating von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als „gesundheitlich unbedenklich“ bewertet und von der EU als Zusatzstoff zugelassen.
Wenn Sie glauben, der Griff zu Äpfeln aus heimischen Obstanbaugebieten sei die gesündere Wahl, muss ich Sie leider enttäuschen. Jeder dritte Apfel, der in Deutschland verkauft wird, kommt vom Bodensee. Der verregnete Sommer hat seine Spuren hinterlassen, die Obstbauern am Bodensee klagen über einen erhöhten Befall mit Schorfpilz. Damit die Äpfel dennoch vermarktet werden können, braucht es – na raten Sie mal! – noch mehr Gift! Die Behörde, die uns Verbraucher schützen soll, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), hat für diese Saison per Notfallzulassung in den Landkreisen Lindau, Ravensburg und im Bodenseekreis das Fungizid Folpet erlaubt. Für dieses Gift gilt in der EU ein Höchstwert von 0,3 Milligramm pro Kilo Äpfel. Um die Ernte der Bodensee-Äpfel zu retten, wurde der Grenzwert für Deutschland bis zum 24. November auf sechs Milligramm angehoben, also auf das 20-Fache!!! Lassen Sie sich das bitte auf der Zunge zergehen: die zwanzigfache Menge eines hochgiftigen Stoffes, der eigentlich schon längst verboten sein sollte! Schauen wir uns den Zulassungsbericht des BLV, „Fachgruppe Obstbau“, an, hier finden sich viele Hinweise auf eine hohe Toxizität:
„Signalwort: (S1) Achtung
Gefahrenpiktogramme: (GHS07) Ausrufezeichen, (GHS08) Gesundheitsgefahr,
(GHS09) Umwelt
Gefahrenhinweise (H‑Sätze): H317, H319, H332, H351, H400, EUH 208‑0043,
EUH 208‑0130, EUH401
Anwendungsbestimmungen
(NW468)
Anwendungsflüssigkeiten und deren Reste, Mittel und dessen Reste, entleerte Behältnisse
oder Packungen sowie Reinigungs- und Spülflüssigkeiten nicht in Gewässer gelangen lassen.
SEITE 2 VON 6BVL_FO_05_2563_200_V1.0
Dies gilt auch für indirekte Einträge über die Kanalisation, Hof- und Straßenabläufe sowie
Regen- und Abwasserkanäle.
(NW607‑2)“
Folpet ist außerdem sehr giftig für die Umwelt, vor allem Fische und Wasserorganismen. Weitere Hinweise: Es soll von Nahrungsmitteln, Getränken und Futtermitteln ferngehalten werden, Berührung mit der Haut ist zu vermeiden, „bei Berührung mit den Augen gründlich ausspülen und einen Arzt kontaktieren“, heißt es weiter. Wer das Pestizid versprüht, muss Schutzkleidung tragen und darf das Gebiet erst 24 Stunden später wieder betreten. Ist doch völlig harmlos, oder? Im Zulassungsbericht des Amtes für Verbraucherschutz, „Fachgruppe Obstbau“ lesen wir: „Die vorgesehenen Anwendungen führen in den Erntegütern voraussichtlich nicht zu Rückständen oberhalb der für Folpet festgesetzten.“ Ach so, „voraussichtlich nicht.“ Quod erat demonstrandum.
Der brave deutsche Verbraucher darf getrost giftige Äpfel essen, um die diesjährige Ernte zu retten! Unsere spanischen, italienischen, griechischen Nachbarn dürfen das nicht. Die Giftäpfel vom Bodensee dürfen nur in Deutschland verkauft, aber nicht in andere EU-Länder exportiert werden, dort sind sie nicht „verkehrsfähig“, wie das so schön auf Amtsdeutsch heißt. Für deutsche Verbraucher gilt offenbar die Devise „Friss und stirb“. Der Umweltverband BUND warnt eindringlich vor den „Schneewittchen-Äpfeln“ aus der Bodensee-Region. Das Fungizid Folpet aus dem Hause Bayer sei akut toxisch und gelte als wahrscheinlich krebserregend und erbgutverändernd. Dagegen sei Apfelschorf gesundheitlich völlig unbedenklich, den könne man auch rausschneiden, Pestizide und Fungizide aber nicht. In einer Stellungnahme schreibt der BUND, dass er den Einsatz von Folpet strikt ablehne.
Bei den Obstanbauern stoßen diese Bedenken auf taube Ohren, man könne sich nicht vergiften mit Obst, das in Deutschland ordentlich erzeugt wird, argumentiert Manfred Büchele vom „Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee“ im Streit um die „Schneewittchen-Äpfel“. Die Kritik des BUND sei Panikmache, man mache den Menschen unnötig Angst.
Wenn diejenigen, die uns und unsere Gesundheit schützen sollen, behaupten, es sei überhaupt nicht schlimm, wenn man giftige Äpfel isst, dann muss man denen doch glauben, oder nicht? Die wollen doch nur unser Bestes. Dazu ein Zitat aus der Stellungnahme des BUND zu den Schneewittchen-Äpfeln: „Die hier geplante Maßnahme ist außerdem vertrauensschädigend für Verbraucher*innen, denn gerade Äpfel sind ein Symbol für gesunde Ernährung.“
Ich persönlich habe mein Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit schon lange verloren, muss allerdings auch kritisch anmerken, dass viele Schlafschafe durch ihr Konsumverhalten mit verantwortlich sind für den Trend zu immer mehr Gift in unseren Nahrungsmitteln. Die meisten greifen nämlich zu makellos schönen Äpfeln, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Anscheinend ist es vielen wurscht, wie giftig sie sind. Außen hui, innen pfui! Wohl bekomm‘s!