Wie die Gier belohnt wird — Erwin Müller und die Cum-Ex-Deals

Vor fast genau 30 Jahren lief der Block­buster „Wall Street“ in den Kinos. Dieser Film, der meiner Meinung nach zu den besten seiner Art gehört, erzählt die Geschichte des Nach­wuchs-Traders Bud Fox (Charlie Sheen), der sich, ver­führt von der Illusion des schnellen Geldes, durch den erfolg­reichen Cor­porate Raider Gordon Gekko (Michael Douglas) in kri­mi­nelles Insider-Trading ver­wi­ckeln lässt. Einer der Höhe­punkte dieses Meis­ter­werks der Ein­blicke in die Abgründe der Wall-Street ist Gekkos mani­pu­lative Ansprache vor einer Gruppe von Aktio­nären, in der er seine zwei­fel­hafte „Gier ist gut“- Phi­lo­sophie pro­pa­gan­diert und damit seine Vor­haben durch­setzen kann. Wer den Film kennt, der weiß wie er endet: Gekkos Gier bringt ihn schluss­endlich ins Gefängnis — wo er auch hingehörte.

Nun, das ist Hol­lywood und da enden die meisten Filme bekanntlich gut. Die Rea­lität sieht jedoch anders aus. Wer mein Buch gelesen hat, für den sind meine Zeilen über Gordon Gekko nichts Neues, hat er mich doch dazu inspi­riert, ein ganzes Kapitel „Gier ist gut“ zu nennen, in dem ich über „legale Steu­er­ge­staltung“ einiger deut­scher Pro­mi­nenter wie z.B. meinem „Freund“ Carsten Maschmeyer berichte, dabei geht es im Großen und Ganzen um die sog. Cum-Ex-Deals, auch Divi­den­den­stripping genannt — und genau zu diesem Kapitel gibt es Neu­ig­keiten, die ich Ihnen nicht vor­ent­halten möchte.

Vorab jedoch eine kleine Erklärung bzw. eine kleine Ein­führung in diese besonders perfide Art des Finanz­ge­schäfts, die man mit „Gier für Fort­ge­schrittene“ über­schreiben könnte.

Die Funk­ti­ons­weise von „Divi­den­den­stripping“ resp. „Cum-Ex-Deals“:

1. Ein Investor A ist Anteils­eigner, also Akti­en­in­haber, eines Groß­kon­zerns. Er besitzt Aktien im Wert von 15 Mio. €.

2. Kurz vor dem Divi­den­den­stichtag (also dem Tag der Aus­zahlung der Divi­dende) kommt nun Investor C ins Spiel und kauft eben­falls Aktien des Groß­kon­zerns für 15 Mil­lionen Euro. Diese kauft er aber NICHT von Investor A, sondern erwirbt sie von Investor B, obwohl Investor B diese Aktien gar nicht besitzt. Eine solche Art von Geschäft nennt man Leerverkauf.

3. Nun ist Divi­den­den­stichtag: Die Divi­dende von 500.000 Euro wird aus­be­zahlt. Tat­sächlich erhält Investor A aller­dings nur 375.000 Euro, die anderen 125.000 €, also 25%, behält der Konzern als Kapi­tal­ertrags­steuer für den Staat ein. Investor A bekommt dafür eine ent­spre­chende Beschei­nigung, mit der er sich dann die bereits abge­führte Steuer unter bestimmten Umständen zurück­er­statten lassen kann.

4. Die Divi­dende ist jetzt aus­ge­zahlt und nun ver­kauft Investor A seine Aktien an Investor B. Dieser hat das nötige Geld aus dem Leer­ver­kaufs­ge­schäft mit Investor C. Statt 15 Mio € gehen für das Paket aller­dings nur 14,5 Mil­lionen Euro von B zu A, schließlich ist das Paket nach der Divi­den­den­aus­schüttung (ex Divi­dende) nun 500.000 € weniger wert.

5. Investor B leitet nun die Aktien, die er soeben von Investor A gekauft hat, an den Investor C weiter. Damit erfüllt Investor B seine Ver­pflichtung aus dem Leer­ge­schäft von Punkt 2.
Achtung, wich­tiges „Aber“: Investor C hatte Investor B 15 Mil­lionen Euro über­wiesen, erhält (ex Divi­dende) aber nur Aktien im Wert von 14,5 Mil­lionen Euro. Investor B über­weist Investor C deshalb zusätzlich die Netto-Divi­dende von 375.000 €. Und was ist mit den feh­lenden 125.000 € pas­siert? Dafür lässt sich Investor C von seiner Depotbank eine Steu­er­be­schei­nigung aus­stellen, so wie sie Investor A in Punkt 3 bekommen hat.

6. Investor C leitet nun die Aktien für 14,5 Mio. € an ihren ursprüng­lichen Besitzer Investor A zurück. Man sollte nun denken, dass damit alles wieder beim Alten und der einzige Unter­schied zum Beginn dieses Hin und Her ist, dass der Groß­konzern zwi­schen­zeitlich die fällige Divi­dende an Investor A aus­ge­schüttet hat.
Stimmt so aber nicht ganz: Eigentlich haben nun zwei Inves­toren, nämlich A und C, einen Anspruch auf Rück­erstattung der Steuern auf die Divi­dende, der Staat hat aber nur einmal 125.000 € kassiert.
Den Erlös aus der zusätz­lichen Rück­erstattung teilen die drei Inves­toren unter sich auf und alle drei haben einen schönen Batzen Geld für gar nichts bekommen.

Klingt erstmal illegal, oder? War es aber viele Jahre nicht! Erst Ende 2011 wurde diese Mög­lichkeit, den Staat legal zu bescheißen, end­gültig ver­boten. Bis dahin mischten viele Banken bei diesem genialen Geld­ver­meh­rungs­ge­schäft mit, dem Fiskus sollen so rund 15 Mrd. € abge­knüpft worden sein – eine Wert­schöpfung aus dem Nichts und zu Lasten der Steuerzahler.

Das Verbot dieses „Geschäfts­mo­dells“ kam relativ plötzlich und so ver­loren damals auch einige bekannte Per­sön­lich­keiten einen Haufen Geld, dar­unter der schon genannte Carsten Maschmeyer und seine Frau, die Schau­spie­lerin Veronika Ferres, Fuß­ball­trainer Mirko Slomka, Fleisch­un­ter­nehmer Clemens Tönnies und der Dro­gerie-König Erwin Müller.
All diese Per­sonen hatten über die noble Schweizer Pri­vatbank J. Safra Sarasin in den Luxem­burger Sheridan-Fonds inves­tiert. Doch anstatt sich zu ducken und zu hoffen, dass die Presse keinen Wind von den „Inves­ti­tionen“ dieser Geschäfts­leute in den zwei­fel­haften Fond bekommen, klagten sie gegen die Pri­vatbank J. Safra Sarasin wegen „fal­scher Beratung“ auf Scha­den­ersatz in Mil­lio­nenhöhe. Maschmeyer sowie auch Müller gaben an, nichts davon gewusst zu haben, wo und wie ihr Geld von der Bank angelegt wurde – anscheinend haben es diese Per­sonen bei solchen Summen nicht nötig, genauer nach­zu­prüfen. Einer der dama­ligen Chefs der Bank, Eric Sarasin, ein bis dahin per­sön­licher Freund von Maschmeyer, gab hin­gegen an, der Investor in der VOX-Sendung „Die Höhle der Löwen“ hätte ihm, so wörtlich, nach „etwas richtig Geilem“ gefragt.

Man könnte jetzt denken, der Staat, den diese Per­sonen mit den Cum-Ex-Deals ordentlich schröpfen wollten, geht auf das Hil­fe­er­suchen der nun mit ordentlich Verlust gebeu­telten Inves­toren erst gar nicht ein, aber da irrt man. Vor gut einer Woche, am 22.5.2017, bekam der 84-jährige Gründer der Müller-Dro­ge­rie­kette vor dem Ulmer Land­ge­richt „im Namen des [steu­ern­zah­lenden] Volkes“ Recht! Ergebnis: 45 Mio. € Scha­den­ersatz, zudem muss die Bank die Gerichts­kosten in Höhe von meh­reren hun­dert­tausend Euro sowie Zinsen in Höhe von 5% tragen. Rich­terin Julia Böllert sah es als erwiesen an, dass Müller Opfer einer feh­ler­haften Kapi­tal­an­la­ge­be­ratung geworden sei. Maschmeyer und die Bank hatten sich schon 2015 außer­ge­richtlich auf eine Zahlung von rund 10 Mio. € geeinigt.

Sie sehen also: Gier ist gut und sie funk­tio­niert! Zumindest, wenn man seine innere mora­lische Instanz grund­legend über­wunden hat und auch solche Vor­haben ohne Skrupel bis zum Ende durch­zieht. In den vielen Jahren, in denen ich als Kun­den­be­rater im Private-Banking für die Erfolg­reichen und Mäch­tigen unterwegs war, habe ich so gut wie nie Kunden erlebt, die im großen Stil in etwas inves­tiert hätten, was sie nicht min­destens zwei Mal kom­plett durch­ge­checkt und ver­standen haben. Man wird nicht erfolg­reich und wohl­habend, indem man wahllos und unüberlegt mit Geld um sich wirft, das wissen gerade Unter­neh­mer­le­genden wie Müller; und was wäre Maschmeyer für ein Fernseh-Investor, wenn er das nicht wissen würde?

Ich per­sönlich glaube den „Geprellten“ deshalb nur sehr bedingt – aber das ist meine per­sön­liche Meinung. Ggf. kehrt Herr Müller ja auch noch mal in sich und über­denkt die ganze Ange­le­genheit. Auch im Alter von 84 Jahren muss man nicht so alters­starr­sinnig sein, dass man nicht zur Ein­sicht kommen könnte und diese Summe, die man eigentlich als „Lehrgeld“ hätte abtun müssen, für wohl­tätige Zwecke zu spenden. Es würde ihm sicher nicht son­derlich weh tun. Vielmehr wäre es ein Zeichen für mehr Ethik im Business und in der Finanzwelt…

Aber wovon träume ich hier, so was gehört dann wohl eher wieder in Richtung Hol­lywood als in die bittere Realität.