Markt­wirt­schaft – die feind­liche Über­nahme eines Begriffes

Heute sind scheinbar ALLE für die Markt­wirt­schaft, Sarah Wagen­knecht und Cem Özdemir ein­ge­schlossen. Die Gegner der Markt­wirt­schaft haben den Begriff usur­piert, ich spreche daher lieber vom Kapitalismus.

(Ein Gast­beitrag von Dr. Rainer Zitelmann)

Sarah Wagen­knecht spricht viel von Markt­wirt­schaft und zitiert sogar gerne Ludwig Erhard. Auch Cem Özdemir gibt sich als über­zeugter Markt­wirt­schaftler. Anscheinend gibt es inzwi­schen – außer MLPD und DKP – nie­manden mehr in Deutschland, der dagegen ist. Wirklich? Lip­pen­be­kennt­nisse zur Markt­wirt­schaft sind ebenso wenig allein ein Beleg dafür, dass jemand ein über­zeugter Markt­wirt­schaftler ist wie Lip­pen­be­kennt­nisse zur Demo­kratie ein Beleg für demo­kra­tische Gesinnung sind. Sogar ent­schiedene Anti­de­mo­kraten nannten ihr System „demo­kra­tisch“. Die DDR steht bekanntlich für Deutsche Demo­kra­tische Republik und Nord­korea nennt sich Demo­kra­tische Volks­re­publik Korea. Und NPD steht für Natio­nal­de­mo­kra­tische Partei Deutsch­lands. Alles Demo­kraten? Schöne Eti­kette und Mogel­pa­ckungen sollen über den unap­pe­tit­lichen Inhalt täuschen.

Newspeak

Thomas Piketty, dessen 2013 erschie­nenes Buch „Das Kapital im 21. Jahr­hundert“ weltweit ein enormer Erfolg war und trotz all seiner gra­vie­renden Fehler zur Bibel der anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Intel­lek­tu­ellen wurde, betont mehrfach, er sei kein Anti­ka­pi­talist, ja, er sei „immun gegen die her­kömm­lichen und wohl­feilen anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Dis­kurse“. Tat­sächlich haben seine radi­kalen Vor­stel­lungen zur Umver­teilung des Ver­mögens durch exor­bitant hohe Ein­kommens- und Ver­mö­gens­steuer für die Bezieher hoher Ein­kommen und große Ver­mögen mit einem markt­wirt­schaft­lichen System nichts mehr zu tun.

Es gibt zwei Mög­lich­keiten, ein System zu bekämpfen: Die eine ist es, die Begriffe des Gegners zu dis­kre­di­tieren, die andere besteht darin, die Begriffe des Gegners zu usur­pieren. Letztere Methode hat George Orwell in seinem Roman „1984“ beschrieben, in dem der tota­litäre Staat mit „Newspeak“ eine Sprache ent­wi­ckelte, in der Begriffen ihre ursprüng­liche Bedeutung genommen wurde. So wie die Anhänger des Kapi­ta­lismus in China den Begriff „Sozia­lismus“ usur­piert haben und Lip­pen­be­kennt­nisse zum Mar­xismus ablegen, so haben die Gegner des Kapi­ta­lismus in west­lichen Ländern den Begriff der „Markt­wirt­schaft“ usur­piert und umge­deutet. Es scheint paradox: Die chi­ne­si­schen Kapi­ta­listen nennen sich Sozia­listen und Sozia­listen wie Sarah Wagen­knecht nennen sich Markt­wirt­schaftler. Men­schen, die inhaltlich wirklich für Markt­wirt­schaft ein­treten, werden von den Pseudo-Markt­wirt­schaftlern als „Markt­ra­dikale“ dif­fa­miert und damit in die Nähe von Ver­fas­sungs­feinden gerückt.

Ich spreche lieber vom Kapitalismus

Im Unter­schied zum Begriff „Markt­wirt­schaft“, für die heute scheinbar alle sind, bekennt sich kaum jemand zum Kapi­ta­lismus, obwohl beide Begriffe im Grunde iden­tisch sind. Der Unter­schied ist nur, dass es den Anti­ka­pi­ta­listen gelungen ist, den Begriff Kapi­ta­lismus erfolg­reich zu dis­kre­di­tieren. Obwohl der Kapi­ta­lismus gerade in den ver­gan­genen Jahr­zehnten dafür ver­ant­wortlich ist, Hun­derte Mil­lionen aus der Armut zu befreien (so etwa in China), wird er mit „sozialer Kälte“, „Aus­beutung“, „Umwelt­zer­störung“, „Finanz­krise“ usw. ver­bunden. Tat­sächlich werden dem Kapi­ta­lismus Dinge zuge­schrieben, die in Wahrheit gerade aus einer Ver­letzung kapi­ta­lis­ti­scher Prin­zipien her­rühren. Die Finanz­krise bei­spiels­weise ist kei­neswegs ein Beleg für „Markt­ver­sagen“, sondern eine Folge der Noten­bank­po­litik und staat­licher Vor­gaben an die Banken, ein­kom­mens­schwache Per­sonen zu finan­zieren, um eine „Dis­kri­mi­nierung“ von Min­der­heiten zu ver­meiden. Um von den wahren Ursachen abzu­lenken, wurde von der Politik die „Gier der Banker“ ange­prangert, was als Erklärung genauso viel hergibt wie die Benennung der Schwer­kraft als Ursache für einen Flug­zeug­ab­sturz. (Wer mehr dazu wissen möchte, dem emp­fehle ich diese beiden aus­ge­zeich­neten Bücher: Johan, Norberg, Financial Fiasco. How America’s Infa­tuation with Homeow­nership and Easy Money Created the Eco­nomic Crisis, Washington 2009 sowie: Thomas E. Woods jr., A Free-Market Look at Why the Stock Market Col­lapsed, the Economy Tanked, and Government Bai­louts Will Make Things Worse, Washington 2009).

Da heute scheinbar alle für die Markt­wirt­schaft sind, der Begriff aber inhaltsleer geworden ist und nicht mehr zur Dif­fe­ren­zierung taugt, bekenne ich mich lieber als Anhänger des Kapi­ta­lismus. Das ist ein­deu­tiger. Und die Gefahr, Zustimmung von fal­schen Freunden zu bekommen, ist deutlich geringer.

Die neue Planwirtschaft

Früher haben die Gegner des Kapi­ta­lismus das Pri­vat­ei­gentum an Pro­duk­ti­ons­mitteln ver­staat­licht und auf kom­plette Planung gesetzt. Heute ver­folgen sie eine andere Stra­tegie: Es wird nur noch aus­nahms­weise ver­staat­licht und das Rechts­in­stitut des Pri­vat­ei­gentums an Pro­duk­ti­ons­mitteln wird formell bei­be­halten, aber die Ver­fü­gungs­gewalt wird immer weiter beschränkt. Die Ener­gie­wirt­schaft ist unter Angela Merkel bereits wei­test­gehend zu einer Plan­wirt­schaft mutiert, die Folgen für Deutschland werden kata­strophal sein. Das Gesund­heits­system hat ohnehin nichts mehr mit Markt zu tun. „Regu­lierung“ heißt das Zau­berwort. Ist es ein Zufall, dass die beiden weltweit am meisten regu­lierten Wirt­schafts­be­reiche, nämlich das Gesund­heits­system und die Finanz­in­dustrie, zugleich die­je­nigen sind, die sich durch besondere Kri­sen­an­fäl­ligkeit und Insta­bi­lität auszeichnen?

„Mobi­li­täts­wende“ = Plan­wirt­schaft für die Autoindustrie

Die nächste Branche, die plan­wirt­schaftlich regu­liert werden soll, ist die Auto­mo­bil­in­dustrie. Wie die Autos gebaut werden, das soll nach Vor­stellung der Grünen künftig nicht mehr in den Unter­nehmen bzw. von den Ver­brau­chern ent­schieden werden, sondern in einer „Zukunfts­kom­mission“, die direkt bei der Bun­des­re­gierung ange­siedelt sein soll. Die Auto­mo­bil­in­dustrie hat dann nur noch, wie in einer Plan­wirt­schaft, das umzu­setzen, was dort beschlossen wird. Staat­liche Quoten für Elek­tro­autos und End­daten für den „Aus­stieg aus dem Ver­bren­nungs­motor“ sind nur die ersten Schritt in die Auto­mobil-Plan­wirt­schaft, auch „Mobi­li­täts­wende“ genannt (die Ener­gie­plan­wirt­schaft wird bekanntlich als „Ener­gie­wende“ bezeichnet). Die Ver­wirk­li­chung solcher Utopien wird genau dort enden, wo his­to­risch alle Plan­wirt­schaften geendet haben, nämlich in einer gigan­ti­schen Zer­störung von Wohlstand.

 

 

 

Quelle: TheEuropean.com