Eine Legende sagt, zur Zeit von Kohl sei die CDU noch eine konservative Partei gewesen und erst Merkel habe sie nach links verrückt. In Wahrheit ist Merkel nicht die Ursache, sondern die Folge der Vergrünung der Union.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Deutschland kann sich freuen, wenn Merkel irgendwann abtritt – und man kann nur hoffen, dass das nicht mehr vier Jahre dauert. Aber die Probleme der CDU sind größer als Angela Merkel, und Merkel ist selbst nur Ergebnis eines Prozesses, der schon unter Helmut Kohl weit fortgeschritten war.
Auf die Frage: „Was ist von der Studentenbewegung geblieben?“ antwortete der Philosoph Jürgen Habermas, damals der führende deutsche Linksintellektuelle, schon im Jahr 1988: „Frau Süßmuth“. Süßmuth, Ministerin im Kabinett Kohl, war damals eine der wichtigsten CDU-Politikerinnen. Ulf Fink, ehemals Bundesgeschäftsführer der CDU, einer der wichtigsten Protagonisten des linken Flügels der Union und enger Vertrauter von Generalsekretär Heiner Geißler, meinte dazu, zwar sei Rita Süßmuth keine Vertreterin der 68er, „aber Habermas hat insofern recht, als Politik und Ansehen von Rita
Süßmuth deutlich machen, wie wenig die CDU von 1988 mit der von 1968 vergleichbar ist… Die Politik von Rita Süßmuth ist aber keine Marschetappe, sondern das Ergebnis einer Entwicklung innerhalb der CDU.“ Diese „Entwicklung“ besteht in einer zunehmenden Anpassung an den von den 68ern geprägten Zeitgeist und damit an die Positionen von SPD und Grünen.
Heiner Geißler, Multikulti und die Abschaffung der Nation
Das Beispiel des kürzlich verstorbenen ehemaligen Generalsekretärs der CDU (1977 – 1989), Heiner Geißler, belegt schlagend, dass die Linksentwicklung der Union nicht erst mit Merkel angefangen hat. Nein, Merkel wurde überhaupt erst durch diese Linksentwicklung möglich. In seinem 1990 erschienenen Buch „Zugluft“ zeichnete Geißler das utopische und wirklichkeitsfremde Bild einer Weltgesellschaft, in der nicht mehr „Interessen“ und „Machtpolitik“ dominierten, sondern nur noch „moralische Kategorien“. Zwischenziel zu diesem utopischen Zustand sollten die „Vereinigten Staaten von Europa“ sein, in der der Nationalstaat für alle Zeiten überwunden sei in einer multikulturellen Gesellschaft des europäischen Bundesstaates: „Die multikulturelle Gesellschaft wird die Gesellschaft der europäischen Gemeinschaft sein“, so Geißler. „Der europäische Bundesstaat kann deshalb gar nicht schnell genug kommen“, forderte er 1994. Die Sorgen der Menschen vor einem zu großen Zustrom von Asylbewerbern tat er schon damals als „Phobien“ ab, „die bei richtiger Information ausgeräumt werden können“.
Vehement setzte er sich schon Anfang der 90er-Jahre für den Feminismus ein. Er plädierte für den „Abschied von der Männergesellschaft“. Hier genüge nicht eine „Bewusstseinsänderung bei den Männern“, sondern „Frauen müssen sich zusammenschließen, streiken und sich verweigern und andererseits von den Männern mehr Beteiligung an der Macht und Ausgleich für Nachteile fordern“. Die „Feminisierung unserer Gesellschaft wird diese friedlicher machen“, so Geißler. Konsequenterweise trat er, bis Ende seines Lebens CDU-Mitglied, 2007 der linksextremen „globalisierungskritischen“ Organisation „Attac“ bei. Geißlers linke Positionen waren Anfang der 90er Jahre in der Union noch nicht mehrheitsfähig, aber es gab viele ähnlich denkende Politiker in der Union, so etwa Rita Süßmuth oder Friedbert Pflüger, der Redenschreiber von Weizsäcker.
Merkel: nicht Ursache, sondern Folge der Vergrünung
Alle oben angeführten Zitate stammen aus meinem 1994 erschienenen Buch „Wohin treibt unsere Republik?“ (http://historiker-zitelmann.de/wohin_republik/), in dem ich ein ganzes Kapitel der Kritik an der Sozialdemokratisierung der CDU widmete. Mit dem Begriff der „Modernisierung“ der CDU, so schrieb ich damals, sei nichts anderes gemeint, „als die Anpassung an den von 1968 geprägten Zeitgeist“. Und weiter: „Bei vielen Fragen ist es heute schon so, dass die Grünen die Richtung vorgeben, dann die SPD nachzieht und schließlich die Union mit einem deutlichen Verzögerungseffekt nachhinkt. Die Debatte um die ‚Quotenregelung’ ist ein Beispiel, aber auch bei zahlreichen anderen Themenkomplexen geben die Grünen inzwischen den Ton an. So haben sich in der Diskussion über die Kernenergie die grünen Positionen zunehmend durchgesetzt.“
Als ich diese Zeilen im Jahr 1994 schrieb, war Merkel noch längst nicht CDU-Vorsitzende, das wurde sie erst sechs Jahre später. Merkel ist also nicht die Ursache für die Sozialdemokratisierung und Vergrünung der Union, sondern die Folge. Sie hat nur einen Prozess auf die Spitze getrieben, der lange vor ihr begann und seine Ursache in der Anpassung an den 68er-Zeitgeist hatte.
Dr. Rainer Zitelmann / TheEuropean.de