Deutschland, wo wir unter Umständen gut und gerne leben könnten

Angela Merkels Wahl­kampf­motto „Deutschland – wo wir gut und gerne leben“ bot mehr als genug Gele­genheit, sar­kas­tische Anmer­kungen und bittere Witze darüber zu machen.
Ein neuer Bericht des fran­zö­si­schen Öko­nomen Thomas Piketty und wei­teren 100 Öko­nomen klingt wie ein höh­ni­sches Echo auf Merkels brä­siges Selbstlob. Gut leben würden viele gern in Deutschland, können es aber nicht.
Pikettys „Bericht zur welt­weiten Ungleichheit“ beleuchtet die Ver­teilung der Ein­kommen und Ver­mögen in den ver­schie­denen Gesell­schafts­schichten in der ganzen Welt und kommt zu dem Schluss, dass auf der ganzen Welt die Schere zwi­schen arm und reich immer weiter aus­ein­an­der­klafft. Auch in Deutschland, wo wir gerne gut leben würden.
Bei Pikettys letztem Bericht 2013 ent­fielen auf die obersten 10 Prozent der Deut­schen 40% des Gesamt­ein­kommens. Die untere Hälfte der Bevöl­kerung konnte nur 17% des Gesamt­ein­kommens auf sich ver­buchen. Den­selben, krassen Unter­schied stelle Piketty im Deutschland der aus­ge­henden Kai­serzeit, also genau vor 100 Jahren fest. Der Ein­kom­mens­anteil der reichen Schicht erreichte im Jahr 1917 mit 42% seinen Höhe­punkt. Damals arbeitete die Unter­schicht bis zum Umfallen, nur, um über­haupt noch über­leben zu können.
Bis heute ver­binden die meisten die Kai­serzeit des Herr-und-Knecht Feu­da­lismus und sozialer Unge­rech­tigkeit. Doch den Ergeb­nissen des Piketty-Berichtes zufolge sind wir dort schon wieder ange­kommen. Dabei startete Deutschland nach dem Krieg mit einem breiten Anstieg der Ein­kommen und Wohl­ha­benheit auch der unteren Schichten. Der Anteil der obersten 10% am Gesamt­ein­kommen war zwi­schen den 1960ger Jahren mit ca. 30% am geringsten und lag noch bis 1995 bei 31,8%.
Die unteren 50% haben allein in den letzten paar Jahren „massiv Anteile am Gesamt­ein­kommen ver­loren“, so Char­lotte Bartels vom deut­schen Institut für Wirt­schafts­for­schung (DIW). Sie ist in dem Piketty-Bericht für die Aus­wertung der deut­schen Daten zuständig. In den Sech­zi­ger­jahren entfiel noch ein Drittel des Gesamt­ein­kommens auf die untere Hälfte der Bevöl­kerung, heute sind es noch 17%. Das ist fast eine Halbierung.
Europa als Ganzes zeigt in der Welt mit einem Anteil von 37% des Gesamt­ein­kommens der oberen 10% der Bevöl­kerung noch eine recht positive Ver­teilung. Was aber bedeutet, das Deutschland mit 40% für die Ober­schicht besonders schlecht dasteht.
Im euro­päi­schen Ver­gleich steht Deutschland beim Medi­an­ein­kommen eher auf den hin­teren Plätzen. Das Medi­an­ein­kommen, auch „mitt­leres Ein­kommen“ genannt, ist das, bei dem es genauso viele Men­schen gibt, die ein höheres Ein­kommen haben, wie auch ein nied­ri­geres. Einen Durch­schnitt zu nehmen, ist wenig aus­sa­ge­kräftig. Wenn von zehn Per­sonen einer 100.000 Euro im Monat ver­dient, die anderen neun aber jeder nur 1000, beträgt das Durch­schnitts­ein­kommen rech­ne­risch 10.900 Euro. Das Mittlere Ein­kommen oder Medi­an­ein­kommen läge in diesem Fall nur leicht über 1000 Euro, was wesentlich rea­lis­ti­scher ist.
Dieses Medi­an­ein­kommen wird deshalb auch her­an­ge­zogen, um die Armuts­grenze und die Armuts­ri­si­ko­grenze fest­zu­legen. Wer 60% des Medi­an­ein­kommens erzielt, ist bereits von Armut bedroht, bei 50% ist man schon amtlich bestätigt arm. Konkret heißt das: Wer allein­stehend lebt und weniger als 892 Euro im Monat an Ein­kommen hat, gilt offi­ziell als arm. Ein Ehepaar mit zwei Kindern steht bei einem Ein­kommen von 1872 Euro /Monat an der Grenze zur Armut. Dabei ist aller­dings nicht berück­sichtigt, dass das Leben als Single in der Münchner Innen­stadt mit 892 Euro kaum zu stemmen ist, während man damit auf dem Land in Meck­lenburg-Vor­pommern ganz gut aus­kommt. Diese Zahlen stammen aus einem Stern-Artikel aus dem Februar 2017. Bei „Sta­tista“ gibt es noch trau­rigere Zahlen hierzu: Armut beginnt hier erst bei 781 Euro Monats­ein­kommen für Singles, ein nor­males Ein­kommen liegt bei 1301 Euro, ab 3.418 Euro zählt man schon zu den “Reichen”. Laut dieser Sta­tistik liegt die Armuts­grenze für ein Paar bei unter 1.171 Euro, das mittlere Ein­kommen bei 1.952 Euro und Reichtum beginnt bei einem Ein­kommen ab 5127 Euro.
Doch nicht nur die von Berufs­tä­tigen erwirt­schaf­teten Ein­kommen brechen in der breiten, unteren Bevöl­ke­rungs­hälfte weg. Auch die Ren­ten­armut greift hier immer weiter um sich. Besonders Frauen, die in Teilzeit- und Nied­riglohn gear­beitet haben, zum Teil aber wegen der Kin­der­er­ziehung jah­relang aus­ge­fallen sind als Ren­ten­ein­zahler, sind mas­senhaft von Alters­armut bedroht. Da klingt die Auf­for­derung, neben der staat­lichen Rente noch durch Inves­ti­tionen in private Ren­ten­vor­sorge die „Ver­sor­gungs­lücke“ zu schließen, wie blanker Hohn. Wenn der Nied­riglohn schon kaum zum Leben gereicht hat, wovon soll eine private Alters­vor­sorge finan­ziert werden? Von Betriebs­renten können die, die immer nur in pre­kären Arbeits­ver­hät­nissen her­um­ge­krebst sind, nur träumen.
Dazu kommt, dass die Ren­ten­kassen kon­ti­nu­ierlich geschröpft werden. Nicht zuletzt durch die Nied­rig­zinsen. Das ein­ge­zahlte Ren­tengeld kann nicht gewinn­bringend inves­tiert werden. Gleich­zeitig gibt es zu wenig Junge, die Geld in die Kasse ein­zahlen. Wer glaubt, er habe doch ein Recht auf „sein ein­ge­zahltes Ren­tengeld“, der irrt. Kein Ein­zahler sammelt „sein“ Ren­tengeld für’s Alter an. Er zahlt immer für die gegen­wärtige Rent­ner­ge­neration. Ist er im Ren­ten­alter, muss er von der dann erwerbs­tä­tigen Gene­ration ver­sorgt werden – und darum steht es schlecht. Es gibt viel zu wenig junge, nach­wach­sende Berufstätige.
Wer wenigstens zwei Kinder groß­ge­zogen hat, mag viel­leicht, wenn das Ver­hältnis gut ist, noch auf ein Zim­merchen und Mit­ver­kös­tigung bei einem der Kinder hoffen. Aber auch da wird es nicht allzu gut drum stehen.
Denn diese erwach­senen Kinder werden nicht für nur die eigenen Eltern Renten ein­zahlen, sondern auch für die Mit­bürger, die keine Kinder haben. Und nicht zuletzt auch für die, „die noch nicht so lange hier leben“ und zum aller­größten Teil – wenn über­haupt – nur wenige Jahre in die Ren­ten­kassen gezahlt haben, falls sie berufs­tätig waren. So, wie es jetzt aus­sieht, werden aus dieser Gruppe nur selten Ein­zahler in Renten und Sozi­al­kassen kommen. Die meisten der Neu­bürger sind weder in der Lage noch willens, sich in den Arbeits­markt ein­zu­gliedern. Und wenn sie Jobs ausüben, nehmen sie damit genau der Unter­schicht die wenigen Ein­kom­mens­quellen auch noch weg, die die heute Wirt­schaft im unqua­li­fi­zierten Arbeits­sektor noch bietet. Die massive Ver­armung der unteren Hälfte der Gesell­schaft ist wahr­scheinlich nicht mehr aufzuhalten.
Sie werden aber dennoch Anspruch auf staat­liche Zah­lungen haben. Letzt­endlich wird es, um das berühmte Mer­kelsche Kuchen­gleichnis zu zitieren, nur noch gewe­be­proben-dicke Stücke vom Sozi­algeld- und Ren­ten­kuchen für jeden geben.